Freitag, 31. August 2018

Safety versus Freedom

Does Our Cultural Obsession With Safety Spell the Downfall of Democracy?

By Thomas Chatterton Williams, NYT


THE SPLINTERING OF THE AMERICAN MIND
Identity Politics, Inequality, and Community on Today’s College Campuses
By William Egginton
263 pp. Bloomsbury. $28.

THE CODDLING OF THE AMERICAN MIND
How Good Intentions and Bad Ideas Are Setting Up a Generation for Failure
By Greg Lukianoff and Jonathan Haidt
338 pp. Penguin Press. $28.

In this review Thomas Chatterton Willliams frist refers to the so called "How-To"-affair of THE NATION and goes on to remark:

If it feels as though we no longer know how to speak or listen in good faith to one another, it’s because we don’t. This is the kind of controversy that might have seemed overblown as recently as the start of the Obama administration. Today it arrives with frequency and fervor — a marker of the country’s rapidly shifting mores, which are the product of new generations increasingly fluent in, in thrall to and in fear of the hyperspecialized language and norms of academia. Whether you even find the above exchange intelligible reveals a great deal more than merely your political bent, touching on aspects of age, education and geography — not to mention distinctions of race and class.

Read more in the NYT 
Auf deutsch siehe Artikel von Haimo L. Handl: Sprachpolizei
 

Donnerstag, 30. August 2018

Lesekultur in Ägypten – und bei uns

Lesekultur in Ägypten 

Der Bücher-Retter von Kairo


Anmerkung:
Bei uns in Österreich gibt es Bibliotheken und Büchereien, aber wenige Besucher (außer Schulklassen und Kindergärten), kaum Berufstätige, die Bibliotheken aufsuchen (außer Studenten, die irgendwie müssen). Und was wird gelesen? Unterhaltungsware, meist industrieübersetzt aus der Leitkultur (Amerika), Ratgeber, Ratgeber, Hilfsbücher, Kochbücher usw.   
Eine unserer Bibliothekarinnen musste bei einem Kurs zur Bibliothekarsaus- und Weiterbildung hören, wie eine Mitarbeiterin entrüstet berichtete, dass ihre Büchereileiterin darauf bestehe, dass auch Klassiker wie Schiller und Goethe im Programm gehalten werden. Das sei doch völlig unnütz! Was ist nützlich?
Die Lesekultur ist auch hierzulande gesunken und schwach. Zu unserem Bücherangebot der Bibliothek Gleichgewicht wurde von vielen bei dem oben erwähnten Kurs angemerkt, es sei zu elitär, von oben herab wirkend, abgehoben. Die Devise scheint zu lauten: einfach, leicht, unbeschwert, erholsam, unterhaltend, ablenkend, zerstreuend, ja nicht fordernd, widersprüchlich erscheinenend oder zu viele Fragen aufwerfend. Alles andere verstört, schreckt ab, hält fern. Eine falsche Selbstbescheidung, eine Verlogenheit wird tagtäglich eingeübt. Auch von Bildungseinrichtungen, zu denen ja auch Büchereien und Bibliotheken gehören.

5. Todestag von Seamus Heaney

Seamus Justin Heaney (* 13. April 1939 nahe Castledawson, County Londonderry, Nordirland; † 30. August 2013 in Dublin) war ein irischer Schriftsteller und 1995 der Empfänger des Nobelpreises für Literatur.

Wikipedia
Abbildung aus Wikipedia






Unser freitaglicher JOUR FIXE in der Bibliothek Gleichgewicht widmet sich am 31.8.2018 Seamus Heaney (17 Uhr, wie immer).








Mittwoch, 29. August 2018

Offenheit – Zur Erinnerung ...

Zur Erinnerung, zwei Artikel von Volker Reinhardt aus der NZZ von heuer und letztem Jahr:

Die Freiheit des Denkens muss grenzenlos sein

Die Inquisition verfolgte alles, was nicht ins herrschende Weltbild passte. Viel haben wir seither nicht dazugelernt.
Volker Reinhardt 27.4.2018, NZZ

Die Vergangenheit kehrt zurück

Wir sind aufgeklärt und digitalisiert. Wir sind abergläubisch, irrational und praktizieren vormoderne öffentliche Strafrituale. Ganz so wie im 16. Jahrhundert.
Volker Reinhardt 4.12.2017, NZZ

Und als Schlusssatz:

Kein Hirt und eine Herde! Jeder will das Gleiche, jeder ist gleich: wer anders fühlt, geht freiwillig ins Irrenhaus.
Nietzsche: Also sprach Zarathustra. Abschn. 5

Dienstag, 28. August 2018

Accusation of anti-Semitism as strongest killing weapon

Two articles from the US magazine COUNTERPUNCH highlight a very serious problem which presently darken the politics of the Western states, notable in the US and Great Britain. It is worth to read them carefully and to activate ones own cognitive faculties!

Defining Anti-Semitism, Threatening Free Speech




Corbyn is Being Destroyed, Like Blowing Up a Bridge to Stop an Advancing Army




Sonntag, 26. August 2018

Beschränkte Literatur


Haimo L. Handl

Beschränkte Literatur

Die Bewertungskriterien für kulturelle oder sportliche Leistungen sind in zwei extrem entgegengesetzten Bereichen angesiedelt: Einerseits die Dominanz des Nationalen, dem sich die Künstlerin oder der Sportler unterwirft, eingliedert, darin aufgeht, als ob es nicht um ihre oder seine Leistung ginge, sondern die des Landes, aus dem er kommt, das ihn, mehr oder weniger, finanziert bzw. moralischen Rückhalt und Auftrieb gibt. Es gilt das Kollektiv. Andererseits die personale Fokussierung, der Starkult, der in einer Überhöhung über alle Grenzen hinweg eine Art von Globalwert schafft, dem die Märkte weltweit folgen, über alle Grenzen und Kulturen hinweg.

Auch in den Wissenschaften wird oft auf die Nation reduziert, wenn öffentliche Preisungen erfolgen, aber in weit geringerem Maßstab als in den anderen Bereichen. Zwar versuchen einige unverbesserliche Nationalisten oder religiöse Ideologen auch Wissenschaft ihrem dunklen Reich dummer Chauvinismen ein- und unterzuordnen, aber es gelingt nicht überzeugend, wie im Kulturbereich. Die Naturwissenschaften lassen sich nicht nach nationalen Ansprüchen auf- oder abwerten, die sogenannten Naturgesetze gelten allgemein und nicht partikular.

Das Partikulare, Besondere, Eigene bzw. Eigentliche herrscht nur in der Ideologie, wovon der bornierte Nationalismus und Chauvinismus und die niederhaltenden Religionen Teilbereiche darstellen, ebenso die schier unausrottbaren Rassismen.

Als grober Raster mag es ja noch hingehen literarische Produkte nach nationaler Herkunft zu unterscheiden. Also Romane aus Chile, den USA, Island, Frankreich oder Deutschland oder sonst woher. Aber das erklärt wenig. Was ist gesagt, wenn man die Herkunft kennt? Gibt es für russische Literatur gemeinsame Merkmale, für chinesische, japanische, indische, mexikanische oder alpine, bayerische, schweizerische, österreichische? Nur schlichte Reduktionisten, die kein höher entwickeltes Denkvermögen eignen, geben sich mit solchen Erklärungen zufrieden. Worin ähneln sich z.B. österreichische Schriftstellerinnen und Literaten? Im vorauseilenden Gehorsam, im durch die überlange Habsburgermacht oktroyierten Duckmäuserverhalten, im Schweinigeln, in besonderer Sprachempfindsamkeit oder tief verankerter Misanthropie? Da die Gesellschaft sich veränderte, und trotz anderer Bemühungen sich weiter verändert, wechselten auch die Österreich-Kriterien. Worin liegen die Unterschiede? Wie macht man sie fest?

Die Sprache prägt. Sagt man. Die Nation auch, ebenso die Religion. Wie weit? Erlaubt die Sprache kein eigenes Sprechen? Ist eigenes Denken gegen die nationalen oder religiösen Werte unmöglich? Wirkt das religiöse oder nationale Wertsystem determinierend, so dass niemand Atheist sein könnte oder Kosmopolit oder einfach jenseits nationaler Rekurse? Die Herkunftsapostel sind Gewalttäter, sie verlangen die Unterwerfung, die Auslieferung an das System, an ihre Glaubenswelt. Sie machen aus ihrer tiefen Angst vor der Freiheit, der individuellen, ein Schreckgespenst, dem sie mit Terror, Einschüchterung und falschen Reklamationen, Schranken, Barrieren und Mauern (interessant, dass nach dem Fall der DDR-Mauern ausgerechnet Israel Mauern aufbaute!) entgegnen. Man sprach früher von Scheren in Köpfen, von Zensur. Man sollte mehr vom Anpassungsdruck dieser geschlossenen Terrorwelten sprechen, die das Denken vergiften und das Allgemeinmenschliche.

In der Sicht der Einfachen, der Beschränkten, scheint die Psychoanalyse nur im niedergehenden Wien gründbar gewesen zu sein, bestimmt die Sprache den Nationalcharakter, weshalb Hegel nur in Deutschland möglich war, oder ein Nietzsche oder Spengler oder gar Heidegger. Dostojewski ist außerhalb der russischen Sprache nicht zu denken. Und einige russische Klassiker ebensowenig. Sind es die Sprachen, die den Boden für das Denken und literarische Schaffen bereiten und auch bestimmen, einschränken? War das früher, vor der Globalisierung ebenso? Schafft die Globalisierung ihren eigenen Druck, ihre eigene, genuine Determinierung? Sind es die politischen Zustände? Wie kann jemand von Freiheit denken und schreiben, wenn er in Unfreiheit lebt? Wie frei war man in Frankreich, Deutschland, Österreich oder Russland im 19. Jh., im 20. Jh. und wie frei ist man jetzt, heute hier und dort? Von welcher Freiheit reden wir? Von welcher sollten wir reden?

Wie wertvoll könnte eine Literatur sein, die nicht mehr nach irgendwelchen nationalen Charakteristika bewertbar scheint, die nichts von der Herkunft der Autorin oder des Autors verrät, außer der Sprache, und die nur reklamiert, nach sprachlichen und literarischen Kriterien bewertet zu werden und nicht nach denen des Geschlechts, der Religion oder Nationalität und Ethnie. Eine Literatur, die also nicht stereotyp „global“ erscheint, sondern eine Persönlichkeit in der Sprache erkennen lässt, trotzdem aber nicht nach den üblichen Kriterien festmachbar wäre. Könnte so eine Literatur gehaltvoll sein? Ja, klar.

Auch hoch Gebildete, sonst gescheite Leute versteigen sich als Ideologen zu unhaltbaren Aussagen und Urteilen. George Steiner, dessen Werk ich fast gesamt kenne und generell überaus schätze, hat 1959 den Artikel „The Hollow Miracle“ verfasst, worin er argumentiert, dass allein schon die deutsche Sprache zum Faschismus führte, führen musste. Und mehr noch, dass die deutsche Sprache für immer nicht reparierbaren Schaden genommen habe. Das ist wissenschaftlich unhaltbar, und wurde auch von Sprachwissenschaftler und Linguisten kritisiert. Die Attacke dokumentiert denn auch mehr die ideologische Kampfposition und die Absage an wissenschaftliches Denken, obwohl Steiner sich sonst bemüht, äußerst kundig und belesen und rational zu interpretieren. Hier aber hat ihn die Angst übermannt und der Erinnerungsterror der Nazizeit. Der besagte Artikel war 1959 geschrieben und 1960 in der Zeitschrift „Reporter“ veröffentlicht worden. Als ihn Steiner in seiner Anthologie „Language & Silence“ wiederveröffentlichte, ging er in einer Fußnote kurz auf die Problematik ein, nahm aber nichts von seiner ideologischen Hetzschrift zurück.

Eine fundierte und wissenschaftlich gedeckte Arbeit zur deutschen Sprachgeschichte bzw. der Sprachentwicklung findet sich in Peter von Polenz‘ Buch „Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart“, das 1999 erschien, worin der Autor zur Problematik der „beschädigten Sprache Deutsch“  sich äußert und kurz die Abverurteilung von George Steiner relativiert und entkräftet.

Bemerkenswert erschien mir die Rezension von Steiners „Language and Silence“ des britischen Linguisten und Sprachwissenschaftlers David Crystal unter dem Titel „The defining mystery“. Nicht nur auf die allgemeine Vagheit der schwachen philosophischen Argumentation von Steiner geht er ein, sondern besonders auf die linguistisch nicht haltbaren, schwammigen Aussagen. Als linguistischer Experte (im Internet findet man in seiner Homepage seine vielfältigen Publikationen verzeichnet!) fasst er kühl und trocken sein Verdikt:

„His aim is not literary criticism, but rather – „a philosophy of language,“ which he feels is prerequisite for a real understanding of society.“

“This is the aim, but Steiner does not succeed in it. His observations about language are too unconnected, vague und frequently wrong to provide much basis for anything as systematic as philosophy. The main objection a linguist would have to Steiner’s approach is his facile animism. He believes that ‘languages are living organisms’ that ‘have in them a certain life force, and certain powers of absorption and growth.” This is quite a popular notion, but it is rarely argued these days at quite such an intellectual level. One finds a fallacy of this kind in Schlegel and other nineteenth-century Darwinian-influenced philologists, but no longer.”

“Even Benjamin Lee Whorf, who came closest to this view, would have been most upset. ‘Everything forgets. But not a language,’ says Steiner. Really! This is personification asking to be taken literally. Language has no independent existence of its own, and it certainly cannot pre-empt human functions. The life force, the sensibility of a culture belongs to the users of a language, and not the medium, the tool. To confuse the two may lad to powerful rhetoric for a while, but the end-product is unconvincing (cf. his identification of the German language and spirit in his controversial ‘The hollow miracle’, for example).”

Das sagt genug aus, klar und deutlich. Was mich damals, als ich die Anthologie las, überraschte, war die Widersprüchlichkeit und Unsinnigkeit seiner Position angesichts an anderen Stellen geäußerter Preisungen sprachlicher Schöpfungen in anderen Sprachen als Deutsch. Nicht nur, dass er das Englische und Französische unbeachtet ließ, sondern vor allem das Russische. Welche Humanität konnte, immer der Unlogik Steiners folgend, denn diese Sprache transportieren? Erlaubte die Sprachentwicklung des Russischen doch kein freies Denken, sie musste also, ähnlich wie das Nazideutsch, vergiften, infektuös erkrankt freies Denken und Ausdrücken verhindern usw. Aber dazu keine kritischen Gedanken. Wenn es aber in anderen Sprachen nicht galt oder gilt, was er vom Deutschen fand, wobei er anmaßend noch behauptete, dass eine Weiterentwicklung, eine Änderung nach solchem Schaden gar nicht mehr möglich sei, dann müsste es ihm doch gedämmert haben, dass er als Propagandist, als Heiliger Krieger im ideologischen Kampf auftrat und nicht als rational argumentierender Kritiker. David Crystal hat das in aller Kürze gut zusammengefasst.

Theodor W. Adorno hat aus ähnlichen ideologischen Gründen gemeint, dass nach Ausschwitz es nicht möglich sei, Gedichte zu schreiben. Er hat diese Aussage später etwas abgemildert, nie aber einer strengen Prüfung unterzogen, wie er es vom Gegenüber immer gefordert hatte. Hier versteckt sich eine abgrundtiefe Schwäche, eine überaus starke Verletzung, die, ähnlich wie bei Hiob, nicht weiter bedacht wird, weil sonst alles, was er lebt und woran er sich orientiert, zusammenbricht.

Es ist bemerkenswert, dass Autoren wie Adorno oder Steiner argumentieren, wie sie es tun, andererseits sich negativ verurteilend über Gegner äußern, die aber von einer ähnlich unhaltbaren Sprachauffassung ausgehen, wie z.B. Martin Heidegger. Dieser spricht von einem Eigenwert, einem Eigenleben der Sprache (die Sprache spricht), genau davon, was Crystal bei Steiner als unlautere Personifikation in einem animistischen Modellbild abwertet und zurückweist. Hölderlin, der ebenfalls die linguistisch unhaltbare Position der göttlichen Eigenheit, eines Eigenlebens der Sprache einnahm, wird aber gepriesen, weil er nicht wie Heidegger politisch und ideologisch negativ gepolt ist bzw. mögliche Reklamationen von vornherein umgedeutet werden. Hölderlin ist, wie später Paul Celan, heilig gesprochen und über jede Kritik erhaben. Damit wird Zauberei und Religionsausübung gepflegt, nicht aber offener, kritischer Umgang. In diesem bleibt die Sprache nämlich ein Mittel oder Medium, ein Werkzeug, und jeder entwickelnden Veränderung offen.

Für unsere Überlegung „beschränkte Sprache“ bzw. Wert der Herkunft, des Nationalen usw. für die verwendete Sprache wäre eine aufmerksame, historische Betrachtung schon interessant genug, lange, bevor wir philosophisch und des Problems annähmen. Denn sie würde zeigen, dass in ein und demselben Sprachraum unterschiedliche Verwendungsarten, Gebräuche, erfolgten, die keine einheitliche Charakterisierung erlauben. Offensichtlich war dem vom Holocaust davongekommenen Celan es möglich, in der "Sprache der Täter" zu denken, zu reden, zu schreiben. Weshalb wohl? Weil sie nicht nur die Tätersprache war. Weil das, was das Nazistische auszeichnete, im Sprachgebrauch entsprechend einem inhumanen Wertsystem, vor- und aufzufinden war, und nie in der Sprache selbst. Inhumane Verwendungen, sogenannter missbräuchlicher Gebrauch, gibt es, unabhängig der Definition, wer den korrekten Gebrauch vorgibt und verbürgt, ab wann weshalb von einem missbräuchlichen Gebrauch gesprochen werden kann oder soll, immer und überall. Kein Werk ist gefeit von „Falschen“ falsch gebraucht zu werden. Jedes Wort kann gedreht und gedrechselt werden (er dreht mir das Wort im Mund). Allein durch Kontextänderungen können Werke, Botschaften in ihr Gegenteil verkehrt werden. Bleibt eine Bach-Kantate was sie ist oder war, oder verändert sie sich, wenn von Nazis oder anderen Schergen und Verbrechern aufgeführt und für Propaganda eingesetzt? Und ähnlich mit allem, was kulturell als Werk vorliegt. Welche Lektüre, welche Deutung ist die annehmbare, die gute, die approbierte? Soll nur Approbiertes rezipiert werden? Wer sollte dann die Imprimatur erstellen, wer die Deutungshoheit innehaben und über sie wachen? Soll eine Gruppe sich überhaupt eine Deutungshoheit anmaßen dürfen? In einer freien Gesellschaft nicht. In den herkömmlich unfreien schon. Wessen Anwälte sind da die vermeintlichen Puristen? Der Kader, die das Richtige vorgeben? Oder der Einzelnen, der Individuen? (Dass sogar Anwälte wie Steiner und Adorno hier ins Schleudern kommen, sagt einiges über das schwierige Feld, auf dem wir uns bewegen, aus.)

Wir leisten also Literaten, die aus Marktgründen, aus Kalkül so oder anders schreiben? Die am Preiszirkus mitmachen und sich wie Huren anbiedern und verkaufen. Wir haben einen Journalismus, dessen Sprachkompetenz immer dramatischer abnimmt, weil das Einfachsprech so bequem und ökonomisch ist. Aber eben, und das ist doch bemerkenswert, wir haben nicht nur diese Seite, diese bekümmerliche Negativität, sondern auch die Gegenseite, die offene Dimension hochgradiger Komplexität, die im Moment, gegenwärtig, halt nur für wenige gilt, die aber deswegen nicht nicht-existent ist.

Heute wird der Einfluss der Globalisierung oft als Merkmal eines Qualitätsverlustes gesehen, insbesondere in den Künsten (bildende Kunst, Musik) und in der Literatur. Wenn sich tatsächlich alles angliche zu einem stereotypen Brei an Gemurmel und Gekeuche einerseits oder einlullenden Klangbilden andererseits, wie es ja oft festzustellen ist, dann würde ich das Augenmerk zuerst auf die Lebensbedingungen der Schaffenden richten und auf ihre Publika, da ja eine Art wechselseitige Abhängigkeit zwischen Künstlern oder Schriftstellerinnen und dem Publikum besteht, und andererseits nach den Wertsystemen fragen, die sich offensichtlich in bestimmten Bereichen angeglichen haben. Aber ich meine, ich könnte dennoch, vor diesem Breimeer Seen eigener Art, eine Andersheit, ausfindig machen. Und wenn nicht, dann müssten die Sensoren verfeinert werden, um das einheitlich Grobschlächtige vom Feinen zu unterscheiden. Das ist aber kein neues Phänomen. Dennoch, was den einen als Mangel erscheint, z.B. das Fehlen der Herkunftsmerkmale (Rasse, Geschlecht, Nation usw.), ist anderen ein Erfolg. Mich freute es, wenn Texte von Frauen nicht als Frauentexte in feministischen Sonderzonen publiziert und rezipiert werden, wenn überhaupt nicht mehr nach Gender gefragt wird, und schon gar nicht nach Ethnie oder Nation oder Religion, sondern nach dem Stoff und seiner Qualität.

Das heißt, wir müssen unterschiedliche Beschränkungen genau unterscheiden und werten. Mich interessiert primär weder europäische oder nationale Literatur, wäre aber höchst unglücklich, wenn ich mich aus irgendwelchen Gründen auf afrikanische oder asiatische richten sollte oder müsste. Unabhängig, dass auch das reichste Leben nicht ausreicht, alles oder viel (das ist ja so relativ!) wahrzunehmen oder sich damit auseinanderzusetzen, wäre eine Doktin des Gleichwertigen nur eine dumme Vorgabe für Vielfresser, die alles, wirklich alles fressen, weil sie angst haben zu wählen oder Vorlieben (die werden von den Minderbemittelten als Vorurteile aufgefasst) zu entwickeln. [Ich wundere mich, dass solche Opfer noch Beziehungen eingehen, weil die nie „gerecht“ sein können und immer falsch sind: warum keinen Schwarzen gewählt, warum keine Asiatin, warum eine Serbin usw.? Weshalb keinen Schweizer oder Schweden? Warum überhaupt eine Beziehung?]

Samstag, 25. August 2018

100. Geburtstag von Leonard Bernstein

Leonard „Lenny“ Bernstein (geboren als Louis Bernstein am 25. August 1918 in Lawrence, Massachusetts; gestorben am 14. Oktober 1990 in New York City, New York) war ein US-amerikanischer Komponist, Dirigent und Pianist.

Wikipedia
Abbildung aus Wikipedia
















Mittwoch, 22. August 2018

40 Todestag von Ignazio Silone

Ignazio Silone (* 1. Mai 1900 in Pescina/Abruzzen; † 22. August 1978 in Genf; Geburtsname Secondino Tranquilli) war ein politisch engagierter italienischer Schriftsteller.
Erst im Schweizer Exil begann Silones Schaffen als Schriftsteller. Hier schrieb er Fontamara und die Bücher über Pietro Spina: Pane e vino (Brot und Wein) und Il seme sotto la neve (Der Samen unter dem Schnee), in denen er sich unter anderem mit seinem eignen Leben und seiner Sichtweise über den Sozialismus auseinandersetzte. In dieser Zeit entstand auch Der Faschismus – seine Entstehung und Entwicklung.[2] Im Gegensatz zu diesem Sachbuch, das zunächst auch im Nachkriegsitalien nicht verlegt werden durfte,[3] fanden seine ersten beiden Romane als Untergrundliteratur im faschistischen Italien ihre Leser.
Etwa 1930 ging Silone ins Schweizer Exil.
Im Exil betätigte sich Silone weiterhin politisch. So hatte er ab 1939 die Leitung des sozialistischen Auslandbüros inne. 1941 und 1943 wurde er interniert, da er gegen das Verbot der politischen Betätigung verstoßen hatte. 
Nach seiner Rückkehr nach Italien 1944 war Silone weiter im PSI aktiv und nahm als einer seiner Delegierten an der konstituierenden Nationalversammlung teil. Er wurde 1945 in die Direktion der sozialistischen Zeitung Avanti! berufen und leitete ab 1947 außerdem noch die von ihm mitgegründete Zeitung Europa Socialista (Sozialistisches Europa). Nach der Spaltung des PSI, bei der Silones Sympathien offenbar bei dem sozialdemokratischen Flügel lagen, entschloss er sich zum weitgehenden Rückzug aus der Politik und widmete sich vor allem der schriftstellerischen Tätigkeit.

Wikipedia







Dienstag, 21. August 2018

Montaigne, De l'Experience


Montaigne, Michel Eyquem de , Les Essais

( Eds. P. Villey and V.-L. Saulnier - online edition by P. Desan, University of Chicago )


Chapitre 13
 
--1065—

De l'Experience 

Il n'est desir plus naturel que le desir de connoissance. Nous essayons tous les moyens qui nous y peuvent mener. Quand la raison nous faut, nous y employons l'experience, 

Per varios usus artem experientia fecit:
Exemplo monstrante viam,
 
qui est un moyen plus foible et moins digne; mais la verité est chose si grande, que nous ne devons desdaigner aucune entremise qui nous y conduise. La raison a tant de formes, que nous ne sçavons à laquelle nous prendre; l'experience n'en a pas moins. La consequence que nous voulons tirer de la ressemblance des evenemens est mal seure, d'autant qu'ils sont tousjours dissemblables: il n'est aucune qualité si universelle en cette image des choses que la diversité et [0478v] varieté. Et les Grecs, et les Latins, et nous, pour le plus expres exemple de similitude, nous servons de celuy des oeufs. Toutesfois il s'est trouvé des hommes, et notamment un en Delphes, qui recognoissoit des marques de difference entre les oeufs, si qu'il n'en prenoit jamais l'un pour l'autre; et y ayant plusieurs poules, sçavoit juger de laquelle estoit l'oeuf. La dissimilitude s'ingere d'elle mesme en nos ouvrages; nul art peut arriver à la similitude. Ny Perrozet ny autre ne peut si soigneusement polir et blanchir l'envers de ses cartes qu'aucuns joueurs ne les distinguent, à les voyr seulement couler par les mains d'un autre. La ressemblance ne faict pas tant un comme la difference faict autre. Nature s'est obligée à ne rien faire autre, qui ne fust dissemblable. Pourtant l'opinion de celuy-là ne me plaist guiere, qui pensoit par la multitude des loix brider l'authorité des juges, en leur taillant leurs morceaux: il ne sentoit point qu'il y a autant de liberté et d'estendue à l'interpretation des loix qu'à leur façon. Et ceux là se moquent, qui pensent appetisser nos debats et les arrester en nous r'appellant à l'expresse parolle de la Bible. D'autant que nostre esprit ne trouve pas le champ moins spatieux à contreroller le sens d'autruy qu'à representer le sien, et comme s'il y avoit moins d'animosité et d'aspreté à gloser qu'à inventer.



Prager Frühling – eine kurze Romanze


Haimo L. Handl

Freunde hatten mich angefragt, ob ich zum 50jährigen Gedenken der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings etwas schreiben werde. Ich sann nach, und schreibe jetzt nur, dass ich eigentlich nichts dazu schreibe, weil meine Enttäuschung, meine Abscheu, mein Widerwille gegen die Nachfahren der damaligen Machthaber (es war ja nicht nur die USSR, sondern die willigen, treuen Warschauer Pakt-Staaten Polen, Ungarn und Bulgarien, die einmarschierten; Rumänien und Albanien verweigerten die „Bruderhilfe“; die Scharfmacher aus der DDR nahmen nicht direkt an der Okkupation teil) zu tief sitzt, weil das Projekt des „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ nicht trug, eine trügerische Hoffnung war die, wenn sie wahr geworden wäre, nur bewiesen hätte, dass Sozialismus (Kommunismus) inhuman, unmenschlich ist, was die kommunistischen Realpolitiker nie zulassen wollten, dass solches Denken sich breit mache  – und lange damit Erfolg hatten. Heute ist Sozialismus oder Kommunismus keine Frage mehr. Sie interessiert nicht einmal historisch.

Die Tschechen waren aber nicht einfach Opfer des Warschauer Paktes. Die Gesellschaft war gespalten und der Anteil der „echten Kommunisten“, der moskautreuen, war hoch. Die Echten regierten in allen Satellitenstaaten. Nur das kleine Albanien scherte aus mit einem noch schrecklicheren Diktator, Rumänien hatte aus Führungsgründen des eigenen Diktators und seiner Frau sich abgesondert. Und Tito spielte seine Sonderrolle als Ergebnis seiner Nachkriegspolitik.

Die Tschechen, die Mehrheit zumindest,  hatten 1948 sich selber diktiert und 1968 wieder, immer mit Hilfe des Großen Bruders, aber stets willentlich und überzeugt. Die spätere „Samtene Revolution“ war keine, sondern Ergebnis eines Aufweichungsprozesses, der den ganzen Osten befallen hatte.

Heute erinnern sich wenige an 1948 oder 1968 oder 1989 (Systemwechsel, von vielen als Hinwendung zur Demokratie gesehen, was eine Täuschung war), trotz der überaus vielen Dokumentation im Fernsehen oder im Internet. Das historische Bewusstsein ist kurzlebig und löchrig. 

Die EU hat den Tschechen und Slowaken, die sich 1993 friedlich von den Tschechen trennten, mit enorm hohen Finanzmitteln unterstützt, was aber deren Wertschätzung der EU nicht steigerte oder stabilisierte. Sie nahmen, was sie meinten, dass es ihnen zustehe, und spuckten zurück in den Topf, aus dem sie soffen und fraßen. Heute sind beide Gesellschaften neokapitalistisch organisiert, extrem xenophob, neidig, korrupt und unsolidarisch. Viele in CZ oder der SK leben auf Pump und fast alle schwelgen in nationalchauvinistischen Gefühlen. Sie wollen, wie die faschistisch gewordenen Polen oder Ungarn, nur die Rosinen aus dem EU-Kuchen. Sie erstarken in faschistoiden Politiken und kleinbürgerlichen, bornierten und zugleich egoistischen Abwehrhaltungen. 

Alles, was man 1968 den Östlern in der damaligen CSSR positiv zuschrieb, haben sie selbst entwertet. Der „bessere Teil“ ist also vor die Hunde gegangen und heute regieren wieder alte Seilschaften neben den hochgekommenen Superreichen. Ein Trauerspiel und eine Schande.

Ich will in das Gerede von Frühling und Revolution nicht (mehr) einstimmen. Wenn Besinnung, dann Klagelieder.


Ein Artikel, der heute mittag in der NZZ erschien, zeigt die Polarisierung und die Malaise auf:

Das Gedenken an den Prager Frühling löst in Tschechien erbitterte Kontroversen aus

In Tschechien lösen der russlandfreundliche Präsident und die Kommunisten zum 50. Jahrestag der Niederschlagung der Reformbewegung Kontroversen aus. Sie spiegeln die Polarisierung im Land.