Metaphorische Sprache
Haimo L. Handl
Würden wir Aussagen in unserer Alltagssprache „wörtlich“
nehmen, wir türmten Barrieren auf oder Abgrundlöcher, in die wir verwirrt
hineinfielen, weil wörtlich genommen Vieles keinen Sinn macht, der kritischen
Prüfung nicht standhält. Die Toleranz der Sprache in alltäglichen Sprechakten
ermöglicht diese unnötigen Kollisionen, die Missverständnisse zu vermeiden; es
geschieht ähnlich der Trägheit unseres Sehnervs, der zusammenhängende
„Bewegung“ sieht, sogar über ein Medium, und nicht nur Einzelbilder. Einige
Neosophisten wollen die Pseudorationalität hochtreiben, fast wie im
pervertierten Sport und seiner Rekordsucht, und pochen auf Rationalität,
Wissenschaftlichkeit und was sonst noch alles, nur, um den Unschärfenbereich zu
vermeiden, ihn kleinzureden oder verächtlich abzutun. Sogar Poeten wollen
rational denkend Poeme kreieren, bar jeder Metaphorik, nackt und nützlich wie
die Verlautbarungssprache in der verwalteten und verwaltenden Welt.
In einem Artikel von Anfang September äußerte sich der
Schweizer Autor Felix Philipp Ingold über Konkrete Poetik unter anderem
folgendermaßen: „Zur Poetik der Konkreten gehörte vorab die Aufbietung von
Klarheit, Einfachheit, Ordentlichkeit − insgesamt von Rationalität − im
Gegenzug zu gängigen lyrischen Qualitäten wie Gefühligkeit, Stimmung oder
Pathos. Der emotionalen Reduktion entsprach auf der Formebene der Verzicht auf
hergebrachten Vers- und Strophenbau, auf Metaphernbildung, auf dekorativen und
erklärenden Spracheinsatz.“. Also typisch deutsche Spießertugenden der
Ordentlichkeit, der Einfachheit, der Klarheit, der Rationalität. Man darf sich
fragen, warum denn die Konkreten vergessen sind, weshalb sich einige Klassiker
trotz ihrer metaphernreichen Sprache halten.
Vielleicht hängt vielen die euphemistische Nazisprache nach,
die eigene Metaphern nutzte, um den „wahren Sachverhalt“ zu kaschieren. Das war
zwar auch anderorts üblich, aber der Unterschied lag in der Sanktionsgewalt:
wer den nazi-korrekten Sprechakt nicht leistete, lief Gefahr, verfolgt und
bestraft zu werden. Auch das hatte sich nicht auf Hitlerdeutschland beschränkt. Aber offensichtlich wurden
ähnliche Sprachpolitiken in der USSR und DDR akzeptiert oder bagatellisierend
wegerklärt. Und die frappante Ähnlichkeit der vor allem in den USA zur
Hochblüte gekommenen Werbesprache, die auch andere Sprachen infiziert und
schwächt, wird heute als moderne Höchstentwicklung gesehen und nicht als
Gefahr.
Es bietet sich also ein widersprüchliches Bild. Einerseits
eine Literatur wie von Versicherungsagenten oder Buchhaltern verfasst,
andererseits eine schwammige, unverbindliche Sprache, die jede Deutung erlaubt
und sich nicht mehr festmachen lässt, nicht einmal im metaphorischen Sinn. Je
stärker die Sucht nach Eindeutigkeit, desto rigider das Dokumentarische,
vermeintlich Authentische, Beobachtbare, Belegte. Imagination und Fiktion sind
verdächtig. Alles muss intersubjektiv nachprüfbar sein, belegbar sein.
Weshalb sprechen wir aber im Alltag so unklar, so bildreich?
Weil wir keine Maschinen sind. Weil Rationalität nur einen Teilaspekt bildet. Aus
manchen Vereinfachungen oder falschen Bildern spricht oft eine eigentümliche
Annahme, ein Glauben, wenn nicht eine Überzeugung, aufgrund einer Wertstruktur,
die, wird sie hinterfragt, erstaunen mag.
Oft höre ich Leute sagen, etwas sei unvergleichbar. Sie
meinen das als höchstes Lob, als einzigartiger Qualitätsausweis. Aber es kann
nicht stimmen. Nicht, weil ich dem Ding, der Sache, der Person oder dem
Ereignis irgendetwas absprechen möchte. Aber alles, was ich finde, was ich
bewerte usw. ist sinnvoll nur rezipierbar, weil ich es vergleiche. Etwas als
das Ding an sich nehmen zu wollen, als Absolutes, nicht Zusammenhängendes, wäre
nicht als solches wahrnehm- und kommunizierbar. Wir bedürfen des Vergleichs zur
Wertung, zur Feststellung der Qualität. Nichts ist für sich alleine, alles hängt
zusammen. Die Bedeutung von Zeichen liegt in den Verbindungen, den Relationen,
ist nie kontextunabhängig im Zeichen
fixiert.
Vom amerikanischen Architektur- und Kunstkritiker Martin
Filler (* 1948) las ich kürzlich in der New York Review of Books einen
begeisterten Aufsatz über die weltberühmte bzw. berühmteste Wagner-Sängerin „So
vivid are my memories of the incomparable Swedish soprano Birgit Nilsson“,
dass er noch jetzt in Erinnerung an sie bebt. Filler, ein hochgescheiter Mann,
weiß, wovon er spricht und schreibt. Wir meinen es auch zu wissen, und nehmen
die Exklamation nicht wörtlich. Klar, dass er und alle anderen nur durch lange
Beobachtung und Bewertung zum Urteil der Einzigartigkeit gelangte, die er dann,
als Ausdruck des Höchsten, als unvergleichlich oder unvergleichbar hinstellte.
Es scheint, als ob das realistische Vergleichen, das allem
Bewerten innewohnt, oft als Minderung gesehen wird, als profaner Versuch einer
Gleichstellung, was aber nicht der Fall ist. Zu Vergleichen heißt nicht gleichzustellen
oder gar gleichzuschalten. Da scheint ein Missverständnis vorzuliegen, das man
aus vielen Urteilskommentaren heraushören kann: das kann man, das darf man
nicht vergleichen oder die hohe Forderung, man solle nicht Äpfeln mit Birnen
vergleichen, sondern nur Gleiches mit Gleichem, also Apfel mit Äpfeln. Das ist
natürlich Humbug. Die falsche Forderung beruht auf der Annahme von
Eindeutigkeit und sofortiger Erkennbarkeit von Sachverhalten, die kein
Vergleichen erlaube, weil eh alles klar ist: dies ist das und dieses jenes.
Aber so simpel ist die Welt nun mal nicht. Denn wenn dieses und jenes gleich
wäre, muss es verglichen worden sein, damit die Gleichheit erkannt und bewertet
werden konnte. Das gleiche gilt für Unterschiedenes. Dass etwas anders ist als dieses
ist nur durch den Vergleich erkennbar. Es ist ihm nicht eingezeichnet. Der
Wunsch nach Inkomparabilität ist einer nach dem Absoluten. Quasi ein religiöser
Rest frommen Denkens. Das Absolute ist unabhängig von allem anderen. Es ist, was es ist, unvergleichbar und
offensichtlich. Das wäre das vielbesprochene Ding an sich. Aber dieses
Konstrukt wurde schon lange als solches erkannt, kritisiert und zurückgewiesen.
Vergleiche werden meist als negative Relativierung
hingestellt. Es gibt Völker, die finden
sich so einzigartig und auserwählt, dass sie nicht verglichen werden wollen.
Damit verlangen sie über jeder Kritik zu stehen, weil Kritik nur durch
Vergleichen möglich ist, und eben dieses Vergleichen eine Herabsetzung der
Einmaligkeit, der Unvergleichbarkeit bedeutete. In Zeiten der Faschistisierung
und der identitären Bewegungen wird der oft unschuldig anmutende Anspruch auf
Inkomparabilität, auf extreme Eigenheit, auf Superiorität (und darauf fußender
Suprematie) zum Ausweis eines neuen
Ariertums, das frech sich hochhebt und alle anderen runter drückt, unterdrückt.
Das alte Lied.
Kultürlich ist der übliche Alltagsgebrauch solcher
Vereinfachungen von den ideologischen Anmaßungen (z.B. von Islamisten und Israelis)
zu unterscheiden. Wenn wer Freddie Mercury als unvergleichbar hinstellt, andere
Jimmy Hendrix oder Mireille Mathieu, so wird der Meinungsunterschied zu keinen
wirklichen Konflikten führen. Und wenn in der Philosophie jemand heute
argumentiert wie zu Kants und Schopenhauers Zeiten, wird das akademisch
bleiben. Wenn aber Identitäre, Nationalisten, Chauvinisten, Rassisten, Religionseiferer
ihre Lehren als unvergleichbar hinstellen, weisen sie jede kritische Bewertung
zurück und verlangen bedingungslose Unterwerfung. Das ist zurückzuweisen.
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