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Franz Grillparzer
Friedrich Nietzsche (in "Unzeitgemäße Betrachtungen) zu einem Satz Grillparzers:
Nun gibt es aber auch eine berühmte Gefahr dieser Innerlichkeit: der Inhalt selbst, von dem es angenommen ist, daß er außen gar nicht gesehen werden kann, möchte sich gelegentlich einmal verflüchtigen; außen würde man aber weder davon noch von dem früheren Vorhandensein etwas merken. Aber denke man sich immerhin das deutsche Volk möglichst weit von dieser Gefahr entfernt: etwas recht wird der Ausländer immer behalten, wenn er uns vorwirft, daß unser Inneres zu schwach und ungeordnet ist, um nach außen zu wirken und sich eine Form zu geben. Dabei kann es sich in seltenem Grade zart empfänglich, ernst, mächtig, innig, gut erweisen und vielleicht selbst reicher als das Innere anderer Völker sein; aber als Ganzes bleibt es schwach, weil alle die schönen Fasern nicht in einen kräftigen Knoten geschlungen sind: so daß die sichtbare Tat nicht die Gesamttat und Selbstoffenbarung dieses Inneren ist, sondern nur ein schwächlicher oder roher Versuch irgendeiner Faser, zum Schein einmal für das Ganze gelten zu wollen. Deshalb ist der Deutsche nach einer Handlung gar nicht zu beurteilen und als Individuum auch nach dieser Tat noch völlig verborgen. Man muß ihn bekanntlich nach seinen Gedanken und Gefühlen messen, und die spricht er jetzt in seinen Büchern aus. Wenn nur nicht gerade diese Bücher neuerdings mehr als je einen Zweifel darüber erweckten, ob die berühmte Innerlichkeit wirklich noch in ihrem unzugänglichen Tempelchen sitze: es wäre ein schrecklicher Gedanke, daß sie eines Tages verschwunden sei und nun nur noch die Äußerlichkeit, jene hochmütig täppische und demütig bummelige Äußerlichkeit als Kennzeichen des Deutschen zurückbliebe. Fast ebenso schrecklich, als wenn jene Innerlichkeit, ohne daß man es sehen könnte, gefälscht, gefärbt, übermalt darinsäße und zur Schauspielerin, wenn nicht zu schlimmerem geworden wäre: wie dies zum Beispiel der beiseite stehende und still betrachtende Grillparzer von seiner dramatisch-theatralischen Erfahrung aus anzunehmen scheint. "Wir empfinden mit Abstraktion", sagt er, "wir wissen kaum mehr, wie sich die Empfindung bei unseren Zeitgenossen äußert; wir lassen sie Sprünge machen, wie sie sie heutzutage nicht mehr macht. Shakespeare hat uns Neuere alle verdorben."
2006, zu Grillparzers 215. Gebudrtstag, schrieb Haimo L. Handl in kultur-online.net:
Franz Grillparzer - der Verhinderte
Grillparzer stellt die Persönlichkeit und den Typus des pflichtbewussten und -treuen Menschen dar, der von der Behörde drangsaliert und niedergehalten wird, der jedoch Angst und Schrecken vor den Alternativen und Änderungen hat, so dass er, verbittert und vereinsamt, sein Schicksal erträgt und sich sogar Leistungen versagt, die er hätte erbringen können, wären die "Umstände" nur etwas humaner gewesen.
In meiner Schulzeit wurde ich zuerst mit einigem seines Werkes konfrontiert. Als Kind oder früher Jugendlicher war es kein leichter Zugang. Er hatte den bitteren Geschmack eines obligaten Klassikers - und von daher wiederholte sich die Barriere und Abgrenzung, die so gar nicht seinem Werk gerecht wurde und werden kann. Erst später, gegen einige übernommene Vorurteile aus der politischen Literaturkritik seiner (die des "Jungen Deutschland" vor allem) und meiner Zeit (Fünfzigerjahre mit dem offiziellen Belobigen und dem antiautoritären Ablehnen, was sich später in der Achtundsechzigergeneration lautstark artikulierte), konnte ich nicht nur mehr Konturen unterscheiden, sondern auch Inhalte und Positionen anders schätzen lernen.
Von zwei Literaten, wovon einer ein profunder Politiker war, nämlich Ernst Fischer und Hans Weigel, las ich zwei höchst unterschiedliche Artikel über Grillparzer, die seine geteilte, höchst uneinheitliche, umstrittene Bewertung auch gegenwärtig widerspiegeln.
Hans Weigel (In: Flucht vor der Größe. Sechs Variationen über die Vollendung im Unvollendeten. Graz 1960) fokussiert die Person, das Individuelle, während der Marxist Ernst Fischer ( Von Grillparzer zu Kafka. Sechs Essays. Wien 1962) den historischen Aspekt, die gesellschaftlichen Hintergründe umfassend berücksichtigt und zu deuten versucht an und durch die Person Grillparzer.
Nach Weigel ist Grillparzer eine "regionale Erscheinung", die sich in zerfleischendem Selbsthass selber abwürgt, ein "Fanatiker der Selbstzerstörung". "Grillparzer fühlt sich nur wohl, wenn er sich nicht wohlfühlt".
"Und Grillparzer findet aus der Tatsache des bevorstehenden Untergangs nicht zur Bejahung. Er bejaht nicht die Zeit vorher, er bejaht den Untergang." "Er nimmt willig, fast freudig die Gefahr, die Bedrohung auf sich, die Herausforderung, auf dass, wie einst angesichts der napoleonischen Gefahr, die Völker sich besinnen. Welch eine unglaublich weitgehende Bejahung des Negativen!"
Wenn man diesen Sätzen solche von Fischer gegenüberstellt, verdeutlicht sich einiges:
"Er haßte das Regime Metternichs und fürchtete zugleich die demokratische Revolution." "Der romantische Protest gegen die kapitalistische Entwicklung war für Grillparzer zugleich Abwehr gegen die Bedrohung des österreichischen Staatsgefüges durch eben diese Entwicklung." Wenn Grillparzer immer wieder den Konflikt der Naturmenschen, der "Barbaren" mit der Zivilisation heraufbeschwört, so greift dies über die nationale Problematik Österreichs hinaus. "Es ist nicht nur das Erbe der katholischen Gegenreformation (...), sondern auch die zunehmende Angst Grillparzers vor der Wirklichkeit, seine Tendenz, sich aus dem Treiben zurückzuziehn, in Melancholie zu versinken".
Fischer sieht also nicht einfache Bejahung des Untergangs, sondern ohnmächtiges Inkaufnehmen dessen, weil keine Energie für einen Widerstand oder überhaupt für eine Aktion aufgebracht werden kann. Zwar hängt dies mit der Person Grillparzer zusammen, muss es ja, aber es hat einen objektiven Hintergrund, es ist eben nicht ideosynkratisch: Grillparzer entspricht mit diesem Zögern, mit dieser Passivität dem typischen Österreicher. Fischer vermag es, in wenigen Sätzen die historische Entwicklung darzulegen. Natürlich hätte Grillparzer mit einer etwas anders ausgelegten Persönlichkeit anders handeln können. Das Umfeld bestimmt keinen Menschen bis ins Kleinste. Aber es gibt Rahmen und Wertstrukturen vor. Grillparzer fand solche, die ihm, mit seinen Anlagen, keine Alternative liessen: er sah die Zersetzung, aber die Furcht vor der Veränderung sass zu tief. Er war gelähmt, wie der Hase vor der Schlange.
Während Weigel die Person als Versager herauskehrt, sich mokiert über die Verteidigungen Grillparzers, für dessen Scheitern auch literarische Belege findet und zitiert, konzediert Fischer zwar Mängel und Schwächen, stellt diese aber in einen tiefen, weiten Kontext, worin sogar das Scheitern, die bedingte Dürftigkeit einen Sinn erhält, den es herauszulesen gilt. Das heisst, der geschulte historische Blick öffnet mehr Tiefen, als es der des Theater- und Literaturkritikers vermöchte. Liest man beide, erweitert sich das Bild zum opulenten Gemälde.
Dem "Jungen Deutschland" war er wegen dessen vehementer Ablehnung des Metternich-Regimes bzw. jeder staatlichen Bevormundung ein Grund zur Attacke. Trotzdem traf Grillparzer 1836 auf seiner Reise nach Paris dort zwei ihrer Vertreter, nämlich Ludwig Börne und Heinrich Heine. Die Bewegung entstand um 1830 und war schon 1835 vom Frankfurter Bundestag verboten worden; Georg Herwegh, Heinrich Laube, Karl Gutzkow, Ferdinand Freiligrath, Ludolf Wienbarg und Theodor Mundt gehörten ihr an und, zumindest zeitweise, auch Georg Büchner, Heinrich Heine und Ludwig Börne. Jene, die selbst zum Teil ins Exil flüchten mussten, deren Werke der Zensur zum Opfer fielen, höhnten und schmähten Grillparzer, der von der Habsburgischen, Metternichschen Polizei verfolgt und demütigend drangsaliert wurde und der selbst unter der Zensur litt. Nicht nur eine literaturhistorische Ironie.
Grillparzers "Selbstbiographie" dokumentiert einen Leidensweg in einer Gesellschaft, die in den klischierten Überlieferungen als niedlich biedermeierlich bekannt ist; man denke nur an die verzerrte, kitschige Sicht von Franz Schubert (1797-1828), die lange seine adäquate Würdigung behinderte.
Nach dem Durchfall seines Lustspiels "Weh' dem, der lügt!" 1838 schreibt er keine Dramen mehr. Er wird 1856 pensioniert, erfährt noch einige Ehrungen, wird 1861 ins Herrenhaus berufen, 1864 zum Wiener Ehrenbürger und stirbt 1872. Drei bedeutende Stücke seines Spätwerks erscheinen erst nach seinem Tode: "Libussa", "Ein Bruderzwist in Habsburg" und "Die Jüdin von Toledo".
Karl Kraus zu Grillparzer (In: Untergang der Welt durch schwarze Magie, 1912)
Ich habe Erscheinungen von dem, was ist. Ich mache aus einer Mücke einen Elefanten. Ist das keine Kunst? Zauberer sind die andern, die das Leben in die Mückenplage verwandelt haben. Und der Mücken werden immer mehr. Oft kann ich sie nicht mehr unterscheiden. Tausend habe ich zu Hause und komme nicht dazu, sie zu überschätzen. Bei Nacht sehen sie wie Zeitungspapier aus und jedes einzelne Stück lacht mich an, ob ich nun endlich auch ihm die Verbindung mit dem Weltgeist gönnen wolle, von dem es stammt. Gegen die Plage dieser Ephemeren gibt es keinen Schutz, als sie unsterblich zu machen. Das ist eine Tortur für sie und für mich. Doch wachsen sie nach und ich werde nicht fertig. Finde ich da ein Stück:
Man hat ihn mit Geschenken, Blumen, Reden gefeiert. Die Vertreter der Stadt und des Landes, das Zivil wie hohe Offiziere wetteiferten darin, diesem Jubilar zu zeigen, daß so redliche Tüchtigkeit nicht nur Ehre, sondern auch herzliche Zuneigung einbringt.
Was war das nur? Warum habe ich das aufgehoben? "Man hat ihn ...": dieser Ton muß einer Feier gelten, die schon etwas Selbstverständliches hat. Was kann es nur sein, wobei Stadt und Land, Zivil und Militär wetteifern? Grillparzer? Der Ausschnitt ist doch nicht so alten Datums, und damals hat man sich noch nicht so ins Zeug gelegt für die Jubilare. "Herzliche Zuneigung:" das würde für Alfred Grünfeld sprechen, aber da gibts keine Vertreter des Landes. "Redliche Tüchtigkeit:" für Schnitzler, aber da rückt wieder das Militär nicht aus. Auch dürfte es sich nicht um einen der Fünfziger handeln, die heuer wie falsches Geld herumlaufen, sondern eher um einen, der seit fünfundzwanzig Jahren - ich weiß es nicht, aber man sollte mir helfen. Man muß doch schließlich schon viel besser als ich wissen, wem ein verlorener Tonfall gehört. Ich habe die Übersicht verloren. Ich kann nicht mehr mit Sicherheit sagen: So haben die Wiener einen ihrer titanischen Kaffeesieder gefeiert. Denn inzwischen ist ein Geschlecht von Epigonen nachgewachsen, und denen wird auch schon gehuldigt.
"Das goldene Vlies", Franz Grillparzer
Hörfassung aus dem Jahr 1956 in Youtube in 2 Teilen:
Teil 1 (1:42:49), Youtube
Teil 2 (2:00:03), Youtube
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