Donnerstag, 29. Dezember 2011

Die Entwertung der Literatur

Literarische Qualität trotz Spracharmut ?

Sag es mit Büchern
Hannes Stein, Die Welt, 29.12.2011

Newt Gingrich will Amerikas nächster Präsident werden. In seiner Freizeit schreibt der ehemalige Geschichtslehrer Romane. Was lassen sie erhoffen? Eine Kundenrezension

Es muss gemeldet werden, dass Newt Gingrich, der bullige Mann mit den weißen Haaren, der Amerikas nächster Präsident werden möchte, ein Doppelleben führt. Jeden Abend, wenn er nicht mehr damit beschäftigt ist, in Redeschlachten gegen seinen innerparteilichen Gegner Mitt Romney anzutreten, schleicht er heimlich nach Hause - und liest.

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Soll lustig klingen, it's funny, isn't it? "Es muss gemeldet werden". Aha, wieso muss?

Stein bemerkt:

"Nun zum Negativen. Die Sprache, die Sprache, die Sprache! Gewiss, es handelt sich hier um Genreliteratur, wir rechnen mit funktionaler Spannungsprosa, nicht mit schönen Metaphern. Aber in diesem Buch wird einfach ungeheuer geschlampt: Grammatikfehler, falsche Satzzeichen, Wiederholungsfehler. Kein einziges Detail wird beim Lesen sinnlich fassbar. "

Nach solchem Befund erscheint es peinlich, irgendetwas Positives noch zu finden im Geschreibe des College-Lehrers, Historikers und Politikers. Denn literarische Qualität bestimmt sich weniger vom Thema, als primär von der Sprache. Ist diese schlecht, ist die Literatur schlecht, auch wenn die Genreregeln beachtet wurde, die Story nicht uninteressant scheint usw.

Aber es geht weder um Literatur noch Qualität. Es geht um Politiker, die schreiben, und deren Werke allein deshalb interessant scsheinen, weil man meint, aus ihnen etwas über die Person zu erfahren, etwas über ihre Politik, in Vergangenheit und Zukunft. Literatur als Kaffeesatz für Exegeten! Literatur als Instrument, als Werkzeug.

Ähnliches geschieht auch mit anderen Figuren. Eine Frau, die schlecht schreibt, unsäglich schlecht, aber so pornogafisch, dass es eine Debatte wert scheint. Und schon sind die Exegeten da, die Feministinnen, die Pornoexperten, die Soziologen, die Interkulturalisten, und deuten und deuten und helfen, das Schundprodukt bekannter und bekannter zu machen. Literatur? Auch hier ein Instrument, eine Ware, eine Profitquelle.

Gleichzeitig überlegen viele Chefdeuter und Exegeten öffentlich, laut, worin denn der Sinn liegt, dass ein marginales Werk von ca. 500 Gedichten mit dem höchsten Literaturpreis, dem Nobelpreis, bedacht werden soll! Das sei doch Willüre und Weltfremdheit, das sei Politik!

Eine Minderheit findet, das sei auch festgehalten, Gelegenheit, gerade auf das Gegenteil der modischen Massenproduktionen zu verweisen und ist glücklich, dass das Nobelpreiskomitee sich dazu verstieg. Ein Ggengewicht, ein Signal. Ein Rückzugsgefecht?

Dazu ein Zitat:
"Welche Schande, zu schreiben, wenn man nicht weiß, was Sprache, Wort, Metapher sind, Gedankenübergänge und Wechsel im Ton; wenn man die Struktur der zeitlichen Folge eines Werks und die Voraussetzungen für seinen Schluß nicht begreift, kaum das Warum kennt und schon gar nicht das Wie! Die Scham darüber, eine Pythia zu sein..."
Paul Valéry



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