Freitag, 7. September 2018

F. P. Ingold über Gomringer und die Vollkommenheit

Vollkommenheit nimmt der Kunst den Atem
Gedichte, in denen alles aufgeht. Literatur, die keinen Makel hat: Kann das grosse Kunst sein? Der «Fall Gomringer» bietet Gelegenheit für einen kritischen Rückblick auf die konkrete Poesie.


Zwar stellt Ingold richtig fest, dass die konkrete Poesie bzw. die konkreten Poeten heute nicht mehr gelesen werden oder dem breiten Publikum bekannt sind, aber er führt das auf die Qualität der Vollkommenheit zurück, was jemanden, der Literatur liest oder meint zu verstehen, doch verwundert.

Ingold sagt auch:

Zur Poetik der Konkreten gehörte vorab die Aufbietung von Klarheit, Einfachheit, Ordentlichkeit − insgesamt von Rationalität − im Gegenzug zu gängigen lyrischen Qualitäten wie Gefühligkeit, Stimmung oder Pathos. Der emotionalen Reduktion entsprach auf der Formebene der Verzicht auf hergebrachten Vers- und Strophenbau, auf Metaphernbildung, auf dekorativen und erklärenden Spracheinsatz. Wort, Silbe, Buchstabe wurden aufgewertet gegenüber kohärenten Sätzen und Aussagen. Das Sprachdesign gewann Vorrang vor der Sprachbedeutung.
Es fällt ihm nicht auf, dass er damit einerseits typisch deutsche Tugenden, vielfach und traditionell von Spießern befolgt (klr, einfach, ordentlich), beschreibt, dass er der Rationalität das Wort spricht, welche auch in der Kunst, jawohl, in der Kunst, von diesen vollkommenen Poeten geübt wurde, als ob es darum ginge, die tiefe Angst vor der Metapher, vor den Gefühlen, vor dem, was jenseits der kalten Rationalität liegt, zu meistern. Wie? Durch Fingerübungen, Virtuosität, Verzicht auf Inhalt und Aussage. Ärger als bei bloß reproduzierenden Künstlern soll das Design herrschen, die bloße Form, der Buchstabe gar, nur ja kein Stimmiges, nur kein lesbarer Sinn. Er lobt damit das völlig Unpolitische, das Ängstliche suchen und einehmen, weil ihnen Positionsbezug zu schwierig, zu verantwortlich erscheint. In der Monarchie unter Metternich, dem Herrscher des Polizeistaates, war vielen österreichischen Geängstigten nur die innere Emigration, die Resignation offen oder, ganz erfolgreich, das unpolitische Getümel, vor allem in der Unterhaltungsmusik und dem lustigen  Theater. Nur kein Aufsehen, nur keine Botschaft.Nur keine Verantwortung.

Die konkreten Poeten waren Feiglinge, die sich in die inhaltsleere Virtuosität ihrer Spielereien flüchteten. Sie sind heute zu recht vergessen. Was Heranwachsenden ein schönes Spiel ist, wird langweilig, wenn man es überstrapaziert. Oskar Pastior hat als Securitate Zuträger und Spitzel gearbeitet. Seine Freundinnen und Freunde haben das beredt entschuldigt, er habe eh nichts weitergereicht. Er hat schöne Permutationen gezimmert und Gedichte gejammert in aller Konkretion. So auch die anderen. Damals war das für viele Unbedarfte eine Leistung. Seit dem Computerzeitalter wirken diese Übungen kindisch.

Das wird auch nicht aufgewertet, wenn Ingold Helmut Heissenbüttel ("Positivität dieser Kunst")  zitiert und meint, dass damit das Konkrete zum "Garanten eines ideologiefreien poetischen Idioms" wurde und "als solches die hergebrachte Dichterrede" ablöste. Was für eine Leistung! Endlich ideologiefrei Ideologiefreiheit.

Folgerichtig nimmt er das von der Hauswand entferte Gedicht von Eugen Gomringer in Schutz und schimpft die Aktion, welche die Entfernung bewirkte, einen "kunstfremden, wenn nicht kunstfeindlichen Einwurf. Der sensible Vielschreiber Ingold will die triviale, inhaltslose Kunst hochgeschätzt und gesichert wissen.

Es bricht aber aus ihm das kritische Denken heraus, er kann es doch nicht vernebeln:

Das ist kunstfertig gemacht − aber ist es auch ein gutes Gedicht? Und ist es denn überhaupt ein Gedicht? Man bekommt zwar einzelne Wörter zu lesen, aber keine vollständigen Sätze, man kann assoziativ eine reale Situation imaginieren, doch zu verstehen gibt es nichts. Das Gedicht ist einzig durch seine Machart von Interesse − als sprachliche Architektur gewissermassen, keineswegs jedoch von seiner Bedeutung her: Es vermittelt weder Erkenntnisgewinn, noch vermag es emotional zu berühren; es stellt lediglich einen trivialen Sachverhalt fest.
Als originell oder innovativ können derartige Texte längst nicht mehr gelten, und ein Revival konkreter Dichtung insgesamt ist allein deshalb ausgeschlossen, weil sie inzwischen weitgehend von der Werbesprache vereinnahmt und umstandslos nutzbar gemacht worden ist: Konkrete Poesie findet sich heute − als abgesunkenes Kulturgut in zweckbestimmter Anpassung − auf Plakaten, auf Spruchbändern, in Internetanzeigen, im populären Journalismus, mit dem einen wesentlichen Unterschied freilich, dass sie hier in aller Regel eine klar erkennbare Botschaft transportiert, derweil sie doch ursprünglich, als Gedicht angelegt, bedeutungsmässig offen beziehungsweise neutral bleiben sollte.
Er vertraut aber seinen eigenen Worten nicht, vor allem nicht ihrem Sinn. Für ihn darf Kunst, anders als bei Adorno, durchaus nichtssagend und trivial sein. Trivialität als Qualität, ebenbürtig der Werbesprache, die doch die Wahrheit, jawohl, die Wahrheit, so überzeugend darstellt und transportiert. 

Was müssen Poeten wie Tranströmer, Brodsky oder Heaney für altmodische Deppen gewesen sein, weil sie keine ideoligefreien Räume zimmerten, bar jeder Botschaft, reduziert auf Fingerfertigkeit und den in Ketten gelegten Geist, der meinte, in Permutationen seine Freiheit auslaufen zu können.
O Jammer, o Schreck.



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