Sonntag, 30. September 2018

75. Todestag von Franz Oppenheimer

Franz Oppenheimer (geboren am 30. März 1864 in Berlin; gestorben am 30. September 1943 in Los Angeles) war ein deutscher Arzt, Soziologe, Nationalökonom, der sich auch für Zionismus einsetzte.

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As a writer sees it


INTERVIEWER
You have said that writing is a hostile act; I have always wanted to ask you why.

JOAN DIDION
It's hostile in that you're trying to make somebody see something the way you see it, trying to impose your idea, your picture. It's hostile to try to wrench around someone else's mind that way. Quite often you want to tell somebody your dream, your nightmare. Well, nobody wants to hear about someone else's dream, good or bad; nobody wants to walk around with it. The writer is always tricking the reader into listening to the dream.

From an interview by Linda Kuehl with Joan Didion, published by the Paris Review, Issue 74, Fall-Winter 1978

Opfergesellschaft


Haimo L. Handl

Die prosperierende Opfergesellschaft

Das gesellschaftliche Differenzierungsvermögen oder, besser gesagt, die Fähigkeit zu differenzieren ist für eine Mehrheit in unseren Gesellschaften extrem reduziert und teilt die Welt manichäisch in gut und böse, hell und dunkel. Täter und Opfer. Die Realitäten sind anders, aber die simplifizierende Wahrnehmung erleichtert die Abwehr einerseits, die Reklamation und Forderung andererseits. Diese Reduktionssicht wird zudem nicht kritisch argumentiert, sondern als authentischer Ausdruck auf- und entgegengestellt. Es geht nicht mehr um Überzeugen oder Verstehen, es geht um Annahme oder Ablehnung, Gefolgschaft oder Feindschaft.

Dabei stimmen viele Äußerungen, auch wenn sie pauschal vorgebracht werden bzw. wenn die reklamierten Fälle verjährt sind. Die Missbrauchsfälle der katholischen Kirche sind so ein Tatbestand und Skandal. Aber was geschieht gerade mit dieser riesigen Organisation? Der Staat interveniert nicht, setzt Rechte gegen die Täter nicht durch, behandelt die Organisation z. B. nicht als kriminelle Vereinigung. Er könnte die Herausgabe der Originaldokumente erzwingen, er könnte, anders als soeben in Deutschland, auch die Klöster, die Brutstätten sexueller Verbrechen über Jahrzehnte, die kirchlichen Sozialeinrichtungen untersuchen. Er könnte Druck machen. Vor allem über die Finanzierung und der Durchsetzung rechtsstaatlicher Mittel, wie es überall sonst „normal“, regulär wäre. Die „Sonderbehandlung“ (ein schreckliches Wort, hier aber angemessen) ist eigentlich eine Kollaboration mit dem Verbrechen. Die öffentlich bekundete Scham und Reue der Bischöfe ist ja rührend. Sie ersetzt aber nicht die Rechtsprechung und entsprechende Verfolgung. Sie beschwichtigt und hilf, den Gerichtsgang zu vermeiden. Die Kirche als Staat im Staate. Unerträglich. Dabei könnte der Staat diese Organisation ganz hart treffen: durch die Einstellung jeder Finanzierung. Er will nicht. Die Kirche ist politisch wichtiger als „Unregelmäßigkeiten“ abzustellen und zu ahnden.

[Dass die Kirche nach dem 1. Weltkrieg in der Ersten Republik nicht enteignet wurde, ebensowenig wie die Aristokratie, die so vernichtend gewirkt hatte, stellt ein historisches Versäumnis dar. Es erfolgten zwar einige Verstaatlichungen, aber viel zu geringe und zu wenig radikale, als dass man von einer adäquaten historischen Antwort sprechen dürfte.]

Die Macht der Kirche war und ist stark. Sogar im Josephinismus konnte sie nur gemindert, nicht wirklich kontrolliert werden. Auch später wurden in Österreich Maßnehmen für eine saubere Trennung von Staat und Kirche geschwächt und nicht durchgezogen. Viele sehen immer noch in der Kirche eine normgebende, moralische Anstalt, der sie mit Ehrfurcht begegnen. Diese Ehrfurcht verhindert einen offenen Umgang mit dieser Organisation. Als Furcht paralysiert sie. Sie hilft den Herren, sprich dem System.

Die vielen Opfer mit ihren sozialen Hintergründen stehen nicht nur alleine da, sie werden durch diese Praxis gehöhnt. Klar, was verjährt ist, kann nicht behandelt werden wie etwas, das jetzt oder kürzlich geschah. Aber auch eine historisch-kritische Aufarbeitung wäre zu begrüßen, weil die immanenten Strukturen dieser mafiaähnlichen Organisation, die nicht nur den sexuellen Missbrauch begünstigte, sondern auch die aktive, erfolgreiche Vertuschung bis zur Perfektion übt(e), offengelegt würden.

Während ängstliche und wohl auch etwas beschränkte Menschen pauschal von der Lügenpresse schreien, wird die Lüge als Kulturbestandteil dieser Organisation geflissentlich negiert. Eigentümlich, nicht? Täter ist nicht gleich Täter, Opfer ist nicht gleich Opfer.

Zynisch wird das im Lichte der gegenwärtigen Bemühungen seitens der konservativen und faschistoiden Kräfte im Land, das Sexualstrafrecht zu verschärfen (neben anderen Maßnahmen, die vor allem gegen Asylanten gerichtet sind), aber hinsichtlich der Kirche, die eine horrible Geschichte von Missbräuchen aufweist, sich zurückhielt und zurückhält. Mit dem Fokus auf die Asylanten als verdächtige oder potentielle Missbrauchstäter, wie es vor allem die FPÖ unternimmt, lässt sich gut ablenken. Die Sündenbockstrategie scheint zu funktionieren.

Weiters fällt auf, dass die Gewalt in den Familien, der Missbrauch im Militär und, vor allem, in den Gefängnissen, nicht genügend problematisiert wird. Es gelten offensichtlich unterschiedliche Maßstäbe.

Ein anderer Problemfall: In der Psychologie wird eifrig geforscht, wie erlittene Traumata vererbt werden. Die Vererbung zeichnet dann neue Opfer als Opfer aus. So kann man dann Determinierungen feststellen und deuten. Die Befunde dienen aber auch einer Entlastung persönlicher Verantwortung: ich kann nicht anders, es ist genetisch fortgeschrieben, ich leide an Traumata, die mein Handeln bestimmen. Eine neue Form des Rassismus wird damit begünstigt.

Interessant dabei ist, dass, wenn dies der Fall wäre, man auch nachforschen müsste, was z. B. die Nazis, also jene Menschen, die als Nazis aktiv handelten, dazu gebracht hat sich zu verhalten, wie sie es taten. Welche vererbten Traumata hatten diese Opfer zu Tätern werden lassen? Wie verantwortlich konnten sie überhaupt sein? Oder gilt die Trauma-Erblehre nur für eine ausgewählte Opfergruppe? Wenn nicht, kommen wir in sehr schwierige Erklärnöte, was wie weit gilt, was nicht. Nicht nur das Konzept der Person und Persönlichkeit wackelt und steht auf dem Spiel, sondern auch das des „freien Willens“, einer Grundbedingung für „Verantwortlichkeit“. Aber ohne Verantwortung bzw. Verantwortlichkeit keine Schuld. Gibt es diese nicht, erübrigt sich jede Debatte hinsichtlich Verhalten und Handlungen. Wenn schon, dann ist die ideologische Stoßrichtung herausgekehrt und entwertet politisch-sozial das Konzept und die darauf beruhenden Maßnahmen.


Freitag, 28. September 2018

Austrian outlook in Chinese eyes

As China Digital Times reports:

Phoenix News Site Suspended for “Illegal” Coverage

The has suspended Phoenix New Media’s popular online news portal ifeng.com for “disseminat[ing] illegal and harmful information, distort[ing] news headlines, and shar[ing] news information in violation of rules.” The site’s technology channel will be suspended for a month, while its news and financial channels, app and mobile site will be suspended for two weeks. The shutdown of ifeng.com comes after newly-installed CAC chief Zhuang Rongwen vowed to clamp down on “negative elements” and promote “positive energy” last week. At the South China Morning Post, Nectar Gan reports:

The Cyberspace Administration of China (CAC) on Wednesday ordered Phoenix New Media’s news portal Ifeng.com to carry out a “thorough and in-depth rectification”.

[…] NYSE-listed Phoenix New Media is the second major Chinese news portal to fall victim to a new wave of tightened under Zhuang, who took over the helm of the powerful watchdog in August.

A briefing from TechNode explains why the suspension of the popular news portal is noteworthy: […] Online content providers, including news services and entertainment platforms, have faced increasing scrutiny from government departments. Short video platforms have been targeted for hosting “inappropriate” content in an effort to increase government controls over cultural content. ifeng.com’s suspension comes a week after CAC chief promised to further extend control over online spaces, saying “positive energy” should be promoted, while “negative elements” should be suppressed.

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It obviously could be that in near future the present Austrian government in its onslaught of the Austrian mass media will undertake similar measures to ensure the correctness of mass media reporting and to prevent any negative slandering and cheap propaganda against the true measures of the freely and democratioc elected government of Austria. Be prepeared to read:

The Cyberspace Administration of Austria (CAA) on Wednesday ordered Telekurier Online Medien GmbH & Co KG (FBN: 216605m; HG Wien), Internetdienste, 1190 Wien, Leopold-Ungar-Platz 1; Inhaber (Alleingesellschafter) der Futurezone GmbH (Internetdienste, Wien) news portal kurier.at to carry out a “thorough and in-depth rectification”. The goal of the government is to further extend control over online spaces, saying “positive energy” should be promoted, while “negative elements” should be suppressed. Other media as "Der Standard" or, especially, "Falter", are already banned from operation.

[…] NYSE-listed Telekurier Online Medien GmbH & Co KG is the second major Austrian news portal to fall victim to a new wave of tightened under Herbert Kickl (* 19. Oktober 1968 in Villach, Kärnten) an Austrian politician (FPÖ, now FAPÖ *)), since December 18, 2017 secretary of the interior of the Republic of Austria.
*) The extremist FPÖ - Freiheitliche Partei Österreichs - has acknowledged her fascistic heritage by changing the name to FAPÖ - Faschistische Partei Österreichs). As such, the new old party has strengthened the co-operation with Israel and China.

Donnerstag, 27. September 2018

155. Geburtstag von Hans Cornelius

Hans Cornelius (* 27. September 1863 in München; † 23. August 1947 in Gräfelfing) war ein deutscher Philosoph, Psychologe und Pädagoge. Er war Professor an der Universität Frankfurt am Main

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Mittwoch, 26. September 2018

Europäischer Tag der Sprachen

Europaweit werden 800 Millionen Bürger, die von den 47 Mitgliedstaaten im Europarat vertreten werden, ermutigt, in jedem Alter in und außerhalb der Schule mehr Sprachen zu lernen. Der Europarat fördert Mehrsprachigkeit in ganz Europa in der Überzeugung, dass sprachliche Vielfalt zu einem besseren Verständnis zwischenden Kulturen beitragen kann und zu den zentralen Bestandteilen des kulturellen Erbes unseres Kontinents zählt.
Auf Initiative des Europarats in Straßburg wird seit 2001 jedes Jahr am 26. September der Europäische Tag der Sprachen gefeiert.

Europäischer Tag der Sprachen (ETS)
Wir feiern die sprachliche und kulturelle Vielfalt
Siehe auch: ÖSZ - Österreichisches Sprachenkompetenzzentrum
 

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Zwischen eilfertiger Propaganda und dem praktischen Alltag klafft eine tiefer Abgrund. Das Englische ist die meist gesprochene und geschriebene Sprache in Europa, und Mehrsprachigkeit reduziert sich in den allermeisten Fällen auf Zweisprachigkeit. Aber viele, die sich munter im Denglischen üben, sind nicht in der Lage, auf Englisch längere Texte oder gar Literatur zu lesen, im Radio Texte zu verstehen oder Filmen zu folgen.
Dennoch klingt es "cool", wenn man sogar in der Heimatwerbung schreibt "Weinviertel goes Erntedankfest", wenn Erinnerungen nur noch "Reminder" sind und Bitten, etwas nicht zu vergessen, bedeutungsschwanger als "Save the date" daherkommen. Das verstehen alle. Das klingt modern. Man ist im Gefolge der Leitmacht, man macht mit, man läuft mit, man übt sich als Mitläufer, als Ein- und Angepasste(r). Man ist so modern, weil man Babysitter hat, die "babysitteten"(korrekt: baby sat)und man selbst alles "ok gemanadscht" hat.
Aber deutsche Genitivformen, Konjunktive und andere "Feinheiten" scheinen obsolet. Wer "wegen deiner" sagt, wird angesehen, als ob sie nicht deutsch könne, denn der Dativ ist zur Regel geowrden. Es ist nicht nur pingelig oder kleinlich wertzuschätzen, dass jemand noch neben den Formen des Präsens und Präteritum oder Perfekt (Gegenwart, Mitvergangenheit Vergangenheit) ein Plusquamperfekt (Vorvergangenheit) kennt bzw. auch ein Futur 2 (Vorzukunft). Der kundige, korrekte Gebrauch dieser Formen erlaubt eine Präzision und Komplexitätssteigerung, die in der überstrapazierten Mitvergangenheitsform untergeht. Klar, man versteht sich trotzdem. Aber das sprachliche Instrumentarium wird grobschlächtig, grobmaschig, klobig, einfach. 
Während viele begeistert von höchst präzisen Instrumenten, z.B. Weltraumteleskopen, schwärmen, also Apparaten, die mehr können als jede noch so große Teleskop-Anlage auf unserer Erde, geben sie sich im Sprachlichen mit einfachen oder einfachsten Instrumenten zufrieden. Da soll Basisdeutsch ausreichen, da wird der Vorteil, die bessere Leistungsfähigkeit komplexerer Sprache, negiert bzw. in Abrede gestellt. Was noch in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts Ziel war, nämlich Angehörige der minderen, restringierten Sprachkodes durch Schulung zu solchen elaborierter Sprachkodes zu machen, wird heute verächtlich beiseite geschoben, weil in der Reduktion eine eigentümliche Authentizität gesehen wird. Das Unterentwickelte, das Unentwickelte fordert Beachtung seiner Beschränktheit – und eine wertverstörte Mehrheit folgt. Sont gäbe es nicht die unseligen Kampagnen wie "Leichte Sprache", welche die "betreute Gesellschaft", die verwaltete, versorgte befördert und ausbaut.  
In Deutschland pflegen Weltfirmen bereits Englisch als Verkehrssprache. Man stelle sich vor: Nicht Zweisprachigkeit, schon gar nicht Mehrsprachigkeit, sondern Unterwerfung der ökonomischen Vernunft, und die ist englisch. 
Viele Projektanträge in der Europäischen Union werden in einer Art vorauseilendem Gehorsam gleich in Englisch abgefasst, um die Chancen zu erhöhen, dass sie von halbgebildeten Beamten und ihren Hilfskräften überhaupt gelesen werden. Mehrsprachigkeit? Nicht einmal Zweisprachigkeit. Schon vor Jahren hat die deutsche Gesellschaft für analytiscche Philosophie ihren Mitgliedern empfohlen, zwecks Martchancen nur noch auf englisch zu publizieren. So wird die eigene Kultur und Sprache abgewertet. Solche Leute reden dann aber von neuen Standards und Verständigung. 
Dass Mehrsprachigkeit der besseren Verständigung diene, ist ein frommer Wunsch, ein Mythos. Oft hilft das Gegenteil, das Nichtverstehen, den anderen auszuhalten. Je mehr ich von gewissen Leuten lerne, desto tiefer wächst meine Sorge, manchmal meine Verachtung. Wenn, was gegenwärtig leider überall geschieht, das Partikulare betont oder überbetont wird, hilft auch die Sprachkenntnis nichts zum besseren Verständnis. Dieses verlangt nämlich Offenheit und Respekt. Diese beiden Eigenschaften sind aber nicht einfach "Nebenprodukte" erweiterter Sprachkenntnis. 
 

100. Todestag von Georg Simmel

Georg Simmel (* 1. März 1858 in Berlin; † 26. September 1918 in Straßburg) war ein deutscher Philosoph und Soziologe. Er leistete wichtige Beiträge zur Kulturphilosophie, war Begründer der „formalen Soziologie“, einer Stadtsoziologie und der Konfliktsoziologie. Simmel stand in der Tradition der Lebensphilosophie, aber auch der des Neukantianismus.

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130. Geburtstag von T. S. Eliot

Thomas Stearns Eliot (* 26. September 1888 in St. Louis, Missouri, Vereinigte Staaten; † 4. Januar 1965 in London, England) war ein englischsprachiger Lyriker, Dramatiker und Kritiker, der als einer der bedeutendsten Vertreter der literarischen Moderne gilt. Im Jahr 1948 wurde er mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.
Eliot studierte Philosophie und Literatur in Harvard. Nach einem Studienjahr an der Sorbonne und einem Aufenthalt 1914 an der Universität Marburg wanderte Eliot zu Beginn des Ersten Weltkriegs nach London aus und lebte fortan überwiegend dort. Er arbeitete zunächst als Lehrer, dann von 1917 bis 1925 in der Auslandsabteilung der Lloyds Bank bis zu seinem Eintritt in das Verlagshaus Faber und Faber, in dessen Leitung er über Jahrzehnte wirkte. In den 1920er Jahren verbrachte er viel Zeit in Paris. 1927 wurde er britischer Staatsbürger und trat der Church of England bei.

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Der JOUR FIXE am Freitag, 28.9.2018 unserer Bibliothek Gleichgewicht widmet sich T.S. Eliot

Dienstag, 25. September 2018

MERKUR 833

Das neue Heft von MERKUR, Nr. 833, Okt. 2018, ist erschienen und liegt in unserer Bibliothek Gleichgewicht auf.


5. Todestag von Elisabeth Borchers

Elisabeth Borchers (* 27. Februar 1926 in Homberg, Niederrhein; † 25. September 2013 in Frankfurt am Main) war eine deutsche Schriftstellerin und literarische Übersetzerin.

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Nicht zur Veröffentlichung bestimmt
In ihren posthum erschienenen Erinnerungen verrät die legendäre Suhrkamp-Lektorin Elisabeth Borchers delikate Interna des Literaturbetriebs. Vor allem sind ihre Memoiren das berührende Dokument eines Liebesverlusts.
Michael Krüger , DIE ZEIT, 24.4.2018

Montag, 24. September 2018

75. Geburtstag von Antonio Tabucchi

Antonio Tabucchi (* 24. September 1943 in Vecchiano bei Pisa; † 25. März 2012 in Lissabon) war ein italienischer Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Übersetzer.

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Sonntag, 23. September 2018

Säuberungen in Amerika


Haimo L. Handl

Säuberungen in Amerika

In den Vereinigten Staaten von Amerika erfolgen Säuberungen unterschiedlicher Art: von rechts, von links, von Rechtsradikalen, Neonazis und religiösen Faschisten, von Gutmenschen, Gender Engagierten, Minderheitenvertreterinnen und #MeeToo – Opfern. Viele Beweggründe vieler Aktionen sind durchaus verständlich. Einige sind jedoch nicht nur extrem, sondern verhindern jede Argumentation, stehen jenseits jeder Kritik und wirken schon allein aufgrund von Anklagen oder Verdächtigungen, weil das Klima aufgeheizt ist, weil keine Werte mehr allgemein gesellschaftlich verbindlich gelten und viele primär auf Herkunft, Gender und Religion pochen bzw. auf ihren Opferstatus als Frauen, Minderheitenangehörige usw.

Das beschränkt sich nicht nur auf den sozialen Alltag, die Politik im Allgemeinen, sondern auch auf das Bildungswesen, insbesondere im universitären Bereich, und die Massenmedien inklusive sogenannter Elitejournale. Die Elite ist der eigentliche Angriffspunkt.

Es geht um Sicherheit einerseits. In vielen Universitäten sollen „safe zones“ frei von jeder Kritik sein, um Beleidigungen oder Retraumatisierungen leidtragender Studentinnen zu verhindern oder religiöse Gefühle einer möglichen Verletzung auszusetzen. Sogenannte Trigger Warnings sollen indizieren, dass ein Buch oder ein Video eventuell verstörend wirken könnte. Der Studentin ist es freigestellt, die Lektüre zu vermeiden, ihr Kursanbieter muss Ersatz bieten bzw. darf nicht in eine Diskussion eintreten, weil das verstörend (Beleidigung, Anmaßung) sein könnte.

Vom mainstream abweichende Meinungen bedürfen besonderer Kommentierung und Vorauswarnung, damit im nachfolgenden Rechtsstreit aufgrund massenhafter, lautstarker Proteste wenigstens eine minimale Verteidigung möglich scheint.

Es herrscht ein Angst- und Verfolgungsklima wie zu Zeiten der Inquisition, als schon ein „schiefer Blick“ genügte, damit eine Frau als Hexe dem fatalen Gottesurteil überantwortet wurde. Was viele Frauen, alle Opfer in der Männergesellschaft, heute in der #MeeToo Bewegung unternehmen, ist wie der Versuch, solch eine Verfolgungsszenerie wieder aufleben zu lassen, diesmal gegen die verhassten Männer. Es genügt meist die Vermutung, die Anklage, und schon läuft das Räderwerk der Rache, der Verfolgung, der Vernichtung. Das nennt man dann Fortschritt und Gerechtigkeit.

Kontroverses zu vertreten, politisch, wissenschaftlich, kulturell, wird da immer gewagter, schwieriger. In Bälde wird es verunmöglicht sein: der Mob, die Masse der sich als Opfer Empfindenden wächst und nutzt die mediale Gewalt. Viele Institutionen geben klein bei, weil sie wirtschaftliche Einbußen befürchten (Abonnentenverlust, Geschäftsboykott, Imageschaden durch dauernde Verleumdung usw. usf.).

Weil es keine Orientierung nach gesellschaftlich allgemein anerkannten Werten mehr gibt, tobt der Kampf um Deutung und Durchsetzung mit allen Mitteln. Es ist die ungeistige Vorstufe des Kriegs, der bald die reale innere Kriegssituation folgen wird, wenn diese Entwicklung nicht gebremst wird, wenn gewisse minimale Standards nicht wieder beachtet werden. Nichts deutet darauf hin, dass die Vernunft ein bisschen gewinnen könnte, alles deutet auf Destruktion und Niedergang.

Meine Worte sind kein moralisierendes Jammern. Sie sind eine kurze Feststellung, die durchaus länger und detaillierter ausfallen könnte. Es gibt einige Vorkommnisse, die leicht als Indikatoren für die Malaise gelesen werden können.

Beispielhaft sei erwähnt:
Die ältestes, progressive (liberale) Wochenzeitschrift THE NATION druckte ein Gedicht eines jungen weißen Amerikaners, das im schwarzen Slang abgefasst ist und entschuldige sich feige und fadenscheinig nach einem Proteststurm von Minderheitenangehörigen, die jede Kulturaneignung (cultural approbriation) als Missetat verurteilten und den weißen Abfall-Schreiber scharf angriffen. Das Gedicht wurde zwar nicht entfernt, aber jetzt breit und peinlich negativ bewertet von denselben Redakteurinnen, die es ausgewählt hatten: Sie versprachen selbstkritisch zugleich, besser aufzupassen und liniengetreu auszuwählen. Der Ton erinnerte an die Selbstbezichtigungen von Bolschewiki unter Stalin oder von jenen, die während der Kulturrevolution von Mao unter die Schläge der wütenden Roten Garden gefallen waren.

Vor kurzem wurde eine mathematische Arbeit, welche ein Fachmagazin bereits zur Publikation angenommen hatte, zensuriert und nicht publiziert auf Druck von Kolleginnen, die der These, die die Arbeit behandelt, von Grund auf widersprechen und verhindern wollen, dass diese im akademischen Kreis behandelt wird. Es war zu lesen (ich zitiere beispielhaft aus dem Artikel von Matt Young, the Panda’s Thumb, Sept.15, 2018; wer Interesse hat, findet mehr Material in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften):

A professor of mathematics, Theodore P. Hill, devised what is sometimes called a toy model to help explain why males of our species display greater variability than females. He submitted the paper to two journals in succession, and both rejected the paper after having previously accepted it.
As far as I can tell, the premise of the article, that males display greater variance (particularly of intelligence), is generally accepted. Professor Hill developed a toy model, which is to say an oversimplified model designed to shed some light on a complicated problem; the term is not pejorative. According to Prof. Hill’s account, he enlisted the help of another mathematician, Sergei Tabachnikov of Pennsylvania State University, and submitted the paper to the Mathematical Intelligencer. According to Prof. Hill, the manuscript was scheduled to appear in the journal’s first issue of 2018.
Professor Hill claims that Amie Wilkinson, a mathematics professor at the University of Chicago, and her father, a statistician (who I think is not named), wrote to the editor of the Mathematical Intelligencer and announced that the article oversimplified to the point of embarrassment. The article was pulled.

Prof. Hill war natürlich überrascht, dass das Fachjournal auf äußere Intervention hin die Publikation strich, und auch ein anderes Magazin von einer Veröffentlichung Abstand nahm. Die streitbare Kollegin Amie Wilkinson schrieb kein Rebuttel, keine Kritik, sondern agierte im Verborgenen mit Verdächtigungen, ideologischen Keulenschlägen und Drohungen. Hills Bemühungen die Sache zu klären und das inakzeptable Verhalten der Intrigantin über die Universität abzustellen, fruchteten nichts. Soviel zu Würde und Anstand in American Academia. Was waren die ideologischen Gründe? Angst, dass Rechtsgerichtete sich die Thesen zu eigen machen würden, was unbedingt verhindert werden musste. Zensur aus Ideologie der Gender Force & Women Lib. Im Magazin REASON war im Hit & Run Blog am 10.9.2018 u.a. zu lesen:

Mathematical Intelligencer rescinded its acceptance of the paper. According to its editor-in-chief, publishing Hill and Tabachnikov's work would create a "very real possibility that the right-wing media may pick this up and hype it internationally." In his Quillette piece, Hill claims that a University of Chicago mathematics professor, Amie Wilkinson, lobbied the journal to abandon its plans to publish the piece.
Some time later, an editor at another publication, the New York Journal of Mathematics, wrote to Hill and offered to publish the paper. Hill accepted, and the article was published. But then:
Three days later, however, the paper had vanished. And a few days after that, a completely different paper by different authors appeared at exactly the same page of the same volume (NYJM Volume 23, p 1641+) where mine had once been. As it turned out, Amie Wilkinson is married to Benson Farb, a member of the NYJM editorial board. Upon discovering that the journal had published my paper, Professor Farb had written a furious email to [NYJM Editor-in-Chief Mark Steinberger] demanding that it be deleted at once. …
Unaware of any of this, I wrote to Steinberger on November 14, to find out what had happened. I pointed out that if the deletion were permanent, it would leave me in an impossible position. I would not be able to republish anywhere else because I would be unable to sign a copyright form declaring that it had not already been published elsewhere. Steinberger replied later that day. Half his board, he explained unhappily, had told him that unless he pulled the article, they would all resign and "harass the journal" he had founded 25 years earlier "until it died." Faced with the loss of his own scientific legacy, he had capitulated. "A publication in a dead journal," he offered, "wouldn't help you."

Das ist so unglaublich, dass ich aus dem erwähnten Artikel mehrere Absätze zitierte; man wähnt sich in der UdSSR, wo solche Einschüchterungsmanöver üblich waren. But it’s in America.

Den typischten und eindrücklichsten Fall aber bietet die berühmte NEW YORK REVIEW OF BOOKS mit dem schnellen Abgang ihres Chefredakteurs, der erst im März 2017 die Nachfolge des legendären Editors Robert B. Silvers nach dessen Tod übernahm. Die Veröffentlichung eines fragwürdigen Artikels und seine daraufhin erfolgende Verteidigung und Argumentation führte und verstärkte den Aufschrei der Opfergesellschaft, vor allem von Frauen der #MeeToo-Bewegung, so dass der Chef selbst aufgab und ging. Die Ereignisfolge, die Attacken und Verteidigungen sind überaus interessant, weil sie drastisch und dramatisch den Niedergang der offenen Gesellschaft dokumentieren, das unerbittliche Regime der (vermeintlichen) Opfermassen, die über die asocial media schier unbegrenzten Einfluss ausüben, weil die Etablierten Angst vor gewissen Auswirkungen am Markt haben (Abonnentenkündigungen, vor allem aber Einbußen im Inserategeschäft). Lesen Sie nach und bedenken Sie die Aussagen in den vielen Artikeln in amerikanischen Qualitätszeitungen und Journalen (NYT, WP, Vanity Fair, aber auch den englischen The Guardian). Hier, zur Illustration, ein paar Sätze aus VANITY FAIR (Erin Vanderhoof, 19.9.2018):

How Ian Buruma’s New York Review of Books Ouster Became Inevitable –
The controversial editorial was one thing, but after a gaffe-filled interview his tenure at the magazine was all but done for.
In a little less than a week, New York Review of Books editor Ian Buruma went from defending a controversial editorial decision in an interview to losing his job.
Buruma, however, may be a true #MeToo pioneer—a man who lost his job not for any harassing behavior, but for comments perceived as defending it. In an interview with Slate’s Isaac Chotiner that ran September 14, Buruma claimed some ignorance about the charges against Ghomeshi, but ultimately concluded that he has “no idea, nor is it really my concern.” And though he admitted that among his staff, “not everybody agreed” about running the essay, it seems likely that someone from the inside leaked its existence to writer Nicole Cliffe, who tweeted about it on September 13, hours before the publication posted the article online. Cliffe fielded comments from some of the magazine’s staffers, and relayed their dismay to her nearly 85,000 followers. By the next afternoon, Chotiner’s interview was live, and Buruma’s comments fueled another few days of criticism.

Wenn man hinsichtlich des geistigen Hintergrundes des gesellschaftlichen Klimas noch die Positionen von VIDA (Women in Literary Arts, gegründet 2009) berücksichtigt, die nicht nur Missbrauch aufzeigen und verfolgen, sondern schon die Tatsache, dass ein Medium z.B. nicht mindestens 40% Autorinnen aufweist, als ein Negativum werten, das publizistisch in ihren Kampagnen vehement vertreten wird, um gegen die Männerdominanz zu wettern, dann kann man sich leicht vorstellen, dass das bald auch auf Wissenschaftler zutrifft, weil nach Gesinnung und Ideologie einfach die Quote gelten MUSS, unabhängig vom Argument, unabhängig vom Inhalt. Da haben, wie die von VIDA veröffentlichten Counts belegen, die meisten Qualitätszeitschriften einen Bias, eine männliche Schlagseite, die über Kurz oder Lang nicht nur verbal angegriffen werden wird, sondern brachial, wie es sich schon vorbereitet.

Dies alles sieht aus wie ein Purgatorium, ein Reinigungsvorgang, ein großes Aufräumen. Man könnte es auch fertigstellen nennen im Sinne von „fertigmachen“. Man bringt etwas zu Ende, fertig, indem man etwas fertigmacht. (Das Wort „fertigmachen“ kommt etwas unschuldig daher. Man meint damit, dass etwas, eine Arbeit zum Beispiel, fertig gemacht wird, also vollendet, getan wird. Seit der Nazizeit hat sich eine weitere Bedeutung eingenistet, die schwer zu vergessen ist: die zweite Bedeutung von „erledigen“, das zuerst auch bedeutet, Aufgabe erfüllen, fertig stellen, aber im weiteren, zweiten Bedeutungsfeld heißt, „etwas töten, umbringen, kaputt machen, auslöschen, vernichten“. Ich „erledige dich“ heißt, ich töte dich. Ganz ähnlich bei fertigmachen. Ich „mache dich fertig“ heißt, ich bring dich um. Der Mensch als Material wird fertiggemacht wie ein Verschleißartikel. Usw. usf. Hier ende ich mit den Überlegungen, weil sie zu weit führten.)