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Textprobe: 3 Szenen aus der Satire "Die Republik der Thiere":
Bauernfeld.
Die Republik der Thiere.
(Im April 1848.)
Wien, 1872.
Wilhelm Braumüller
k. k. Hof- und Universitätsbuchhändler.
Die Republik der Thiere.
(Im April 1848.)
Wien, 1872.
Wilhelm Braumüller
k. k. Hof- und Universitätsbuchhändler.
Erste Scene.
(Salon im Rococo-Styl.)
Panther. Tiger. Junger Leopard. Hyäne und andere vom hohen Adel im Gespräche.
Panther. Ich sag' Euch, man glaubt nicht mehr an uns. Wenn ich aufrichtig reden soll – mir ist nicht ganz wohl in meiner adeligen Haut.
Tiger. Schäme Dich! Du sprichst wie ein Hasenfuß. Wenn wir zusammen halten, wer soll uns etwas anhaben?
Panther. Wer? Das Volk.
Tiger. Die Schafe, die Schöpfe, die Käfer, die Ameisen?
Panther. Es sind ihrer Viele, und Denker darunter.
Tiger. Ich verachte sie aus Herzensgrund.
Junger Leopard (naiv). Mein Gott! Das thun wir Alle, wenn wir unter uns sind.
Panther. Leider sind wir so weit herunter gekommen, daß wir vor der Welt liberal thun müssen.
Tiger. Ich nicht. Meine Unterthanen fürchten mich wie den Teufel. Und ich liebe sie – zum Fressen.
Hyäne (grinsend). Zum Fressen – ich auch.
Panther. Sprecht nicht so frivol und hört mich an. Der König wird nachgerade alt und schwach.
Tiger. Man merkt's! Er regiert so gut wie gar nicht.
Panther. Der Fuchs bewacht die Schwelle Sr. Majestät.
Tiger. Ich kann den Kerl nicht ausstehen – er schnappt uns immer die besten Bissen weg.
Hyäne (sperrt den Rachen auf). Es wäre ein gutes Werk, ihn zu verschlingen. Ich verspüre ohnehin einen riesenmäßigen Appetit.
Panther. Kommt Zeit, kommt Rath! Ich wittere was von einem Volksaufstande. Möge unser Todfeind das Bad ausgießen! Wenn Ihr mir folgen wollt, so ziehen wir uns einstweilen auf unsere Schlösser zurück.
Tiger. Meinetwegen! Ich bin's zufrieden.
Panther. So kommt Alle, kommt!
Hyäne (brummend). Wenn ich nur erst mein zweites Frühstück im Leibe hätte! (Alle ab.)
Zweite Scene.
(Bureau.)
Polizeidirector Ochse. Polizeidiener Windspiel.
Windspiel. Eure Oxcellenz –
Ochse. Was gibt's?
Windspiel. Gehorsamst zu melden: draußen auf der Hasenheide findet eine große Volksversammlung Statt.
Ochse. Eine Volksversammlung? Das ist ja verboten.
Windspiel. Eben d'rum! Ich bitte um Instruction.
Ochse. Was Instruction! Steckt sie in's Loch!
Windspiel. Die ganze Volksversammlung?
Ochse. Meinetwegen das ganze Volk.
Windspiel. Das wird schwer halten. Wir haben nicht Polizeimannschaft genug.
Ochse. So packt die Rädelsführer beim Kopf, die Uebrigen werden sich dann verlaufen.
Windspiel. Es ist ein kitzlicher Auftrag – die Leute sind äußerst schwierig.
Ochse. Auf einmal? Was will denn das Volk? Es war immer so ruhig. Unsere Residenz hatte den besten Ruf im ganzen cultivirten Europa. Führt ihnen zu Gemüthe, daß sie sich um ihren guten Namen bringen, wenn sie eine Rebellion anfangen.
Windspiel. Wenn's nur was hilft! Unruhen sind jetzt Modesache. Die ganze Welt ist versessen darauf.
Ochse. Da schlage das Donnerwetter d'rein! Aber ich kann's noch nicht recht glauben. Die Thierwelt hatte von jeher Respect vor uns. Sind wir nicht die Polizei? Im Nothfall werd' ich mich selbst dem Volke zeigen. Geht einstweilen voraus, und nehmt Mannschaft mit, so viel Ihr auftreiben könnt.
Windspiel. Sehr wohl, Eure Oxcellenz! Wenn's nur was hilft! (Eilig ab.)
Ochse (kopfschüttelnd). Ich verstehe die Welt nicht mehr. (Ab zur anderen Seite.)
Dritte Scene.
(Volksversammlung. Toben und Geschrei.)
Einzelne Polizeimänner stehen verwundert an ihre Stöcke gelehnt.
Mehrere aus dem Volke. Wir sind Bürger – Staatsbürger – das soll man nicht vergessen – –
Alle. Ja, wir sind Bürger, Staatsbürger –
Einer. Wir zahlen unsere Steuern – wir erhalten den Staat.
Alle (jubelnd). Ja, wir erhalten den Staat! Es lebe der Staat! Es leben die Staatsbürger!
Ein Propagandist (mit lauter Stimme). Aber keine Steuern mehr!
Alle (jubelnd). Nein, keine Steuern mehr!
Propagandist (noch lauter). Keine Gesetze mehr!
Volk (jubelnd, wie oben). Nein, keine Gesetze mehr!
Propagandist (wirft den Hut in die Höhe). Ueberhaupt gar nichts mehr!
Volk (jubelnd, thut ihm nach). Nein, gar nichts mehr! Rein gar nichts!
Propagandist. Nichts als Freiheit und Gleichheit!
Volk. Freiheit und Gleichheit! Juchhe! (Sie umarmen sich.)
Zaunkönig (nach einiger Maßen gestilltem Sturm, mit Sanftmuth). Ich bitte um's Wort.
Einer. Was säuselt, was zwitschert denn da?
Ein Anderer. Haben Sie geniest?
Zaunkönig (verschämt). Nein – ich habe um's Wort gebeten.
Der Vorige. Wer sind Sie denn?
Zaunkönig. Ich bin der Zaunkönig.
Propagandist (drängt sich vor). Wir brauchen keinen König.
Volk. Nein, wir brauchen keinen König!
Ein Gemäßigter. Das heißt: wir haben schon den uns'rigen.
Propagandist. Ja vor der Hand. (Alles lacht.)
Der Gemäßigte (zu einem Zweiten). Es herrscht ein schlimmer Geist in dieser Volksversammlung,
Der Andere (nimmt bedächtig eine Prise). Ja wohl.
Der Erste. Am besten, wir ziehen uns zurück.
Der Zweite. Das mein' ich auch. (Sie gehen ab.)
Fleischerhund (mit lauter Stimme). Meine Herren, jetzt werde ich sprechen. (Er springt auf eine Erhöhung.) Ich bin ein Volksmann!
Alle (applaudirend). Bravo!
Fleischerhund. Ich bin aus dem Volke, für das Volk, durch das Volk – jeder Zoll ein Volk – betrachten Sie mein zottiges Fell, meine starken Zähne, meine tüchtigen Knochen – Sie können sich keinen besseren Volksvertreter wünschen als mich. Ich bin ein Hund – ich läugne es nicht – und ich bin stolz darauf, ein Hund zu sein.
Alle (wie oben). Bravo!
Ein kleiner Spitz. Ich bin auch ein Hund – ein Volkshund, wie Sie.
Fleischerhund. Zugestanden!
Spitz. Ich spreche im Namen meiner Committenten, der Spitze, Möpse, Bologneser, Dachshündchen – Ihr großen Hunde dürft uns kleinere und schwächere Geschöpfe nicht mehr beißen.
Fleischerhund. Das versteht sich von selbst. Seit Freiheit und Gleichheit herrscht, wird nicht mehr gebissen.
Alle. Bravo!
Fleischerhund. Wir werden künftig nur unseren Unterdrückern die Zähne weisen.
Alle. So ist's recht.
Fleischerhund. Vor Allem den Wölfen –
Alle (tumultuarisch). Nieder mit den Wölfen!
Fleischerhund. Und den Bären –
Alle (wie oben). Nieder mit den Bären!
Fleischerhund. Und den Füchsen –
Alle. Nieder mit den Füchsen! (Großer Tumult.)
Hirsch (drängt sich vor). Meine Herren, wenn Sie erlauben –
Mehrere. Was will denn der mit seinen schönen Geweihen?
Andere. Es ist ein Adeliger, ein Aristokrat –
Viele. Nieder mit den Aristokraten!
Hirsch. Verzeihen Sie, meine Herren, ich und mein Vetter hier, das edle Pferd, wir sind allerdings vom Adel, aber vom niederen, vom Verdienst-Adel – wir sind gedrückt, wie Sie. Im Uebrigen, wenn Sie mein adeliges Geweih genirt, so bin ich bereit, es im nächsten Frühjahre abzuwerfen.
Mehrere. Das ist brav!
Widder. Auch ich lege das meinige auf den Altar des Vaterlandes.
Viele. Schön!
Ein Esel. Was sollen wir mit Euren Geweihen? Die machen uns nicht satt.
Pferd. Wenn der Boden erst frei ist, werdet Ihr Speise genug finden – aber ich weiß wohl, es gibt geheime Fleischfresser unter Euch, die sich nur in die Maske der Freiheit hüllen, und dabei im Stillen das Mark und Blut ihrer Brüder verzehren.
Hunde, Katzen und Andere. Was schwatzt der Haberkäuer, der Grasschlucker, der Sittenprediger?
Viele Andere. Werft ihn hinaus!
Alle. Hinaus mit ihm! Hinaus! (Großes Getümmel.)
Windspiel (mit Polizeimannschaft tritt auf). Was gibt's da? He?
Viele (fliehend). Die Polizei!
Windspiel. Ruhe ist die erste Hundepflicht! Wollt Ihr auseinander gehen?
Fleischerhund (stellt sich ihm drohend entgegen). Nein!
Viele Andere (applaudirend). Bravo!
Windspiel (droht mit dem Stocke). Was? Ihr widersetzt Euch der Polizei? (Zu seinen Gefährten.) Angepackt!
Fleischerhund. Laßt Euch rathen und trollt Euch! Ihr seid die Minderzahl.
Windspiel. Aber wir sind die Polizei!
Fleischerhund. Desto schlimmer für Euch! – Auf, Kameraden! Folgt mir Alle an den Hof, zu dem Herrn König – wir wollen ihm ein Wort in's Ohr sagen.
Alle (durcheinander). Ja, an den Hof! Freiheit und Gleichheit! Keine Steuern! Keine Gesetze! Keine Polizei! (Alle ab bis auf das Windspiel und die Mannschaft.)
Windspiel (nach einer Pause). Der Platz ist gesäubert – ich habe meinen Auftrag erfüllt. (Zu der Mannschaft.) Besetzt alle Ausgänge – laßt Niemanden herein!
Einer. Sehr wohl, Herr Gefreiter.
Windspiel (nachdenkend). Wir hätten aber den kecken Schreihals doch eigentlich arretiren sollen.
Einer von der Wache. Halt! Wer da?
Ochse (auftretend). Esel! Kennt Ihr Euern Herrn nicht mehr?
Windspiel. Se. Oxcellenz!
Ochse. Nun, wie steht's? Das ist die Hasenheide – aber ich sehe keine Volksversammlung.
Windspiel. Sie sind eben Alle fort.
Ochse. Alle fort! Warum hat Er sie nicht arretirt?
Windspiel. Es war unmöglich, Euer Gnaden – es waren ihrer zu viele – wohl an die Hunderttausend.
Ochse. Hunderttausend? So! – Dann ist's gut, daß sie fort sind. – Komm' Er mit mir, hier in die Wachstube – ich will ihm nur geschwinde den Bericht über den heutigen Vorfall in die Feder dictiren. Schreib' er! (Geht auf und ab und dictirt.) »Hohes Ministerium! Einige Mißvergnügte und Ruhestörer haben sich heute Morgens zusammengerottet, allein ihre verbrecherischen Umtriebe scheiterten an dem gesunden Sinne des Volkes. Eine geringe Polizeimannschaft genügte, um den Pöbel auseinander zu jagen. Die Verhaftung der Rädelsführer, die dem gehorsamst Unterzeichneten sehr wohl bekannt sind – –« (Spricht dazwischen.) Unter Andern – kennt Er sie?
Windspiel. Eigentlich nicht.
Ochse. Na, ich auch nicht – aber schadet nichts! Schreib' er nur. (Dictirt.) »– sehr wohl bekannt sind, wird im Laufe des Tages vorgenommen werden. Der gutgesinnte Theil der Bevölkerung entfernte sich unter dem Rufe: Es lebe der König! Gegenwärtig erfreut sich die Stadt der vollkommensten Ruhe.« (Spricht dazwischen.) Hat Er die Ruhe? (Dictirend.) »Ruhe. Eines hohen Ministeriums treu ergebenster Ochse, Hofrath und Polizeidirektor.« – Das Amtssiegel darunter. So – jetzt schnell fort damit. Die Herren oben sind ein Bischen ängstlich – man darf ihnen den Teufel nicht an die Wand malen. – Leb' Er wohl, mein lieber Windspiel. Wir bleiben Ihm in Gnaden gewogen. (Ab.)
Windspiel (allein, schüttelt die Ohren). Mir scheint, unser Reich hier geht nach und nach zu Ende. (Ab.)
***
1848, die Zeit der verlorenen, verhinderten Revolution, der Stärkung der Reaktion, des mörderischen Regimes des österreichischen Polizeistaates. Die Satire ist ganz anders als die Utopie von George Orwell (Farm der Tiere - Animal Farm), dennoch von einigem Biss. Ähnlichkeiten mit unserer Gegenwart rein zufällig.
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