Haimo L. Handl
Freunde hatten mich angefragt, ob ich zum 50jährigen
Gedenken der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings etwas schreiben werde.
Ich sann nach, und schreibe jetzt nur, dass ich eigentlich nichts dazu
schreibe, weil meine Enttäuschung, meine Abscheu, mein Widerwille gegen die
Nachfahren der damaligen Machthaber (es war ja nicht nur die USSR, sondern die
willigen, treuen Warschauer Pakt-Staaten Polen, Ungarn und Bulgarien, die
einmarschierten; Rumänien und Albanien verweigerten die „Bruderhilfe“; die
Scharfmacher aus der DDR nahmen nicht direkt an der Okkupation teil) zu tief
sitzt, weil das Projekt des „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ nicht trug,
eine trügerische Hoffnung war die, wenn sie wahr geworden wäre, nur bewiesen
hätte, dass Sozialismus (Kommunismus) inhuman, unmenschlich ist, was die
kommunistischen Realpolitiker nie zulassen wollten, dass solches Denken sich
breit mache – und lange damit Erfolg
hatten. Heute ist Sozialismus oder Kommunismus keine Frage mehr. Sie
interessiert nicht einmal historisch.
Die Tschechen waren aber nicht einfach Opfer des Warschauer Paktes. Die
Gesellschaft war gespalten und der Anteil der „echten Kommunisten“, der
moskautreuen, war hoch. Die Echten regierten in allen Satellitenstaaten. Nur
das kleine Albanien scherte aus mit einem noch schrecklicheren Diktator, Rumänien
hatte aus Führungsgründen des eigenen Diktators und seiner Frau sich
abgesondert. Und Tito spielte seine Sonderrolle als Ergebnis seiner Nachkriegspolitik.
Die Tschechen, die Mehrheit zumindest, hatten 1948 sich selber diktiert und 1968
wieder, immer mit Hilfe des Großen Bruders, aber stets willentlich und überzeugt.
Die spätere „Samtene Revolution“ war keine, sondern Ergebnis eines
Aufweichungsprozesses, der den ganzen Osten befallen hatte.
Heute erinnern sich wenige an 1948 oder 1968 oder 1989 (Systemwechsel,
von vielen als Hinwendung zur Demokratie gesehen, was eine Täuschung war),
trotz der überaus vielen Dokumentation im Fernsehen oder im Internet. Das historische
Bewusstsein ist kurzlebig und löchrig.
Die EU hat den Tschechen und Slowaken,
die sich 1993 friedlich von den Tschechen trennten, mit enorm hohen
Finanzmitteln unterstützt, was aber deren Wertschätzung der EU nicht steigerte
oder stabilisierte. Sie nahmen, was sie meinten, dass es ihnen zustehe, und
spuckten zurück in den Topf, aus dem sie soffen und fraßen. Heute sind beide
Gesellschaften neokapitalistisch organisiert, extrem xenophob, neidig, korrupt
und unsolidarisch. Viele in CZ oder der SK leben auf Pump und fast alle
schwelgen in nationalchauvinistischen Gefühlen. Sie wollen, wie die
faschistisch gewordenen Polen oder Ungarn, nur die Rosinen aus dem EU-Kuchen. Sie
erstarken in faschistoiden Politiken und kleinbürgerlichen, bornierten und
zugleich egoistischen Abwehrhaltungen.
Alles, was man 1968 den Östlern in der
damaligen CSSR positiv zuschrieb, haben sie selbst entwertet. Der „bessere Teil“
ist also vor die Hunde gegangen und heute regieren wieder alte Seilschaften
neben den hochgekommenen Superreichen. Ein Trauerspiel und eine Schande.
Ich will in das Gerede von Frühling und Revolution nicht
(mehr) einstimmen. Wenn Besinnung, dann Klagelieder.
Ein Artikel, der heute mittag in der NZZ erschien, zeigt die Polarisierung und die Malaise auf:
Ein Artikel, der heute mittag in der NZZ erschien, zeigt die Polarisierung und die Malaise auf:
Das Gedenken an den Prager Frühling löst in Tschechien erbitterte Kontroversen aus
In
Tschechien lösen der russlandfreundliche Präsident und die Kommunisten
zum 50. Jahrestag der Niederschlagung der Reformbewegung Kontroversen
aus. Sie spiegeln die Polarisierung im Land.
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