Samstag, 31. Dezember 2011

126. Geburtstag von Paul Boldt

Paul Boldt (31. Dezember 1885 in Christfelde (polnisch: Chrystkowo), Kreis Schwetz, Westpreußen –  16. März 1921 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher expressionistischer Lyriker.

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Paul Boldt Online Archiv



Die Sintflut

Die Wolken wachsen aus den Horizonten
Und trinken Himmel mit den Regenhälsen.
Die Menschen bissen auf den höchsten Felsen
In weiße Stirnen, die nicht denken konnten,

Daß Läuse aus dem Meer, die See, krochen.
Im Abendsturm ertranken lange Pappeln. –
Sie hörten auf der Nacht die Sterne trappeln,
Die in dem All den warmen Erdrauch rochen.

Dann schwamm die Sonne in dem glatten Wasser.
Das Wasser fiel. Die See faulten ab.
Die Erde trug der Meere hellen Schurz.

Die Sterne standen, von Begierde blasser,
Mit dünnem Atem an des Ostens Kap.
Ein Stern sprang nach der Erde, sprang zu kurz.


Vormorgens

Schneeflocken klettern an den Fensterscheiben,
Auf meinem Schreibtisch schläft der Lampenschein,
Und hingestreute Bogen, weiß und rein,
Ich wollte wohl etwas von Versen schreiben.

Der Tag ist nah. Die Jalousien schurr’n,
Die letzten Sterne torkeln von den Posten.
Der Tag ist nah, den unbesternten Osten
Bevölkern Morgenwinde schon purpurn.

Und mich bewachsen Abende, beschatten
Die Jahre! O ich dunkle ein.
Das Gas singt in den Gassen Litanein,
Daß meine Augen so sehr früh ermatten.


Berlin

Die Stimmen der Autos wie Jägersignale
Die Täler der Straße bewaldend ziehn.
Schüsse von Licht. Mit einem Male
Brennen die Himmel auf Berlin.

Die Spree, ein Antlitz wie der Tag,
Das glänzend meerwärts späht nach Rettern,
Behält der wilden Stadt Geschmack,
Auf der die Züge krächzend klettern.

Die blaue Nacht fließt in der Forst.
Sie fühlt, geblendet, daß du lebst.
Schnellzüge steigen aus dem Horst!
Der weiße Abend, den du webst,

Fühlt, blüht, verblättert in das All.
Ein Menschenhände-Fängen treibst du
Um den verklungnen Erdenball
Wie hartes Licht; und also bleibst du.

Wer weiß, in welche Welten dein
Erstarktes Sternenauge schien,
Stahlmasterblühte Stadt aus Stein,
Der Erde weiße Blume, Berlin. 



Auf der Terrasse des Café Josty

Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll
Vergletschert alle hallenden Lawinen
Der Straßentakte: Trams auf Eisenschienen
Automobile und den Menschenmüll.

Die Menschen rinnen über den Asphalt,
Ameisenemsig, wie Eidechsen flink.
Stirne und Hände, von Gedanken blink,
schwimmen wie Sonnenlicht durch dunklen Wald.

Nachtregen hüllt den Platz in eine Höhle,
Wo Fledermäuse, weiß, mit Flügeln schlagen
Und lila Quallen liegen - bunte Öle;

Die mehren sich, zerschnitten von den Wagen.-
Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd Nest,
Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer Pest.



Einige Videoarbeiten zu Gedichten von Paul Boldt (die übrigens beweisen, wie kreativ Jugendliche arbeiten):











Anmerkung am Rande:

Die Videos geben ein interessantes Beispiel, wie die Art der Visualisierung und Tonunterlegung (Musik, Geräusche) neben der Rezitationsweise die Rezeption eines Poems bestimmen oder beeinflussen. Der Kunsthistoriker und Autor John Berger hat in vielen Arbeiten auf die spezifischen Wahrnehmungsweisen verwiesen, insbesondere bildender Kunst. Einige Aspekte und Schlussfolgerungen gelten auch für Film oder Video (mehr in seiner BBC-Serie "Ways of Seeing"):





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