Samstag, 31. Dezember 2011
Neue Rezensionen von Driesch-Autoren
Hilde Spiel und die Salons
H. L. Handl, 7.12.2011, kultur-online.net
Anmerk. Haimo L. Handls Kulturkolumnen
Manfred Chobot, 10.12.2011, kultur-online.net
H. G. Adlers poetisches Werk
Demokratie und Macht. Widerspruch 60
H. L. Handl, 31.12.2011, kultur-online.net
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Manfred Chobot,
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Widerspruch 60
126. Geburtstag von Paul Boldt
Paul Boldt (31. Dezember 1885 in Christfelde (polnisch: Chrystkowo), Kreis Schwetz, Westpreußen – 16. März 1921 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher expressionistischer Lyriker.
Wikipedia
Paul Boldt Online Archiv
Die Sintflut
Die Wolken wachsen aus den Horizonten
Und trinken Himmel mit den Regenhälsen.
Die Menschen bissen auf den höchsten Felsen
In weiße Stirnen, die nicht denken konnten,
Daß Läuse aus dem Meer, die See, krochen.
Im Abendsturm ertranken lange Pappeln. –
Sie hörten auf der Nacht die Sterne trappeln,
Die in dem All den warmen Erdrauch rochen.
Dann schwamm die Sonne in dem glatten Wasser.
Das Wasser fiel. Die See faulten ab.
Die Erde trug der Meere hellen Schurz.
Die Sterne standen, von Begierde blasser,
Mit dünnem Atem an des Ostens Kap.
Ein Stern sprang nach der Erde, sprang zu kurz.
Vormorgens
Schneeflocken klettern an den Fensterscheiben,
Auf meinem Schreibtisch schläft der Lampenschein,
Und hingestreute Bogen, weiß und rein,
Ich wollte wohl etwas von Versen schreiben.
Der Tag ist nah. Die Jalousien schurr’n,
Die letzten Sterne torkeln von den Posten.
Der Tag ist nah, den unbesternten Osten
Bevölkern Morgenwinde schon purpurn.
Und mich bewachsen Abende, beschatten
Die Jahre! O ich dunkle ein.
Das Gas singt in den Gassen Litanein,
Daß meine Augen so sehr früh ermatten.
Berlin
Die Stimmen der Autos wie Jägersignale
Die Täler der Straße bewaldend ziehn.
Schüsse von Licht. Mit einem Male
Brennen die Himmel auf Berlin.
Die Spree, ein Antlitz wie der Tag,
Das glänzend meerwärts späht nach Rettern,
Behält der wilden Stadt Geschmack,
Auf der die Züge krächzend klettern.
Die blaue Nacht fließt in der Forst.
Sie fühlt, geblendet, daß du lebst.
Schnellzüge steigen aus dem Horst!
Der weiße Abend, den du webst,
Fühlt, blüht, verblättert in das All.
Ein Menschenhände-Fängen treibst du
Um den verklungnen Erdenball
Wie hartes Licht; und also bleibst du.
Wer weiß, in welche Welten dein
Erstarktes Sternenauge schien,
Stahlmasterblühte Stadt aus Stein,
Der Erde weiße Blume, Berlin.
Auf der Terrasse des Café Josty
Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll
Vergletschert alle hallenden Lawinen
Der Straßentakte: Trams auf Eisenschienen
Automobile und den Menschenmüll.
Die Menschen rinnen über den Asphalt,
Ameisenemsig, wie Eidechsen flink.
Stirne und Hände, von Gedanken blink,
schwimmen wie Sonnenlicht durch dunklen Wald.
Nachtregen hüllt den Platz in eine Höhle,
Wo Fledermäuse, weiß, mit Flügeln schlagen
Und lila Quallen liegen - bunte Öle;
Die mehren sich, zerschnitten von den Wagen.-
Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd Nest,
Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer Pest.
Einige Videoarbeiten zu Gedichten von Paul Boldt (die übrigens beweisen, wie kreativ Jugendliche arbeiten):
Anmerkung am Rande:
Die Videos geben ein interessantes Beispiel, wie die Art der Visualisierung und Tonunterlegung (Musik, Geräusche) neben der Rezitationsweise die Rezeption eines Poems bestimmen oder beeinflussen. Der Kunsthistoriker und Autor John Berger hat in vielen Arbeiten auf die spezifischen Wahrnehmungsweisen verwiesen, insbesondere bildender Kunst. Einige Aspekte und Schlussfolgerungen gelten auch für Film oder Video (mehr in seiner BBC-Serie "Ways of Seeing"):
Wikipedia
Paul Boldt Online Archiv
Die Sintflut
Die Wolken wachsen aus den Horizonten
Und trinken Himmel mit den Regenhälsen.
Die Menschen bissen auf den höchsten Felsen
In weiße Stirnen, die nicht denken konnten,
Daß Läuse aus dem Meer, die See, krochen.
Im Abendsturm ertranken lange Pappeln. –
Sie hörten auf der Nacht die Sterne trappeln,
Die in dem All den warmen Erdrauch rochen.
Dann schwamm die Sonne in dem glatten Wasser.
Das Wasser fiel. Die See faulten ab.
Die Erde trug der Meere hellen Schurz.
Die Sterne standen, von Begierde blasser,
Mit dünnem Atem an des Ostens Kap.
Ein Stern sprang nach der Erde, sprang zu kurz.
Vormorgens
Schneeflocken klettern an den Fensterscheiben,
Auf meinem Schreibtisch schläft der Lampenschein,
Und hingestreute Bogen, weiß und rein,
Ich wollte wohl etwas von Versen schreiben.
Der Tag ist nah. Die Jalousien schurr’n,
Die letzten Sterne torkeln von den Posten.
Der Tag ist nah, den unbesternten Osten
Bevölkern Morgenwinde schon purpurn.
Und mich bewachsen Abende, beschatten
Die Jahre! O ich dunkle ein.
Das Gas singt in den Gassen Litanein,
Daß meine Augen so sehr früh ermatten.
Berlin
Die Stimmen der Autos wie Jägersignale
Die Täler der Straße bewaldend ziehn.
Schüsse von Licht. Mit einem Male
Brennen die Himmel auf Berlin.
Die Spree, ein Antlitz wie der Tag,
Das glänzend meerwärts späht nach Rettern,
Behält der wilden Stadt Geschmack,
Auf der die Züge krächzend klettern.
Die blaue Nacht fließt in der Forst.
Sie fühlt, geblendet, daß du lebst.
Schnellzüge steigen aus dem Horst!
Der weiße Abend, den du webst,
Fühlt, blüht, verblättert in das All.
Ein Menschenhände-Fängen treibst du
Um den verklungnen Erdenball
Wie hartes Licht; und also bleibst du.
Wer weiß, in welche Welten dein
Erstarktes Sternenauge schien,
Stahlmasterblühte Stadt aus Stein,
Der Erde weiße Blume, Berlin.
Auf der Terrasse des Café Josty
Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll
Vergletschert alle hallenden Lawinen
Der Straßentakte: Trams auf Eisenschienen
Automobile und den Menschenmüll.
Die Menschen rinnen über den Asphalt,
Ameisenemsig, wie Eidechsen flink.
Stirne und Hände, von Gedanken blink,
schwimmen wie Sonnenlicht durch dunklen Wald.
Nachtregen hüllt den Platz in eine Höhle,
Wo Fledermäuse, weiß, mit Flügeln schlagen
Und lila Quallen liegen - bunte Öle;
Die mehren sich, zerschnitten von den Wagen.-
Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd Nest,
Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer Pest.
Einige Videoarbeiten zu Gedichten von Paul Boldt (die übrigens beweisen, wie kreativ Jugendliche arbeiten):
Anmerkung am Rande:
Die Videos geben ein interessantes Beispiel, wie die Art der Visualisierung und Tonunterlegung (Musik, Geräusche) neben der Rezitationsweise die Rezeption eines Poems bestimmen oder beeinflussen. Der Kunsthistoriker und Autor John Berger hat in vielen Arbeiten auf die spezifischen Wahrnehmungsweisen verwiesen, insbesondere bildender Kunst. Einige Aspekte und Schlussfolgerungen gelten auch für Film oder Video (mehr in seiner BBC-Serie "Ways of Seeing"):
Freitag, 30. Dezember 2011
Heute 192. Geburtstag von Theodor Fontane
Heinrich Theodor Fontane (30. Dezember 1819 in Neuruppin - 20. September 1898 in Berlin) war ein deutscher Schriftsteller und approbierter Apotheker. Er gilt als bedeutendster deutscher Vertreter des poetischen Realismus.
Wikipedia
Auszug aus dem Roman "Vor dem Sturm" (1878):
Ein Zwiegespräch
Es mochte halb elf sein, als halblauter Peitschenknall und ein jedesmal plötzliches Erklingen des Schellengeläutes, wenn die beiden Braunen ungeduldig ihre Hälse zur Seite warfen, die Frankfurter Gäste des Pfarrhauses daran gemahnte, daß der Schlitten vorgefahren sei.
Nicht lange, so ward es auf dem Flur lebendig, und das Lachen Turganys – der, aus dem zweiten Zimmer tretend, eben an den Alligator gestoßen und das Ungetüm in eine unheimlich schwankende Bewegung gesetzt hatte – klang bis auf die Straße hinaus, wo der Pfarrknecht, auf und ab stampfend, die Fahrleine hielt und durch Hauchen und Blasen seine halbverklammten Finger vor dem völligen Starrwerden zu schützen suchte. Gleich darauf öffnete sich die Tür, sofort den dünnen Ton ihrer Klingel mit dem Schellengeläute des draußen harrenden Schlittens mischend, auf dessen niedriger Polsterbank Turgany und der Konrektor sich nunmehr rasch zurechtrückten. Ein Gruß noch nach dem Flur hin, ein Schlag mit der Leine auf den Rücken der Pferde, und fort ging es auf verschneiter Straße dem Ausgange des Dorfes zu. Der Dolgeliner Pastor, der noch Geschäftliches mit Seidentopf zu erledigen hatte, war bei seinem Amtsbruder zurückgeblieben.
Hohen-Vietz schlief schon. Alle Gehöfte lagen im Dunkel; nur bei Müller Miekley war noch Licht, und ein heller Schimmer fiel auf einen würfelförmigen, wohl seit hundert Jahren an dieser Stelle liegenden Stein, von dem aus der Fußweg nach dem Forstacker hin abzweigte.
»Der Müller hat noch Licht«, sagte Turgany, »wahrscheinlich ein Konventikel, Uhlenhorst in Person.«
In demselben Augenblick aber scheuten die Pferde und bogen prustend nach rechts hin aus, so daß es einiger Anstrengung bedurfte, die Stelle zu passieren. Als sie glücklich vorüber waren, sah sich der Justizrat neugierig um und erkannte nun erst Hoppenmarieken, die auf dem Stein gesessen und beim Ansichtigwerden des Schlittens, sehr zur Unzeit, mit ihrem Hakenstock salutiert hatte.
»Wer ist der Kobold?« fragte Othegraven.
»Hoppenmarieken«, antwortete Turgany, »ihres Zeichens Hohen-Vietzer Botenfrau, auch wohl sonst noch allerlei. Man munkelt dies und das, aber die Beweise fehlen. Sie geht oft nachts und ist am andern Morgen wieder da.«
»Ein unheimliches Wesen.«
»Das ist sie. Aber auch ein Original, und das kommt ihr zustatten. Der alte Vitzewitz sieht ihr manches durch die Finger. Ihr eigentlicher Anwalt aber ist Lewin.«
Turganys Schlitten flog rasch dahin, bei jeder Seitwärtsbewegung den Schnee fußhoch zusammenschaufelnd. Gekröpfte Weiden, abwechselnd mit hohen Pappeln, faßten von rechts und links her den Weg ein und bezeichneten die Richtung, in der sich die Fahrt, im übrigen auf gut Glück hin, vorzubewegen hatte. Dann und wann flog eine Krähe auf, stumm, verschlafen, um sich auf dem nächsten Baumwipfel wieder niederzulassen. Darüber stand der Sternenhimmel, funkelnd in aller winterlichen Pracht. Ein träumerischer Zustand überkam die beiden Reisenden. Es war ihnen, als erstürbe das Schellengeläut ihres Schlittens, während der leise Widerhall von weit, weit her immer lauter, immer brausender zu werden schien. Die Nähe verlor ihre Macht über das Ohr; nur das Ferne, das kaum Hörbare läutete wie Glocken.
Turgany gewann es zuerst über sich, diesen lähmenden Halbtraum abzuschütteln.
»Eine herrliche Nacht!« hob er an.
»Der schöne Abschluß eines schönen Tages«, antwortete Othegraven, der nun auch, als ob das Befreiungswort gesprochen sei, aus dem Banne heraus war. »Welch eine liebenswürdige Natur, Ihr Freund Seidentopf! Welche Frische, welche Teilnahme an jedem Kleinen und Allerkleinsten, und wenn es ein Pfänderspiel wäre.«
Dem Justizrat konnte nichts lieber kommen, als diese Wendung des Gesprächs. »Seidentopf«, so nahm er jetzt das Wort, »ist ein Mann wie ein Kind. Ich habe ihn nun ein Leben lang bewährt gefunden. Vierzig Jahre immer derselbe. Dieselbe Treue. Aber warum zählen Sie Pfänderspiele zum ›Allerkleinsten‹? Da haben Sie unrecht; Pfänderspiele sind eine große Sache.«
Othegraven sah, soweit seine Mantelverpackung es zuließ, den Justizrat fragend an.
Dieser legte seinen linken Pelzarm auf des Konrektors Schulter und fuhr dann mit einer Herzlichkeit, die sonst nicht zu seinen Eigenheiten gehörte, fort: »Ich hätte die Frage nicht tun sollen, oder doch nicht in dieser Form. Die Sache verbietet's und Ihre Person. So denn rund heraus, Othegraven: Sie lieben Marie.«
Othegraven schwieg einen Augenblick und sagte dann mit fester Stimme, in der auch kein leisester Ton von Verlegenheit mitklang:
»Ja, von Herzen.«
So weit waren Frage und Antwort gediehen, als die Fortsetzung des Gesprächs beider Freunde durch ihre Einfahrt in das nächstgelegene Dorf unterbrochen wurde. Schon bei den ersten Häusern hörten sie Baß und Klarinette vom Kruge her, unter dessen Erkervorbau, ja bis auf den Fahrdamm hinaus, einzelne Paare trotz bitterer Kälte standen. Die Mädchen kurzärmelig. Ein verzeihlicher Leichtsinn, denn aus der Tanzstube, deren Fenster ausgehoben waren, quoll eine dicke Wolke von Qualm und Rauch. »Da drinnen sind sie beim ›Kiekebusch‹«, sagte Turgany, »schade, daß wir unsern Dolgeliner Pastor nicht mit uns haben.«
Derweilen war der Schlitten an dem Kruge vorbei; der Lärm verhallte, und das weite Schneefeld lag wieder vor ihnen. Turgany, auch bei Othegraven voraussetzend, daß er mit seinen Gedanken an alter Stelle haften geblieben sei, fuhr, als ob überhaupt keine Unterbrechung stattgefunden hätte, ohne weiteres fort: »Und wie gut sie sprach. Jedes Wort ein Treffer.«
»Sie wird immer das Richtige treffen.«
»Ei, Konrektor, schon so tief in Bewunderung! Aber kennen Sie denn die Vorgeschichte dieses Kindes? Sie wissen doch, sie ist eine Waise.«
»Ich weiß alles«, erwiderte der Konrektor. »Ich war vor drei Wochen auf dem Schulzenhofe, und das Kniehasesche Paar hat mir ohne Rückhalt von seinem Pflegling erzählt. Ich weiß, daß sie getanzt und deklamiert hat, und daß sie mit einem Tellerchen herumgegangen ist, um die Münzen einzusammeln. Ich bekenne, daß ich keinen Anstoß daran nehme. Es steigert nur meine Teilnahme.«
»Auch die meinige«, sagte Turgany. »Aber, lieber Othegraven, wir sind sehr verschiedene Leute. Ich bin ein Lebemann, nicht viel besser als ein Heide. Sie sind ein Geistlicher, vorläufig noch in der Konrektorverpuppung, aber der Schmetterling kann jeden Augenblick ausfliegen.«
Othegraven schwieg einen Augenblick. Dann nahm er das Wort: »Lassen Sie mich offen sein, lieber Freund: es drängt mich dazu, und ich finde, es spricht sich gut unter diesen Sternen. Sie nennen sich einen Heiden; ich habe meine Zweifel daran. Aber wie immer auch, Sie irren, wenn Sie das Christentum, zumal nach dieser Seite hin, als eng und befangen ansehen. Im Gegenteil, es ist frei. Und daß es diese Freiheit üben kann, ist im Zusammenhang mit dem tiefsten Punkte unseres Glaubens.«
Der Justizrat schien antworten zu wollen. Othegraven aber fuhr fort: »Wir sind alle in Sünde geboren, und was uns hält, ist nicht die eigene Kraft, sondern eine Kraft außer uns, rund heraus die Barmherzigkeit Gottes. Sie kennen unsere schöne Schildhornsage? Nun, wie mit dem Wendenfürsten Jaczko, so ist es mit uns allen: wir sinken unter in der schweren Rüstung unseres eiteln Ichs, unseres selbstischen Trotzes, wenn uns der Finger Gottes nicht nach oben zieht.«
Turgany nickte. »Sie werden mich nicht in Verdacht haben, Othegraven, für die Selbstgerechtigkeit der Menschen und für das Unkraut von Vorurteilen, das aus ihr sprießt, eine Lanze brechen zu wollen. Ich weiß seit langem, wie wenig es mit dem Stolz unserer Tugend auf sich hat, und wenn ich irgendeines Bibelwortes gedenke, so ist es das: ›der hebe den ersten Stein auf sie‹. Es würde gerade mir schlecht anstehen, die Lebensläufe meiner Mitmenschen durch ein Examen rigorosum gehen zu lassen. Und nun gar die Vergangenheit dieses liebenswürdigen Kindes! Alles, was ich mit meiner Frage sagen wollte, ist etwa das: ›Es ist ein Glück, aus einem guten Hause zu sein.‹ Und an der einfachen Wahrheit dieses Satzes ist nicht wohl zu rütteln. Kniehases Haus ist ein gutes Haus. Das Haus des ›starken Mannes‹ aber, der oben auf dem Hohen-Vietzer Kirchhof unter dem Holzkreuz liegt, ist schwerlich ein solches Haus gewesen.«
»Es fragt sich«, bemerkte Othegraven. »Ich möchte fast das Gegenteil glauben. Es war ein Haus schwerer Prüfungen, wachsender Demütigung; aber wo so viel Liebe, so viel schöner Eifer waltete, von einem jungen Leben den drohenden Makel der Geburt, jeden Verdacht des Ungesetzlichen fernzuhalten, das kann kein Haus der Unsitte gewesen sein. Ich habe die Geschichte von dem ›starken Mann‹ nicht ohne Rührung gehört. Unglück, nicht Unsegen; Heimsuchung, nicht Fluch.«
»Sie überraschen mich«, nahm der Justizrat wieder das Wort. »Ich bin Ihnen dogmatisch nicht gewachsen; aber würden Sie, auch ohne Neigung zu Marie, zwischen Unglück und Unsegen immer so scharf unterscheiden wie in diesem Augenblick? Würden Sie nicht geneigt sein, die Heimsuchung als eine Folge der Verschuldung, als Strafe, als Verwerfung anzusehen? Irr' ich darin, wenn ich annehme, daß gerade Männer Ihrer Richtung Gewicht legen auf Patriarchalität?«
»Nein, darin irren Sie nicht«, erwiderte Othegraven. »Gewiß ist ein Unterschied zwischen dem Hause des Lot und dem Hause von Sodom, und diesen Unterschied, ohne ein klarsprechendes Zeichen, mißachten zu wollen, wäre Auflehnung gegen Sitte und Gebot. Aber was entscheidet, ist doch immer die Gnade Gottes. Und diese Gnade Gottes, sie geht ihre eigenen Wege. Es bindet sie keine Regel, sie ist sich selber Gesetz. Sie baut wie die Schwalben an allerlei Häusern, an guten und schlechten, und wenn sie an den schlechten Häusern baut, so sind es keine schlechten Häuser mehr. Ein neues Leben hat Einzug gehalten. Die Patriarchalität ist viel, aber die Erwähltheit ist alles.«
»Und diese finden Sie in Marie?«
»Ich brauche diese Frage gerade Ihnen, teuerster Freund, nicht erst zu beantworten, denn wir empfinden gleich, jeder von uns auf seine Weise. Und wenn die Vergangenheit dieses Kindes dunkler und verworrener wäre, als sie ist, ich würde diese Verworrenheit nicht achten. Es gibt eben Naturen, über die das Unlautere keine Gewalt hat; das macht die reine Flamme, die innen brennt. Ich habe Marie nie gesehen, ohne mit einer Art von freudiger Gewißheit, die Empfindung zu haben: sie wird beglücken und wird glücklich sein.«
Turgany drückte dem Freunde die Hand. »Othegraven, ich habe immer große Stücke von Ihnen gehalten, von heute ab lasse ich Sie nicht wieder los.«
So ging die Unterhaltung; das Schlittengeläute klang über die Schneefelder hin; in den Dörfern war alles still; kein Licht als die glitzernden Sterne.
Dieselben Sterne schienen auch in ein Giebelfenster von Schulze Kniehases Haus. Marie schlief; die Bilder des letzten Abends, wie sie Leben und Dichtung geboten hatten, zogen in einem phantastischen Zuge an ihr vorüber: vorauf der Dolgeliner Pastor mit dem Schmidt-von-Werneuchenschen Hägereiter, der jetzt sein Waldhorn, statt es zu blasen, über der Schulter trug; dann der »Wagen Odins«, riesig vergrößert, auf dessen Achse Prediger Seidentopf stand. Den Schluß aber machte »der Knabe mit dem Stabe«, und das Weihnachtslied, das Tante Schorlemmer und Renate gesungen hatten, klang im Traume nach.
Fritz Stavenhagen rezitiert Theodor Fontanes „Ausgang:
Wikipedia
Auszug aus dem Roman "Vor dem Sturm" (1878):
Ein Zwiegespräch
Es mochte halb elf sein, als halblauter Peitschenknall und ein jedesmal plötzliches Erklingen des Schellengeläutes, wenn die beiden Braunen ungeduldig ihre Hälse zur Seite warfen, die Frankfurter Gäste des Pfarrhauses daran gemahnte, daß der Schlitten vorgefahren sei.
Nicht lange, so ward es auf dem Flur lebendig, und das Lachen Turganys – der, aus dem zweiten Zimmer tretend, eben an den Alligator gestoßen und das Ungetüm in eine unheimlich schwankende Bewegung gesetzt hatte – klang bis auf die Straße hinaus, wo der Pfarrknecht, auf und ab stampfend, die Fahrleine hielt und durch Hauchen und Blasen seine halbverklammten Finger vor dem völligen Starrwerden zu schützen suchte. Gleich darauf öffnete sich die Tür, sofort den dünnen Ton ihrer Klingel mit dem Schellengeläute des draußen harrenden Schlittens mischend, auf dessen niedriger Polsterbank Turgany und der Konrektor sich nunmehr rasch zurechtrückten. Ein Gruß noch nach dem Flur hin, ein Schlag mit der Leine auf den Rücken der Pferde, und fort ging es auf verschneiter Straße dem Ausgange des Dorfes zu. Der Dolgeliner Pastor, der noch Geschäftliches mit Seidentopf zu erledigen hatte, war bei seinem Amtsbruder zurückgeblieben.
Hohen-Vietz schlief schon. Alle Gehöfte lagen im Dunkel; nur bei Müller Miekley war noch Licht, und ein heller Schimmer fiel auf einen würfelförmigen, wohl seit hundert Jahren an dieser Stelle liegenden Stein, von dem aus der Fußweg nach dem Forstacker hin abzweigte.
»Der Müller hat noch Licht«, sagte Turgany, »wahrscheinlich ein Konventikel, Uhlenhorst in Person.«
In demselben Augenblick aber scheuten die Pferde und bogen prustend nach rechts hin aus, so daß es einiger Anstrengung bedurfte, die Stelle zu passieren. Als sie glücklich vorüber waren, sah sich der Justizrat neugierig um und erkannte nun erst Hoppenmarieken, die auf dem Stein gesessen und beim Ansichtigwerden des Schlittens, sehr zur Unzeit, mit ihrem Hakenstock salutiert hatte.
»Wer ist der Kobold?« fragte Othegraven.
»Hoppenmarieken«, antwortete Turgany, »ihres Zeichens Hohen-Vietzer Botenfrau, auch wohl sonst noch allerlei. Man munkelt dies und das, aber die Beweise fehlen. Sie geht oft nachts und ist am andern Morgen wieder da.«
»Ein unheimliches Wesen.«
»Das ist sie. Aber auch ein Original, und das kommt ihr zustatten. Der alte Vitzewitz sieht ihr manches durch die Finger. Ihr eigentlicher Anwalt aber ist Lewin.«
Turganys Schlitten flog rasch dahin, bei jeder Seitwärtsbewegung den Schnee fußhoch zusammenschaufelnd. Gekröpfte Weiden, abwechselnd mit hohen Pappeln, faßten von rechts und links her den Weg ein und bezeichneten die Richtung, in der sich die Fahrt, im übrigen auf gut Glück hin, vorzubewegen hatte. Dann und wann flog eine Krähe auf, stumm, verschlafen, um sich auf dem nächsten Baumwipfel wieder niederzulassen. Darüber stand der Sternenhimmel, funkelnd in aller winterlichen Pracht. Ein träumerischer Zustand überkam die beiden Reisenden. Es war ihnen, als erstürbe das Schellengeläut ihres Schlittens, während der leise Widerhall von weit, weit her immer lauter, immer brausender zu werden schien. Die Nähe verlor ihre Macht über das Ohr; nur das Ferne, das kaum Hörbare läutete wie Glocken.
Turgany gewann es zuerst über sich, diesen lähmenden Halbtraum abzuschütteln.
»Eine herrliche Nacht!« hob er an.
»Der schöne Abschluß eines schönen Tages«, antwortete Othegraven, der nun auch, als ob das Befreiungswort gesprochen sei, aus dem Banne heraus war. »Welch eine liebenswürdige Natur, Ihr Freund Seidentopf! Welche Frische, welche Teilnahme an jedem Kleinen und Allerkleinsten, und wenn es ein Pfänderspiel wäre.«
Dem Justizrat konnte nichts lieber kommen, als diese Wendung des Gesprächs. »Seidentopf«, so nahm er jetzt das Wort, »ist ein Mann wie ein Kind. Ich habe ihn nun ein Leben lang bewährt gefunden. Vierzig Jahre immer derselbe. Dieselbe Treue. Aber warum zählen Sie Pfänderspiele zum ›Allerkleinsten‹? Da haben Sie unrecht; Pfänderspiele sind eine große Sache.«
Othegraven sah, soweit seine Mantelverpackung es zuließ, den Justizrat fragend an.
Dieser legte seinen linken Pelzarm auf des Konrektors Schulter und fuhr dann mit einer Herzlichkeit, die sonst nicht zu seinen Eigenheiten gehörte, fort: »Ich hätte die Frage nicht tun sollen, oder doch nicht in dieser Form. Die Sache verbietet's und Ihre Person. So denn rund heraus, Othegraven: Sie lieben Marie.«
Othegraven schwieg einen Augenblick und sagte dann mit fester Stimme, in der auch kein leisester Ton von Verlegenheit mitklang:
»Ja, von Herzen.«
So weit waren Frage und Antwort gediehen, als die Fortsetzung des Gesprächs beider Freunde durch ihre Einfahrt in das nächstgelegene Dorf unterbrochen wurde. Schon bei den ersten Häusern hörten sie Baß und Klarinette vom Kruge her, unter dessen Erkervorbau, ja bis auf den Fahrdamm hinaus, einzelne Paare trotz bitterer Kälte standen. Die Mädchen kurzärmelig. Ein verzeihlicher Leichtsinn, denn aus der Tanzstube, deren Fenster ausgehoben waren, quoll eine dicke Wolke von Qualm und Rauch. »Da drinnen sind sie beim ›Kiekebusch‹«, sagte Turgany, »schade, daß wir unsern Dolgeliner Pastor nicht mit uns haben.«
Derweilen war der Schlitten an dem Kruge vorbei; der Lärm verhallte, und das weite Schneefeld lag wieder vor ihnen. Turgany, auch bei Othegraven voraussetzend, daß er mit seinen Gedanken an alter Stelle haften geblieben sei, fuhr, als ob überhaupt keine Unterbrechung stattgefunden hätte, ohne weiteres fort: »Und wie gut sie sprach. Jedes Wort ein Treffer.«
»Sie wird immer das Richtige treffen.«
»Ei, Konrektor, schon so tief in Bewunderung! Aber kennen Sie denn die Vorgeschichte dieses Kindes? Sie wissen doch, sie ist eine Waise.«
»Ich weiß alles«, erwiderte der Konrektor. »Ich war vor drei Wochen auf dem Schulzenhofe, und das Kniehasesche Paar hat mir ohne Rückhalt von seinem Pflegling erzählt. Ich weiß, daß sie getanzt und deklamiert hat, und daß sie mit einem Tellerchen herumgegangen ist, um die Münzen einzusammeln. Ich bekenne, daß ich keinen Anstoß daran nehme. Es steigert nur meine Teilnahme.«
»Auch die meinige«, sagte Turgany. »Aber, lieber Othegraven, wir sind sehr verschiedene Leute. Ich bin ein Lebemann, nicht viel besser als ein Heide. Sie sind ein Geistlicher, vorläufig noch in der Konrektorverpuppung, aber der Schmetterling kann jeden Augenblick ausfliegen.«
Othegraven schwieg einen Augenblick. Dann nahm er das Wort: »Lassen Sie mich offen sein, lieber Freund: es drängt mich dazu, und ich finde, es spricht sich gut unter diesen Sternen. Sie nennen sich einen Heiden; ich habe meine Zweifel daran. Aber wie immer auch, Sie irren, wenn Sie das Christentum, zumal nach dieser Seite hin, als eng und befangen ansehen. Im Gegenteil, es ist frei. Und daß es diese Freiheit üben kann, ist im Zusammenhang mit dem tiefsten Punkte unseres Glaubens.«
Der Justizrat schien antworten zu wollen. Othegraven aber fuhr fort: »Wir sind alle in Sünde geboren, und was uns hält, ist nicht die eigene Kraft, sondern eine Kraft außer uns, rund heraus die Barmherzigkeit Gottes. Sie kennen unsere schöne Schildhornsage? Nun, wie mit dem Wendenfürsten Jaczko, so ist es mit uns allen: wir sinken unter in der schweren Rüstung unseres eiteln Ichs, unseres selbstischen Trotzes, wenn uns der Finger Gottes nicht nach oben zieht.«
Turgany nickte. »Sie werden mich nicht in Verdacht haben, Othegraven, für die Selbstgerechtigkeit der Menschen und für das Unkraut von Vorurteilen, das aus ihr sprießt, eine Lanze brechen zu wollen. Ich weiß seit langem, wie wenig es mit dem Stolz unserer Tugend auf sich hat, und wenn ich irgendeines Bibelwortes gedenke, so ist es das: ›der hebe den ersten Stein auf sie‹. Es würde gerade mir schlecht anstehen, die Lebensläufe meiner Mitmenschen durch ein Examen rigorosum gehen zu lassen. Und nun gar die Vergangenheit dieses liebenswürdigen Kindes! Alles, was ich mit meiner Frage sagen wollte, ist etwa das: ›Es ist ein Glück, aus einem guten Hause zu sein.‹ Und an der einfachen Wahrheit dieses Satzes ist nicht wohl zu rütteln. Kniehases Haus ist ein gutes Haus. Das Haus des ›starken Mannes‹ aber, der oben auf dem Hohen-Vietzer Kirchhof unter dem Holzkreuz liegt, ist schwerlich ein solches Haus gewesen.«
»Es fragt sich«, bemerkte Othegraven. »Ich möchte fast das Gegenteil glauben. Es war ein Haus schwerer Prüfungen, wachsender Demütigung; aber wo so viel Liebe, so viel schöner Eifer waltete, von einem jungen Leben den drohenden Makel der Geburt, jeden Verdacht des Ungesetzlichen fernzuhalten, das kann kein Haus der Unsitte gewesen sein. Ich habe die Geschichte von dem ›starken Mann‹ nicht ohne Rührung gehört. Unglück, nicht Unsegen; Heimsuchung, nicht Fluch.«
»Sie überraschen mich«, nahm der Justizrat wieder das Wort. »Ich bin Ihnen dogmatisch nicht gewachsen; aber würden Sie, auch ohne Neigung zu Marie, zwischen Unglück und Unsegen immer so scharf unterscheiden wie in diesem Augenblick? Würden Sie nicht geneigt sein, die Heimsuchung als eine Folge der Verschuldung, als Strafe, als Verwerfung anzusehen? Irr' ich darin, wenn ich annehme, daß gerade Männer Ihrer Richtung Gewicht legen auf Patriarchalität?«
»Nein, darin irren Sie nicht«, erwiderte Othegraven. »Gewiß ist ein Unterschied zwischen dem Hause des Lot und dem Hause von Sodom, und diesen Unterschied, ohne ein klarsprechendes Zeichen, mißachten zu wollen, wäre Auflehnung gegen Sitte und Gebot. Aber was entscheidet, ist doch immer die Gnade Gottes. Und diese Gnade Gottes, sie geht ihre eigenen Wege. Es bindet sie keine Regel, sie ist sich selber Gesetz. Sie baut wie die Schwalben an allerlei Häusern, an guten und schlechten, und wenn sie an den schlechten Häusern baut, so sind es keine schlechten Häuser mehr. Ein neues Leben hat Einzug gehalten. Die Patriarchalität ist viel, aber die Erwähltheit ist alles.«
»Und diese finden Sie in Marie?«
»Ich brauche diese Frage gerade Ihnen, teuerster Freund, nicht erst zu beantworten, denn wir empfinden gleich, jeder von uns auf seine Weise. Und wenn die Vergangenheit dieses Kindes dunkler und verworrener wäre, als sie ist, ich würde diese Verworrenheit nicht achten. Es gibt eben Naturen, über die das Unlautere keine Gewalt hat; das macht die reine Flamme, die innen brennt. Ich habe Marie nie gesehen, ohne mit einer Art von freudiger Gewißheit, die Empfindung zu haben: sie wird beglücken und wird glücklich sein.«
Turgany drückte dem Freunde die Hand. »Othegraven, ich habe immer große Stücke von Ihnen gehalten, von heute ab lasse ich Sie nicht wieder los.«
So ging die Unterhaltung; das Schlittengeläute klang über die Schneefelder hin; in den Dörfern war alles still; kein Licht als die glitzernden Sterne.
Dieselben Sterne schienen auch in ein Giebelfenster von Schulze Kniehases Haus. Marie schlief; die Bilder des letzten Abends, wie sie Leben und Dichtung geboten hatten, zogen in einem phantastischen Zuge an ihr vorüber: vorauf der Dolgeliner Pastor mit dem Schmidt-von-Werneuchenschen Hägereiter, der jetzt sein Waldhorn, statt es zu blasen, über der Schulter trug; dann der »Wagen Odins«, riesig vergrößert, auf dessen Achse Prediger Seidentopf stand. Den Schluß aber machte »der Knabe mit dem Stabe«, und das Weihnachtslied, das Tante Schorlemmer und Renate gesungen hatten, klang im Traume nach.
Fritz Stavenhagen rezitiert Theodor Fontanes „Ausgang:
Ausblick auf die deutsche Literatur 2012
pessimistisch:
Unser Reihenhaus in der Provinz
Familie, Kindheit, DDR? Hat die deutsche Literatur denn eigentlich im Moment keine anderen Sorgen? 2012 bleibt alles beim Alten und wird doch ganz anders
Richard Kämmerlings, Die Welt, 30.12.2011
"Die Literatur droht in die Rolle einer bewahrenden, einer rückwärtsgewandten Kunstform zu geraten. Nicht mehr Motor, sondern Bremse zu sein, den Lesern vor allem Halt und Sicherheit in rasenden Zeiten zu bieten. Man muss aufpassen, dass sich das nicht verfestigt: dass Literatur nicht etwas für Leute wird, die gern mal ihre Ruhe haben."
optimistisch:
Unser Platz an der Sonne
Elmar Krekeler, Die Welt, 30.12.2011
"Der Literaturklimaindex ist prima. Wir werden in der Südsee sein und in der deutschen Provinz. Es wird Punk sein und Poesie. Auf einem Campingplatz wird die Weltkrise verhandelt und auf einem russischen Jahrmarkt die Grenze der Fantasie vermessen. Es gibt Generationenporträts und Selbstporträts. Große Widerborste schreiben sich fort wie Felicitas Hoppe. Wir sind beim Erfinder der Fotografie im 17. Jahrhundert, bei Joseph (dem von Maria und Jesus) im Heiligen Land. Die Nullerjahre werden bilanziert, und die DDR - was aber nicht weiter ins Gewicht fällt - kommt natürlich auch vor, natürlich als Familienroman, als Prominentenfamilienroman (Marion Brasch erzählt von ihrem Clan)."
Unser Reihenhaus in der Provinz
Familie, Kindheit, DDR? Hat die deutsche Literatur denn eigentlich im Moment keine anderen Sorgen? 2012 bleibt alles beim Alten und wird doch ganz anders
Richard Kämmerlings, Die Welt, 30.12.2011
"Die Literatur droht in die Rolle einer bewahrenden, einer rückwärtsgewandten Kunstform zu geraten. Nicht mehr Motor, sondern Bremse zu sein, den Lesern vor allem Halt und Sicherheit in rasenden Zeiten zu bieten. Man muss aufpassen, dass sich das nicht verfestigt: dass Literatur nicht etwas für Leute wird, die gern mal ihre Ruhe haben."
optimistisch:
Unser Platz an der Sonne
Elmar Krekeler, Die Welt, 30.12.2011
"Der Literaturklimaindex ist prima. Wir werden in der Südsee sein und in der deutschen Provinz. Es wird Punk sein und Poesie. Auf einem Campingplatz wird die Weltkrise verhandelt und auf einem russischen Jahrmarkt die Grenze der Fantasie vermessen. Es gibt Generationenporträts und Selbstporträts. Große Widerborste schreiben sich fort wie Felicitas Hoppe. Wir sind beim Erfinder der Fotografie im 17. Jahrhundert, bei Joseph (dem von Maria und Jesus) im Heiligen Land. Die Nullerjahre werden bilanziert, und die DDR - was aber nicht weiter ins Gewicht fällt - kommt natürlich auch vor, natürlich als Familienroman, als Prominentenfamilienroman (Marion Brasch erzählt von ihrem Clan)."
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Donnerstag, 29. Dezember 2011
85. Todestag von Rainer Maria Rilke
Rainer Maria Rilke (4. Dezember 1875 in Prag - 29. Dezember 1926 im Sanatorium Valmont bei Montreux, Schweiz; eigentlich René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke), Österreichischer Dichter und einer der bedeutendsten Lyriker deutscher Sprache, dessen Werk vielfach vertont wurde.
Wikipedia
Oskar Werner liest von Rilke "Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort"
Musik
Wüsste ich für wen ich spiele, ach!
immer könnt ich rauschen wie der Bach.
Ahnte ich, ob tote Kinder gern
tönen hören meinen innern Stern;
ob die Mädchen, die vergangen sind,
lauschend wehn um mich im Abendwind.
Ob ich einem, welcher zornig war,
leise streife durch das Totenhaar...
Denn was wär Musik, wenn sie nicht ging
weit hinüber über jedes Ding.
Sie, gewiss, die weht, sie weiss es nicht,
wo uns die Verwandlung unterbricht.
Dass uns Freunde hören, ist wohl gut -,
aber sie sind nicht so ausgeruht
wie die Andern, die man nicht mehr sieht:
tiefer fühlen sie ein Lebens-Lied,
weil sie wehen unter dem, was weht,
und vergehen, wenn der Ton vergeht.
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt,wenn deineTiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Spieler hat uns in der Hand?
O süßes Lied.
Fritz Stavenhagen rezitiert:
Wikipedia
Oskar Werner liest von Rilke "Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort"
Musik
Wüsste ich für wen ich spiele, ach!
immer könnt ich rauschen wie der Bach.
Ahnte ich, ob tote Kinder gern
tönen hören meinen innern Stern;
ob die Mädchen, die vergangen sind,
lauschend wehn um mich im Abendwind.
Ob ich einem, welcher zornig war,
leise streife durch das Totenhaar...
Denn was wär Musik, wenn sie nicht ging
weit hinüber über jedes Ding.
Sie, gewiss, die weht, sie weiss es nicht,
wo uns die Verwandlung unterbricht.
Dass uns Freunde hören, ist wohl gut -,
aber sie sind nicht so ausgeruht
wie die Andern, die man nicht mehr sieht:
tiefer fühlen sie ein Lebens-Lied,
weil sie wehen unter dem, was weht,
und vergehen, wenn der Ton vergeht.
Herbsttag
Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Oskar Werner rezitiert:
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Oskar Werner rezitiert:
Liebeslied
Wie soll ich meine Seele halten, daß
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich siehinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt,wenn deineTiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Spieler hat uns in der Hand?
O süßes Lied.
Fritz Stavenhagen rezitiert:
In Youtube findet man sehr sehr viele Rezitationen oder Musikfilme als Verhunzungen von Rilkes Gedichten. Es scheint, als ob das Wort und die Stimmen nicht mehr genügten, und es Musik brauchte, damit die Modernen, die Ungeduldigen, überhaupt noch hin- oder zuhören. Viele versuchen sich im Lesen und Rezitieren von Rilkes Werken. Oft klingt das peinsam und ist peinlich. Das Positive ist wenigstens, dass viele lesen und dann vorlesen, auch wenn sie es noch nicht können. Das Negative aber bleibt, dass eine Unbekümmertheit einer Verantwortungslosigkeit gleichkommt, wenn man die Mitwelt mit Minderem abspeist. Jeder darf lernen und sich alles vornehmen. Aber gleich mit jeder Übung an die Öffentlichkeit zu gehen, ist doch eine Zumutung.
Den Gedichten von Rilke tut das nichts an. Den herausragenden Rezitationen auch nicht. Aber den vielen, die sich mit dem Billigen füttern, verdirbt es weiter den Geschmack, festig die Blindheit.
Die Entwertung der Literatur
Literarische Qualität trotz Spracharmut ?
Sag es mit Büchern
Hannes Stein, Die Welt, 29.12.2011
Newt Gingrich will Amerikas nächster Präsident werden. In seiner Freizeit schreibt der ehemalige Geschichtslehrer Romane. Was lassen sie erhoffen? Eine Kundenrezension
Es muss gemeldet werden, dass Newt Gingrich, der bullige Mann mit den weißen Haaren, der Amerikas nächster Präsident werden möchte, ein Doppelleben führt. Jeden Abend, wenn er nicht mehr damit beschäftigt ist, in Redeschlachten gegen seinen innerparteilichen Gegner Mitt Romney anzutreten, schleicht er heimlich nach Hause - und liest.
***
Soll lustig klingen, it's funny, isn't it? "Es muss gemeldet werden". Aha, wieso muss?
Stein bemerkt:
"Nun zum Negativen. Die Sprache, die Sprache, die Sprache! Gewiss, es handelt sich hier um Genreliteratur, wir rechnen mit funktionaler Spannungsprosa, nicht mit schönen Metaphern. Aber in diesem Buch wird einfach ungeheuer geschlampt: Grammatikfehler, falsche Satzzeichen, Wiederholungsfehler. Kein einziges Detail wird beim Lesen sinnlich fassbar. "
Nach solchem Befund erscheint es peinlich, irgendetwas Positives noch zu finden im Geschreibe des College-Lehrers, Historikers und Politikers. Denn literarische Qualität bestimmt sich weniger vom Thema, als primär von der Sprache. Ist diese schlecht, ist die Literatur schlecht, auch wenn die Genreregeln beachtet wurde, die Story nicht uninteressant scheint usw.
Aber es geht weder um Literatur noch Qualität. Es geht um Politiker, die schreiben, und deren Werke allein deshalb interessant scsheinen, weil man meint, aus ihnen etwas über die Person zu erfahren, etwas über ihre Politik, in Vergangenheit und Zukunft. Literatur als Kaffeesatz für Exegeten! Literatur als Instrument, als Werkzeug.
Ähnliches geschieht auch mit anderen Figuren. Eine Frau, die schlecht schreibt, unsäglich schlecht, aber so pornogafisch, dass es eine Debatte wert scheint. Und schon sind die Exegeten da, die Feministinnen, die Pornoexperten, die Soziologen, die Interkulturalisten, und deuten und deuten und helfen, das Schundprodukt bekannter und bekannter zu machen. Literatur? Auch hier ein Instrument, eine Ware, eine Profitquelle.
Gleichzeitig überlegen viele Chefdeuter und Exegeten öffentlich, laut, worin denn der Sinn liegt, dass ein marginales Werk von ca. 500 Gedichten mit dem höchsten Literaturpreis, dem Nobelpreis, bedacht werden soll! Das sei doch Willüre und Weltfremdheit, das sei Politik!
Eine Minderheit findet, das sei auch festgehalten, Gelegenheit, gerade auf das Gegenteil der modischen Massenproduktionen zu verweisen und ist glücklich, dass das Nobelpreiskomitee sich dazu verstieg. Ein Ggengewicht, ein Signal. Ein Rückzugsgefecht?
Dazu ein Zitat:
"Welche Schande, zu schreiben, wenn man nicht weiß, was Sprache, Wort, Metapher sind, Gedankenübergänge und Wechsel im Ton; wenn man die Struktur der zeitlichen Folge eines Werks und die Voraussetzungen für seinen Schluß nicht begreift, kaum das Warum kennt und schon gar nicht das Wie! Die Scham darüber, eine Pythia zu sein..."
Paul Valéry
Sag es mit Büchern
Hannes Stein, Die Welt, 29.12.2011
Newt Gingrich will Amerikas nächster Präsident werden. In seiner Freizeit schreibt der ehemalige Geschichtslehrer Romane. Was lassen sie erhoffen? Eine Kundenrezension
Es muss gemeldet werden, dass Newt Gingrich, der bullige Mann mit den weißen Haaren, der Amerikas nächster Präsident werden möchte, ein Doppelleben führt. Jeden Abend, wenn er nicht mehr damit beschäftigt ist, in Redeschlachten gegen seinen innerparteilichen Gegner Mitt Romney anzutreten, schleicht er heimlich nach Hause - und liest.
***
Soll lustig klingen, it's funny, isn't it? "Es muss gemeldet werden". Aha, wieso muss?
Stein bemerkt:
"Nun zum Negativen. Die Sprache, die Sprache, die Sprache! Gewiss, es handelt sich hier um Genreliteratur, wir rechnen mit funktionaler Spannungsprosa, nicht mit schönen Metaphern. Aber in diesem Buch wird einfach ungeheuer geschlampt: Grammatikfehler, falsche Satzzeichen, Wiederholungsfehler. Kein einziges Detail wird beim Lesen sinnlich fassbar. "
Nach solchem Befund erscheint es peinlich, irgendetwas Positives noch zu finden im Geschreibe des College-Lehrers, Historikers und Politikers. Denn literarische Qualität bestimmt sich weniger vom Thema, als primär von der Sprache. Ist diese schlecht, ist die Literatur schlecht, auch wenn die Genreregeln beachtet wurde, die Story nicht uninteressant scheint usw.
Aber es geht weder um Literatur noch Qualität. Es geht um Politiker, die schreiben, und deren Werke allein deshalb interessant scsheinen, weil man meint, aus ihnen etwas über die Person zu erfahren, etwas über ihre Politik, in Vergangenheit und Zukunft. Literatur als Kaffeesatz für Exegeten! Literatur als Instrument, als Werkzeug.
Ähnliches geschieht auch mit anderen Figuren. Eine Frau, die schlecht schreibt, unsäglich schlecht, aber so pornogafisch, dass es eine Debatte wert scheint. Und schon sind die Exegeten da, die Feministinnen, die Pornoexperten, die Soziologen, die Interkulturalisten, und deuten und deuten und helfen, das Schundprodukt bekannter und bekannter zu machen. Literatur? Auch hier ein Instrument, eine Ware, eine Profitquelle.
Gleichzeitig überlegen viele Chefdeuter und Exegeten öffentlich, laut, worin denn der Sinn liegt, dass ein marginales Werk von ca. 500 Gedichten mit dem höchsten Literaturpreis, dem Nobelpreis, bedacht werden soll! Das sei doch Willüre und Weltfremdheit, das sei Politik!
Eine Minderheit findet, das sei auch festgehalten, Gelegenheit, gerade auf das Gegenteil der modischen Massenproduktionen zu verweisen und ist glücklich, dass das Nobelpreiskomitee sich dazu verstieg. Ein Ggengewicht, ein Signal. Ein Rückzugsgefecht?
Dazu ein Zitat:
"Welche Schande, zu schreiben, wenn man nicht weiß, was Sprache, Wort, Metapher sind, Gedankenübergänge und Wechsel im Ton; wenn man die Struktur der zeitlichen Folge eines Werks und die Voraussetzungen für seinen Schluß nicht begreift, kaum das Warum kennt und schon gar nicht das Wie! Die Scham darüber, eine Pythia zu sein..."
Paul Valéry
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Histoire & Droit
Lois mémorielles : pour en finir avec ce sport législatif purement français
Point de vue | LEMONDE.FR | 27.12.11 | 15h40
• Mis à jour le 28.12.11 | 10h09
Par Pierre Nora,
Historien, président de l'association Liberté pour l'histoire
On ne pouvait imaginer pire. Et si le Sénat devait confirmer cette funeste loi sur "la pénalisation de la contestation des génocides établis par la loi", ce sont les espoirs de tous ceux qui ont désapprouvé la généralisation des lois mémorielles et tous les efforts de l'association Liberté pour l'histoire depuis 2005, qui se trouveraient anéantis. A peine y avait-il une cinquantaine de députés en séance pour voter à main levée. Je ne doute pas que les plus conscients d'entre eux ne tarderont pas à se mordre les doigts devant les conséquences de leur initiative. L'ampleur du désastre est telle qu'il faut reprendre la question à zéro.
Négationnisme : la loi contre la mauvaise foi
Point de vue |
LEMONDE.FR | 28.12.11 | 14h47
Par Ara
Toranian, directeur des Nouvelles d'Arménie magazine
Quand le sage montre la lune, l'idiot regarde le doigt. N'était le prestige des personnalités qui sont parties à l'assaut de la loi votée le 22 décembre contre le négationnisme, ce proverbe chinois caractériserait assez bien leur comportement.
Does this apply to fiction too? What, if writers write something incorrect, forbidden, wrong?
Histoire:
Le génocide arménien : l'extermination (1/3)
Alors que la loi sur les génocides votée par l'Assemblée
nationale provoque des tensions entre la France et la Turquie,
l'historien Vincent Duclert revient sur l'histoire du massacre des
Arméniens et ses mémoires conflictuelles.
Propos recueillis par Jérôme Gautheret | 29.12 | 17h14
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Samstag, 24. Dezember 2011
You're looking for a book?
Many people wish to bestow someone a book but are insecure concerning their selection. What should be given away as a gift? What is proper, beautiful, enteraining, worthwhile etc.?
I recommend the latest publication by the British author, artist and art critic John Berger:
Hardback, 176 pages
ISBN: 9781844676842
May 2011
£14.99
Writer and critic John Berger donated his archive to the British Library in 2008 but it was not possible to thank him officially for his generosity until he came on 23 May 2011 to give a reading from his latest book, Bento's Sketchbook.
John Peter Berger (born 5 November 1926) is an English art critic, novelist, painter and author. His novel G. won the 1972 Booker Prize, and his essay on art criticism Ways of Seeing, written as an accompaniment to a BBC series, is often used as a university text.
Wikipedia
John Berger was born in London in 1926. His many books, innovative in form and far-reaching in their historical and political insight, include To the Wedding (published in a rejacketed edition in April 2009), King, and the Booker Prize-winning novel, G. Amongst his outstanding studies of art and photography are Another Way of Telling, The Success and Failure of Picasso, Titian: Nymph and Shepherd (with Katya Berger) and the internationally acclaimed Ways of Seeing. He lives and works in a small village in the French Alps, the setting for his trilogy Into Their Labours (Pig Earth, Once in Europa and Lilac and Flag). His collection of essays The Shape of a Pocket was published in 2001. His latest novel, From A to X, was published in 2008.
About Looking, published by Bloomsbury in April 2009, is the follow-up to the seminal Ways of Seeing, one of the most influential books on art.
Berger is a Marxist, an advocat of dignity and freedom. He not only is an art critic but a critic generally, politically. He took explicit stands against Israel concerning their suppression of Palestinians. He is outspoken and courageous.
John Berger: a life in writing
'I wanted to write about looking at the world, so this book is about helping people to see what is around us, both the marvellous and the terrible'
Nicholas Wroe, The Guardian, 23 April 2011
John Berger: A und X Ein Gespräch gegen die Abwertung der Welt
Worte sind stärker als Trennungsschmerz: Der englische Schriftsteller John Berger erzählt in „A und X“ eine Liebesgeschichte - und verrät sein Vademecum gegen die Verwundungen der Moderne.
Thomas David, FAZ, 28.01.2011
I recommend the latest publication by the British author, artist and art critic John Berger:
Bento's Sketchbook
by
John Berger
The seventeenth-century philosopher
Baruch Spinoza—also known as Benedict or Bento de Spinoza—spent the most
intense years of his short life writing. A sporadic draughtsman, he
also carried with him a sketchbook. After his sudden death, his friends
rescued letters, manuscripts, notes—but no drawings.
For years, John Berger has imagined finding Bento's sketchbook without knowing what its pages might hold, but wanting to see the drawings alongside his surviving words. When one day a friend gave Berger a beautiful, virgin sketchbook, John said “This is Bento's!” and he began to draw, taking his inspiration from the philosopher's vision.
The result is Bento's Sketchbook—an exploration of the practice of drawing and a meditation on how art guides our gaze to the world: to flowers, to the human body, to the pitilessness of the new world order and the forms of resistance to it.
For years, John Berger has imagined finding Bento's sketchbook without knowing what its pages might hold, but wanting to see the drawings alongside his surviving words. When one day a friend gave Berger a beautiful, virgin sketchbook, John said “This is Bento's!” and he began to draw, taking his inspiration from the philosopher's vision.
The result is Bento's Sketchbook—an exploration of the practice of drawing and a meditation on how art guides our gaze to the world: to flowers, to the human body, to the pitilessness of the new world order and the forms of resistance to it.
Hardback, 176 pages
ISBN: 9781844676842
May 2011
£14.99
Writer and critic John Berger donated his archive to the British Library in 2008 but it was not possible to thank him officially for his generosity until he came on 23 May 2011 to give a reading from his latest book, Bento's Sketchbook.
John Peter Berger (born 5 November 1926) is an English art critic, novelist, painter and author. His novel G. won the 1972 Booker Prize, and his essay on art criticism Ways of Seeing, written as an accompaniment to a BBC series, is often used as a university text.
Wikipedia
John Berger was born in London in 1926. His many books, innovative in form and far-reaching in their historical and political insight, include To the Wedding (published in a rejacketed edition in April 2009), King, and the Booker Prize-winning novel, G. Amongst his outstanding studies of art and photography are Another Way of Telling, The Success and Failure of Picasso, Titian: Nymph and Shepherd (with Katya Berger) and the internationally acclaimed Ways of Seeing. He lives and works in a small village in the French Alps, the setting for his trilogy Into Their Labours (Pig Earth, Once in Europa and Lilac and Flag). His collection of essays The Shape of a Pocket was published in 2001. His latest novel, From A to X, was published in 2008.
About Looking, published by Bloomsbury in April 2009, is the follow-up to the seminal Ways of Seeing, one of the most influential books on art.
Berger is a Marxist, an advocat of dignity and freedom. He not only is an art critic but a critic generally, politically. He took explicit stands against Israel concerning their suppression of Palestinians. He is outspoken and courageous.
John Berger: a life in writing
'I wanted to write about looking at the world, so this book is about helping people to see what is around us, both the marvellous and the terrible'
Nicholas Wroe, The Guardian, 23 April 2011
John Berger: A und X Ein Gespräch gegen die Abwertung der Welt
Worte sind stärker als Trennungsschmerz: Der englische Schriftsteller John Berger erzählt in „A und X“ eine Liebesgeschichte - und verrät sein Vademecum gegen die Verwundungen der Moderne.
Thomas David, FAZ, 28.01.2011
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Bento's Sketchbook,
Bloomsbury,
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dignity,
Engagement,
France,
freedom,
Great Britain,
John Berger,
Marxist,
Nicholas Wroe,
reading,
Thomas David
Freitag, 23. Dezember 2011
"besser die wahrheit"
der deutsche bundespräsident wulff, sagt, er habe nicht gewußt, daß herr maschmeier die werbekampagne für sein - im wahlkampf! - erschienenes buch "besser die wahrheit" bezahlt hätte, einen betrag von über eur 40.000; wer das glauben will, soll nach der meinung des ORDENssekretariates seelig werden, - oder auch nicht;
das ORDENssekretariat selbst kann diese behauptung beim BESTEN willen NICHT glauben;
dies vorausgesetzt, hätte herr wulff in der aktuellen affäre schon zweimal gelogen, - wenn man seine erste behauptung, daß das geld für seine hausfinanzierung nicht vom millionär geerkens sondern von dessen frau, einer kleinen angestellten, stamme, - was bei einer freundlichen einschätzung dieser causa mehr als "dahergefaselt" erscheint;
aber bitte, politiker funktionieren so: ich gebe eine äußerst dünne presseerklärung und DIE sollen mich mal ...
ps: belli o brutti, siamo TUTTI farabutti.
Martin Opitz - 414. Geburtstag
Martin Opitz von Boberfeld (* 23. Dezember 1597 in Bunzlau; † 20. August 1639 in Danzig) war der Begründer der Schlesischen Dichterschule und ein bedeutender deutscher Dichter des Barock.
Wikipedia
Martin Opitz bekundete, wie es damals üblich war, in devoter, untertäniger Dankessprache, was heutzutage verdeckt, kaschiert oder geleugnet wird, wie der amtierende Bundespräsident Deutschlands so eindrücklich unter Beweis stellt. Dieser nahm nicht nur Begünstigungen in Anspruch, die ihm in seinem Amt als Ministerpräsident untersagt waren, sondern beanspruchte auch die Hilfen finanzieller und kontaktieller Art von einflussreichen Persönlichkeiten zur Promotion seines Wahlkampfbuches "Besser die Wahrheit. Erst später, nachdem Erklärungen von ihm verlangt worden waren, gab er Stückchenweise Fakten preis und bat am Schluss formell um Entschuldigung, wobei aber doch alles regulär, normal und rechtens gewesen sei und sei, weshalb er als Bundespräsident nicht abtrete sondern für die bessere Wahrheit eintrete.
Der Verleger des Christian-Wulff-Buchs „Besser die Wahrheit“, Manfred Bissinger, hat die Finanzierung der Anzeigenkampagne verteidigt: „Wir haben damals verschiedene Unternehmer, unter anderem Carsten Maschmeyer, angesprochen, ob sie sich an der Vermarktung des Buchs beteiligen würden. Das ist in der Verlagsbranche üblich und ein absolut normaler Vorgang“.
Focus
Hier der Beginn aus Martin Opitzs
Von Martin Opitz gibt es kein Video. Aber vom aalglatten Schönling Wulff, in bester Guttenberg-Manier!
Um der Wahrheit willen wollen weitere erfolgreiche Unternehmer dem unter Druck geratenen Bundespräsidenten helfen, seine Wahrheitsbotschaft (und sein Buch) weiter am Markt gut zu verkaufen: auf die Wahrheit haben doch alle Bürgerinnen und Bürger einer Demokratie ein Recht. Um dieses Recht kämpft Christian Wulff mit teurem Beistand betuchter Helfer. Seien wir dankbar...
Wikipedia
Martin Opitz bekundete, wie es damals üblich war, in devoter, untertäniger Dankessprache, was heutzutage verdeckt, kaschiert oder geleugnet wird, wie der amtierende Bundespräsident Deutschlands so eindrücklich unter Beweis stellt. Dieser nahm nicht nur Begünstigungen in Anspruch, die ihm in seinem Amt als Ministerpräsident untersagt waren, sondern beanspruchte auch die Hilfen finanzieller und kontaktieller Art von einflussreichen Persönlichkeiten zur Promotion seines Wahlkampfbuches "Besser die Wahrheit. Erst später, nachdem Erklärungen von ihm verlangt worden waren, gab er Stückchenweise Fakten preis und bat am Schluss formell um Entschuldigung, wobei aber doch alles regulär, normal und rechtens gewesen sei und sei, weshalb er als Bundespräsident nicht abtrete sondern für die bessere Wahrheit eintrete.
Der Verleger des Christian-Wulff-Buchs „Besser die Wahrheit“, Manfred Bissinger, hat die Finanzierung der Anzeigenkampagne verteidigt: „Wir haben damals verschiedene Unternehmer, unter anderem Carsten Maschmeyer, angesprochen, ob sie sich an der Vermarktung des Buchs beteiligen würden. Das ist in der Verlagsbranche üblich und ein absolut normaler Vorgang“.
Focus
...
„Besser die Wahrheit“: Verleger des Christian-Wulff-Buchs verteidigt Anzeigenkampagne - weiter lesen auf FOCUS Online: http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/besser-die-wahrheit-verleger-des-christian-wulff-buchs-verteidigt-anzeigenkampagne_aid_695908.html
„Besser die Wahrheit“: Verleger des Christian-Wulff-Buchs verteidigt Anzeigenkampagne - weiter lesen auf FOCUS Online: http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/besser-die-wahrheit-verleger-des-christian-wulff-buchs-verteidigt-anzeigenkampagne_aid_695908.html
Hier der Beginn aus Martin Opitzs
Buch von der Deutschen Poeterey:
Denen Ehrenvesten /
Wolweisen / Wolbenambten vnd Wolgelehrten HErren
Bürgermeistern vnd Rathsverwandten der Stadt
Buntzlaw / seinen günstigen Herren vnd beförderern.
Wolweisen / Wolbenambten vnd Wolgelehrten HErren
Bürgermeistern vnd Rathsverwandten der Stadt
Buntzlaw / seinen günstigen Herren vnd beförderern.
EHrenveste / Wolweise / Wolbenambte vnd Wolgelehrte in sonders günstige HErren /
Was bißanhero von einem vnnd dem andern / auch vornemen Leuten / zum offteren an mich ist begehret worden / das ich nemlich von vnserer Deutschen Poeterey / derselben art vnd zuegehör / etwas richtiges auffsetzen möchte / habe ich vorwichene tage zue wercke gebracht. Zwar erstlich / solchem ehrlichen begehren wie billich zue verhengen : nachmals aber / die jenigen vor derer augen diese vorneme wissenschafft ein grewel ist zue wiederlegen / vnd die / so sie als ein leichte ding vor handen zue nemen vnbedacht sich vnterstehen / ab zue halten / die gelehrten aber vnd von natur hierzue geartete gemüter auff zue wecken / mir / der ich dißfals bey weitem nicht genung bin / die hand zue bitten / vnd den weg so ich allbereit vmb etwas eröffnet vollendts zu bähnen. Weitleufftiger vnd eigentlicher zue schreiben hat mich nicht allein die enge der zeit / sondern auch sonsten allerley vngelegenheit verhindert / die mir von denen zuegefüget wird / welche / wann es bey jhnen stünde / wünschen wolten / das auch das gedächtniß der Poeterey vnnd aller gutten Künste vertilget vnd außgerottet würde. Ob mich nun wol dergleichen vnbillichte Wiederwertigkeit / die ich ohne meinen verdienst tragen muß / offtermals kaum nicht zwinget wie Nero zue sagen; Vellem nescire literas: jedoch habe ich / in erwegung derer Vrsachen die mir etwas beßers rahten / vnd das die Zahl vieler grossen Männer die mir huldt sein die wenigen abgünstigen weit hinwieget / zwar itzund in diesem geringen wesen den willen mit meinem schlechten studieren etwas zue fruchten erweisen wollen: vnnd wil auch nachmals besten fleißes mich bemühen / an größeren vnd mehr wichtigen sachen (denn ich gar wol weiß / daß es mit der Poeterey alleine nicht auß gerichtet sey / vnd weder offentlichen noch Privatämptern mit versen könne vorgestanden werden) durch beystandt Göttlicher hülffe alle mein heil zue versuchen. Indeßen / Großgünstige HErren / wollen sie / zum pfande meiner künfftigen vorsorge wie mein geliebtes Vaterlandt vnnd sie meiner je mehr vnd mehr ruhm vnd ehre haben mögen / dieses buch auff / vnd annemen / vnd beynebenst geneiget erwegen das ich auch darumb jhnen solches billich vor andern zueschreiben sollen / damit ich nicht / wann ich sie in diesen vnd andern meinen schrifften lenger mit stilleschweigen vbergienge / von denen die meinen künfftigen vorsatz nicht wissen für vndanckbar möge gescholten werden. Welchen lasters ich nicht alleine anderwerts frey vnd ledig bin / sondern auch dißfals kühnlich sagen darff / das ich solche große liebe zue meinem Vaterlande trage / dergleichen zwar von allen erfordert / aber bey wenigen gefunden wird. Ich muß nur bekennen / das ich nicht vnlengst auß weit abgelegenen orten / da es mir an ehre / föderung / freundschafft vnd alle dem was ich bedürffend nicht gemangelt hette / mich mehrentheils darumb zuerück gemacht / vnnd meinen zuestandt in vngewißheit gesetzet / das ich das verlangen / daheime vnd bey den meinigen die zeit zue verschliessen / nicht lenger ertragen können. Welches ich sonsten kaum so rundt herauß sagen wolte / auß furchte / das es mir von andern für eine zärtligkeit vnd weichmuth möchte außgeleget werden / wenn mir nicht wißend / das Vlyßes so sehr auff sein Ithaca zue geeilet / als Agamemnon auff sein Mycène, vnd der grosse mann hertzlich gewünschet / auch nur ein räuchlein so darauß auffgienge von fernen zue schawen. Der Vater der Musen Alfonsus in Sicilien / als jhm einer erzehlete wie Rom so gewaltig / Venedig so groß / Florentz so reich / Meilandt so Volckreich were / gab er ihm dieses gar gerne zue / aber / hub er darnbeben an / ich wil niergendts lieber sein als zue Carioncilla: welches ein flecken war / darinnen der löbliche vnnd tugendhaffte König gebohren vnd auffgewachsen. Kan mir also niemand zue rechte vbel deuten / das ich mein Buntzlaw / ohne ruhm zue sagen / die erzieherinn vieler stattlichen berühmbten leute / welche ich bey anderer gelegenheit schon wil zue erzehlen wissen / als ein Kind seine Mutter ehre / vnd bestes vermögens hand zue wercke lege / wie nicht alleine ich durch das Vaterland / sondern auch das Vaterland durch mich bekandter werde. Nebenst dieser gemeinen vrsache hiesiger meiner zueschreibung habe ich nicht weniger in acht zue nemen / die grosse gunst vnd freundschafft / mit welcher ein ietweder von den Herren mir bey aller vorgehenden gelegenheit zum offtersten begegnet: ja das sie auch mir entweder mit Blutfreundschafft oder verwandtniß bey gethan sind / oder / worunter ich Herren Sänfftleben verstehe / mich zue alle dem was ich weiß vnnd kan / wie wenig es auch ist angewiesen vnd geleitet haben. Werden also die HErren / in betrachtung obgemeldeter vrsachen / in guttem verstehen / das ich Ihren namen hiesigen geringfügigen buche / das doch hoffentlich an seinem orte wird ersprößlich sein / vorsetzen / vnd dadurch / weil anietzo nichts anders in meinem vermögen gewesen / nur etzlicher maßen mein danckbares gemüte vnd gutten vorsatz erweisen wollen. Befehle sie hiermit in den schutz des Höchsten / mich aber in jhre beharliche gunst vnd liebe; der ich gleichfalls jederzeit bin
E. E. W.Was bißanhero von einem vnnd dem andern / auch vornemen Leuten / zum offteren an mich ist begehret worden / das ich nemlich von vnserer Deutschen Poeterey / derselben art vnd zuegehör / etwas richtiges auffsetzen möchte / habe ich vorwichene tage zue wercke gebracht. Zwar erstlich / solchem ehrlichen begehren wie billich zue verhengen : nachmals aber / die jenigen vor derer augen diese vorneme wissenschafft ein grewel ist zue wiederlegen / vnd die / so sie als ein leichte ding vor handen zue nemen vnbedacht sich vnterstehen / ab zue halten / die gelehrten aber vnd von natur hierzue geartete gemüter auff zue wecken / mir / der ich dißfals bey weitem nicht genung bin / die hand zue bitten / vnd den weg so ich allbereit vmb etwas eröffnet vollendts zu bähnen. Weitleufftiger vnd eigentlicher zue schreiben hat mich nicht allein die enge der zeit / sondern auch sonsten allerley vngelegenheit verhindert / die mir von denen zuegefüget wird / welche / wann es bey jhnen stünde / wünschen wolten / das auch das gedächtniß der Poeterey vnnd aller gutten Künste vertilget vnd außgerottet würde. Ob mich nun wol dergleichen vnbillichte Wiederwertigkeit / die ich ohne meinen verdienst tragen muß / offtermals kaum nicht zwinget wie Nero zue sagen; Vellem nescire literas: jedoch habe ich / in erwegung derer Vrsachen die mir etwas beßers rahten / vnd das die Zahl vieler grossen Männer die mir huldt sein die wenigen abgünstigen weit hinwieget / zwar itzund in diesem geringen wesen den willen mit meinem schlechten studieren etwas zue fruchten erweisen wollen: vnnd wil auch nachmals besten fleißes mich bemühen / an größeren vnd mehr wichtigen sachen (denn ich gar wol weiß / daß es mit der Poeterey alleine nicht auß gerichtet sey / vnd weder offentlichen noch Privatämptern mit versen könne vorgestanden werden) durch beystandt Göttlicher hülffe alle mein heil zue versuchen. Indeßen / Großgünstige HErren / wollen sie / zum pfande meiner künfftigen vorsorge wie mein geliebtes Vaterlandt vnnd sie meiner je mehr vnd mehr ruhm vnd ehre haben mögen / dieses buch auff / vnd annemen / vnd beynebenst geneiget erwegen das ich auch darumb jhnen solches billich vor andern zueschreiben sollen / damit ich nicht / wann ich sie in diesen vnd andern meinen schrifften lenger mit stilleschweigen vbergienge / von denen die meinen künfftigen vorsatz nicht wissen für vndanckbar möge gescholten werden. Welchen lasters ich nicht alleine anderwerts frey vnd ledig bin / sondern auch dißfals kühnlich sagen darff / das ich solche große liebe zue meinem Vaterlande trage / dergleichen zwar von allen erfordert / aber bey wenigen gefunden wird. Ich muß nur bekennen / das ich nicht vnlengst auß weit abgelegenen orten / da es mir an ehre / föderung / freundschafft vnd alle dem was ich bedürffend nicht gemangelt hette / mich mehrentheils darumb zuerück gemacht / vnnd meinen zuestandt in vngewißheit gesetzet / das ich das verlangen / daheime vnd bey den meinigen die zeit zue verschliessen / nicht lenger ertragen können. Welches ich sonsten kaum so rundt herauß sagen wolte / auß furchte / das es mir von andern für eine zärtligkeit vnd weichmuth möchte außgeleget werden / wenn mir nicht wißend / das Vlyßes so sehr auff sein Ithaca zue geeilet / als Agamemnon auff sein Mycène, vnd der grosse mann hertzlich gewünschet / auch nur ein räuchlein so darauß auffgienge von fernen zue schawen. Der Vater der Musen Alfonsus in Sicilien / als jhm einer erzehlete wie Rom so gewaltig / Venedig so groß / Florentz so reich / Meilandt so Volckreich were / gab er ihm dieses gar gerne zue / aber / hub er darnbeben an / ich wil niergendts lieber sein als zue Carioncilla: welches ein flecken war / darinnen der löbliche vnnd tugendhaffte König gebohren vnd auffgewachsen. Kan mir also niemand zue rechte vbel deuten / das ich mein Buntzlaw / ohne ruhm zue sagen / die erzieherinn vieler stattlichen berühmbten leute / welche ich bey anderer gelegenheit schon wil zue erzehlen wissen / als ein Kind seine Mutter ehre / vnd bestes vermögens hand zue wercke lege / wie nicht alleine ich durch das Vaterland / sondern auch das Vaterland durch mich bekandter werde. Nebenst dieser gemeinen vrsache hiesiger meiner zueschreibung habe ich nicht weniger in acht zue nemen / die grosse gunst vnd freundschafft / mit welcher ein ietweder von den Herren mir bey aller vorgehenden gelegenheit zum offtersten begegnet: ja das sie auch mir entweder mit Blutfreundschafft oder verwandtniß bey gethan sind / oder / worunter ich Herren Sänfftleben verstehe / mich zue alle dem was ich weiß vnnd kan / wie wenig es auch ist angewiesen vnd geleitet haben. Werden also die HErren / in betrachtung obgemeldeter vrsachen / in guttem verstehen / das ich Ihren namen hiesigen geringfügigen buche / das doch hoffentlich an seinem orte wird ersprößlich sein / vorsetzen / vnd dadurch / weil anietzo nichts anders in meinem vermögen gewesen / nur etzlicher maßen mein danckbares gemüte vnd gutten vorsatz erweisen wollen. Befehle sie hiermit in den schutz des Höchsten / mich aber in jhre beharliche gunst vnd liebe; der ich gleichfalls jederzeit bin
Dienstwilligster
Martin Opitz
Von Martin Opitz gibt es kein Video. Aber vom aalglatten Schönling Wulff, in bester Guttenberg-Manier!
Um der Wahrheit willen wollen weitere erfolgreiche Unternehmer dem unter Druck geratenen Bundespräsidenten helfen, seine Wahrheitsbotschaft (und sein Buch) weiter am Markt gut zu verkaufen: auf die Wahrheit haben doch alle Bürgerinnen und Bürger einer Demokratie ein Recht. Um dieses Recht kämpft Christian Wulff mit teurem Beistand betuchter Helfer. Seien wir dankbar...
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Donnerstag, 22. Dezember 2011
Louis-Ferdinand Célines 50. Todestag
war eher still. Anders als früher wollte die offizielle Welt nicht politisch unkorrekt sein; Célines politische Haltung, sein Antisemitismus, wogen schwerer als sein schriftstellerisches Werk, das dennoch viele Autoren nachhaltig beeinflusst hat.
Henri Godards Céline-Biographie - Um keinen Preis bürgerlich
Der fünfzigsten Todestag Louis-Ferdinand Célines brachte erwartbare Auseinandersetzungen - aber auch die große Biographie von Henri Godard.
Helmut Mayer, FAZ, 16.12.2011
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Henri Godards Céline-Biographie - Um keinen Preis bürgerlich
Der fünfzigsten Todestag Louis-Ferdinand Célines brachte erwartbare Auseinandersetzungen - aber auch die große Biographie von Henri Godard.
Helmut Mayer, FAZ, 16.12.2011
Mittwoch, 21. Dezember 2011
Juan Ramón Jiménez 130. Geburtstag am 24.12.
Juan Ramón Jiménez Mantecón (* 24. Dezember 1881 in Moguer, Andalusien; † 29. Mai 1958 in San Juan, Puerto Rico) war ein spanischer Lyriker und Prosaist. 1956 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
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Dienstag, 20. Dezember 2011
Horst-Eberhard Richter tot
Der deutsche Psychoanalytiker, Sozialphilosoph und Friedensaktivist verstarb am 19. 12. 2011.
Wikipedia
Horst-Eberhard Richter-Seite
Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter gestorben
Vordenker der deutschen Friedensbewegung stirbt 88-jährig
NZZ, 20. Dezember 2011, 15:24
Zum Tode Horst-Eberhard Richters
SPIEGEL
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Horst-Eberhard Richter-Seite
Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter gestorben
Vordenker der deutschen Friedensbewegung stirbt 88-jährig
NZZ, 20. Dezember 2011, 15:24
Zum Tode Horst-Eberhard Richters
SPIEGEL
Heute 175. Geburtstag von Mendele Moicher Sforim
[Eigentlich Schalom Jakob Abramowitsch, 21. 12.1835, jul. / 2.1.1836, greg. -25. 11., jul. / 8.12.1917 greg.]
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Das erste Kapitel aus "Fischke der Krumme" (1869)
Der Vorspruch des Mendele Moicher Sfurim, da er mit eigenen, zum erstenmal gedruckten Schriften vor die Welt tritt
»Wie ist Euer Name?« Das ist die erste Frage, die ein Jude einem Wildfremden gleich bei der ersten Begegnung stellt, sobald er ihm Willkommen gesagt hat. Niemandem fällt es dabei ein, daß man dagegen zum Beispiel antworten könnte: »Was liegt Euch denn so sehr daran, zu wissen, wie ich heiße, Herr Gevatter? Wollen wir denn unsere Kinder miteinander verheiraten? Ich heiße so, wie man mich nannte, und nun laßt mich in Ruhe!« Nein, im Gegenteil, die Frage nach dem Namen ist etwas ganz Natürliches, das liegt schon so in der Sache, gerade so wie man den neuen Rock eines andern befühlt und dabei fragt: »Wie teuer? Was kostet die Elle?« Oder so wie man unaufgefordert eine Zigarette nimmt, wenn jemand seine Büchse öffnet. Oder so wie man seine Finger in eine fremde Schnupftabakdose steckt und sich eine Prise nimmt. Oder so wie man den Fuß in die Wanne eines andern steckt, sein schmieriges Tüchlein dort eintunkt und sich den Körper einreibt. Oder so wie man verstohlen in ein fremdes Machser hineinschaut und aus Anstand schnell umblättert, während der Besitzer die Worte des Gebetes noch gar nicht recht begriffen hat. Oder so wie man hinzutritt, wenn sich zwei Leute unterhalten, sein Ohr hinhält und sich ihr Gespräch anhört. Oder so wie man jemanden urplötzlich und unerwartet nach seinen Geschäften fragt und sich ihm mit Ratschlägen aufdrängt, obwohl sie jener durchaus nicht nötig hat und sehr wohl ohne sie und ohne ihn auskommen kann. Diese und ähnliche Dinge sind bei uns Juden sehr verbreitet. So ist der Lauf der Welt seit ewigen Zeiten, und sagte man etwas dagegen, so täte man was Verrücktes, etwas ganz Absonderliches, ja es wäre gar gegen die Natur. Nicht nur für das Diesseits, auch fürs Jenseits haben die Juden die Überzeugung, daß man bloß seinen Fuß hinüberzusetzen braucht und sofort vom Totenengel mit der Frage begrüßt wird: »Wie heißt Ihr, Herr Gevatter?« Selbst der Engel, der mit unserm Vater Jakob rang, wich auch nicht vom Wege der Welt ab und fragte ihn nach Brauch und Sitte um seinen Namen. Wenn dies schon bei Engeln so ist, um wieviel mehr dann bei sündhaften Menschen, den Geschöpfen aus Fleisch und Blut. Ich weiß sehr wohl, wenn ich zum erstenmal mit meinen Erzählungen in die jüdische Literatur hinaustrete, wird es gewiß die erste Frage der Leute sein: »Wie ist Euer Name, Gevatter?«
Mendele heiße ich! So nannte man mich, liebe Leser, nach einem Urgroßvater mütterlicherseits, nach Reb Mendele Moskauer seligen Andenkens. Moskauer hieß er zu seinen Zeiten darum, weil er, wie man erzählte, einmal gar bis nach Moskau gekommen war, um dort russische Ware einzukaufen, und sich fein still wieder davongemacht hatte, bevor man noch daran dachte, ihn auszuweisen. Nun, davon wollte ich nicht sprechen. Aber in Moskau, beim Moskowiter, war er doch gewesen. Das brachte in seiner Gegend Namen und Ehre ein. Alle betrachteten ihn als erfahrenen, welttüchtigen Menschen, der in der ganzen Welt herumgekommen war, und wenn es irgendeine Not gab oder wenn man ein russisches Gesuch zu schreiben hatte, so beriet man sich mit ihm. Aber nicht davon wollte ich sprechen.
Damit ist man aber noch lange nicht fertig. Nach dieser ersten Frage beginnen bei den Juden erst allerlei Fragen zu strömen, wie zum Beispiel: »Woher seid Ihr? Seid Ihr verheiratet? Habt Ihr Kinder? Womit handelt Ihr? Wohin fahrt Ihr?« Und noch viele ähnliche Fragen, die man in ganz Israel stellt, wenn man vor den Leuten sehen und zeigen will, daß man Gottlob ein herumgekommener Mensch und kein Stubenhocker sei, und auf die man nach dem Gesetz antworten muß, so wie »Gutes Jahr« auf den Wunsch »Guten Schabbes« oder »Guten Jontew«. Ich will es nicht mit der ganzen Welt zu tun bekommen und bin bereit, alle diese Fragen auch so kurz und bündig wie möglich zu beantworten.
Ich bin aus Heuchlingen gebürtig, einem ziemlich großen Städtlein im Gouvernement Dösenheim. Die Stadt ist durch ihre Güte und ihre Frömmigkeit berühmt, so wie Dümmingen zum Beispiel durch Klugheit, Schnorringen durch seinen Reichtum, Faulburg durch seine Industrie – lauter schöne Gegenden mit Vorzügen, die auf den Zustand der Juden hier auf diesem Flecken des Exils wirken. Aber nicht davon wollte ich sprechen.
In meinem Passe steht freilich ausdrücklich das Alter angegeben, aber wie alt ich wirklich bin, kann ich euch nicht mit Bestimmtheit sagen, wie das bei Juden schon so üblich ist. Meine seligen Eltern gingen in der Berechnung meiner Jahre bedeutend auseinander. Nach beiden wurde ich am ersten Channeke-Abend während des großen Brandes der Läden geboren. Aber nach der Rechnung des Vaters war das damals, als die großen Kälten in unsere Gegend eingeschleppt wurden, gerade um die Zeit, als der Alte, gesegneten Andenkens, verschied. Meine Mutter wiederum bewies, es wäre an die zwei Jahre nach der ersten Panik gewesen. Sie hatte sogar ein Zeichen: Damals hatte bei uns die rote Kuh gekalbt, und am letzten Channeke-Tag hatte sie für die halbe Stadt Käsekrapfen gemacht, bei denen sich die Leute alle fünf Finger ableckten, und die einigen alten Leuten noch heute auf der Zunge lägen. Man muß Zeit haben und tüchtig sein, um sich in solche Berechnungen zu versenken, wie die Faulburger Gehirnmenschen. Aber nicht davon wollte ich sprechen.
Die Personbeschreibung in meinem Passe lautet: Wuchs – mittelgroß; Haar und Brauen – grau; Augen – schwarz; Nase und Mund – normal; Bart – grau; Gesicht – rein; besondere Merkmale – nicht vorhanden. Das heißt, alles in allem ganz gewöhnlich, nichts Besonderes, ein Mensch wie alle andern, kein Vieh, behüte. Nun, dann fragt es sich doch: Ein Paß ohne jede Personbeschreibung beweise ja auch, daß man ein Mensch ist?! Wo hat etwa das Vieh einen Paß? Dieser Einwand wird dadurch widerlegt, daß Einwendungen keinen Sinn haben. Das ist ja der ganze Sinn, daß einem die Personalbeschreibung vorgesetzt wird und man doch nicht weiß, wie das Gesicht aussieht. Und wirklich, wozu wollen wir uns täuschen, was habt ihr schon davon, wenn ihr zum Beispiel wißt, daß meine Stirn hoch ist und viele Falten hat; daß meine Nasenlöcher sehr groß und ein wenig sonderbar sind; daß mein Gesicht nach außen hin so wie zornig aussieht. Wenn ich schaue oder etwas betrachte, mache ich meine kleinen, kurzsichtigen Augen ein wenig zu, und wenn ich die Lippen verziehe, scheint auf ihnen ein mild-stechendes Lächeln zu schweben. Ach, das ist ja wirklich Unsinn. Sogar meine Frau hat sich vor unserer Hochzeit nicht um solche Kleinigkeiten gekümmert. Sie nahm mich wie einen blinden Essreg, ohne vorher mein Gesicht anzusehen – und es ging! Nun wißt ihr auch schon, meine lieben Leser, daß ich verheiratet bin. Von Kindern braucht ja gar keine Rede zu sein. Selbstverständlich habe ich welche, unbeschrien sogar viel. Was denn anders hat der Jude? Aber nicht davon wollte ich sprechen.
Mein Geschäft ist der Buchhandel, wie ihr mich da seht. Ich hatte in meinem Leben alle möglichen Berufe, ich hatte mich nach allen Decken gestreckt, bis ich endlich eine wegwerfende Handbewegung machte – zum Teufel mit allen Berufen – und den Buchhandel begann. Und dabei bin ich bis heute geblieben.
Dann wären Bücher also, könnte man meinen, das beste Geschäft, ich würde gar reich! Und daraufhin werden die Juden diese armen Teufel schmachten ja nach Erwerb und tun darum einer dem andern nach – sich wie die Heuschrecken auf den Buchhandel stürzen. Nun, so schwöre ich euch, ihr Juden, daß ich ein armer Mann bin! Das eigentliche Buchgeschäft, der Chimmesch-, Szidder-, Machser-, Sliches-, Kines-, Tchines-, Bentscher-Handel bringt einem nicht einmal das Wasser zum Brei ein, wie man sagt, darum muß ich auch Berscheter Arbekanfes mit mir führen. Dubrower Talejssem, achtfache Zizzes, Reziees, Schoifres, Hejs, Mesises, Wolfszähne, Muscheln, Amulette, Kinderschuhe und Kinderkäpplein und manchmal auch Messing- und Kupferzeug. Wieso Messing- und Kupferzeug zu Büchern kommt, weiß ich selbst nicht. Aber so ist es bei uns schon mal der Brauch, genau so wie ein Schriftsteller mal auch ein wenig Heiraten vermitteln muß, wie der Schammes in einer polnischen Klous einen kleinen Ausschank halten, wie ein Gemeindemann auf einem Fest bei den feinen Leuten manchmal Fische kochen und Kellner sein muß, wie der Rabbi eines Städtleins sein Einkommen von der Hefe haben muß. Bei all diesen Dingen schwöre ich euch, besitze ich keinen Pfennig an Vermögen.
Es ist ein wunderbares Glück, daß man zu einem Buchhandel wie dem meinen kein großartiges Magazin mieten muß. Dafür genügt ein beliebiges Wäglein und ein beliebiges Rößlein. Ist das Rößlein ein wenig alt und schäbig, hinkt es ein bißchen und kann kaum die Beine heben, so mag das auch noch lange nichts ausmachen. Hetzen, Postfahren hat man nicht nötig. Man packt sich sein Wäglein voll, deckt eine Plane darüber und zockelt munter drauflos. Daß Glöcklein dabei klingen, ist überflüssig, man ersetzt sie durch das Knarren der Räder. In Gasthöfen in besonderen Nummern für sich mit großem Pomp Quartier zu nehmen – das braucht man auch nicht zu tun, sondern fährt sofort beim Bejssmedresch vor. Der Wagen bleibt auf dem Hof stehen. Das ausgespannte Pferd steht da, frißt Häcksel, wenn es nur welches bekommt, aus einem Leintuch, das zwischen den hochgestellten Deichselstangen ausgebreitet ist. Daß die Kinder sich heimlich dahintermachen und ihm verstohlen Saiten aus dem Schweife zupfen – ist weiter auch kein Unglück. Wenn man will, kann man es völlig schwanzlos haben, ganz nach der Mode. Aber das ist ja Tierquälerei?! I wo. Mein Tölpel steht ganz ruhig da und läßt sich's gar nicht nahegehen. Manchmal läßt er die Unterlippe hängen, steckt die Zungenspitze heraus und scheint wie ein Mensch zu grinsen. Trifft es sich mal, daß er nichts zu fressen hat, dann steht er nachdenklich mit erhobenen Ohren und blickt auf die Bücher im Wagen, so daß man schwören möchte, sein Pferdehirn erfasse sie sehr wohl und gehe mit ihnen verflucht gelehrt um. Aber nicht davon wollte ich sprechen.
Also wenn ich Gottlob mein Pferd auf dem Schihl-Hof versorgt habe, nehme ich mir einen Platz im Bejssmedresch. Am Tage lege ich meine Bücher für die Leute aus, auf dem langen, schmierigen Tisch am Eingang neben dem Ofen, bei Nacht lege ich mich selbst auf die Bank und tue, als ob ich hier zuhause wäre, und schlafe, was das Zeug hält. All mein bißchen Diesseitsglück habe ich umsonst und mit vielen Ehren.
Wenn dem nun so ist, wenn es da ein Herumgewandere, Herumgeirre und Geschnorre gibt, so erhebt sich ja die Frage: Welcher Teufel hat mich zum Buchhandel gebracht? Und wozu bleibe ich bis auf den heutigen Tag bei solchem Geschäft? Es fällt mir zwar schwer, darauf zu antworten, aber ich habe keine Wahl.
Meine lieben Leser, ich bekenne! Eine Schwäche habe ich seit meiner Kindheit, die bei den Fremden »Liebe zur Natur« heißt, zu allem, was wächst, was sprießt, was lebt und auf der Welt ist. Da zieht mich etwas an und treibt mich irgendwohin. Da haftet mir ein Tand im Sinn, ein schönes Gesicht, eine herrliche Form, ein Grashalm, ein Baum, eine Rose, ein Vogel.
»Aber, aber«, wird man sagen, »schämt Ihr Euch denn nicht, ein bärtiger Mann, ein Mensch, der Nahrungssorgen, der Frau und Kinder hat, der nach dem Lauf der Natur Sorgen haben, nachdenken und grübeln muß, daß es einen Zweck habe?! Und außerdem, schämt Ihr Euch denn nicht ganz einfach, an solchen Unsinn zu denken, Natur – papperlapur, solch Bubenzeug!« Ach, ich weiß es, ich weiß es sehr wohl, daß so etwas für einen Juden unpassend ist, aber was soll ich denn anfangen, wenn das bei mir eine angeborene Schwäche ist, ein Trieb, der mich wie ein Magnet anzieht. Und gar noch gerade dann, wenn ich mich mit ernsten, wichtigen Dingen beschäftige, wie mit Jüdischkeit zum Beispiel oder mit Geschäftsdingen. Mitten in der Mondweihe – stellt euch vor, gerade mittendrin im besten Beten, im Körperschütteln unter den Leuten, reißt es mich gleichsam zu dem schönen blauen, bestirnten Himmel mit dem versonnenen, schwermütigen, herrlichen Mond empor, meine Gedanken sind Gott weiß wo, bei hellen Gesichtern, schönen, brennenden, nachdenklichen Augen, Geseufze, Geraune, dichtbeasteten Linden. Man könnte mich unter Eid fragen, ich wüßte nicht, was mein Mund plappert. Mein Nebenmann sagt zu mir: »Friede über Euch«, und ich erwidere ihm: »Komm, o Freund, der Braut entgegen!«
Ebenso ist es mit dem Essreg, mit dem Lielew, mit dem Schanes. Ich vergesse die Mizwe, die Intention auf Einung, die in ihnen liegt und denke nicht weiter an Gott und seine Glorie, sondern erquicke mich daran, wie wunderschön frisch sie duften. Der Gang zu Taschlech, eine so ernste jüdische Angelegenheit, da man die Sünden von sich wirft, wird mir gar zu einem schönen Spaziergang. Wenn ich dort die Gebete spreche, dann schauen meine Augen auf den Fluß, auf die grüne Flur, die sich drüben auf dem andern Ufer weit in die Ferne erstreckt. Ich sehe das laufende, murmelnde Gewässer vor mir, stolz schwimmende Gänse, ein Lüftlein weht, hochgewachsenes Schilfrohr flüstert, ein Weidenbäumlein spiegelt sich und badet seine Zweige im Wasser. Klar ist der Himmel, die Luft frisch, göttliche Stille in Tälern, auf Hügeln, in Wäldern überall. Irgend etwas reißt an meiner Seele, Sehnsucht, Verlangen – oh, mein Gott! – ich weiß selbst nicht wonach. Für Spazierengehen gebe ich mein Leben her. Auf dem Felde und im Walde bin ich gar nicht der gleiche wie in der Stadt, da bin ich frei, da bin ich des Joches ledig. Was scheren mich da Frau und Kinder, was Jude, was Sorgen! Ich bin froh, ich ergötze mich in seliger Wonne an den Werken des Herrn, ich gebe mich mit allen Sinnen hin und gehe unter in Gottes Welt, in Gottes schöner Welt.
Diese arge Leidenschaft, o weh, war es, die in mir bohrte und brummte: »Mendel, der Buchhandel ist wie für dich geschaffen! Und wenn du etwas versetzen müßtest, das bißchen Schmuck deiner Frau – kaufe ein Pferd und einen Wagen, packe ihn mit Büchern voll und fahre in die weite Welt. Verdienen hin, Verdienen her, Hauptsache ist das Reisen, die Freude, die du haben wirst, wenn du unterwegs so viel Schönes siehst und hörst. Du wirst da auf der Fahrt behäbig wie ein Kaiser auf deinem Wagen liegen und jedes Stücklein an den kunstvollen, schönen Werken Gottes betrachten, seine Geschöpfe in Bergen und Tälern, auf Feldern und in Wäldern. Das Rößlein wird ganz, ganz langsam zockeln und du wirst schauen und schauen. So wird es unterwegs sein, und wenn du in Städtlein und Städte kommen wirst, wirst du verschiedene Menschen sehen, feine Leute, große Herren, sonderbare Geschöpfe, allerlei Personen, gebogene Rücken, hochgehobene Nasen, langhändige, klebrigfingrige, alle möglichen Arten, vom alten und vom neuen Schnitt, dann wirst du von ihnen Geschichten zu erzählen wissen, du wirst zu singen und zu sagen haben.«
Nun, wißt ihr es jetzt, meine lieben Juden?
Heute, da ich eine ziemliche Weile umhergereist bin, bohrt und brummt der böse Trieb wieder in mir: »Geh«, sagt er, »geh und drucke die Geschichten, die du von den Juden aus der ganzen Zeit zu erzählen hast, da du dich unter ihnen herumgetrieben hast! Oh, sie dürfen es ruhig hören, es wird ihnen behüte nichts schaden!«
»Na, meinetwegen«, überlegte ich's mir, »ich werde es tun.«
Ich glaube, ich habe alles gesagt, was nottut. Übrigens bin ich ja nicht mehr als ein Mensch. Sollte ich etwas vergessen haben, dann werde ich es, wenn ich mich erinnere, in einem meiner späteren Bücher sagen. Und wenn jemand ungeduldig sein sollte und alles sofort bis auf den I-Tipfel wissen wollen wird, dann mag er so gut sein und mir schreiben, er wird von mir bald eine klare Antwort haben.
Meine Adresse ist: »Mendelju Jidelewitschu Moicheru Sfuremu uw gorodi Heuchlingu« – An Mendel Jidelewitsch Moicher Sfurim in der Stadt Heuchlingen. Den Titel »Gospodinu jewreju«, »An den Herrn Juden«, braucht man nicht zu schreiben, man weiß es ohnehin.
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Das erste Kapitel aus "Fischke der Krumme" (1869)
Der Vorspruch des Mendele Moicher Sfurim, da er mit eigenen, zum erstenmal gedruckten Schriften vor die Welt tritt
»Wie ist Euer Name?« Das ist die erste Frage, die ein Jude einem Wildfremden gleich bei der ersten Begegnung stellt, sobald er ihm Willkommen gesagt hat. Niemandem fällt es dabei ein, daß man dagegen zum Beispiel antworten könnte: »Was liegt Euch denn so sehr daran, zu wissen, wie ich heiße, Herr Gevatter? Wollen wir denn unsere Kinder miteinander verheiraten? Ich heiße so, wie man mich nannte, und nun laßt mich in Ruhe!« Nein, im Gegenteil, die Frage nach dem Namen ist etwas ganz Natürliches, das liegt schon so in der Sache, gerade so wie man den neuen Rock eines andern befühlt und dabei fragt: »Wie teuer? Was kostet die Elle?« Oder so wie man unaufgefordert eine Zigarette nimmt, wenn jemand seine Büchse öffnet. Oder so wie man seine Finger in eine fremde Schnupftabakdose steckt und sich eine Prise nimmt. Oder so wie man den Fuß in die Wanne eines andern steckt, sein schmieriges Tüchlein dort eintunkt und sich den Körper einreibt. Oder so wie man verstohlen in ein fremdes Machser hineinschaut und aus Anstand schnell umblättert, während der Besitzer die Worte des Gebetes noch gar nicht recht begriffen hat. Oder so wie man hinzutritt, wenn sich zwei Leute unterhalten, sein Ohr hinhält und sich ihr Gespräch anhört. Oder so wie man jemanden urplötzlich und unerwartet nach seinen Geschäften fragt und sich ihm mit Ratschlägen aufdrängt, obwohl sie jener durchaus nicht nötig hat und sehr wohl ohne sie und ohne ihn auskommen kann. Diese und ähnliche Dinge sind bei uns Juden sehr verbreitet. So ist der Lauf der Welt seit ewigen Zeiten, und sagte man etwas dagegen, so täte man was Verrücktes, etwas ganz Absonderliches, ja es wäre gar gegen die Natur. Nicht nur für das Diesseits, auch fürs Jenseits haben die Juden die Überzeugung, daß man bloß seinen Fuß hinüberzusetzen braucht und sofort vom Totenengel mit der Frage begrüßt wird: »Wie heißt Ihr, Herr Gevatter?« Selbst der Engel, der mit unserm Vater Jakob rang, wich auch nicht vom Wege der Welt ab und fragte ihn nach Brauch und Sitte um seinen Namen. Wenn dies schon bei Engeln so ist, um wieviel mehr dann bei sündhaften Menschen, den Geschöpfen aus Fleisch und Blut. Ich weiß sehr wohl, wenn ich zum erstenmal mit meinen Erzählungen in die jüdische Literatur hinaustrete, wird es gewiß die erste Frage der Leute sein: »Wie ist Euer Name, Gevatter?«
Mendele heiße ich! So nannte man mich, liebe Leser, nach einem Urgroßvater mütterlicherseits, nach Reb Mendele Moskauer seligen Andenkens. Moskauer hieß er zu seinen Zeiten darum, weil er, wie man erzählte, einmal gar bis nach Moskau gekommen war, um dort russische Ware einzukaufen, und sich fein still wieder davongemacht hatte, bevor man noch daran dachte, ihn auszuweisen. Nun, davon wollte ich nicht sprechen. Aber in Moskau, beim Moskowiter, war er doch gewesen. Das brachte in seiner Gegend Namen und Ehre ein. Alle betrachteten ihn als erfahrenen, welttüchtigen Menschen, der in der ganzen Welt herumgekommen war, und wenn es irgendeine Not gab oder wenn man ein russisches Gesuch zu schreiben hatte, so beriet man sich mit ihm. Aber nicht davon wollte ich sprechen.
Damit ist man aber noch lange nicht fertig. Nach dieser ersten Frage beginnen bei den Juden erst allerlei Fragen zu strömen, wie zum Beispiel: »Woher seid Ihr? Seid Ihr verheiratet? Habt Ihr Kinder? Womit handelt Ihr? Wohin fahrt Ihr?« Und noch viele ähnliche Fragen, die man in ganz Israel stellt, wenn man vor den Leuten sehen und zeigen will, daß man Gottlob ein herumgekommener Mensch und kein Stubenhocker sei, und auf die man nach dem Gesetz antworten muß, so wie »Gutes Jahr« auf den Wunsch »Guten Schabbes« oder »Guten Jontew«. Ich will es nicht mit der ganzen Welt zu tun bekommen und bin bereit, alle diese Fragen auch so kurz und bündig wie möglich zu beantworten.
Ich bin aus Heuchlingen gebürtig, einem ziemlich großen Städtlein im Gouvernement Dösenheim. Die Stadt ist durch ihre Güte und ihre Frömmigkeit berühmt, so wie Dümmingen zum Beispiel durch Klugheit, Schnorringen durch seinen Reichtum, Faulburg durch seine Industrie – lauter schöne Gegenden mit Vorzügen, die auf den Zustand der Juden hier auf diesem Flecken des Exils wirken. Aber nicht davon wollte ich sprechen.
In meinem Passe steht freilich ausdrücklich das Alter angegeben, aber wie alt ich wirklich bin, kann ich euch nicht mit Bestimmtheit sagen, wie das bei Juden schon so üblich ist. Meine seligen Eltern gingen in der Berechnung meiner Jahre bedeutend auseinander. Nach beiden wurde ich am ersten Channeke-Abend während des großen Brandes der Läden geboren. Aber nach der Rechnung des Vaters war das damals, als die großen Kälten in unsere Gegend eingeschleppt wurden, gerade um die Zeit, als der Alte, gesegneten Andenkens, verschied. Meine Mutter wiederum bewies, es wäre an die zwei Jahre nach der ersten Panik gewesen. Sie hatte sogar ein Zeichen: Damals hatte bei uns die rote Kuh gekalbt, und am letzten Channeke-Tag hatte sie für die halbe Stadt Käsekrapfen gemacht, bei denen sich die Leute alle fünf Finger ableckten, und die einigen alten Leuten noch heute auf der Zunge lägen. Man muß Zeit haben und tüchtig sein, um sich in solche Berechnungen zu versenken, wie die Faulburger Gehirnmenschen. Aber nicht davon wollte ich sprechen.
Die Personbeschreibung in meinem Passe lautet: Wuchs – mittelgroß; Haar und Brauen – grau; Augen – schwarz; Nase und Mund – normal; Bart – grau; Gesicht – rein; besondere Merkmale – nicht vorhanden. Das heißt, alles in allem ganz gewöhnlich, nichts Besonderes, ein Mensch wie alle andern, kein Vieh, behüte. Nun, dann fragt es sich doch: Ein Paß ohne jede Personbeschreibung beweise ja auch, daß man ein Mensch ist?! Wo hat etwa das Vieh einen Paß? Dieser Einwand wird dadurch widerlegt, daß Einwendungen keinen Sinn haben. Das ist ja der ganze Sinn, daß einem die Personalbeschreibung vorgesetzt wird und man doch nicht weiß, wie das Gesicht aussieht. Und wirklich, wozu wollen wir uns täuschen, was habt ihr schon davon, wenn ihr zum Beispiel wißt, daß meine Stirn hoch ist und viele Falten hat; daß meine Nasenlöcher sehr groß und ein wenig sonderbar sind; daß mein Gesicht nach außen hin so wie zornig aussieht. Wenn ich schaue oder etwas betrachte, mache ich meine kleinen, kurzsichtigen Augen ein wenig zu, und wenn ich die Lippen verziehe, scheint auf ihnen ein mild-stechendes Lächeln zu schweben. Ach, das ist ja wirklich Unsinn. Sogar meine Frau hat sich vor unserer Hochzeit nicht um solche Kleinigkeiten gekümmert. Sie nahm mich wie einen blinden Essreg, ohne vorher mein Gesicht anzusehen – und es ging! Nun wißt ihr auch schon, meine lieben Leser, daß ich verheiratet bin. Von Kindern braucht ja gar keine Rede zu sein. Selbstverständlich habe ich welche, unbeschrien sogar viel. Was denn anders hat der Jude? Aber nicht davon wollte ich sprechen.
Mein Geschäft ist der Buchhandel, wie ihr mich da seht. Ich hatte in meinem Leben alle möglichen Berufe, ich hatte mich nach allen Decken gestreckt, bis ich endlich eine wegwerfende Handbewegung machte – zum Teufel mit allen Berufen – und den Buchhandel begann. Und dabei bin ich bis heute geblieben.
Dann wären Bücher also, könnte man meinen, das beste Geschäft, ich würde gar reich! Und daraufhin werden die Juden diese armen Teufel schmachten ja nach Erwerb und tun darum einer dem andern nach – sich wie die Heuschrecken auf den Buchhandel stürzen. Nun, so schwöre ich euch, ihr Juden, daß ich ein armer Mann bin! Das eigentliche Buchgeschäft, der Chimmesch-, Szidder-, Machser-, Sliches-, Kines-, Tchines-, Bentscher-Handel bringt einem nicht einmal das Wasser zum Brei ein, wie man sagt, darum muß ich auch Berscheter Arbekanfes mit mir führen. Dubrower Talejssem, achtfache Zizzes, Reziees, Schoifres, Hejs, Mesises, Wolfszähne, Muscheln, Amulette, Kinderschuhe und Kinderkäpplein und manchmal auch Messing- und Kupferzeug. Wieso Messing- und Kupferzeug zu Büchern kommt, weiß ich selbst nicht. Aber so ist es bei uns schon mal der Brauch, genau so wie ein Schriftsteller mal auch ein wenig Heiraten vermitteln muß, wie der Schammes in einer polnischen Klous einen kleinen Ausschank halten, wie ein Gemeindemann auf einem Fest bei den feinen Leuten manchmal Fische kochen und Kellner sein muß, wie der Rabbi eines Städtleins sein Einkommen von der Hefe haben muß. Bei all diesen Dingen schwöre ich euch, besitze ich keinen Pfennig an Vermögen.
Es ist ein wunderbares Glück, daß man zu einem Buchhandel wie dem meinen kein großartiges Magazin mieten muß. Dafür genügt ein beliebiges Wäglein und ein beliebiges Rößlein. Ist das Rößlein ein wenig alt und schäbig, hinkt es ein bißchen und kann kaum die Beine heben, so mag das auch noch lange nichts ausmachen. Hetzen, Postfahren hat man nicht nötig. Man packt sich sein Wäglein voll, deckt eine Plane darüber und zockelt munter drauflos. Daß Glöcklein dabei klingen, ist überflüssig, man ersetzt sie durch das Knarren der Räder. In Gasthöfen in besonderen Nummern für sich mit großem Pomp Quartier zu nehmen – das braucht man auch nicht zu tun, sondern fährt sofort beim Bejssmedresch vor. Der Wagen bleibt auf dem Hof stehen. Das ausgespannte Pferd steht da, frißt Häcksel, wenn es nur welches bekommt, aus einem Leintuch, das zwischen den hochgestellten Deichselstangen ausgebreitet ist. Daß die Kinder sich heimlich dahintermachen und ihm verstohlen Saiten aus dem Schweife zupfen – ist weiter auch kein Unglück. Wenn man will, kann man es völlig schwanzlos haben, ganz nach der Mode. Aber das ist ja Tierquälerei?! I wo. Mein Tölpel steht ganz ruhig da und läßt sich's gar nicht nahegehen. Manchmal läßt er die Unterlippe hängen, steckt die Zungenspitze heraus und scheint wie ein Mensch zu grinsen. Trifft es sich mal, daß er nichts zu fressen hat, dann steht er nachdenklich mit erhobenen Ohren und blickt auf die Bücher im Wagen, so daß man schwören möchte, sein Pferdehirn erfasse sie sehr wohl und gehe mit ihnen verflucht gelehrt um. Aber nicht davon wollte ich sprechen.
Also wenn ich Gottlob mein Pferd auf dem Schihl-Hof versorgt habe, nehme ich mir einen Platz im Bejssmedresch. Am Tage lege ich meine Bücher für die Leute aus, auf dem langen, schmierigen Tisch am Eingang neben dem Ofen, bei Nacht lege ich mich selbst auf die Bank und tue, als ob ich hier zuhause wäre, und schlafe, was das Zeug hält. All mein bißchen Diesseitsglück habe ich umsonst und mit vielen Ehren.
Wenn dem nun so ist, wenn es da ein Herumgewandere, Herumgeirre und Geschnorre gibt, so erhebt sich ja die Frage: Welcher Teufel hat mich zum Buchhandel gebracht? Und wozu bleibe ich bis auf den heutigen Tag bei solchem Geschäft? Es fällt mir zwar schwer, darauf zu antworten, aber ich habe keine Wahl.
Meine lieben Leser, ich bekenne! Eine Schwäche habe ich seit meiner Kindheit, die bei den Fremden »Liebe zur Natur« heißt, zu allem, was wächst, was sprießt, was lebt und auf der Welt ist. Da zieht mich etwas an und treibt mich irgendwohin. Da haftet mir ein Tand im Sinn, ein schönes Gesicht, eine herrliche Form, ein Grashalm, ein Baum, eine Rose, ein Vogel.
»Aber, aber«, wird man sagen, »schämt Ihr Euch denn nicht, ein bärtiger Mann, ein Mensch, der Nahrungssorgen, der Frau und Kinder hat, der nach dem Lauf der Natur Sorgen haben, nachdenken und grübeln muß, daß es einen Zweck habe?! Und außerdem, schämt Ihr Euch denn nicht ganz einfach, an solchen Unsinn zu denken, Natur – papperlapur, solch Bubenzeug!« Ach, ich weiß es, ich weiß es sehr wohl, daß so etwas für einen Juden unpassend ist, aber was soll ich denn anfangen, wenn das bei mir eine angeborene Schwäche ist, ein Trieb, der mich wie ein Magnet anzieht. Und gar noch gerade dann, wenn ich mich mit ernsten, wichtigen Dingen beschäftige, wie mit Jüdischkeit zum Beispiel oder mit Geschäftsdingen. Mitten in der Mondweihe – stellt euch vor, gerade mittendrin im besten Beten, im Körperschütteln unter den Leuten, reißt es mich gleichsam zu dem schönen blauen, bestirnten Himmel mit dem versonnenen, schwermütigen, herrlichen Mond empor, meine Gedanken sind Gott weiß wo, bei hellen Gesichtern, schönen, brennenden, nachdenklichen Augen, Geseufze, Geraune, dichtbeasteten Linden. Man könnte mich unter Eid fragen, ich wüßte nicht, was mein Mund plappert. Mein Nebenmann sagt zu mir: »Friede über Euch«, und ich erwidere ihm: »Komm, o Freund, der Braut entgegen!«
Ebenso ist es mit dem Essreg, mit dem Lielew, mit dem Schanes. Ich vergesse die Mizwe, die Intention auf Einung, die in ihnen liegt und denke nicht weiter an Gott und seine Glorie, sondern erquicke mich daran, wie wunderschön frisch sie duften. Der Gang zu Taschlech, eine so ernste jüdische Angelegenheit, da man die Sünden von sich wirft, wird mir gar zu einem schönen Spaziergang. Wenn ich dort die Gebete spreche, dann schauen meine Augen auf den Fluß, auf die grüne Flur, die sich drüben auf dem andern Ufer weit in die Ferne erstreckt. Ich sehe das laufende, murmelnde Gewässer vor mir, stolz schwimmende Gänse, ein Lüftlein weht, hochgewachsenes Schilfrohr flüstert, ein Weidenbäumlein spiegelt sich und badet seine Zweige im Wasser. Klar ist der Himmel, die Luft frisch, göttliche Stille in Tälern, auf Hügeln, in Wäldern überall. Irgend etwas reißt an meiner Seele, Sehnsucht, Verlangen – oh, mein Gott! – ich weiß selbst nicht wonach. Für Spazierengehen gebe ich mein Leben her. Auf dem Felde und im Walde bin ich gar nicht der gleiche wie in der Stadt, da bin ich frei, da bin ich des Joches ledig. Was scheren mich da Frau und Kinder, was Jude, was Sorgen! Ich bin froh, ich ergötze mich in seliger Wonne an den Werken des Herrn, ich gebe mich mit allen Sinnen hin und gehe unter in Gottes Welt, in Gottes schöner Welt.
Diese arge Leidenschaft, o weh, war es, die in mir bohrte und brummte: »Mendel, der Buchhandel ist wie für dich geschaffen! Und wenn du etwas versetzen müßtest, das bißchen Schmuck deiner Frau – kaufe ein Pferd und einen Wagen, packe ihn mit Büchern voll und fahre in die weite Welt. Verdienen hin, Verdienen her, Hauptsache ist das Reisen, die Freude, die du haben wirst, wenn du unterwegs so viel Schönes siehst und hörst. Du wirst da auf der Fahrt behäbig wie ein Kaiser auf deinem Wagen liegen und jedes Stücklein an den kunstvollen, schönen Werken Gottes betrachten, seine Geschöpfe in Bergen und Tälern, auf Feldern und in Wäldern. Das Rößlein wird ganz, ganz langsam zockeln und du wirst schauen und schauen. So wird es unterwegs sein, und wenn du in Städtlein und Städte kommen wirst, wirst du verschiedene Menschen sehen, feine Leute, große Herren, sonderbare Geschöpfe, allerlei Personen, gebogene Rücken, hochgehobene Nasen, langhändige, klebrigfingrige, alle möglichen Arten, vom alten und vom neuen Schnitt, dann wirst du von ihnen Geschichten zu erzählen wissen, du wirst zu singen und zu sagen haben.«
Nun, wißt ihr es jetzt, meine lieben Juden?
Heute, da ich eine ziemliche Weile umhergereist bin, bohrt und brummt der böse Trieb wieder in mir: »Geh«, sagt er, »geh und drucke die Geschichten, die du von den Juden aus der ganzen Zeit zu erzählen hast, da du dich unter ihnen herumgetrieben hast! Oh, sie dürfen es ruhig hören, es wird ihnen behüte nichts schaden!«
»Na, meinetwegen«, überlegte ich's mir, »ich werde es tun.«
Ich glaube, ich habe alles gesagt, was nottut. Übrigens bin ich ja nicht mehr als ein Mensch. Sollte ich etwas vergessen haben, dann werde ich es, wenn ich mich erinnere, in einem meiner späteren Bücher sagen. Und wenn jemand ungeduldig sein sollte und alles sofort bis auf den I-Tipfel wissen wollen wird, dann mag er so gut sein und mir schreiben, er wird von mir bald eine klare Antwort haben.
Meine Adresse ist: »Mendelju Jidelewitschu Moicheru Sfuremu uw gorodi Heuchlingu« – An Mendel Jidelewitsch Moicher Sfurim in der Stadt Heuchlingen. Den Titel »Gospodinu jewreju«, »An den Herrn Juden«, braucht man nicht zu schreiben, man weiß es ohnehin.
Sonntag, 18. Dezember 2011
Vaclav Havel tot
Der Schriftsteller, Dramatiker & erste postkommunistische Präsident der Tschechoslowakei, die kurz darauf sich friedlich aufteilt in Tschechien und die Slowakei, stirbt im Alter von 75 Jahren.
Er hat als Dissident sein Land nach 40 Jahren Kommunistenregime in eine neue Zukunft geführt. Er wollte mehr, als er vermochte. Er, der nicht aus dem Apparat kam, aber dessen, notgedrungen, bedurfte als Präsident; konnte wichtige Agenden nicht so lösen, wie er es sich gewünscht hatte. Das betrifft vor allem in der Atompolitikwar oder auch die Benes-Dekrete-Frage. Wieweit er in diesen Fragen wirklich eine Kritik an alten tschechischen Positionen formulierte, muss noch geschichtlich gedeutet werden. Auch die eingeleitete Restituierung an Kirche und Aristokratie bleibt nach wie vor fragwürdig. Dass Vaclav havel seine Europaorientierung so intensiv mit dem NATO-Beitritt seiner Landes verband, mag nicht ungeteilte Begrüßung finden.
Dass im heutigen Tschechien der bornierte Chauvinismus blüht und die alten Seilschaften es sich gut eingerichtet haben, geht allerdings nicht auf sein Konto. Havel favorisierte gute Nachbarschaftspolitik und Europa, anders als das gegenwärtige Tschechien. Heute setzt Tschechien auf engstirnigen nationalen Egoismus. Das Gegenteil der Orienteriung von Vaclav Havel.
Nachtrag vom 21.12.2011:
Mick Hume
Velvet Revolution: no script for a democratic uprising
Playwright-turned-president Vaclav Havel owed his status as anti-Communist rock star more to the West than to the Czech people.
SP!KED, 21 December 2011
Nachbemerkung vom 22.12.2011:
Er hat als Dissident sein Land nach 40 Jahren Kommunistenregime in eine neue Zukunft geführt. Er wollte mehr, als er vermochte. Er, der nicht aus dem Apparat kam, aber dessen, notgedrungen, bedurfte als Präsident; konnte wichtige Agenden nicht so lösen, wie er es sich gewünscht hatte. Das betrifft vor allem in der Atompolitikwar oder auch die Benes-Dekrete-Frage. Wieweit er in diesen Fragen wirklich eine Kritik an alten tschechischen Positionen formulierte, muss noch geschichtlich gedeutet werden. Auch die eingeleitete Restituierung an Kirche und Aristokratie bleibt nach wie vor fragwürdig. Dass Vaclav havel seine Europaorientierung so intensiv mit dem NATO-Beitritt seiner Landes verband, mag nicht ungeteilte Begrüßung finden.
Dass im heutigen Tschechien der bornierte Chauvinismus blüht und die alten Seilschaften es sich gut eingerichtet haben, geht allerdings nicht auf sein Konto. Havel favorisierte gute Nachbarschaftspolitik und Europa, anders als das gegenwärtige Tschechien. Heute setzt Tschechien auf engstirnigen nationalen Egoismus. Das Gegenteil der Orienteriung von Vaclav Havel.
Nachtrag vom 21.12.2011:
Mick Hume
Velvet Revolution: no script for a democratic uprising
Playwright-turned-president Vaclav Havel owed his status as anti-Communist rock star more to the West than to the Czech people.
SP!KED, 21 December 2011
Nachbemerkung vom 22.12.2011:
Die Zeit, 22.12.2011
Im Feuilleton Nachrufe auf Horst-Eberhard Richter, Cesaria Evora und Christopher Hitchens. Kein Wort zu Vaclav Havel. Im politischen Teil darf Pavel Kohout seinen Landsmann verabschieden, ein deutscher Autor scheint zu Havels Tod nichts zu sagen zu haben.
(Zitat aus dem PERLENTAUCHER)
Ich kenne den Tod besser als das Leben
sagt der Filmemacher und Autor Oskar Roehler (Cicero, 12.12.2011)
Man kann, als Außenstehender, vielleicht etwas vom Sterben kennen. Selbst allerdings nur solange man stirbt und noch nicht gestorben ist. Denn der Sterbende verliert mit dem Sterben jede Kenntnis. Er weiß nichts mehr, weil er ja nicht mehr lebt. Und keinen Tod kann man erfahren, weil Erfahrung Leben bedingt, und der Tod ja das Ende des Lebens ist. Also ist er unerfahrbar.
Warum schwätz jemand so kokett, eigentlich dumm?
Man kann, als Außenstehender, vielleicht etwas vom Sterben kennen. Selbst allerdings nur solange man stirbt und noch nicht gestorben ist. Denn der Sterbende verliert mit dem Sterben jede Kenntnis. Er weiß nichts mehr, weil er ja nicht mehr lebt. Und keinen Tod kann man erfahren, weil Erfahrung Leben bedingt, und der Tod ja das Ende des Lebens ist. Also ist er unerfahrbar.
Warum schwätz jemand so kokett, eigentlich dumm?
Freitag, 16. Dezember 2011
Christopher Hitchens dies December 15th 2011
Christopher Hitchens, a remarkable personality, a well known and famous writer and speaker, an uninhibited atheist, died at age 62; he was born April 13, 1949.
He loved to take position, be outspoken as almost no one else, be critical at an utmost level. He didn't give in. Now we mourn his passing away.
Wikipedia
Daily Hitchens
Christopher Hitchens: tributes and reactions
The indefatigable author, journalist and 'valiant fighter against all tyrants' Christopher Hitchens has died, aged 62. We round up the reactions of his friends and admirers
The Guardian, 16 Dec. 2011
The last video on this list is a three hour recording:
Christopher Hitchens joined Book TV for a three hour interview on Sunday, September 2. Mr. Hitchens is a contributing editor to Vanity Fair magazine and a visiting professor of liberal studies at the New School. He is the author of over a dozen books including "The Missionary Position: Mother Teresa in Theory and Practice," "No One Left to Lie To: The Values of the Worst Family," "Why Orwell Matters" and "God is Not Great: How Religion Poisons Everything."
Nachtrag vom 20.12.2011:
Michael Fitzpatrick
From revolutionary student to Byronic celebrity
Michael Fitzpatrick recalls his first meeting with Christopher Hitchens 40 years ago, when there was more to him than flashy posturing.
SP!KED, 20 Dec. 2011
He loved to take position, be outspoken as almost no one else, be critical at an utmost level. He didn't give in. Now we mourn his passing away.
Wikipedia
Daily Hitchens
Christopher Hitchens: tributes and reactions
The indefatigable author, journalist and 'valiant fighter against all tyrants' Christopher Hitchens has died, aged 62. We round up the reactions of his friends and admirers
The Guardian, 16 Dec. 2011
The last video on this list is a three hour recording:
Christopher Hitchens joined Book TV for a three hour interview on Sunday, September 2. Mr. Hitchens is a contributing editor to Vanity Fair magazine and a visiting professor of liberal studies at the New School. He is the author of over a dozen books including "The Missionary Position: Mother Teresa in Theory and Practice," "No One Left to Lie To: The Values of the Worst Family," "Why Orwell Matters" and "God is Not Great: How Religion Poisons Everything."
Nachtrag vom 20.12.2011:
Michael Fitzpatrick
From revolutionary student to Byronic celebrity
Michael Fitzpatrick recalls his first meeting with Christopher Hitchens 40 years ago, when there was more to him than flashy posturing.
SP!KED, 20 Dec. 2011
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