Donnerstag, 6. September 2018

Brecht – Der opportunistische Macho

2014 hatte Stephen Parker seine umfangreiche Biographie Bertolt Brechts publiziert, die viel Beachtung gefunden hat. Jetzt ist sie ins Deutsche übersetzt worden und soll uns die "endgültige Darstellung" dieser widersprüchlichen Person liefern.

Der Suhrkamp Verlag wirbt folgendermaßen:

Stephen Parker: Bertolt Brecht - Eine Biographie
Aus dem Englischen von Ulrich Fries und Irmgard Müller
Suhrkamp, € 59,70
Gebunden, 1030 Seiten

Zum 120. Geburtstag erscheint in deutscher Sprache die endgültige Darstellung von Bertolt Brechts Leben und Werk. Dieses Prädikat hat sich das Buch des englischen Germanisten und hervorragenden Brechtkenners Stephen Parker durch eine Reihe von Vorzügen erworben.

Hier wird zum ersten Mal das gesamte verfügbare Wissen über den Autor und dessen Arbeit dargeboten und zum Erzählen gebracht. Die lebendige und detailgenaue Darstellung eines aufgrund der politischen, persönlichen und literarischen Verhältnisse am Abgrund angesiedelten Lebens – nicht die chronologische Registratur – bilden das hervorstechendste Merkmal. Von außen kommend und mit einem unvoreingenommen neutralen Blick zeichnet Parker ein Bild der verschiedenen Lebensstationen und Schaffensperioden Brechts.
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: da quasselt ein Qualitäts-Publikumsverlag von "endgültiger Darstellung", wie in finsteren Zeiten, als Endgültiges im Schwange war, und es vor lauter Endgültigkeit zur endgültigen Wahrheit und endgültigen Lösung, der Endlösung, nicht weit war, und wie Fromme und Verwirrte, religiöse Schwärmer, immer noch inbrünstig glauben: die endgültige Wahrheit. O Schreck, o Jammer!

Da wird kühn behauptet, es werde "zum ersten Mal das gesamte verfügbare Wissen über den Autor und dessen Arbeit dargeboten und zum Erzählen gebracht." Also: alles frühere war nichts, war nicht das gesamte Wissen, jetzt, erst jetzt, wird das Gesamtwissen zum Erzählen gebracht. Und damit die Wahrheit. Was sind das für Werbetexter bei Suhrkamp?

Dabei sollte der Umstand, dass ein überaus egoistischer Macho und Opportunist, der Frauen wie Matratzen und Ficklöcher behandelte, sie abhängig machte und diese Abhängigkeit schnöde ausnutzte, Freunde denunzierte oder in brenzligen Situation schwieg, um nicht selbst Schaden zu nehmen, wenn andere, auch solche, die ihm sehr nahe standen oder lagen, drankamen, damals, als Väterchen Stalin sein Erziehungsprogramm durchzog, das der Opportunist nicht nur beschwiegen, sondern auch besungen hatte, heute subsumiert wird unter dem Terminus "widerspruchsvoll". Charakter gilt nicht, Ideologie auch nicht. Es gilt nur das gefahrenvolle Leben, das außerordentliche. Brecht war außerordentlich dreckig und feig und agitatorisch. Wie weit reicht denn das gesamte Wissen?

Die Verlagswerber sagen noch einen bedeutsamen Satz. Sie behaupten, der Biograph Parker sei "von außen, unvoreingenommen, mit NEUTRALEM Blick an seinen Stoff herangegangen. Parker mag ja unvoreingenommen gewesen sein. Aber Neutralität reklamieren und als Qualität hinstellen ist Humbug. Wenn der Biograph neutral geblieben wäre, hätte er kein Bild zeichnen können, dass hätte es genügt, die Dokumente abzudrucken, sich der Deutung zu enthalten. Das Verständnis von Literatur, wozu auch das Genre der Biographie zählt, und der vielbeschworenen Wahrheit ist sehr brüchig und schief.

Der Interessierte hat jetzt Gelgenheit, die neuen Rezensionen mit denen aus 2014 und 2015 zu vergleichen. In den paar Jahren dazwischen hat sich der Rechtsdruck verstärkt, ist die Lobpreisung von Machos oder verwegenen Desperados, trotz oder wegen der MeToo-Bewegung in vollem Gange; die Realpolitik liefert "schlagende" Beweise maskuliner Stärke, wie sie Brecht bewies, der nur zufällig "links", kommunistisch, geworden war, und genausogut in die faschistische Bagage gepaßt hätte, so, wie nach dem Zusammenbruch des glorreichen Arbeiter- und Bauernstaates die vielen strammen Kommunisten keine Schwierigkeiten mit ihrem Rollenwechsel hin zum Faschismus hatten und haben.

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In unserer Bibliothek liegt die englische Ausgabe von Parkers Biographie von 2015 auf.  Aber auch die Werkbiographie von Uwe Kolbe. Von Brecht warten viele Bände auf Leser: Gedichte, Prosa, Dramen, das Arbeitsjournal ... Man findet Liebeslyrik und Lobpreisungen Stalins, man findet, wie der Verlag heute schreibt, das endgültige, ganze Wissen des Meisters... (das sagen die Experten, nicht wir)







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