Haimo L. Handl
Säuberungen in Amerika
In den Vereinigten Staaten von Amerika
erfolgen Säuberungen unterschiedlicher Art: von rechts, von links, von
Rechtsradikalen, Neonazis und religiösen Faschisten, von Gutmenschen, Gender
Engagierten, Minderheitenvertreterinnen und #MeeToo – Opfern. Viele Beweggründe
vieler Aktionen sind durchaus verständlich. Einige sind jedoch nicht nur
extrem, sondern verhindern jede Argumentation, stehen jenseits jeder Kritik und
wirken schon allein aufgrund von Anklagen oder Verdächtigungen, weil das Klima
aufgeheizt ist, weil keine Werte mehr allgemein gesellschaftlich verbindlich
gelten und viele primär auf Herkunft, Gender und Religion pochen bzw. auf ihren
Opferstatus als Frauen, Minderheitenangehörige usw.
Das beschränkt sich nicht nur auf den sozialen
Alltag, die Politik im Allgemeinen, sondern auch auf das Bildungswesen,
insbesondere im universitären Bereich, und die Massenmedien inklusive
sogenannter Elitejournale. Die Elite ist der eigentliche Angriffspunkt.
Es geht um Sicherheit einerseits. In vielen
Universitäten sollen „safe zones“ frei von jeder Kritik sein, um Beleidigungen
oder Retraumatisierungen leidtragender Studentinnen zu verhindern oder
religiöse Gefühle einer möglichen Verletzung auszusetzen. Sogenannte Trigger
Warnings sollen indizieren, dass ein Buch oder ein Video eventuell verstörend
wirken könnte. Der Studentin ist es freigestellt, die Lektüre zu vermeiden, ihr
Kursanbieter muss Ersatz bieten bzw. darf nicht in eine Diskussion eintreten, weil
das verstörend (Beleidigung, Anmaßung) sein könnte.
Vom mainstream abweichende Meinungen bedürfen
besonderer Kommentierung und Vorauswarnung, damit im nachfolgenden Rechtsstreit
aufgrund massenhafter, lautstarker Proteste wenigstens eine minimale Verteidigung
möglich scheint.
Es herrscht ein Angst- und Verfolgungsklima
wie zu Zeiten der Inquisition, als schon ein „schiefer Blick“ genügte, damit
eine Frau als Hexe dem fatalen Gottesurteil überantwortet wurde. Was viele
Frauen, alle Opfer in der Männergesellschaft, heute in der #MeeToo Bewegung
unternehmen, ist wie der Versuch, solch eine Verfolgungsszenerie wieder
aufleben zu lassen, diesmal gegen die verhassten Männer. Es genügt meist die
Vermutung, die Anklage, und schon läuft das Räderwerk der Rache, der
Verfolgung, der Vernichtung. Das nennt man dann Fortschritt und Gerechtigkeit.
Kontroverses zu vertreten, politisch,
wissenschaftlich, kulturell, wird da immer gewagter, schwieriger. In Bälde wird
es verunmöglicht sein: der Mob, die Masse der sich als Opfer Empfindenden
wächst und nutzt die mediale Gewalt. Viele Institutionen geben klein bei, weil
sie wirtschaftliche Einbußen befürchten (Abonnentenverlust, Geschäftsboykott,
Imageschaden durch dauernde Verleumdung usw. usf.).
Weil es keine Orientierung nach
gesellschaftlich allgemein anerkannten Werten mehr gibt, tobt der Kampf um
Deutung und Durchsetzung mit allen Mitteln. Es ist die ungeistige Vorstufe des
Kriegs, der bald die reale innere Kriegssituation folgen wird, wenn diese
Entwicklung nicht gebremst wird, wenn gewisse minimale Standards nicht wieder
beachtet werden. Nichts deutet darauf hin, dass die Vernunft ein bisschen
gewinnen könnte, alles deutet auf Destruktion und Niedergang.
Meine Worte sind kein moralisierendes Jammern.
Sie sind eine kurze Feststellung, die durchaus länger und detaillierter
ausfallen könnte. Es gibt einige Vorkommnisse, die leicht als Indikatoren für
die Malaise gelesen werden können.
Beispielhaft sei erwähnt:
Die ältestes, progressive (liberale)
Wochenzeitschrift THE NATION druckte ein Gedicht eines jungen weißen
Amerikaners, das im schwarzen Slang abgefasst ist und entschuldige sich feige
und fadenscheinig nach einem Proteststurm von Minderheitenangehörigen, die jede
Kulturaneignung (cultural approbriation) als Missetat verurteilten und den
weißen Abfall-Schreiber scharf angriffen. Das Gedicht wurde zwar nicht
entfernt, aber jetzt breit und peinlich negativ bewertet von denselben
Redakteurinnen, die es ausgewählt hatten: Sie versprachen selbstkritisch
zugleich, besser aufzupassen und liniengetreu auszuwählen. Der Ton erinnerte an
die Selbstbezichtigungen von Bolschewiki unter Stalin oder von jenen, die
während der Kulturrevolution von Mao unter die Schläge der wütenden Roten
Garden gefallen waren.
Vor kurzem wurde eine mathematische Arbeit,
welche ein Fachmagazin bereits zur Publikation angenommen hatte, zensuriert und
nicht publiziert auf Druck von Kolleginnen, die der These, die die Arbeit
behandelt, von Grund auf widersprechen und verhindern wollen, dass diese im
akademischen Kreis behandelt wird. Es war zu lesen (ich zitiere beispielhaft
aus dem Artikel von Matt Young, the Panda’s Thumb, Sept.15, 2018; wer Interesse
hat, findet mehr Material in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften):
A professor of mathematics, Theodore P. Hill, devised what is sometimes called a toy
model to help explain why males of our species display greater variability than
females. He submitted the paper to two journals in succession, and both
rejected the paper after having previously accepted it.
As far as I can tell, the premise of the
article, that males display greater variance (particularly of intelligence), is
generally accepted. Professor Hill developed a toy model, which is to say an
oversimplified model designed to shed some light on a complicated problem; the
term is not pejorative. According to Prof. Hill’s account, he enlisted the help of another
mathematician, Sergei Tabachnikov of Pennsylvania State University, and
submitted the paper to the Mathematical Intelligencer. According to Prof. Hill,
the manuscript was scheduled to appear in the journal’s first issue of 2018.
Professor Hill claims that Amie Wilkinson, a
mathematics professor at the University of Chicago, and her father, a
statistician (who I think is not named), wrote to the editor of the Mathematical
Intelligencer and announced that the article oversimplified to the
point of embarrassment. The article was pulled.
Prof. Hill war natürlich überrascht, dass das
Fachjournal auf äußere Intervention hin die Publikation strich, und auch ein
anderes Magazin von einer Veröffentlichung Abstand nahm. Die streitbare
Kollegin Amie Wilkinson schrieb kein Rebuttel, keine Kritik, sondern agierte im
Verborgenen mit Verdächtigungen, ideologischen Keulenschlägen und Drohungen.
Hills Bemühungen die Sache zu klären und das inakzeptable Verhalten der
Intrigantin über die Universität abzustellen, fruchteten nichts. Soviel zu
Würde und Anstand in American Academia. Was waren die ideologischen Gründe?
Angst, dass Rechtsgerichtete sich die Thesen zu eigen machen würden, was
unbedingt verhindert werden musste. Zensur aus Ideologie der Gender Force &
Women Lib. Im Magazin REASON war im Hit & Run Blog am 10.9.2018 u.a. zu
lesen:
Mathematical Intelligencer rescinded its acceptance of the paper. According to its
editor-in-chief, publishing Hill and Tabachnikov's work would create a
"very real possibility that the right-wing media may pick this up and hype
it internationally." In his Quillette piece, Hill claims that a University of
Chicago mathematics professor, Amie Wilkinson, lobbied the journal to abandon
its plans to publish the piece.
Some time later, an editor at another
publication, the New York Journal of Mathematics, wrote to Hill and
offered to publish the paper. Hill accepted, and the article was published. But
then:
Three days later, however, the paper had
vanished. And a few days after that, a completely different paper by different
authors appeared at exactly the same page of the same volume (NYJM
Volume 23, p 1641+) where mine had once been. As it turned out, Amie Wilkinson
is married to Benson Farb, a member of the NYJM editorial board. Upon discovering that the
journal had published my paper, Professor Farb had written a furious email to [NYJM
Editor-in-Chief Mark Steinberger] demanding that it be deleted at
once. …
Unaware of any of this, I wrote to
Steinberger on November 14, to find out what had happened. I pointed out that
if the deletion were permanent, it would leave me in an impossible position. I
would not be able to republish anywhere else because I would be unable to sign
a copyright form declaring that it had not already been published elsewhere.
Steinberger replied later that day. Half his board, he explained unhappily, had
told him that unless he pulled the article, they would all resign and
"harass the journal" he had founded 25 years earlier "until it
died." Faced with the loss of his own scientific legacy, he had
capitulated. "A publication in a dead journal," he offered,
"wouldn't help you."
Das ist so unglaublich, dass ich aus dem
erwähnten Artikel mehrere Absätze zitierte; man wähnt sich in der UdSSR, wo
solche Einschüchterungsmanöver üblich waren. But it’s in America.
Den typischten und eindrücklichsten Fall aber
bietet die berühmte NEW YORK REVIEW OF BOOKS mit dem schnellen Abgang ihres
Chefredakteurs, der erst im März 2017 die Nachfolge des legendären Editors
Robert B. Silvers nach dessen Tod übernahm. Die Veröffentlichung eines
fragwürdigen Artikels und seine daraufhin erfolgende Verteidigung und
Argumentation führte und verstärkte den Aufschrei der Opfergesellschaft, vor
allem von Frauen der #MeeToo-Bewegung, so dass der Chef selbst aufgab und ging.
Die Ereignisfolge, die Attacken und Verteidigungen sind überaus interessant,
weil sie drastisch und dramatisch den Niedergang der offenen Gesellschaft
dokumentieren, das unerbittliche Regime der (vermeintlichen) Opfermassen, die
über die asocial media schier unbegrenzten Einfluss ausüben, weil die
Etablierten Angst vor gewissen Auswirkungen am Markt haben
(Abonnentenkündigungen, vor allem aber Einbußen im Inserategeschäft). Lesen Sie
nach und bedenken Sie die Aussagen in den vielen Artikeln in amerikanischen
Qualitätszeitungen und Journalen (NYT, WP, Vanity Fair, aber auch den
englischen The Guardian). Hier, zur Illustration, ein paar Sätze aus VANITY
FAIR (Erin Vanderhoof, 19.9.2018):
How Ian Buruma’s New York Review of Books Ouster
Became Inevitable –
The controversial editorial was one thing, but after a
gaffe-filled interview his tenure at the magazine was all but done for.
In a little less than a week, New York Review of Books editor Ian Buruma went from defending a controversial
editorial decision in an interview to losing his job.
Buruma, however, may be a true #MeToo pioneer—a
man who lost his job not for any harassing behavior, but for comments perceived
as defending it. In an interview with Slate’s Isaac Chotiner that ran September 14, Buruma
claimed some ignorance about the charges against Ghomeshi, but ultimately
concluded that he has “no idea, nor is it really my concern.” And though he
admitted that among his staff, “not everybody agreed” about running the essay,
it seems likely that someone from the inside leaked its existence to writer Nicole Cliffe, who tweeted about it on September 13, hours before the
publication posted the article online. Cliffe fielded comments from some of the
magazine’s staffers, and relayed their dismay to her nearly 85,000 followers.
By the next afternoon, Chotiner’s interview was live, and Buruma’s comments
fueled another few days of criticism.
Wenn man hinsichtlich des geistigen
Hintergrundes des gesellschaftlichen Klimas noch die Positionen von VIDA (Women
in Literary Arts, gegründet 2009) berücksichtigt, die nicht nur Missbrauch
aufzeigen und verfolgen, sondern schon die Tatsache, dass ein Medium z.B. nicht
mindestens 40% Autorinnen aufweist, als ein Negativum werten, das publizistisch
in ihren Kampagnen vehement vertreten wird, um gegen die Männerdominanz zu
wettern, dann kann man sich leicht vorstellen, dass das bald auch auf
Wissenschaftler zutrifft, weil nach Gesinnung und Ideologie einfach die Quote
gelten MUSS, unabhängig vom Argument, unabhängig vom Inhalt. Da haben, wie die
von VIDA veröffentlichten Counts belegen, die meisten Qualitätszeitschriften
einen Bias, eine männliche Schlagseite, die über Kurz oder Lang nicht nur
verbal angegriffen werden wird, sondern brachial, wie es sich schon
vorbereitet.
Dies alles sieht aus wie ein Purgatorium, ein
Reinigungsvorgang, ein großes Aufräumen. Man könnte es auch fertigstellen nennen
im Sinne von „fertigmachen“. Man bringt etwas zu Ende, fertig, indem man etwas
fertigmacht. (Das Wort „fertigmachen“ kommt etwas unschuldig daher. Man meint
damit, dass etwas, eine Arbeit zum Beispiel, fertig gemacht wird, also
vollendet, getan wird. Seit der Nazizeit hat sich eine weitere Bedeutung
eingenistet, die schwer zu vergessen ist: die zweite Bedeutung von „erledigen“,
das zuerst auch bedeutet, Aufgabe erfüllen, fertig stellen, aber im weiteren, zweiten
Bedeutungsfeld heißt, „etwas töten, umbringen, kaputt machen, auslöschen,
vernichten“. Ich „erledige dich“ heißt, ich töte dich. Ganz ähnlich bei
fertigmachen. Ich „mache dich fertig“ heißt, ich bring dich um. Der Mensch als
Material wird fertiggemacht wie ein Verschleißartikel. Usw. usf. Hier ende ich
mit den Überlegungen, weil sie zu weit führten.)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen