Montag, 31. Dezember 2018

Zynismus nach Sloterdijk

35 Jahre nach der «Kritik der zynischen Vernunft»: Peter Sloterdijk seziert das zynische Bewusstsein zu Beginn des 21. Jahrhunderts

Internet, Terror, politische Korrektheit, Migration: Alle vier Entwicklungen bringen tiefgreifende Wandlungen im Verhältnis von Herrschen und Lügen mit sich. Dabei trifft sich der Zynismus von oben immer öfter mit dem Zynismus von unten. Was bedeutet das für die Zukunft des Westens?

Peter Sloterdijk, NZZ 29.12.2018

Sonntag, 30. Dezember 2018

Aberglaube


Haimo L. Handl

Aberglaube

In festgesetzten Intervallen wiederholen Gläubige und Ungläubige religiöse oder religiös basierte Rituale. Viele davon purer Aberglaube, etliche frauenfeindlich und Zeugnis einer Kultur, als die Leibeigenen, das Gesinde, die Mägde und Knechte unfrei hausten, aber innerhalb ihrer Kaste, einer ohne Personalrechte, die Frauen notorisch tieferstellten, ausbeuteten, wie Dreck behandelten.

Es scheint, die ungebildete Mehrheit ist nicht nur widersprüchlich hinsichtlich aufgeklärter Bildung und einem religiösen Kompromiss, sondern tief verwurzelt im heidnischen Aberglauben. Das betrifft nicht nur Esoteriker, sondern die Mehrheit der Bevölkerung bei uns und in den Nachbarstaaten. Der Aberglaube betrifft vor allem die Überzeugung von der Existenz von Geistern, die man gütig stimmen muss, denen man opfert bzw. die ausgetrieben werden müssen in einem einfachen Exorzismus. Nicht nur am Land, dort aber vermehrt, räuchern die Ängstlichen Räume, Wohnungen, Häuser aus, auch Ställe, um böse Geister zu vertreiben.

In den alpinen Ländern werden Bergfeuer entfacht und vielerorts Hexen verbrannt. Man muss froh sein, dass den Verblendeten Puppen ausreichen und sie nicht wirklich Menschenopfer darbringen, wie es der alte Kult eigentlich will. Es ist, als ob die Landkultur eher die Dummheit, das Dumpfbackene fördert, erst recht, wenn man damit Tourismusprogramme speisen kann, dass die verblödeten Städter „a Gaudi“ haben. Das läuft dann unter Brauchtumspflege, als ob alte Bräuche allein schon wegen ihres Alters bewahrenswert wären.

Stimmte das, müsste man die Weiber als Entrechtete wieder an Ketten oder Leinen legen, sie peinigend niederhalten und vergewaltigen, was zwar im Fasching vielerorts geschieht, aber nicht so propagiert wird, weil das dann doch den profitablen Tourismus störte. Und wer von den Mannsbildern dürfte sich frei bewegen? Fast niemand, jedenfalls niemand aus dem gemeinen Volk. Vielleicht wäre das eine Lehre, ein eindrücklicher Unterricht, wenn man sie peitschte und trieb wie Vieh, wenn die Schergen der Herren sie wie Tiere behandelten. Unsere Machos vergessen, dass sie eine falsche Rolle einnehmen. Vielleicht wäre ein „praktischer“ Historienunterricht heilsam?

Warum kleben Leute an Riten und Praxen der Unterdrückung, Hatz und Folter und elender Ausbeutung? Weil sie gerne Herren, Befehlende, Missbrauchende wären? Es ist ähnlich wie bei den Kriegsspielen, wenn Gegenwartsmenschen behaupten, sie stellten Schlachten nach zwecks historischer Verdeutlichung, als ob man diese in solcher Form brauchte. Nein, es ist eine alte Kriegslüsternheit, ein Hang nach Gewalt, nach Sprengen der gewohnten Ordnung. Eigentlich ist es der Wunsch nach Krieg, der die Gesetzte außer Kraft setzt und eigene diktiert. Es ist der immense Druck, der keine Reflexion erlaubt, kein Nachdenken. Der Zustand, wo Folgschaft und direkte Tat, action pure, angesagt sind, wo Untaten und Barbarei nicht nur legitimiert, sondern befohlen sind, wo die Täter im Voraus schon entlastet, unschuldig sind.

Auch die jährlich stereotyp geäußerten Absichtserklärungen fürs Neue Jahr beweisen einerseits eine hohe Vergesslichkeit, andererseits eine starke Resistenz gegen Lügen oder Täuschungen. Aber, gesellschaftlich allgemein als Ritual vollzogen, scheint alles gerechtfertigt und sozial. Zudem hilft’s dem Geschäft.

In diesem Sinne, machen Sie’s gut im Neuen Jahr.


Donnerstag, 27. Dezember 2018

80. Todestag von Ossip Mandelstam

Ossip Emiljewitsch Mandelstam (* 3.jul./ 15. Januar 1891greg. in Warschau; † 27. Dezember 1938 bei Wladiwostok in einem sowjetischen Lager) war ein russischer Dichter und der Ehemann der Autorin Nadeschda Jakowlewna Mandelstam. Neben Anna Achmatowa und Nikolai Gumiljow war er der entschiedenste Vertreter des Akmeismus.

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Akmeismus






In unserer Bibliothek Gleichgewicht haben wir Werke von Ossip Mandelstam als auch von seiner Frau Nadeschda und von Anna Achmatowa (neben anderen russischen Werken der Zeit).





Mittwoch, 26. Dezember 2018

125. Geburtstag von Mao Zedong

Mao Zedong oder Mao Tse-tung (chinesisch 毛澤東 / 毛泽东, Pinyin Máo Zédōng, W.-G. Mao Tsê-tung,  * 26. Dezember 1893 in Shaoshan; † 9. September 1976 in Peking) war ein chinesischer Revolutionär, Politiker und Autor. Als Vorsitzender der Kommunistischen Partei Chinas (1943–1976), als Vorsitzender der Zentralen Volksregierung (1949–1954) sowie als Vorsitzender der Volksrepublik China (1954–1959) war er der führende Politiker, international als „Paramount Leader“ bezeichnet, der von ihm gegründeten Volksrepublik China von 1949 bis 1976. Die politische Bewegung des Maoismus ist nach ihm benannt.

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Einer der schlimmsten Massenmörder wird immer noch, ähnlich wie Stalin, von vielen verehrt und gepriesen, denn die Mehrheiten in vielen, oder sollen wir sagen, in allen Gesellschaften, weigern sich, aus der Geschichte zu lernen.

Wir haben in unserer Bibliothek Gleichgewicht einige Werke von ihm als auch über ihn.







Dienstag, 25. Dezember 2018

95. Geburtstag von René Girard

René Noël Théophile Girard (* 25. Dezember 1923 in Avignon; † 4. November 2015 in Stanford, Kalifornien) war ein französischer Literaturwissenschaftler, Kulturanthropologe und Religionsphilosoph. Sein Werk lässt sich in die Tradition der philosophischen Anthropologie einordnen.

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Montag, 24. Dezember 2018

220. Geburtstag von Adam Mickiewicz

Adam Bernard Mickiewicz, (* 24. Dezember 1798 in Zaosie bei Nowogródek, Russisches Kaiserreich, heute Weißrussland; † 26. November 1855 in Konstantinopel, Osmanisches Reich) gilt als bedeutendster der Drei Barden der Polnischen Romantik in einer Zeit der Nichtexistenz eines polnischen Nationalstaats und als Nationaldichter Polens.

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Sonntag, 23. Dezember 2018

Die Würze der Kürze


Haimo L. Handl

Die Würze der Kürze

Wäre Adolf Hitler nicht nach Hitler benannt, sondern nach Schicklgruber, wäre vielleicht vieles anders gekommen. Man stelle sich vor: Grölende Massen, ausgestreckte, erhobene Arme, „Heil Schicklgruber!“. Hätte die Wirkung verfehlt. Merkel klingt tauglich, kurz und bündig, wie Putin oder Trump. Beim Russen denkt man vielleicht an Hure (putain), bei Trump an Furz, aber die Namen sind klar und deutlich, einprägsam. Bei Annegret Kramp-Karrenbauer empfinden die meisten Aussprechprobleme und taufen sie einfach um in AKK. Wenn sogar ihre Landsleute nicht mehr die Energie aufbringen, ihren Namen korrekt auszusprechen, verspricht das nichts Gutes für die Zukunft. Es muss also kurz sein und prägend. Damit die einfachen Leute, die Massengefolgschaft, ohne viel Aufwand, „ohne Umständ“, folgen kann.

Das Sprachvermögen der Sprachgemeinschaftsmitglieder hat sich nach Jahren der Verbildung bzw. Unbildungspflege extrem reduziert. Das Einfachdeutsch, die ökonomische Kurzsprache lässt sich leichter über elektronische Medien, fast automatisiert, vermitteln. Anspruchsvolle Literatur wird in Kurzfassungen mit Deutungen als Instrument der Digest-Culture „mundgerecht“ (sprech- und sprachgerecht simplifiziert) verabreicht und „genossen“. Alles darüber Hinausgehende bleibt wenigen Experten vorbehalten. Was gesagt werden kann, wird einfach gesagt, die Rede ist, aller Übung nach, „ja oder nein“. Keine Differenzierungen, keine Nuancierungen, kein Wenn und Aber. Die Welt ist böse oder gut. Das steht zwar im Widerspruch zu den transsexuellen Geschlechtern und ihren Nöten, eigene Toiletten vorzufinden. Nichts scheint wie früher: es gibt nicht mehr männlich oder weiblich, die Konstruktionen vermehren sich und alle wollen ihre Minderheitenrechte. Da wird der Wunsch nach Eindeutigkeit und Kürze verständlich. Den kann man am billigsten im Bildungs- und Kulturbereich wünschen und erhalten. Ich muss mich korrigieren: auch in der Politik triumphiert die Simplizität. Wir und die Anderen. Ich und Du. Ich gut, Du böse. Die Andern sind meist eine Pest, eine Gefahr. Jedenfalls eine Zumutung und Störung. Außer als Konsumenten und Touristen, die abhauen, wenn sie ihr Geld hiergelassen haben.

Die Geschichte des einfachen Redens ist alt und lange. Denn früher, vor allem während der Aufklärung, vermochten nur wenige sich zu bilden. Bildung war einer Elite vorbehalten. Es ist gut und begrüßenswert, dass sich das geändert hat. Die Vereinfachungen für das einfache Volk, die Knechte und Mägde, die Bauernschaft, die Fabrikarbeiter, waren nötig und prägten das simplifizierte Bild. Davon profitierten auch die Kirchen, die katholische wie die reformierte protestantische. Es kam ihrem Bedürfnis der Führung und Leitung entgegen. Die Elementar- oder Volksschulen waren Trainingsstätten fürs Einfache, Simple.

Das zeigt sich vor allem auch in den Märchen, denen es vor allem daran lag, in moralischen Geschichten bestimmte Vorgaben zu transportieren, zu warnen, oder auch den Wünschen nach wunderbaren Ereignissen, sozusagen Wunschlösungen höherer Ordnung, Nahrung zu geben und zu helfen, den immensen Realitätsdruck durch Wunschvorstellungen und Träume abzureagieren. Solange die Massen durch Aberglauben, Religion, Märchen abzuspeisen waren, konnte die alte Ordnung der Ausbeutung „billiger“ aufrecht erhalten werden. Der Volksmund war nie beredt. Kurz und bündig. Direkt. Es ging um die Sache. Und die Märchen bedienten in aller Kürze und erfüllten die Aufgabe:  Das Wünschen half. Wenn man nachliest, was z.B. die Brüder Grimm mit ihren KHM, Kinder- und Hausmärchen (ab 1812 erschienen) leisteten, „Als das Wünschen noch geholfen hat“, staunt man einerseits über die lapidare Kürze, andererseits den Fantasiereichtum. Einerseits wurde erfolgreich verdrängt, andererseits wurden Energien in Wunschbilder kanalisiert, die den realen Vollzug, den Widerstand oder Aufstand, die Revolte zum Beispiel, verhinderten. Und so ganz nebenbei wurden die Mythen verfestigt und die guten Sitten und die einfache Sprache.

Wer wollte oder sollte sich mit Goethes „Wilhelm Meister“ herumschlagen oder Kleists „Penthesilea“ oder dem  „Anton Reiser“ von Karl Philipp Moritz? Und all die andern wortmächtigen Seitenfüller? Nix da. Es geht kürzer und einfacher.

Dieser Hang zum Einfachen und seinen Funktionen scheinen wir nicht nur trotz, sondern wegen unserer leistungsfähigen Kommunikationsmittel wiedergefunden zu haben. Massen von Massenmenschen bedienen sich der Kurzformen für ihre kurzen, stereotypen Gedanken und Nachreden. In Blogs und anderen Textprodukten regiert die simple, einfache Form. Die meisten fühlen sich wohl in ihrem Neudeutsch oder Basisdeutsch. „Wer anders fühlt, geht freiwillig ins Irrenhaus“.

In einem Gespräch mit einem Bibliothekar, das ich letzthin führte, staunte ich über dessen Ansichten zur Sprache. Er meinte, es bedürfe keiner gehobenen Form von Sprache, das sei eine künstliche Barriere. Es reiche ein Umgangs- oder Einfachdeutsch. Solange man den anderen erreiche, sei der Sinn von Literatur oder Massenkommunikation erfüllt. Weshalb ich den Gebrauch elaborierter Sprachkodes empfehle? Das sei von gestern. Sprache verändere sich. Man müsse lernen und wissen, wann der Rekurs auf korrekte Genetivformen obsolet sei, wann es schnöselig werde Plusquamperfekt einzufordern oder unterschiedliche Konjunktivformen. Das sei überholtes Bildungsbürgertum. Man komme ohne diese Differenzierungen aus. Und das „alte Zeug“ lese eh niemand mehr außer ein paar Experten…

Es ist wie mit dem Essen. Wer will nach einem vollen Arbeitstag noch Zeit zum Kochen aufbringen? Der Markt liefert alles für die schnelle Küche und das schnelle Essen. Man wird gekonnt abgespeist. Auch die Erotik und der Sex haben sich beschleunigt und verkürzt. Anblick, manchmal Vorberührung, Rein-Raus, Orgasmus, fertig. Weshalb langatmig auskosten wollen? Weshalb eine Geschichte daraus machen? Die modernen erotischen Romane oder Geschichten sind kurz und bündig, direkt. Die anderen finden keine Leserinnen und Leser.

Auch das Meditieren hat sich vereinfacht und verkürzt. Geschulte Coaches führen eine oder einen meisterlich in Kürzestzeit zum Ziel. Es ist fast wie beim Sport. Immer vorne dran bleiben!

Eigenartigerweise sind viele Kriegs- und Vernichtungszüge nicht so kurz, wie die Kriegstreiber und Kriegsherren versprechen. Da scheint nichts einfach, simpel und kurz zu sein. In der Regel zumindest nicht. Warum greift das nicht aufs Denken zurück? Weil im simplen, vereinfachten Kurzdenken dafür kein Platz ist. Alles jenseits des engen Zauns, der sogenannten Echokammer, wird nicht oder nur verschwommen wahrgenommen und hingenommen. In aller Kürze und Würze.


Samstag, 22. Dezember 2018

135. Geburtstag von Edgar Varèse

Edgar(d) Victor Achille Charles Varèse (* 22. Dezember 1883 in Paris; † 6. November 1965 in New York) war ein amerikanischer Komponist und Dirigent französischer Herkunft.

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Dienstag, 18. Dezember 2018

Im Gedenken des 100. Geburtstages von Alexander Solschenizyn

Zum 100. Geburtstag von Alexander Solschenizyn: aus dem Archiv von literaturkritik.de

Vor hundert Jahren, am 11. Dezember 1918, wurde Alexander Solschenizyn in Russland geboren. 1970 erhielt er den Literaturnobelpreis für seinen Roman Im ersten Kreis der Hölle. Sein Tod im August vor zehn Jahren in Moskau war ein Anlass, in literaturkritik.de neben zwei Nachrufen zwei ältere Artikel Marcel Reich-Ranickis über ihn neu zu veröffentlichen. Zu seinem 100. Geburtstag hier eine Zusammenstellung aller Beiträge, die bisher über Solschenizyn in unserer Zeitschrift erschienen sind:
Im ersten Kreis der Hölle.
Alexander Solschenizyns großer Roman
Von Marcel Reich-Ranicki
Ausgabe 08-2008
Solschenizyn und wir.
Aus Anlass seines Buches „Im Interesse der Sache“
Von Marcel Reich-Ranicki
Ausgabe 08-2008
Ein Korn zwischen den Mühlsteinen.
Zum Tod des Literatur-Nobelpreisträgers Alexander Solschenizyn
Von Peter Mohr
Ausgabe 08-2008
Schriftsteller, Einzelkämpfer und russischer Patriot.
Zum Tode von Alexander Solschenizyn
Von Volker Strebel
Ausgabe 08-2008
Zweifellos ein streitbarer Geist.
Alexander Solschenizyns Erinnerungen an sein Leben im westlichen Exil offenbaren einen unangepassten Charakter
Von Volker Strebel
Ausgabe 04-2006

215. Todestag von Johann Gottfried Herder

Johann Gottfried von Herder, geadelt 1802 (Rufname Gottfried,[1] * 25. August 1744 in Mohrungen, Ostpreußen; † 18. Dezember 1803 in Weimar), war ein deutscher Dichter, Übersetzer, Theologe sowie Geschichts- und Kultur-Philosoph der Weimarer Klassik. Er war einer der einflussreichsten Schriftsteller und Denker deutscher Sprache im Zeitalter der Aufklärung und zählt mit Christoph Martin Wieland, Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller zum klassischen Viergestirn von Weimar.

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20. Todestag von William Gaddis

William Thomas Gaddis (* 29. Dezember 1922 in New York City; † 16. Dezember 1998 in East Hampton, NY) war ein amerikanischer Schriftsteller.

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William Gaddis und das Räderwerk der Welt. Zum 20. Todestag des Autors

Von Marcus Jensen

Literaturkritik  


America’s Best Unknown Writer

The Letters of William Gaddis
edited by Steven Moore, with an afterword by Sarah Gaddis
Dalkey Archive, 545 pp.



 

90. Geburtstag von Joachim Kaiser

Joachim Kaiser (* 18. Dezember 1928 in Milken, Kreis Lötzen, Ostpreußen; † 11. Mai 2017 in München) war einer der einflussreichsten deutschsprachigen Musik-, Literatur- und Theaterkritiker seiner Zeit. Seit 1959 arbeitete er als leitender Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung; von 1977 bis 1996 war er Professor für Musikgeschichte an der Hochschule für Musik und Darstellende Künste in Stuttgart.

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Montag, 17. Dezember 2018

745. Todestag von Dschalāl ad-Dīn ar-Rūmī

Dschalāl ad-Dīn Muhammad ar-Rūmī – kurz Rumi genannt – (Gesamtname: arabisch جلال الدین محمد بن شيخ بهاء الدين محمد بن حسين الرومی, DMG Ǧalāl ad-Dīn Muḥammad bin Šaiḫ Bahā’ ad-Dīn Muḥammad bin Ḥusain ar-Rūmī, in Iran meist persisch جلال الدین محمد بن شيخ بهاء الدين محمد بن حسين بلخى, DMG Ǧalāl ad-Dīn Muḥammad bin Šaiḫ Bahā’ ad-Dīn Muḥammad bin Ḥusain-i Balḫī genannt; * 30. September 1207 in Balch, heute Afghanistan, oder Wachsch bei Qurghonteppa, heute Tadschikistan; † 17. Dezember 1273 in Konya) war ein persischer Sufi-Mystiker, Gelehrter und einer der bedeutendsten persischsprachigen Dichter des Mittelalters. Von seinen Anhängern, insbesondere den Derwischen, erhielt er den Beinamen arabisch مولانا, DMG Maulānā (persisch auch Maulawī; türkische Schreibweise: Mevlânâ), „unser Herr/Meister“ (von arabisch maulā; vgl. Mullah). Nach ihm ist der Mevlevi-Derwisch-Orden benannt.

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Wilhelm Genazino gestorben

Wilhelm Genazino * 22. Januar 1943 in Mannheim; † 12. Dezember 2018 in Frankfurt am Main) war ein deutscher Schriftsteller. 2004 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet.

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Nachruf: Ein besonderer Spaziergänger:
Trauer um Wilhelm Genazino
hr2, 4.12.18


Nach kurzer Krankheit
Schriftsteller Wilhelm Genazino ist tot
Mit Anti-Helden schuf Wilhelm Genazino unverwechselbare Charaktere der zeitgenössischen deutschen Literatur. Nun ist er nach kurzer Krankheit gestorben.
TAGESSPIEGEL, 14.12.2018


Wilhelm Genazino ist tot
Er erschuf unverwechselbare Charaktere der zeitgenössischen deutschen Literatur: Wilhelm Genazino ist nach kurzer Krankheit im Alter von 75 Jahren gestorben.
DIE ZEIT, 14. Dezember 2018


Zum Tod von Wilhelm Genazino
Apologet der Erfolgsunwilligen
Wilhelm Genazinos Romanhelden haben wenig Interesse an Geld, Ruhm, Karriere – sie huldigen dem Müßiggang. Mit der Figur des schrulligen Erfolgsverweigerers erschuf er einen ganz eigenen Antihelden. Viele westdeutsche Leser identifizierten sich mit ihm, so Kritiker Helmut Böttiger im Dlf anlässlich des Todes des Autors.
Helmut Böttiger im Gespräch mit Gisa Funck
DF, 17.12.2018







 





In unserer Bibliothek Gleichgewicht liegen etliche Bücher von Wilhelm Genazino auf.






Sonntag, 16. Dezember 2018

Verpönte Relativität

Haimo L. Handl

Verpönte Relativität

Martin Walser, unermüdlich auch im Alter, hat einen kleinen Band mit Gedichten und Miniaturen veröffentlicht, der wieder Aufsehen erregt. Man könnte meinen, die Deutschen seien neben den Israelis besonders geschult im Auf- und Abmerken und Verteilen von Zensuren, ärger noch als die Briten oder Amerikaner, obwohl besonders  in den USA das ungeistige Klima sich dramatisch ändert und Jäger und Hetzer als Zensoren und öffentliche Moralapostel langsam Oberhand zu gewinnen scheinen.

In Deutschland ist das Einfachdenken tief verankert. Seit der historischen Schuld verzweifeln immer noch viele am Unbewältigbaren. Viele haben ein Strafbedürfnis erlernt, das unstillbar scheint. Jede Gelegenheit zur Kasteiung wird wahrgenommen. Sie halten die Kollektivschuld am Leben und verdächtigen jeden, der differenziert oder widerspricht der braunen Untat. Sie sind die Vollstrecker der re-education im negativen Sinn.

Martin Walser war 1998 mit seiner Paulskirchenrede skandalös aufgefallen. Das Verdikt wurde über ihn gesprochen und es waren nur gewisse Umstände, die ihn vor der realen Lynchjustiz bewahrten. Geistig hatten sich die Korrekten über ihn hergemacht. Jetzt bringt er in seinem neuen Buch SPÄTDIENST ein altes Gedicht, das sofort wieder als Auslöser dient für die Kurzdenker, jene, die nicht zu differenzieren in der Lage sind, die wie Wachhunde auf bestimmte Auslöser unwillkürlich reagieren, die Zähne fletschen und bellen. Eigentlich möchten sie ihrem Training nach zubeißen, zerfleischen, aber das dürfen sie derweil noch nicht. Hierin teilen sie ein typisch deutsches Schicksal mit den Unverbesserlichen, den faschistischen Gestrigen, die sich in diesem einem Punkte treffen: nicht selbständig denken, sondern hündisch heulen und beißen.

In der WELT vom 1.12.2018 nimmt Marc Reichwein zwar Walser in Schutz bzw., wenn man so will, führt Argumente an, die positiv relativieren, leitet seine Ausführungen aber so abwertend ein, dass man sich wundert, auf welch tiefem Niveau hier ein Kritiker sich ausbreitet:

Hoch betagte Dichter sind nicht immer ganz dicht. Günter Grass hat kurz vor seinem Tod durch ein stumpfsinniges Israel-Gedicht von sich reden gemacht. Der 91-jährige Martin Walser hat soeben sein Buch „Spätdienst“ (Rowohlt, 208 S., 20 €) veröffentlicht, ein Bändchen voller literarischer Miniaturen (Gedichte, Aphorismen und Notate), die einen daran denken lassen, dass Walser heute bestens bei Twitter aufgehoben wäre – als jemand, der auf alles und jedes narzisstisch und nachtragend reagiert. In gewisser Weise dokumentiert „Spätdienst“ – neben poetischen Perlen – oft unfreiwillig komisch, die Riesen-Blase der Kränkung (durch Kritik) und Selbstbeobachtung, in der Walser seit Jahrzehnten lebt.

Herr Reichwein, Redakteur im Feuilleton der WELT, Jahrgang 1975, gibt Auskunft über die Dichte von Dichtern, und konstatiert kühl, dass viele nicht dicht seien, also ausrinnen. Es bleibt zur Spekulation offen, ob er die geistige Dichte meint, die er zynisch absprechend diagnostizieren könnte: undicht im Sinne von dement, oder ob er einen körperlichen Zustand meint, wenn alte Menschen Blasenprobleme haben. Während die Werbung vor allem den Frauen, die auszurinnen scheinen, permanent besten Schutz durch gewissen Einlagen und Binden verspricht, wird im Falle eines alten Dichters nicht von Hilfe gesprochen, sondern das Bild eines Gebrechlichen gemalt oder gezeigt, der eben verfällt und versagt, ausrinnt. Er, der Jüngere, mokiert sich über den Alten. Was für eine Kultur!

Viele haben Angst vor der Altersdemenz. Wie simpel, jemanden, den man „fertigmachen“ möchte, einfach der Demenz zu zeihen, ihn negativ zu etikettieren, abgestützt durch das Klischee „Alte sind nicht ganz dicht“. Na, er ist doch alt, also: nicht ganz dicht, dement, unzurechnungsfähig, Abfall. Lasst ihn uns entsorgen. Was, der Walser schreibt immer noch? Regt sich immer noch auf? Der ist ein Querulant, das ist ein Narziss, ein Dauergekränkter. Diagnose gestellt und geliefert: abgestempelt, zum Abschuss freigegeben. Interessant und bemerkenswert, dass dann trotzdem ein Gedicht, ob alt oder neu, Aufregung verursacht und es und den Autor zum „Fall“ macht. Die Jäger, die Literatur- und Moralpolizisten sind auf der Hut, liegen auf Lauer, beißen sofort zu.

Bei Walser finden einige, wie früher, dass er Auschwitz bagatellisiere. Ein Verbrechen. Woran lesen sie das ab? Von einem Gedicht. Allein, dass der Autor es wagt zu vergleichen bzw. in eine Reihe zu stellen, empört, weil er damit ein Verbrechen begeht: er banalisiert und bagatellisiert.

Ganz in diesem Sinne äußert sich im konservativen Vordenkerblatt (früher haben sich die klugen Köpfe dahinter versteckt!) der PD Dr. Christian Metz, auf dessen Internetseite man seine Titel und Artikelverzeichnisse findet, aber keine Auskunft über sein Geburtsdatum bzw. sein Herkommen. Eine Schwarz-weiß-Fotografie zeigt ihn in trauter Leserpose: jung und nachdenklich sinnierend. Wie nett. Ich weiß also nicht, ob er der typische 68-er-Vertreter ist oder sonst ein Schnösel aus der verwöhnten Me-Generation. Jedenfalls verurteilt er Walser in gewohnter Manier. Stein des Anstoßes ist Walsers Gedicht über den Vietnamkrieg und die Reihung von Hué mit Golgatha, Verdun und Auschwitz . Damit ist für den akademisch geschulten Literaturwissenschaftler und -kritiker der Tatbestand der Bagatellisierung festgemacht. Walser ist schuldig. Das ist sogar dem Marc Reichwein zuviel, der in seinem Beitrag meint:

Ja, die Ortsnamenreihung ist problematisch: „Neben Jesu Kreuzigung auf Golgatha, der Schlacht von Verdun im Ersten Weltkrieg und dem Kampf um die Stadt Hué im Vietnamkrieg erscheint Auschwitz in dieser Formulierung als eine tödliche Katastrophe unter vielen.“ So empört sich – ganz im Sinne der seit Walsers Paulskirchenrede von 1998 bekannten Diagnose, dass Walser ein Auschwitz-Problem hat – der „FAZ“-Kritiker Christian Metz. Doch das Gedicht ist beim besten Willen nicht, wie Metz behauptet, als unverbesserliches und Auschwitz relativierendes Walser-„Alterswerk“ abzutun. Es stand am 22. März 1968 in der „Zeit“, abgedruckt als Spottkritik am damaligen Medien- und Politikbetrieb.

Obwohl Reichwein korrekt auf die frühe Publikation von 1968 verweist, auf Walsers Engagement gegen den Vietnamkrieg (was, anstatt positiv bewertet, heute als verdächtiger Ausweis eines elenden Antiamerikanismus gesehen wird!) verweist, streift er die eigentliche Problematik nur oberflächlich. Der Skandal liegt für die Korrekten und Philosemiten darin, dass Auschwitz als eine Katastrophe neben anderen erscheint. Auschwitz darf aber nicht neben andere Verbrechen gestellt werden, Auschwitz ist singulär, ist absolut. Jeder Vergleich bagatellisiert, entwürdigt. Diese quere Logik stellt ein Denkverbot dar, das bei Strafe nicht übertreten werden darf.

Nun, semiotisch gesehen oder philosophisch sind die Ansprüche bezüglich absoluter Einmaligkeit bzw. Unvergleichbarkeit Humbug. Ohne Vergleich keine Bewertung, keine Kommunikation. Der Skandal liegt auch nicht in der Sprache oder im Vergleichen, sondern in der Tatsache, wovon Texte, insbesondere Vergleiche, aber nicht nur, Zeugnis geben: das Leben geht weiter, ob Hiob verzweifelt oder nicht. Allein die Tatsache, dass das Leben weitergeht, empört viele jener, die davongekommen sind. Sie zürnen ihrem Gott, sie zürnen noch viel mehr den Nachfahren der Täter, die leben und, welch eine Zumutung, die sogar gut leben und arbeiten und wieder zu Wohlstand gelangen. Diese Ungerechtigkeit, dieses Gottversagen, ist für viele schier unerträglich.

Das tiefe Ressentiment gegen die Deutschen, die überlebten und gut leben, hat Jean Amery in beredte Worte gefasst. Er, der Adorno wegen dessen Jargon mied und kritisierte, teilte mit ihm aber den Schmerz über die Barbarei. Nicht, weil einige Gedichte nach Auschwitz schrieben, das tat auch Bruder Celan, sondern dass es weiterging. Eigentlich hätte die Welt untergehen müssen, aber sie ging nicht unter. Sie prosperiert sogar.

Und dann kommt ein Deutscher und stellt Auschwitz, das Einmalige, das Absolute, in eine Reihe mit anderen Kriegsstätten oder Horrorszenarien. Er relativiert also, er verweigert das Denken des Undenkbaren, er denkt das Denkbare. Was ist schon der Vietnamkrieg, was war denn Verdun. Welcher Skandal, gar auf- und abrechnen zu wollen. Wenn schon, dann nur von den Opfernachfahren, den Juden. Sechs Millionen wiegen mehr, besonders im Tod, als x-fach soviele andere Opfer in Russland, in Asien, sonst wo auf der Welt. Es darf nie verglichen werden, es muss immer vom singulär Absoluten gesprochen werden.

Eigentlich ein verzweifelter Versuch gegen die Geschichte, gegen die Realität. Purer Idealismus: das Denken soll determinieren. Die Realität muss ausgeschaltet werden, Historie gilt nicht. Es gilt das Wort Gottes, der Juden, der Opfer. Aber mit jedem Tag gräbt sich die Erfahrung des Gegenteils tiefer ein, bohrt der Schmerz über den Gott, der seinen Kindern nicht zu Hilfe kam, der es geschehen ließ und der weiterleben (leiden) lässt.

Adorno hat mit seinem Verdikt eine wesentliche Schwachstelle in seinem Denken entblößt. Amery verzehrte sich in seinem Zorn und seinen Ressentiments. Celan vermochte nicht festen Boden zu gewinnen. Wen immer man dafür schuldig spricht, es wird nicht helfen, es wird nichts ändern. Das ändern auch die Kläffer und Verurteiler wie Christian Metz nicht. Sie vertiefen nur die Peinlichkeit.

Nachbemerkung:

Das ahistorische Fixieren der Nazischuld dient nicht nur der Ablenkung sondern auch der Realitätsverleugnung. Weil keine europäische Faschistenbewegung so grausig wie die Deutschen im Holocaust vorging, verringert sich für viele Nachfahren deren Schuld. Die Fokussierung auf den Holocaust als das absolute Verbrechen macht alle anderen weniger schlimm. Davon profitieren die Faschisten in Italien und Spanien.

In ihrer Rezension von Antonio Scuratis Buch "M - Il figlio del secolo" schreibt Emma Johanningsmeier in der New York Times vom 8.12.2018:

In Italy, the birthplace of fascism, Mussolini has never carried the same stigma as Hitler in Germany. The dictator still known as “Il Duce” enjoyed wide public support during his two-decade rule, despite his persecution of anti-fascists and Jews. Some in Italy today are willing to overlook those things for the perceived social stability of the fascist era.
In the collective memory, “Italy always came out as the lesser evil with respect to Nazi Germany,” Ben-Ghiat said. “Because of that, Italians were able to say, ‘Well, we weren’t so bad. We weren’t the architects of the Holocaust.’”

Die Angst vor Kritik treibt Israel und seine Unterstützer zu immer neuen Maßnahmen der Zensur und Verfolgung. In der New York Review of Books schreibt am 12.12.2018 in der Rubrik NYRDaily Katherine Franke in ihrem Beitrag "The Pro-Israel Push to Purge US Campus Critics":

At the same time, discussions on college campuses about the complexities of freedom, history, and belonging in Israel and Palestine are under increasing pressure and potential censorship from right-wing entities. In fact, new policies adopted by the US and Israeli governments are intended to eliminate any rigorous discussion of Israeli–Palestinian politics in university settings. Not since the McCarthyite anti-Communist purges have we seen such an aggressive effort to censor teaching and learning on topics the government disfavors.
Especially chilling, the US Department of Education recently adopted a new definition of anti-Semitism, one that equates any criticism of Israel with a hatred of Jews. This new stance was evident when the Department’s Office for Civil Rights recently reopened an investigation of anti-Semitism at Rutgers University regarding a complaint that had been examined and closed by the Obama administration. The case, which was brought by the Zionist Organization of America, alleged that Rutgers should not permit students to hold events at which the human rights record of the state of Israel is criticized. The ZOA applauded the reopening of the case by Kenneth Marcus, the new head of the Office for Civil Rights and a long-time proponent of the view of that all criticism of Israel is necessarily anti-Semitic.

Diese Entwicklungen belegen nicht nur das Erstarken von Rechtsextremen und Neonazis oder Faschisten, sondern stellen die Arbeiten von Autoren wie Christian Metz und dergleichen ins ganz rechte Licht. Israel wird zum Vorreiter neuer Geschichtsklitterungen und politischer Zensur im Namen politischer Korrektheit. Plötzlich sieht man diese Korrekten in Gemeinschaft mit den Tabuisierern aus China oder der Türkei. Eine Gemeinschaft der Verfolger und Hetzer, der Verleumder und Folterer.

Ich hätte die Vorgangsweisen der Korrekten auch anhand von Artikeln des radikalen Magazins „Counterpunch“ illustrieren können. Die wären dann leichter als linke Denunziationen abhakbar. Dass die biedere New York Review of Books aber auf die Problematik eingeht, macht es den Agenten Israels nicht so leicht, das alte Feindbild wachzuhalten.