Dienstag, 31. Januar 2012

71. Todestag von René Schickele


René Schickele (4. August 1883 in Oberehnheim im Elsass - 31. Januar 1940 in Vence, Alpes-Maritimes) war ein deutsch-französischer Schriftsteller, Essayist und Übersetzer.

Wikipedia

Eintrag zu René Schickele im exil-archiv

Der „zweisprachige Grenzvogel“ René Schickele – Journalist, Schriftsteller und früher Europäer
von Carsten Tergast, ZVAB-Blog

Kohser-Spohn, Christiane: « Hier Allemand, aujourd’hui citoyen français, je m’en contrefous ». René Schickelé (1883-1940), alsacien, européen, pacifiste. In: Themenportal Europäische Geschichte (2009),  URL: http://www.europa.clio-online.de/2009/Article=366. Abgerufen am 31.1.2012





»Zeit zum Reisen«

Aus: René Schickele: Himmliche Landschaft (1933)

Am Nachmittag kommen die ersten Wanderburschen.

Während der Schneezeit waren sie wie begraben. Nicht ein einziges Mal ging die Gartentür auf, um eine dieser entschlossenen Gestalten durchzulassen, wie sie jetzt mit Knüppel und forschendem Blick auf das Haus losgehn.

»Wo waren Sie denn während des Schnees?« fragte ich den ersten. Es ist ein zwanzigjähriger Bursche mit leuchtend blauen Augen.

»Ha, da haben wir halt bei die Bauern Holz gehackt.«

Glänzend! Auch hier gibt es Holz zu hacken, Leimringe an die Obstbäume zu legen und sonst allerhand Arbeit. Aber der Junge verzieht das Gesicht, sein Blick schweift in die Weite, blau durch die blaue Weite, bis zu den blauen Vogesen . . . Die Sonne wärmt, die Vögel singen Sieg – überwunden die Zeit, wo das Futter unerreichbar unter dem Schnee lag und die Maden sich vor der Kälte verkrochen! Auf den Straßen knallen die Peitschen der Fuhrleute, am Gartenzaun steht der Hund auf den 32 Hinterpfoten und bellt ein Eichhörnchen an, das ihm vom Ast einer Lärche in den Rachen hineinsieht. Dabei verzieht es die Oberlippe, als ob es grinste . . .

»Nee«, sagt der Bursche, »nee, lieber Herr. Jetzt ist die Zeit zum Reisen. Ich bin ein Durchreisender, verstehn Se?«

Ein Durchreisender folgt dem andern. Tag um Tag, und wenn der Hund unbeaufsichtigt herumläuft, bleiben sie am Gartenzaun stehn und warten, bis sich jemand im Hofe zeigt.

Sie wandern!

Als ich endlich einen erwische, der arbeiten will, ist es ein alter Mann. Er kommt mit den Jungen nicht mit, sie betteln ihm alles vor der Nase weg, sie betteln die Welt leer und lachen ihn aus.

Da fasse ich einen Beschluß. Die Jungen bekommen zu essen und, wenn sie wollen, ein Buch. Geld gibt es nur für die Alten.

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