Dienstag, 31. Januar 2012

Unterwegs mit Joseph Freiherr von Eichendorff

In Ergänzung unserer Anmerkungen und Notizen zum Themenheft "unterwegs", Driesch # 9 (März 2012) hier einige Gedichte von Eichendorff mit Zitaten aus dem sehr lesenswerten Essay "Zum Gedächtnis Eichendorffs" von Theodor W. Adorno (in: Noten zur Literatur 1:69-94 bzw. GS 11:69-94).

"Erfahrung wäre die Einheit von Tradition und offener Sehnsucht nach dem Fremden." Dieser Satz elektrisiert im ersten Absatz von Adornos o. a. Essay. Dort heißt es weiter:

"Eichendorff erkennend vor Freunden und Feinden retten, ist das Gegenteil sturer Apologie. Das Element seiner Gedichte, das dem Männergesangverein überantwortet ward, ist nicht immun gegen sein Schicksal und hat es vielfach herbeigezogen. Ein Ton des Affirmativen, der Verherrlichung des Daseins schlechthin bei ihm hat geradewegs in jene Lesebücher geführt. Die apokryphe Unsterblichkeit freilich, die er dort fand, steht zu verachten nicht an. Wer nicht als Kind »Wem Gott will rechte Gunst erweisen, / Den schickt er in die weite Welt« auswendig lernte, kennt nicht eine Schicht der Erhebung des Wortes über den Alltag, die kennen muβ, wer sie sublimieren, wer den Riβ zwischen der menschlichen Bestimmung und dem ausdrücken will, was die Einrichtung der Welt aus ihm macht. So sind auch Schuberts Müllerlieder nur dem ganz nah, der zuvor einmal die Vulgärkomposition von »Das Wandern ist des Müllers Lust« im Schulchor mitgesungen hat. Manche Verse von Eichendorff, »Am liebsten betracht' ich die Sterne, / Die schienen, wenn ich ging zu ihr«, klingen wie Zitate beim ersten Mal, memoriert nach dem Lesebuch Gottes."


Joseph Freiherr von Eichendorff
(10.3.1788-26.11.1857)

Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt,
Dem will er seine Wunder weisen
In Berg und Wald und Strom und Feld.

Die Trägen die zu Hause liegen,
Erquicket nicht das Morgenrot,
Sie wissen nur von Kinderwiegen,
Von Sorgen, Last und Not um Brot.

Die Bächlein von den Bergen springen,
Die Lerchen schwirren hoch vor Lust,
Was soll ich nicht mit ihnen singen
Aus voller Kehl und frischer Brust?

Den lieben Gott laß ich nun walten,
Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld
Und Erd und Himmel will erhalten,
Hat auch mein Sach aufs best bestellt.










Adorno:
Wohl geziemt es nicht, nach einer verbreiteten literarhistorischen Manier, Eichendorffs affirmativen Ton als dem Dunklen entrungen zu rechtfertigen, von dem jene Gedichte und Prosasätze wenig bezeugen. Aber fraglos sind sie doch verwandt mit dem europäischen Weltschmerz. Ihm antwortet Eichendorffs gekaufter Mut, jener Entschluβ zur Munterkeit, wie er mit befremdend paradoxer Gewalt am Ende eines der gröβten seiner Gedichte, dem vom Zwielicht, sich bekundet: »Hüte dich, sei wach und munter«. Was bei Schumann einmal »im fröhlichen Ton« heiβt, gleicht bei diesem wie bei Eichendorff schon dem Rilkeschen »Als ob wir noch Fröhlichkeit hätten«:

Hinaus, o Mensch, weit in die Welt
Bangt dir das Herz in krankem Mut;
Nichts ist so trüb in Nacht gestellt,
Der Morgen leicht macht's wieder gut.
Die Ohnmacht solcher Strophen ist nicht die des beschränkten Glücks, sondern der vergeblichen Beschwörung, und der Ausdruck ihrer Vergeblichkeit, mit dem wohl skeptisch Wienerischen »leicht« für »vielleicht«, ist zugleich die Kraft, die mit ihnen versöhnt.


Hier das ganze Gedicht von Eichendorff:

Der Morgen

Fliegt der erste Morgenstrahl
Durch das stille Nebeltal,
Rauscht erwachend Wald und Hügel:
Wer da fliegen kann, nimmt Flügel!

Und sein Hütlein in die Luft
Wirft der Mensch vor Lust und ruft:
Hat Gesang doch auch noch Schwingen,
Nun, so will ich fröhlich singen!

Hinaus, o Mensch, weit in die Welt,
Bangt dir das Herz in krankem Mut;
Nichts ist so trüb in Nacht gestellt,
Der Morgen leicht machts wieder gut.


Adorno: Er war kein Dichter der Heimat sondern der des Heimwehs, im Sinne des Novalis, dem er nahe sich wuβte.

Noch das Unsinnliche und Abstrakte ward bei Eichendorff zum Gleichnis für ein Gestaltloses: archaisches Erbe, früher als die Gestalt und zugleich späte Transzendenz, das Unbedingte über die Gestalt hinaus. Das sinnlichste Gedicht aus seiner Hand hält sich im nächtlich Unsichtbaren:

[Verschwiegene Liebe]
Über Wipfel und Saaten
In den Glanz hinein --
Wer mag sie erraten?



Wer holte sie ein?
Gedanken sich wiegen,
Die Nacht ist verschwiegen,
Gedanken sind frei.
Errät es nur eine,
Wer an sie gedacht,
Beim Rauschen der Haine,
Wenn niemand mehr wacht,
Als die Wolken, die fliegen --
Mein Lieb ist verschwiegen
Und schön wie die Nacht.
Der noch Zeitgenosse Schellings war, tastet nach den >Fleurs du mal<, der Zeile: »O toi que la nuit rend si belle.« Eichendorffs entfesselte Romantik führt bewuβtlos zur Schwelle der Moderne.

Zuweilen sind bei Eichendorff Worte hingelallt, aller Kontrolle bar, und die bis zum Extrem gediehene Lockerung nähert sie dem immer schon Gewesenen: »Lied, mit Tränen halb geschrieben.«

*

»Lied, mit Tränen halb geschrieben.«  steht im dritten Abschied des lngeren Poems "Der verliebte Reisende"; lesen Sie hier das ganze Gedicht:

Der verliebte Reisende


Da fahr ich still im Wagen,
Du bist so weit von mir,
Wohin er mich mag tragen,
Ich bleibe doch bei dir.

Da fliegen Wälder, Klüfte
Und schöne Täler tief,
Und Lerchen hoch in den Lüften,
Als ob dein Stimme rief'.

Die Sonne lustig scheinet
Weit über das Revier,
Ich bin so froh verweinet
Und singe still in mir.

Vom Berge gehts hinunter,
Das Posthorn schallt im Grund,
Mein Seel wird mir so munter,
Grüß dich aus Herzensgrund.

    2

Ich geh durch die dunklen Gassen
Und wandre von Haus zu Haus,
Ich kann mich noch immer nicht fassen,
Sieht alles so trübe aus.

Da gehen viel Männer und Frauen,
Die alle so lustig sehn,
Die fahren und lachen und bauen,
Daß mir die Sinne vergehn.

Oft wenn ich bläuliche Streifen
Seh über die Dächer fliehn,
Sonnenschein draußen schweifen,
Wolken am Himmel ziehn:

Da treten mitten im Scherze
Die Tränen ins Auge mir,
Denn die mich lieben von Herzen
Sind alle so weit von hier.

    3

Lied, mit Tränen halb geschrieben,
Dorthin über Berg und Kluft,
Wo die Liebste mein geblieben,
Schwing dich durch die blaue Luft!

Ist sie rot und lustig, sage:
Ich sei krank von Herzensgrund;
Weint sie nachts, sinnt still bei Tage,
Ja, dann sag: ich sei gesund!

Ist vorbei ihr treues Lieben,
Nun, so end auch Lust und Not,
Und zu allen, die mich lieben,
Flieg und sage: ich sei tot!

    4

Ach Liebchen, dich ließ ich zurücke,
Mein liebes, herziges Kind,
Da lauern viel Menschen voll Tücke,
Die sind dir so feindlich gesinnt.

Die möchten so gerne zerstören
Auf Erden das schöne Fest,
Ach, könnte das Lieben aufhören,
So mögen sie nehmen den Rest.

Und alle die grünen Orte,
Wo wir gegangen im Wald,
Die sind nun wohl anders geworden,
Da ists nun so still und kalt.

Da sind nun am kalten Himmel
Viel tausend Sterne gestellt,
Es scheint ihr goldnes Gewimmel
Weit übers beschneite Feld.

Mein' Seele ist so beklommen,
Die Gassen sind leer und tot,
Da hab ich die Laute genommen
Und singe in meiner Not.

Ach, wär ich im stillen Hafen!
Kalte Winde am Fenster gehn,
Schlaf ruhig, mein Liebchen, schlafe,
Treu' Liebe wird ewig bestehn!

    5

Grün war die Weide,
Der Himmel blau,
Wir saßen beide
Auf glänzender Au.

Sinds Nachtigallen
Wieder, was ruft,
Lerchen, die schallen
Aus warmer Luft?

Ich hör die Lieder,
Fern, ohne dich,
Lenz ists wohl wieder,
Doch nicht für mich.

    6

Wolken, wälderwärts gegangen,
Wolken, fliegend übers Haus,
Könnt ich an euch fest mich hangen,
Mit euch fliegen weit hinaus!

Tag'lang durch die Wälder schweif ich,
Voll Gedanken sitz ich still,
In die Saiten flüchtig greif ich,
Wieder dann auf einmal still.

Schöne, rührende Geschichten
Fallen ein mir, wo ich steh,
Lustig muß ich schreiben, dichten,
Ist mir selber gleich so weh.

Manches Lied, das ich geschrieben
Wohl vor manchem langen Jahr,
Da die Welt vom treuen Lieben
Schön mir überglänzet war;

Find ichs wieder jetzt voll Bangen:
Werd ich wunderbar gerührt,
Denn so lang ist das vergangen,
Was mich zu dem Lied verführt.

Diese Wolken ziehen weiter,
Alle Vögel sind erweckt,
Und die Gegend glänzet heiter,
Weit und fröhlich aufgedeckt.

Regen flüchtig abwärts gehen,
Scheint die Sonne zwischendrein,
Und dein Haus, dein Garten stehen
Überm Wald im stillen Schein.

Und du harrst nicht mehr mit Schmerzen,
Wo so lang dein Liebster sei -
Und mich tötet noch im Herzen
Dieser Schmerzen Zauberei.

Wieder Adorno:
Auf kaum einen paβt das bequeme Schema vom Erlebnis und der Dichtung schlechter als auf ihn. Das Wort »wirr«, eines seiner liebsten, ist völlig anderen Sinnes als das »dumpf« des jungen Goethe: es meldet die Suspension des Ichs, seine Preisgabe an ein chaotisch Andrängendes an, während die Goethesche Dumpfheit stets den seiner selbst gewissen Geist meint, der sich erst bildet. Ein Eichendorffsches Gedicht beginnt: »Ich hör die Bächlein rauschen / Im Walde her und hin, / Im Walde in dem Rauschen / Ich weiβ nicht, wo ich bin«: so weiβ diese Lyrik überhaupt nie, wo ich bin, weil das Ich sich vergeudet an das, wovon es flüstert. Genial falsch ist die Metapher von den Bächlein, die »her und hin« rauschen, denn die Bewegung der Bäche ¡st einsinnig, aber das Her und Hin gibt das Verstörte dessen wieder, was die Laute dem Ich sagen, das lauscht, anstatt sie zu lokalisieren; auch ein Stück Impressionismus wird in solchen Wendungen antezipiert.


*

Das Bachrauschen und der ominöse Satz "Ich weiß nicht, wo ich bin." finden sich in dem Gedicht "In der Fremde" aus dem Jahre 1833:

In der Fremde

    Ich hör die Bächlein rauschen
    Im Walde her und hin,
    Im Walde in dem Rauschen
    Ich weiß nicht, wo ich bin.

    Die Nachtigallen schlagen
    Hier in der Einsamkeit,
    Als wollten sie was sagen
    Von der alten, schönen Zeit.
   
    Die Mondesschimmer fliegen,
    Als säh ich unter mir
    Das Schloß im Tale liegen,
    Und ist doch so weit von hier!
   
    Als müßte in dem Garten,
    Voll Rosen weiß und rot,
    Meine Liebste auf mich warten,
    Und ist doch lange tot.


Ein namensgleiches anderes Gedicht liest sich so:

In der Fremde

        Aus der Heimat hinter den Blitzen rot
        Da kommen die Wolken her,
        Aber Vater und Mutter sind lange tot,
        Es kennt mich dort keiner mehr.

        Wie bald, wie bald kommt die stille Zeit,
        Da ruhe ich auch, und über mir
        Rauschet die schöne Waldeinsamkeit
        Und keiner mehr kennt mich auch hier.


Beide Versionen wurden von Robert Schumann vertont.









Adorno:
Stand am Anfang der deutschen Romantik die spekulative Identitätsphilosophie, in der das Gegenständliche Geist ist und der Geist Natur, dann verleiht Eichendorff den bereits verdinglichten Dingen im Einstand noch einmal die Kraft des Bedeutens, des über sich Hinausweisenden.

Der Akt der Versprachlichung des Menschen, ein Wortwerden des Fleisches, bildet der Sprache den Ausdruck von Natur ein und transfiguriert ihre Bewegung ins Leben noch einmal. Rauschen war sein Lieblingswort, fast eine Formel; das Borchardtsche »Ich habe nichts als Rauschen« dürfte als Motto über Vers und Prosa Eichendorffs stehen. Dies Rauschen jedoch wird von der allzu hastigen Erinnerung an Musik versäumt. Rauschen ist kein Klang sondern Geräusch, der Sprache verwandter als dem Klang, und Eichendorff selber stellt es als sprachähnlich vor.

*

(Adorno schrieb in seinen "Noten zur Literatur IV" einen Essay über Rudolf Borchardts Lyrik: "Die beschworene Sprache", der seine linken Anhänger irritierte, weil sie nicht nachvollziehen konnten, weshalb er den konservativen, ja reaktionären Autor, den Bourgeois, so pries, ihm so viel Aufmerksamkeit schenkte.)


"Ich habe nichts als Rauschen" steht im Gedicht "Pause" von Rudolf Borchardt. Adorno hat eine Auswahl von Gedichten Rudolf Borchardst herausgebracht (1957 Klett); die Ausgabe wurde auch von Suhrkamp publiziert (Bibliothek Suhrkamp # 213, 1968). Lesen Sie hier dieses Gedicht:



Rudolf Borchardt


Pause

Hinter den tiefsten Erinnerungen
Verwächst die Zeit;
Die alten Wege waren tief und breit,
Nun hat die Welt sie überdrungen.

„O Rauschen tief in mir,
Was aber hast du, das ich gerne hörte?
Ist denn ein Ton in dir,
Der mich nicht störte?”

„Ich habe nichts als Rauschen,
Kein Deutliches erwarte dir;
Sei dir am Schmerz genug, in dich zu lauschen.“

Adorno:
Eichendorffs Gröβe ist nicht dort zu suchen, wo er gesichert ist, sondern wo die Schutzlosigkeit seines Gestus am äuβersten sich exponiert. Das Gedicht >Sehnsucht< lautet:

Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leibe entbrennte,
Da hab' ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!

Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.

Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die überm Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht.
Dies Gedicht, unvergänglich wie nur eines aus Menschenhand, enthält kaum einen Zug, dem man nicht das Abgeleitete, Sekundäre vorrechnen könnte, aber jeder dieser Züge wandelt sich in Charakter durch die Fühlung mit dem nächsten. Was lieβe von der nächtlichen Landschaft Unverbindlicheres sich sagen, als daβ sie still sei, und was wäre fataler als das Posthorn; aber das Posthorn im stillen Land, der tiefsinnige Widersinn, daβ der Klang die Stille nicht sowohl tötet, denn, als ihre eigene Aura, zur Stille erst macht, trägt schwindelnd hinweg übers Gewohnte, und die unmittelbar anschlieβende Zeile »Das Herz mir im Leibe entbrennte«, mit dem ungebräuchlichen Präteritum, das gleichsam vom ungestümen Pochen der Gegenwart nicht Ios kann, verbürgt durch den Kontrast zu dem Vorhergehenden eine Würde und Eindringlichkeit, von der kein einzelnes ihrer Worte etwas weiβ. Oder: wie schwach wäre, nach allen Maβstäben des Gewählten, für die Sommernacht das Attribut »prächtig«.






Zur Vertonung von Eichendorffs Gedichten bzw. generell zur Problematik von Gedichtvertonungen notiert Adorno:


CODA: SCHUMANNS LIEDER
Schumanns Liederkeis nach Eichendorff-Gedichten op. 39 ist einer der groβen lyrischen Zyklen der Musik. Diese bilden, seit Schuberts Müllerliedern und der >Winterreise< bis zu den Georgeliedern op. 15 von Schönberg, eine eigentümliche Form, welche die Gefahr allen Liedwesens, die Verniedlichung der Musik ingenrehafte Kleinformate, bannt durch Konstruktion: das Ganze steigt aus dem Zusammenhang miniaturhafter Elemente auf. Der Rang des Schumannschen Zyklus ward so wenig je in Zweifel gezogen wie sein Zusammenhang mit der glücklichen Wahl groβer Dichtung.












Und zum Schluss, zum Abschied:




71. Todestag von René Schickele


René Schickele (4. August 1883 in Oberehnheim im Elsass - 31. Januar 1940 in Vence, Alpes-Maritimes) war ein deutsch-französischer Schriftsteller, Essayist und Übersetzer.

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Eintrag zu René Schickele im exil-archiv

Der „zweisprachige Grenzvogel“ René Schickele – Journalist, Schriftsteller und früher Europäer
von Carsten Tergast, ZVAB-Blog

Kohser-Spohn, Christiane: « Hier Allemand, aujourd’hui citoyen français, je m’en contrefous ». René Schickelé (1883-1940), alsacien, européen, pacifiste. In: Themenportal Europäische Geschichte (2009),  URL: http://www.europa.clio-online.de/2009/Article=366. Abgerufen am 31.1.2012





»Zeit zum Reisen«

Aus: René Schickele: Himmliche Landschaft (1933)

Am Nachmittag kommen die ersten Wanderburschen.

Während der Schneezeit waren sie wie begraben. Nicht ein einziges Mal ging die Gartentür auf, um eine dieser entschlossenen Gestalten durchzulassen, wie sie jetzt mit Knüppel und forschendem Blick auf das Haus losgehn.

»Wo waren Sie denn während des Schnees?« fragte ich den ersten. Es ist ein zwanzigjähriger Bursche mit leuchtend blauen Augen.

»Ha, da haben wir halt bei die Bauern Holz gehackt.«

Glänzend! Auch hier gibt es Holz zu hacken, Leimringe an die Obstbäume zu legen und sonst allerhand Arbeit. Aber der Junge verzieht das Gesicht, sein Blick schweift in die Weite, blau durch die blaue Weite, bis zu den blauen Vogesen . . . Die Sonne wärmt, die Vögel singen Sieg – überwunden die Zeit, wo das Futter unerreichbar unter dem Schnee lag und die Maden sich vor der Kälte verkrochen! Auf den Straßen knallen die Peitschen der Fuhrleute, am Gartenzaun steht der Hund auf den 32 Hinterpfoten und bellt ein Eichhörnchen an, das ihm vom Ast einer Lärche in den Rachen hineinsieht. Dabei verzieht es die Oberlippe, als ob es grinste . . .

»Nee«, sagt der Bursche, »nee, lieber Herr. Jetzt ist die Zeit zum Reisen. Ich bin ein Durchreisender, verstehn Se?«

Ein Durchreisender folgt dem andern. Tag um Tag, und wenn der Hund unbeaufsichtigt herumläuft, bleiben sie am Gartenzaun stehn und warten, bis sich jemand im Hofe zeigt.

Sie wandern!

Als ich endlich einen erwische, der arbeiten will, ist es ein alter Mann. Er kommt mit den Jungen nicht mit, sie betteln ihm alles vor der Nase weg, sie betteln die Welt leer und lachen ihn aus.

Da fasse ich einen Beschluß. Die Jungen bekommen zu essen und, wenn sie wollen, ein Buch. Geld gibt es nur für die Alten.

Freitag, 27. Januar 2012

Lewis Carroll's 180th birthday

Charles Lutwidge Dodgson,  27 January 1832 – 14 January 1898), better known by the pseudonym Lewis Carroll, was an English author, mathematician, logician, Anglican deacon and photographer.

Wikipedia

A Lewis Carroll Centenary Exhibition
Harry Ransom Center, the University of Texas at Austin

The nude photography by Lewis Carroll

Poems:

Life is But a Dream
A boat, beneath a sunny sky
Lingering onward dreamily
In an evening of July--

Children three that nestle near,
Eager eye and willing ear,
Pleased a simple tale to hear--

Long has paled that sunny sky;
Echoes fade and memories die;
Autumn frosts have slain July.

Still she haunts me, phantomwise,
Alice moving under skies
Never seen by waking eyes.

Children yet, the tale to hear,
Eager eye and willing ear,
Lovingly shall nestle near.

In a Wonderland they lie,
Dreaming as the days go by,
Dreaming as the summers die;

Ever drifting down the stream--
Lingering in the golden gleam--
Life, what is it but a dream?



Jabberwocky


'Twas brillig, and the slithy toves
Did gyre and gimble in the wabe:
All mimsy were the borogoves,
And the mome raths outgrabe.

"Beware the Jabberwock, my son!
The jaws that bite, the claws that catch!
Beware the jubjub bird, and shun
The frumious Bandersnatch!"

He took his vorpal sword in hand:
Long time the manxome foe he sought--
So rested he by the Tumtum tree,
And stood awhile in thought.

And, as in uffish thought he stood,
The Jabberwock, with eyes of flame,
Came whiffling through the tulgey wood,
And burbled as it came!

One, two! One, two! And through and through
The vorpal blade went snicker-snack!
He left it dead, and with its head
He went galumphing back.

"And hast thou slain the Jabberwock?
Come to my arms, my beamish boy!
O frabjous day! Calloh! Callay!"
He chortled in his joy.

'Twas brillig, and the slithy toves
Did gyre and gimble in the wabe:
All mimsy were the borogoves,
And the mome raths outgrabe.




 



Dienstag, 24. Januar 2012

Ban Rushdie!


Who’s Afraid Of Nobodaddies?
Of a weak-kneed Congress and the manufactured dissent of clerics

The situation is as ridiculous as many of the ironies in his celebrated books. But alas, it is not magic realism, but quite the reality, the furore over Salman Rushdie’s proposed visit to India to attend the Jaipur Literature Festival. To some extent, it’s one of those contrived controversies in a season where no other story is competing for eyeballs.
The mullah brigade has made its usual statements about the writer not being allowed to set foot on Indian soil. The TV channels have a great talking point: there are some themes that can always be debated. For 24 years, ever since Satanic Verses invited the wrath of Ayatollah Khomeini of Iran, and was subsequently banned in many countries, including India, Salman Rushdie is always ready material for controversy.

# # #

What the Moslems or Islamists undertake in India equals protests in the West against their own enemies: in Germany against Sarrazin, in Austria against Right wingers who assemble for a dancing ball, in other EU-countries against this or that person who is outside of the main stream.






La vanidad literaria


ANÁLISIS: PENSAMIENTO 

JAVIER GOMÁ LANZÓN  - EL PAÍS, 21/01/2012

Me encuentro con un amigo quien por convicción o por compromiso empieza a dedicar palabras amables a un artículo mío reciente. Los elogios suenan a gloria en mis oídos pero yo niego con la cabeza y hago un gesto con las manos como rogándole que pare, que no siga, que sus lisonjas son excesivas y me hacen sonrojar. Entonces la conversación salta con naturalidad, por pura asociación, a otro tema y de éste a otro más distante aún, y siento una punzada en el pecho. Ya estoy echando de menos más alabanzas. Pero el otro no se percata de la ansiedad que me invade y, tan confiado el hombre, sigue perorando sobre materias que, honradamente, ya ni escucho. Yo, que hace unos minutos afectaba modestia, ahora estoy dispuesto a mendigar un encomio más al precio que sea. El amigo parece haber perdido interés en mi artículo, antes tan ensalzado, así que tengo que ser yo mismo -¡parece mentira!- quien haya de recordar al ingrato el hilo perdido: "Así que me decías que te gustó mi artículo...".

117. Geburtstag von Albin Zollinger

Albin Zollinger (24. Januar 1895 in Zürich - 7. November 1941 in Zürich) war ein Schweizer Schriftsteller (Lehrer, Lyriker, Essayist, Journalist).

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Ausschnitt aus dem Roman "Der halbe Mensch" (1929):


Die Begegnung

Freundschaften

Zu Hause fand er die gesuchte Ruhe auch wieder nicht; das Heimweh nach der Fremde trieb ihn um, er schluchzte in den Nächten.
»Ihr wißt nichts um diese Begleiterscheinung unseres Wanderlebens,« klagte er dem Maler, »die unglückliche Liebe zu den Kindern, die wir immer dann wieder hergeben müssen, wenn wir uns so recht befreundet haben. Ich begehre für mich keinen Ruhm, keine Zukunft mehr; alles Gefühl hat sich mir in das Verlangen, dorthin zurückzugehen, verwandelt. Man führt im Herzen dann alles so weiter: wie die Wiesen reifen, wie die jungen Störche wachsen, wie des Abends die Brunnen überlaufen – und wie die Kleinen größer werden, diese Bauernjungen mit ihren so reinen Augen, die blonden, mütterlichen Mägdlein; aber niemand sieht auch nur herum, die Tage kommen und gehen, und es macht den Eindruck, wenn keiner nach uns verlangt, als ob wir in unserer Liebe allein stünden und für nichts dermaßen litten; man sieht sich versucht, an allem Sinn und allem Ehrwürdigen zu verzweifeln. Nach Jahren einmal kann es wohl geschehen, daß plötzlich ein Herbstgeruch uns das ganze unsägliche Land aus der Seele hebt. Ach man leidet ja nur!« rief er unwillig, indem er sich in das Gras ausstreckte.
Nach einer Weile saß er wieder da und blickte auf die Leinwand, die Alder färbte. Dieser hatte begonnen, ihm über seine Beziehungen zu dem Studenten Homberger freundliche Vorwürfe zu machen. Er vernahm sie gedankenvoll, aber wenig beirrt und ging, auch als Guido verstummte, nicht darauf ein.
»Ich weiß gar nichts von Priska,« erwiderte er vielmehr, um den Spieß zu drehen oder doch abzulenken. »Seid ihr eigentlich uneins?«
»Uneins gerade nicht, aber doch auch nicht einig,« versetzte der Maler mit halbem Lachen. »Es hat sich ergeben, daß dieses Mädchen mich eben dennoch nichts angeht. All die Herzensgewißheit war ein Irrtum, alle Zartheit und Verzückung ein Diebstahl, mein Lieber. Wer hätte es gedacht! Um der Fügung freie Hand zu lassen, begab ich mich auf die Seite in ein altes Städtchen, dessen Giebel und Gärten ich durch einen Schleier von Tränen fluchend und unter endlosen Selbstgesprächen malte. Ich hatte es listig zu machen geglaubt; aber eines Tages legten sich Priskas Hände auf meine Augen, nur Priska konnte das Kleid gehören, das sich lind an mich lehnte. Noch als ich sie über Land entfernte, begriff sie nichts von allem. Die Bahn ging durch Heu- und Getreideduft, wir waren allein und Priska voll Übermut, bis sie nun doch in Tränen ausbrach und durch das Fenster hinaus fragte, was ich nur hätte. Alle Liebe und alles Gefühl überschüttete mich glühend. Begreiflicherweise verlangte es sie aber nicht mehr nach meinen Liebkosungen, zu denen mich Verzweiflung und Mitleid trieben; denn alsbald lag in mir wieder der Grund jener Nüchternheit bloß, die nicht über die vollkommene Leere meines Herzens zu täuschen war. Die Schönheit des Mädchens sehend, noch voll aller Wünsche und Bilder, durch die ich sie mir verbunden hatte, saß ich vor ihr und wußte, daß ich sie nicht mehr liebte und daß sie begonnen hatte, sich mit jener Lautlosigkeit und Eile von mir zu entfernen, mit welcher sich Sterne aneinander vorbei in die schaurigsten Welteinsamkeiten bewegen.«
Nach einem Schweigen kam er wieder auf Homberger zurück; aber der Blonde unterbrach ihn sehr fröhlich: »Die Magnolien blühen in seinem Garten, durch die stillen alten Räume geht immer ein Duft von Päonien; was kann ich dafür, daß ich Palmen, Barkenführer und irgendwelche vornehmen verheißungsvollen Zauber in diesem Hause sehe, in welchem, wie ich mich erinnere, mir erstmals blaue Länder aufgingen, weil es so roch, weil seine Tulpenbeete so entrückt hinter kostbaren Gittern glänzten. Nachgerade scheint es mir kaum mehr glaubhaft, daß ich selber es war, der in die Koniferenluft jenes Herrschaftsgartens wie in paradiesische Gebüsche eintrat. Damals umstand mich die Ferne verschwommen und unendlich, die Bahnzüge fuhren alle in Märchenländer, mir selbst stand ich so fern gegenüber, daß ich mit mir wie mit einem Prinzen umging. Im Bohnengarten begegnete mir Rauch, blauer oder goldener Rauch, der vor mir erschrak und sich hoch in Abendhimmel verzog, und Abendhimmel waren mir damals Felder mit römischen Städten, mit Kardinälen, Zisternen, Bildhauerwerkstätten, Oliven. Denn alles dies war mein Umgang, von Höllenlandschaften wußte ich aus Erfahrung, Venedigs Kähne und die Palastmenschen Roms hatte ich irgendwo in mir; noch machte durchaus nur das Dichterische meine Wirklichkeit aus. Die Zukunft entwickelte sich als ein grausames Spiel, in welchem ich Schlag auf Schlag um meine Könige kam – deshalb gönne mir die Wehmut, an den Stätten herumzustehen, die mich an sie erinnern. Homberger zog in die Welt, von der zu berichten er der rechte Mann war; denn er verführte Frauen, reiste mit Diplomaten, schrieb in Zeitungen, füllte Schubladen mit Versen und erschien insgesamt als ein Teufelskerl ganz nach dem Muster seines jungen Goethe, dem er auch äußerlich ähnelte. Ich selber glich niemandem von Bedeutung, konnte gar nichts Genialisches an mir entdecken, fand mich spießerlich und bäurisch und haßte mich so von Herzen, daß nur der Stolz, dem jungen Apoll gelegentlich mit Geld auszuhelfen, mich dem Leben zu erhalten vermochte; Einöden von Ekel und Trauer brachten mich ja nicht um.«
Mit einem vorsichtigen Lächeln sprach er nach einer Weile: »Noch heute bin ich mir keineswegs über ihn klar. Ich weiß nur, daß ich die sonderbare Mischung von Intelligenz und Kindlichkeit an ihm liebe, daß er mich liebt und über alle Stürme und Verwandlungen hinweg nicht preisgibt. Seiner Münchhausiaden kann ich wohl lachen; aber eines Tages bringt er mich in den größten Zwiespalt durch irgendeinen Beweis seiner erstaunlichen Talente.«
»Dergleichen Blender gibt es auch in der Malerei,« erwiderte Guido; »sie kommen zu großem Namen und schneller Vergessenheit.«
»Das weiß ich nicht. Ich möchte wohl die Robustheit deines Urteils besitzen, sie ersparte mir viele Drangsal. Er ist vielseitig begabt. Jüngst sang er mir Arien aus einer eigenen Oper vor, die er nach beiläufigen Studien mit großer Zuversicht unternommen hatte. Und ich müßte lügen, um mich dem Bekenntnis zu entziehen, daß seine Musik mich wunderlich einspann, die gotische Luft ...«
»Etwa aus Berlioz! Er nimmt sich irgendein Muster, und mit genügend Theater läßt sich immer etwas Hohlklingendes fabrizieren.«
Es war nun die zweite Woche, daß Wendel sich damit aufhielt, den Anschluß an seine Dichterarbeit wiederzufinden. Der Kampf mit dieser verharzten und wie es ihm schien kümmerlichen Sache, die nicht aus dem Vollen sprudelte, brachte ihn um den Lebensmut. In der Fron seines Berufes hatte er die Küsten solcher Traumbetätigung golden verklärt gesehen und eine Last von Verlangen in sich angesammelt; nun plagte er sich mit Skrupeln über eine dermaßen zerbrechliche und launenhafte Begabung. In seiner Reizbarkeit verdarb er es obendrein mit der Mutter. Sie, die ihm das Leben gegeben, nicht gerade auf sein Geheiß hin, was sie sich törichterweise vorwerfen mochte, verübelte ihm jederlei Schwermut. Er seinerseits legte ihr das als eine Art Neid aus, er sah sich in seinem Künstlertum angefeindet, und wenn die Gehässigkeit, von der er die Welt erfüllt sah, wie nichts ihn zu erbittern vermochte, so ertrug er sie vollends nicht an diesem Weibe, für das er keine halben Gefühle, unter den gegebenen Umständen also gerade jetzt einen vollkommenen Haß besaß.
Es kam daher wie eine Erlösung, als der schwierige Sohn durch sein Amt – er war Volksschullehrer – wiederum abberufen wurde; das Wetter war kalt, der Ausblick in der neuen Umgebung verhangen, und es schien nicht anders, als hätte Wendel hier strafweise ein trostloses Babylon angetreten.
Er verwünschte in seinen Briefen alles, was er vorfand, die Trübe des Flusses, die Nachbarschaft der Großstadt, die Kollegen – wenn immer es anging, flüchtete er in das Elternhaus, als ob er da Hilfe fände gegen eine Feindschaft, die sich um ihn zusammenzog. Er fürchtete sich vor dem Leben; es regnete, und die sintflutliche Verdämmerung bestimmte ihn, auf eine baldige Befreiung durch höhere Hand zu hoffen, irgendein Wunder, das ihn hinwegnähme, und sei es der Untergang dieses Sterns, um den er wahrlich nicht trauerte.
Sogar mit Guido überwarf er sich, indem es ihm nicht gegeben war, ihn in der ihm eigenen bürgerlichen Vornehmheit unangefochten zu lassen, die er eifersüchtig wie eine trennende Braut befehdete. Was er an die Adresse der Gesellschaft auf dem Herzen trug, das verfeuerte er unbeherrscht und kopflos gegen den Freund, gerade weil er ihn liebte. Die Mißverständnisse, die sich häuften, berichtigte er nicht, weil er glaubte, ihre freundschaftliche Verbundenheit müßte sie ausgleichen. Damit brachte er ihr Verhältnis in Verwirrung; Guido, welcher ruhige und berechtigte Verteidigungen seines Wohlstandes vorbrachte, zog die Konsequenzen des Gentlemans und verreiste ein wenig erstaunt, aber friedlich.
Wendel durchstöberte die fremde Wohnstätte und machte die Entdeckung von Hügeln, Wassern, Wäldern und Schneegebirgen. Er versöhnte sich eilig ein wenig mit seinem Los. Eine Ruine in Föhrenwipfeln, von der aus er über das Land blickte, war ihm in seinem Exil wie eine Verbündete erschienen, er stieg getröstet zum Flusse hinunter.
Seine nun menschlichere Erscheinung ermutigte eine junge Dame der neuen Bekanntschaft, endlich gegen ihn vorzugehen und den Angriff auf seine beleidigende Verschlossenheit zu eröffnen. Diese streitbare Kollegin war ihm aufgefallen durch ihre Augen und das schneeweiße Haar, aus welchem ein jugendfrisches Antlitz wunderlich fremd mit eben den strahlenden Augen hervorsah, von welchen er Vormerk genommen.
Sie stellte ihn eines Tages auf die freundlichste Weise, indem sie ihn gleichzeitig in ihre Dienste nahm; sie bat um die Freundlichkeit, ihr das Netz zu tragen, in welchem sie Rüben schleppte. Er fügte sich verwundert und grimmig. Er hatte geradezu einen Schwur getan, sich hier kostbar machen zu wollen und die Schätze seines Leides keinem Fremden zu öffnen. Hier sah er sich zu seinem Schrecken auf einmal angefallen und in Gefahr, sich preiszugeben. Es half ihm nichts, daß er manchmal den Rückzug zu organisieren versuchte; sie ließ ihn nicht springen, sondern fragte so verständig und beschlagen wie ein Staatsanwalt. Dazu kam, daß es ihn wahrhaft erleichterte, mit den dunklen Bedrückungen, die sein Beruf ihm bereitete, in die Teilnahme eines Leidensgenossen zu flüchten. Nach der Gewohnheit der Dichter hatte er sich eingebildet, weiß Gott welche neuen Probleme in seiner Beichte aufzurollen. Jetzt las er Fräulein Fahm nur eine humorvolle Ergebenheit vom Gesicht ab, und etwelche Freude vielleicht über die kindliche Art, mit der er das alles vorbrachte.
Es wunderte ihn, welches Alter er ihr geben sollte; er stand nicht an, zu fragen, indem er nach ihren Haaren blickte.
Sie lief beleidigt weiter, und er nahm seine Beine zusammen. Der See lag in der Tiefe. Fräulein Fahm näherte dem Blonden wieder ihre Augen und fragte: »Warum wohnen Sie da hinten, wenn Sie es doch anders haben können?«
Damit erinnerte sie ihn an sein Elend; er verschloß sein Antlitz und begehrte zu gehen. »Ja besuchen Sie mich nicht, Herr Bach? Kommen Sie doch mit, wo wir schon hier sind. Wir gießen uns einen Tee auf und plaudern noch ein wenig. Sie müssen doch auch wissen, wie ich wohne.«
»Dazu sehe ich keinen Grund ein,« versetzte er und sah, daß es ihr in den Händen zuckte, ihn zu schütteln. Er dachte bei sich, die Dame möchte sich hüten, ihm allzuviel von einem Wohlgefallen zu schenken, dem er keine Verwendung wußte. Die Nase erhebend wandelte er von dannen.
Es sollte sich in der Folge um ein Türschloß handeln, nach welchem zu sehen sie ihn ersuchte. Aber sie kamen bis vor einen kleinen unglücklichen Streit, in dessen Verlauf er ihr sagte, daß er von Haus aus nicht Schlosser wäre, sie möchte die Freundlichkeit haben, ihn nicht zu überschätzen.
Es handle sich nicht um ihn, es handle sich um das Schloß, entgegnete sie. Er drehte ihr den Rücken.
Ein paar Tage später vermerkte sie schüchtern, nun gehe der Schlüssel überhaupt keinen Weg mehr.
Ziemlich erbleicht verschränkte er die Arme, genötigt, ihr folgendes zu sagen:
»Haben Sie, Fräulein, vielleicht ein Verständnis dafür, daß ich aus den und den Gründen lieber allein bleiben möchte, daß ich auf diese Gegend pfeife und infolgedessen auch mit ihren Menschen keine vorübergehenden nutzlosen Beziehungen anknüpfe?«
»Dafür habe ich ein ordentliches Verständnis,« erwiderte sie. »Aber abgesehen davon, daß man nie wissen kann, wozu einem die Menschen noch nützlich werden,« sie hustete, »bleiben Sie doch nun ein Jahr hier und alle folgenden dann hoffentlich auch noch.«
»Das wird der allmächtige Gott verhüten.«
»Wir aber sind nicht willens, eine so unartige Gesellschaft zu dulden; merken Sie sich's. Worauf es ankommt: Von alledem wird mein Schloß nicht besser.«
Er grinste gewaltig.
Ob sie ihn zu heiraten beabsichtige, frug er.
»Sind Sie aber ein Angsthase!« war ihre Antwort. »Fürchten Sie nichts, ich tue den Menschen nicht gleich das Schlimmste an. Wenn Sie aber schon ein solcher Affe sind, dann lassen Sie es in Gottes Namen bleiben. Auf Wiedersehen.«
Abends rückte er mit Werkzeug ein.
Es handle sich nur um das Schloß, besänftigte er ihre Freude. Als es nach heißem Wasser zu riechen begann, fuhr er auf.
»Bst! Junkerlein, oder was Sie sind. Sie kriegen nämlich weiter keine Bezahlung.«
Bei Tisch begann sie ihn auszufragen. Warum er so unartig sei? Ob er es seine Nächsten entgelten lasse, daß das Schicksal ihn hierher verschlagen habe? Ob ihm das Vergnügen bereite? Ob es denn überhaupt so schlimm sei, und warum?
Er übertraf mit seinem Grimm alle Erwartungen. Sie begann an ihm zu verzweifeln.
Beim Abschied sagte er grämlich. »Sie finden mich zweifellos einen entsetzlichen Menschen?«
»Das finde ich Sie allerdings und hoffe Ihnen damit nicht Unrecht zu tun. Aber am Ende müssen Sie wissen, was Sie mögen und was Sie nicht mögen; ich glaubte, Sie wären nur unglücklich, da ließ es sich denken, daß Sie Hilfe brauchten. Wenn ich damit Ihrem Griesgram ins Gehege lief, so verzeihen Sie bitte; dieser ist eine Kurzweil, die Sie vermutlich für sich allein haben wollen?«
»Allerdings,« sprach er tonlos.
Er sah, sie zürnte ihm nicht. Höchstens daß eine kleine Traurigkeit in ihren Augen lag, wenn sie ihn von fern betrachtete.
Eines Tages fand sie ihn unterwegs, gesellte sich zu ihm, und als sie zur Stadt hinübergekommen waren, antwortete sie auf sein mildes, fleißiges, ein wenig betrübtes Geplauder: »Ist es unumgänglich notwendig, daß Sie weiter müssen, Herr Bach?«
Er verneinte.
»Na, dann also bin ich doch um ein Dutzend Jahre älter als Sie, und Sie können so fröhlich auf ein Stündchen heraufkommen und sitzen. Es bleibt Ihnen immer noch freigestellt, sich unabhängig zu halten; wir können ein wenig Musik machen, wir können auch etwas lesen, aber Sie sollen doch nun nicht ewig sich gegen das Leben sperren und ein saures Gesicht in der Welt herumtragen, an dem Ihnen alles gerinnt. Kommen Sie, kommen Sie!«
Auf ihrem Sofa sitzend, gab er ihr treulich Antwort, betrachtete ihr Schneehaar, das sie über eine Handarbeit neigte, betrachtete wieder den Wohnraum, die Wipfel vor den Fenstern. Endlich sagte er:
»Hier ist schon alles städtisch.«
»Lieben Sie das nicht?«
»Ich habe einen Winter abseits verbracht, ganz eingeschneit und vergessen.«
»Das mag Ihnen besser gefallen haben.«
»In der Nacht klingt hier das Tram herüber, manchmal wetterleuchtet es grün durch das schönste Blust.«
»Wo war denn das, daß Sie sich einschneien ließen? Treiben Sie Sport?«
»Bitte höflich! Es war in einer jener Schulen aus Großvätertagen, wie sie sich wohl ewig im Lande erhalten werden.«
»Sie sagten einmal, Sie wären in Afrika aufgewachsen? Das kommt mir an Ihnen sonderbar vor!«
»Warum sonderbar?«
»Wenn Sie gesagt hätten Versailles oder Schönbrunn!« lachte sie. »Können Sie sich der Steppe erinnern? Haben Sie Geschwister, Herr Bach?«
»Ich erinnere mich vielleicht mit dem Blut. Ich war ein wilder Schlingel, der Tiere quälte und aus Neugier den Horizont verfolgte, in der Meinung, er ließe sich erjagen.«
»Der aber ließ sich nicht erjagen!«
»Am Rande ging stets eine neue Ewigkeit auf.«
Er betrachtete sie ein Weilchen. Hierauf sagte er: »Was meinten Sie eigentlich mit den beiden Königsstädten?«
»Dichten Sie, Herr Bach?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ich habe Sie sehr im Verdacht.«
»Wo haben Sie Ihre weißen Haare her?«
»Es gibt keine mehr, wo die waren.«
»Ich begehre auch keine.«
»Schlechter Bär.«
»Ihnen stehen sie gut. Aber Sie sollten sich weicher kleiden.«
Die Augen leuchteten ihr auf.
»Sie sagen mir schöne Sachen,« erwiderte sie bedächtig. »Sie finden mich also hölzern?«
»Ja. Aber das läßt sich ändern. Grüne Seide und Mousseline.«
»Grüne Seide und Mousseline.«
Wieder nach einem Schweigen bat er sie um Musik.
Aus einer lieben Versonnenheit fuhr sie auf: »Ja. Ja, bitte; suchen Sie sich etwas.«
»Nicht ich.«
»Meinen Sie mich? O, da ist nichts zu holen, Herr Bach, auf Ehre!«
»Bitte spielen Sie mir doch etwas vor, irgend etwas das Sie da haben.«
»Herr Bach, ich kann doch nicht spielen!« sagte sie ganz unglücklich, indem sie sich heranschleppte. »Soll ich mir den Anschein geben als ob ich da etwas vorzutragen hätte, und nachher denken Sie sich, das hätten Sie allerdings selber gekonnt.«
»So will ich Ihnen denn aufzählen, was ich mir in Träumerstunden vorzuspielen pflege: Eine Tonleiter, einen Ringelreihen, zweistimmig, macht drei, einen selbsterfundenen Dreiklang, die Tonleiter rückwärts, – macht zusammen sieben. Nein, noch einen Vierklang beherrsche ich auch, macht elfe. Zwölf wäre runder, aber an mir ist alles so ungrad und um ein Haar vollkommen.«
»So, jetzt gefallen Sie mir schon besser!« rief das Fräulein und lachte von Herzen. Er hatte sich auf das Sofa gestreckt und schob sich zurecht, die Hände über den Augen, dazu ermunternd: »Das ist ja großartig; nun aber losgeschossen, ich warte, ich bin schön bereit. Darf ich da eigentlich liegen?«
»Wollte Gott, Sie lägen in Ihrem Grabe! Ja was soll denn gespielt sein? Wenn Sie lachen, dann können Sie sehen wie es Ihnen geht; ich schlitze Ihnen den Leib auf, ich nehme den Skalp von Ihnen. Beißen Sie jetzt auf die Zähne, und sofern Sie es überstehen, kriegen Sie hernach ein Butterbrot; derweil besinnen Sie sich schön, was noch weiter dazu gehört, zu der Seide und Mousseline.« Damit hieb sie die Tasten herab und stopfte ihm den Mund vorerst mit Chopin. Manchmal erbleichte sie leise, manchmal verbiß sie eine Boshaftigkeit. Sie führte behutsam hinüber in friedlichere Gefilde, zauberte Duft und Ferne in gedämpftem Geplätscher; damit am Ende, irgendwo in der Bläue gelandet, fürchtete sie die mögliche Verlegenheit, sprang aufs Geratewohl irgendwo hinein, erklomm eine Sonate, und als sie plötzlich nicht weiter wußte, schlug sie die Hände vors Gesicht. »Jetzt haben Sie hoffentlich Hunger?« sagte sie und lachte.
»Merci, das lasse ich mir mehr gefallen!« quittierte der Jüngling, auf die Füße springend. Da es Abend geworden, begann er wieder seine Umstände zu machen. Sie nahm daraus Gelegenheit, ihn über seine Wohn- und Nahrungsverhältnisse auszuholen, mißtraute dem gewonnenen Gutachten beinah eifersüchtig und nötigte ihm das Versprechen ab, jedenfalls ihre Hilfe zu suchen, bevor er verhungerte.
In einem Nu praktizierte sie ihm ein Mahl auf den Tisch, und hatte ihn damit für eine Zeit in Gewahrsam.
Bald lief er überhaupt alle Tage hinüber. Dann wieder zierte er sich, bereute sein Vertrauen, schrieb an Frau Klärchen.
Diese Frau Klärchen spukte etwas viel in seiner Rede, nicht ohne Mitschuld der Lehrerin, welche die genaue Art dieses Verhältnisses zu ergründen strebte. Eines Tages fragte sie geradezu, ob er den Zustand der Verliebtheit auch schon an sich erfahren hätte?
»Ich erlebe gegenwärtig den, wo man nicht verliebt ist,« antwortete er, unter geduckten Lidern hervorblickend. »Einer ist furchtbarer als der andere.«
»Aber welchen ziehen Sie vor?«
»Den Tod, den Tod.«
»Verzeihen Sie mir, Herr Bach,« versetzte das Fräulein.
Der Drang zu schreiben quälte ihn zunehmend, und es ist zu sagen, daß seine Schüler das büßten. Nachgerade war es ihnen geläufig, daß sie den guten Mann um seine Zeit bestahlen, ohne es gerade gern zu tun. Die Ferien brachten Erlösung. Am Scheideweg seiner Gefühle litt Wendel die schrecklichsten Wochen; Guido war fort, Frau Klärchen halbwegs vergessen, nichts in der Welt, das seinem Leben Inhalt gab, und doch, wie vor Morgen, die Ahnung kommender Fülle, ein verheißungsvoller Schein; Getreide bewegte sich ihm in der Erinnerung blond und traumhaft, ohne daß er einsah, von wo ihn die Schauer berührten. Ein Lächeln regte sich geisterhaft in der Luft.
Zum Glück erschien Homberger, der liebe Gesell, um von seiner Welt zu schwärmen.

Sonntag, 22. Januar 2012

Das Ende der Literaturtheorie?

Diskussionsveranstaltung mit dem Stanforder Literatur- und Kulturtheoretiker Hans Ulrich Gumbrecht

Über das vermeintliche „Ende der Literaturtheorie“ diskutieren am 4. Februar 2012, 11:15 Uhr an der Universität Heidelberg Philologen und Philosophen mit dem Literatur- und Kulturtheoretiker Prof. Dr. Hans Ulrich Gumbrecht von der Stanford University (USA).

An der Diskussionsrunde wirken Prof. Dr. Martin Gessmann (Hochschule für Gestaltung, Offenbach), Prof. Dr. Jochen Hörisch (Universität Mannheim), Privatdozentin Dr. Melanie Möller (Universität Münster) sowie Prof. Dr. Gerhard Poppenberg und Prof. Dr. Jürgen Paul Schwindt (beide Universität Heidelberg) mit. Die Moderationsleitung übernimmt Jürgen Kaube, Ressortleiter für die „Geisteswissenschaften“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zu der Veranstaltung lädt das Seminar für Klassische Philologie der Ruperto Carola ein.

„Seit geraumer Zeit geistert die Rede vom ,Ende der Literaturtheorie‘ durch den akademisch-publizistischen Blätterwald“, so der Klassische Philologe Jürgen Paul Schwindt, der die Veranstaltung organisiert hat.

Wichtigster Stichwortgeber ist der international einflussreiche Komparatist und Methodologe Hans Ulrich Gumbrecht. Dessen Bilanz am Ende des „großen Jahrhunderts der Literaturtheorie“ fällt ernüchternd aus: Keines der im 20. Jahrhundert in dichter Folge entwickelten Modelle zur Erklärung und Deutung der Literatur, so die These des deutsch- amerikanischen Wissenschaftlers, sei heute als verbindlich anerkannt. Literaturtheoretische Strömungen wie Strukturalismus, Diskursanalyse oder Dekonstruktion hätten allzu oft nur eine Verstärkung jener Kanonisierungstendenzen hervorgebracht, die zu überwinden man angetreten sei. Hans Ulrich Gumbrecht fordert daher eine Rückwendung auf die Literatur selbst und die dort verhandelten Fragen und Probleme in Form eines „neuen Existentialismus des literarischen Lesens“.

Wie Prof. Schwindt betont, sind die eindrücklichen Thesen Hans Ulrich Gumbrechts, eines herausragenden Kenners der klassischen und der aktuellen geisteswissenschaftlichen Theoriebildung, in der literaturtheoretischen Forschung und Lehre noch kaum diskutiert worden. Im Rahmen der Heidelberger Veranstaltung soll unter anderem der Frage nachgegangen werden, was genau an die Stelle der Theorie der Literatur treten soll, wenn diese – ob freiwillig oder unfreiwillig – verabschiedet wird. Werden die Kritiker Recht behalten, die immer schon vor der Theoretisierung der akademischen Literaturbehandlung gewarnt haben? Dabei geht es auch, so Jürgen Paul Schwindt, um die Rolle der in den letzten Jahren auffallend zu Kräften gekommenen „neuen, alten“ Philologie.

Kontakt:
Prof. Dr. Jürgen Paul Schwindt
Seminar für Klassische Philologie
Telefon +49 (0) 6221 54-2263
juergen.paul.schwindt@skph.uni-heidelberg.de


* * *

Im FREITAG vom 6.1.2011 publizierte der Meisterdeker Gumbrecht einen Beitrag, der vorsorglich als "Polemik" eingestuft wurde: "Misere der Meisterdenker". Die vielen Kommentare dazu sind lesenswert.

Lord Byrons 224. Geburtstag


George Gordon Noel Byron, 6. Baron Byron of Rochdale, (22. Januar 1788 in London - 19. April 1824 in Messolongi, Griechenland), bekannt als Lord Byron, war ein britischer Dichter.

Wikipedia deutsch

Wikipedia englisch

Lord Byron ist ein Vertreter der englischen Spätromantik, dessen Helden mutig, intelligent, leidenschaftlich, aber auch rastlos und einsam sind; Byron selbst engagierte sich im griechischen Freiheitskampf als Philhellene. Er ist einer jener Romantiker, die nicht nur schrieben, sondern auch politisch handelten. Seine Heldenfigur ging als "Byronic hero" in die Literatur ein.

Nietzsche hielt einen Satz von ihm bewundernd fest, der als programmatisch für Byron gelesen werden kann:

Sorrow is knowledge:
they who know the most
must mourn the deepest
o'er the fatal truth,
the tree of knowledge is
not that of life.

(aus: Manfred, 1817; see background information in Wikipedia; the full poem in Wikisource.)

Viele von Byrons Werken wurden vertont; der russische Dichter Mikhail Lermontov wird auch als russicher Byron gesehen.


My soul is dark

  I
My soul is dark—Oh! quickly string
  The harp I yet can brook to hear;
And let thy gentle fingers fling
  Its melting murmurs o'er mine ear.—
If in this heart a hope be dear,
  That sound shall charm it forth again—
If in these eyes there lurk a tear,
  'Twill flow—and cease to burn my brain—

     II
But bid the strain be wild and deep,
  Nor let thy notes of joy be first—
I tell thee—Minstrel! I must weep,
  Or else this heavy heart will burst—
For it hath been by sorrow nurst,
  And ached in sleepless silence long—
And now 'tis doom'd to know the worst,
  And break at once—or yield to song.


So We'll Go No More A-Roving

So we'll go no more a-roving
So late into the night,
Though the heart be still as loving,
And the moon be still as bright.

For the sword outwears its sheath,
And the soul wears out the breast,
And the heart must pause to breathe,
And Love itself have rest.

Though the night was made for loving,
And the day returns too soon,
Yet we'll go no more a-roving
By the light of the moon.


Background information on this poem in Wikipedia


The History Channel produced a Biography:











Samstag, 21. Januar 2012

140. Todestag Franz Grillparzers

Franz Grillparzer (15. Jänner 1791 in Wien - 21. Jänner 1872 ebenda) war ein österreichischer Schriftsteller, der vor allem als Dramatiker hervorgetreten ist. Aufgrund der identitätsstiftenden Verwendung seiner Werke, vor allem nach 1945, wird er auch als österreichischer Nationaldichter bezeichnet.

Wikipedia

Franz Grillparzer - Website

Franz Grillparzer

Friedrich Nietzsche (in "Unzeitgemäße Betrachtungen) zu einem Satz Grillparzers:

    Nun gibt es aber auch eine berühmte Gefahr dieser Innerlichkeit: der Inhalt selbst, von dem es angenommen ist, daß er außen gar nicht gesehen werden kann, möchte sich gelegentlich einmal verflüchtigen; außen würde man aber weder davon noch von dem früheren Vorhandensein etwas merken. Aber denke man sich immerhin das deutsche Volk möglichst weit von dieser Gefahr entfernt: etwas recht wird der Ausländer immer behalten, wenn er uns vorwirft, daß unser Inneres zu schwach und ungeordnet ist, um nach außen zu wirken und sich eine Form zu geben. Dabei kann es sich in seltenem Grade zart empfänglich, ernst, mächtig, innig, gut erweisen und vielleicht selbst reicher als das Innere anderer Völker sein; aber als Ganzes bleibt es schwach, weil alle die schönen Fasern nicht in einen kräftigen Knoten geschlungen sind: so daß die sichtbare Tat nicht die Gesamttat und Selbstoffenbarung dieses Inneren ist, sondern nur ein schwächlicher oder roher Versuch irgendeiner Faser, zum Schein einmal für das Ganze gelten zu wollen. Deshalb ist der Deutsche nach einer Handlung gar nicht zu beurteilen und als Individuum auch nach dieser Tat noch völlig verborgen. Man muß ihn bekanntlich nach seinen Gedanken und Gefühlen messen, und die spricht er jetzt in seinen Büchern aus. Wenn nur nicht gerade diese Bücher neuerdings mehr als je einen Zweifel darüber erweckten, ob die berühmte Innerlichkeit wirklich noch in ihrem unzugänglichen Tempelchen sitze: es wäre ein schrecklicher Gedanke, daß sie eines Tages verschwunden sei und nun nur noch die Äußerlichkeit, jene hochmütig täppische und demütig bummelige Äußerlichkeit als Kennzeichen des Deutschen zurückbliebe. Fast ebenso schrecklich, als wenn jene Innerlichkeit, ohne daß man es sehen könnte, gefälscht, gefärbt, übermalt darinsäße und zur Schauspielerin, wenn nicht zu schlimmerem geworden wäre: wie dies zum Beispiel der beiseite stehende und still betrachtende Grillparzer von seiner dramatisch-theatralischen Erfahrung aus anzunehmen scheint. "Wir empfinden mit Abstraktion", sagt er, "wir wissen kaum mehr, wie sich die Empfindung bei unseren Zeitgenossen äußert; wir lassen sie Sprünge machen, wie sie sie heutzutage nicht mehr macht. Shakespeare hat uns Neuere alle verdorben."



2006, zu Grillparzers 215. Gebudrtstag, schrieb Haimo L. Handl in kultur-online.net:

Franz Grillparzer - der Verhinderte

Grillparzer stellt die Persönlichkeit und den Typus des pflichtbewussten und -treuen Menschen dar, der von der Behörde drangsaliert und niedergehalten wird, der jedoch Angst und Schrecken vor den Alternativen und Änderungen hat, so dass er, verbittert und vereinsamt, sein Schicksal erträgt und sich sogar Leistungen versagt, die er hätte erbringen können, wären die "Umstände" nur etwas humaner gewesen.

In meiner Schulzeit wurde ich zuerst mit einigem seines Werkes konfrontiert. Als Kind oder früher Jugendlicher war es kein leichter Zugang. Er hatte den bitteren Geschmack eines obligaten Klassikers - und von daher wiederholte sich die Barriere und Abgrenzung, die so gar nicht seinem Werk gerecht wurde und werden kann. Erst später, gegen einige übernommene Vorurteile aus der politischen Literaturkritik seiner (die des "Jungen Deutschland" vor allem) und meiner Zeit (Fünfzigerjahre mit dem offiziellen Belobigen und dem antiautoritären Ablehnen, was sich später in der Achtundsechzigergeneration lautstark artikulierte), konnte ich nicht nur mehr Konturen unterscheiden, sondern auch Inhalte und Positionen anders schätzen lernen.

Von zwei Literaten, wovon einer ein profunder Politiker war, nämlich Ernst Fischer und Hans Weigel, las ich zwei höchst unterschiedliche Artikel über Grillparzer, die seine geteilte, höchst uneinheitliche, umstrittene Bewertung auch gegenwärtig widerspiegeln.

Hans Weigel (In: Flucht vor der Größe. Sechs Variationen über die Vollendung im Unvollendeten. Graz 1960) fokussiert die Person, das Individuelle, während der Marxist Ernst Fischer (  Von Grillparzer zu Kafka. Sechs Essays. Wien 1962) den historischen Aspekt, die gesellschaftlichen Hintergründe umfassend berücksichtigt und zu deuten versucht an und durch die Person Grillparzer.
Nach Weigel ist Grillparzer eine "regionale Erscheinung", die sich in zerfleischendem Selbsthass selber abwürgt, ein "Fanatiker der Selbstzerstörung". "Grillparzer fühlt sich nur wohl, wenn er sich nicht wohlfühlt".

"Und Grillparzer findet aus der Tatsache des bevorstehenden Untergangs nicht zur Bejahung. Er bejaht nicht die Zeit vorher, er bejaht den Untergang." "Er nimmt willig, fast freudig die Gefahr, die Bedrohung auf sich, die Herausforderung, auf dass, wie einst angesichts der napoleonischen Gefahr, die Völker sich besinnen. Welch eine unglaublich weitgehende Bejahung des Negativen!"
Wenn man diesen Sätzen solche von Fischer gegenüberstellt, verdeutlicht sich einiges:
"Er haßte das Regime Metternichs und fürchtete zugleich die demokratische Revolution." "Der romantische Protest gegen die kapitalistische Entwicklung war für Grillparzer zugleich Abwehr gegen die Bedrohung des österreichischen Staatsgefüges durch eben diese Entwicklung." Wenn Grillparzer immer wieder den Konflikt der Naturmenschen, der "Barbaren" mit der Zivilisation heraufbeschwört, so greift dies über die nationale Problematik Österreichs hinaus. "Es ist nicht nur das Erbe der katholischen Gegenreformation (...), sondern auch die zunehmende Angst Grillparzers vor der Wirklichkeit, seine Tendenz, sich aus dem Treiben zurückzuziehn, in Melancholie zu versinken".

Fischer sieht also nicht einfache Bejahung des Untergangs, sondern ohnmächtiges Inkaufnehmen dessen, weil keine Energie für einen Widerstand oder überhaupt für eine Aktion aufgebracht werden kann. Zwar hängt dies mit der Person Grillparzer zusammen, muss es ja, aber es hat einen objektiven Hintergrund, es ist eben nicht ideosynkratisch: Grillparzer entspricht mit diesem Zögern, mit dieser Passivität dem typischen Österreicher. Fischer vermag es, in wenigen Sätzen die historische Entwicklung darzulegen. Natürlich hätte Grillparzer mit einer etwas anders ausgelegten Persönlichkeit anders handeln können. Das Umfeld bestimmt keinen Menschen bis ins Kleinste. Aber es gibt Rahmen und Wertstrukturen vor. Grillparzer fand solche, die ihm, mit seinen Anlagen, keine Alternative liessen: er sah die Zersetzung, aber die Furcht vor der Veränderung sass zu tief. Er war gelähmt, wie der Hase vor der Schlange.

Während Weigel die Person als Versager herauskehrt, sich mokiert über die Verteidigungen Grillparzers, für dessen Scheitern auch literarische Belege findet und zitiert, konzediert Fischer zwar Mängel und Schwächen, stellt diese aber in einen tiefen, weiten Kontext, worin sogar das Scheitern, die bedingte Dürftigkeit einen Sinn erhält, den es herauszulesen gilt. Das heisst, der geschulte historische Blick öffnet mehr Tiefen, als es der des Theater- und Literaturkritikers vermöchte. Liest man beide, erweitert sich das Bild zum opulenten Gemälde.

Dem "Jungen Deutschland" war er wegen dessen vehementer Ablehnung des Metternich-Regimes bzw. jeder staatlichen Bevormundung ein Grund zur Attacke. Trotzdem traf Grillparzer 1836 auf seiner Reise nach Paris dort zwei ihrer Vertreter, nämlich Ludwig Börne und Heinrich Heine. Die Bewegung entstand um 1830 und war schon 1835 vom Frankfurter Bundestag verboten worden; Georg Herwegh, Heinrich Laube, Karl Gutzkow, Ferdinand Freiligrath, Ludolf Wienbarg und Theodor Mundt gehörten ihr an und, zumindest zeitweise, auch Georg Büchner, Heinrich Heine und Ludwig Börne. Jene, die selbst zum Teil ins Exil flüchten mussten, deren Werke der Zensur zum Opfer fielen, höhnten und schmähten Grillparzer, der von der Habsburgischen, Metternichschen Polizei verfolgt und demütigend drangsaliert wurde und der selbst unter der Zensur litt. Nicht nur eine literaturhistorische Ironie.

Grillparzers "Selbstbiographie" dokumentiert einen Leidensweg in einer Gesellschaft, die in den klischierten Überlieferungen als niedlich biedermeierlich bekannt ist; man denke nur an die verzerrte, kitschige Sicht von Franz Schubert (1797-1828), die lange seine adäquate Würdigung behinderte.

Nach dem Durchfall seines Lustspiels "Weh' dem, der lügt!" 1838 schreibt er keine Dramen mehr. Er wird 1856 pensioniert, erfährt noch einige Ehrungen, wird 1861 ins Herrenhaus berufen, 1864 zum Wiener Ehrenbürger und stirbt 1872. Drei bedeutende Stücke seines Spätwerks erscheinen erst nach seinem Tode: "Libussa", "Ein Bruderzwist in Habsburg" und "Die Jüdin von Toledo".



Karl Kraus zu Grillparzer (In: Untergang der Welt durch schwarze Magie, 1912)

Ich habe Erscheinungen von dem, was ist. Ich mache aus einer Mücke einen Elefanten. Ist das keine Kunst? Zauberer sind die andern, die das Leben in die Mückenplage verwandelt haben. Und der Mücken werden immer mehr. Oft kann ich sie nicht mehr unterscheiden. Tausend habe ich zu Hause und komme nicht dazu, sie zu überschätzen. Bei Nacht sehen sie wie Zeitungspapier aus und jedes einzelne Stück lacht mich an, ob ich nun endlich auch ihm die Verbindung mit dem Weltgeist gönnen wolle, von dem es stammt. Gegen die Plage dieser Ephemeren gibt es keinen Schutz, als sie unsterblich zu machen. Das ist eine Tortur für sie und für mich. Doch wachsen sie nach und ich werde nicht fertig. Finde ich da ein Stück:
Man hat ihn mit Geschenken, Blumen, Reden gefeiert. Die Vertreter der Stadt und des Landes, das Zivil wie hohe Offiziere wetteiferten darin, diesem Jubilar zu zeigen, daß so redliche Tüchtigkeit nicht nur Ehre, sondern auch herzliche Zuneigung einbringt.

Was war das nur? Warum habe ich das aufgehoben? "Man hat ihn ...": dieser Ton muß einer Feier gelten, die schon etwas Selbstverständliches hat. Was kann es nur sein, wobei Stadt und Land, Zivil und Militär wetteifern? Grillparzer? Der Ausschnitt ist doch nicht so alten Datums, und damals hat man sich noch nicht so ins Zeug gelegt für die Jubilare. "Herzliche Zuneigung:" das würde für Alfred Grünfeld sprechen, aber da gibts keine Vertreter des Landes. "Redliche Tüchtigkeit:" für Schnitzler, aber da rückt wieder das Militär nicht aus. Auch dürfte es sich nicht um einen der Fünfziger handeln, die heuer wie falsches Geld herumlaufen, sondern eher um einen, der seit fünfundzwanzig Jahren - ich weiß es nicht, aber man sollte mir helfen. Man muß doch schließlich schon viel besser als ich wissen, wem ein verlorener Tonfall gehört. Ich habe die Übersicht verloren. Ich kann nicht mehr mit Sicherheit sagen: So haben die Wiener einen ihrer titanischen Kaffeesieder gefeiert. Denn inzwischen ist ein Geschlecht von Epigonen nachgewachsen, und denen wird auch schon gehuldigt.





"Das goldene Vlies", Franz Grillparzer

Hörfassung aus dem Jahr 1956  in Youtube in 2 Teilen:


Teil 1 (1:42:49), Youtube

Teil 2 (2:00:03), Youtube

Freitag, 20. Januar 2012

Bettina von Arnim (153. Todestag)

Bettina von Arnim (geborene Elisabeth Catharina Ludovica Magdalena Brentano, auch Bettine;  4. April 1785 in Frankfurt am Main - 20. Januar 1859 in Berlin) war eine deutsche Schriftstellerin und bedeutende Vertreterin der deutschen Romantik.

Wikipedia