Haimo L. Handl
Die Würze der Kürze
Wäre Adolf Hitler nicht nach Hitler benannt, sondern nach
Schicklgruber, wäre vielleicht vieles anders gekommen. Man stelle sich vor: Grölende
Massen, ausgestreckte, erhobene Arme, „Heil Schicklgruber!“. Hätte die Wirkung
verfehlt. Merkel klingt tauglich, kurz und bündig, wie Putin oder Trump. Beim
Russen denkt man vielleicht an Hure (putain), bei Trump an Furz, aber die Namen
sind klar und deutlich, einprägsam. Bei Annegret Kramp-Karrenbauer empfinden
die meisten Aussprechprobleme und taufen sie einfach um in AKK. Wenn sogar ihre
Landsleute nicht mehr die Energie aufbringen, ihren Namen korrekt
auszusprechen, verspricht das nichts Gutes für die Zukunft. Es muss also kurz
sein und prägend. Damit die einfachen Leute, die Massengefolgschaft, ohne viel
Aufwand, „ohne Umständ“, folgen kann.
Das Sprachvermögen der Sprachgemeinschaftsmitglieder hat
sich nach Jahren der Verbildung bzw. Unbildungspflege extrem reduziert. Das
Einfachdeutsch, die ökonomische Kurzsprache lässt sich leichter über
elektronische Medien, fast automatisiert, vermitteln. Anspruchsvolle Literatur
wird in Kurzfassungen mit Deutungen als Instrument der Digest-Culture
„mundgerecht“ (sprech- und sprachgerecht simplifiziert) verabreicht und
„genossen“. Alles darüber Hinausgehende bleibt wenigen Experten vorbehalten.
Was gesagt werden kann, wird einfach gesagt, die Rede ist, aller Übung nach,
„ja oder nein“. Keine Differenzierungen, keine Nuancierungen, kein Wenn und Aber.
Die Welt ist böse oder gut. Das steht zwar im Widerspruch zu den transsexuellen
Geschlechtern und ihren Nöten, eigene Toiletten vorzufinden. Nichts scheint wie
früher: es gibt nicht mehr männlich oder weiblich, die Konstruktionen vermehren
sich und alle wollen ihre Minderheitenrechte. Da wird der Wunsch nach
Eindeutigkeit und Kürze verständlich. Den kann man am billigsten im Bildungs-
und Kulturbereich wünschen und erhalten. Ich muss mich korrigieren: auch in der
Politik triumphiert die Simplizität. Wir und die Anderen. Ich und Du. Ich gut, Du
böse. Die Andern sind meist eine Pest, eine Gefahr. Jedenfalls eine Zumutung
und Störung. Außer als Konsumenten und Touristen, die abhauen, wenn sie ihr
Geld hiergelassen haben.
Die Geschichte des einfachen Redens ist alt und lange. Denn
früher, vor allem während der Aufklärung, vermochten nur wenige sich zu bilden.
Bildung war einer Elite vorbehalten. Es ist gut und begrüßenswert, dass sich
das geändert hat. Die Vereinfachungen für das einfache Volk, die Knechte und
Mägde, die Bauernschaft, die Fabrikarbeiter, waren nötig und prägten das
simplifizierte Bild. Davon profitierten auch die Kirchen, die katholische wie
die reformierte protestantische. Es kam ihrem Bedürfnis der Führung und Leitung
entgegen. Die Elementar- oder Volksschulen waren Trainingsstätten fürs
Einfache, Simple.
Das zeigt sich vor allem auch in den Märchen, denen es vor
allem daran lag, in moralischen Geschichten bestimmte Vorgaben zu
transportieren, zu warnen, oder auch den Wünschen nach wunderbaren Ereignissen,
sozusagen Wunschlösungen höherer Ordnung, Nahrung zu geben und zu helfen, den
immensen Realitätsdruck durch Wunschvorstellungen und Träume abzureagieren.
Solange die Massen durch Aberglauben, Religion, Märchen abzuspeisen waren,
konnte die alte Ordnung der Ausbeutung „billiger“ aufrecht erhalten werden. Der
Volksmund war nie beredt. Kurz und bündig. Direkt. Es ging um die Sache. Und
die Märchen bedienten in aller Kürze und erfüllten die Aufgabe: Das Wünschen half. Wenn man nachliest, was
z.B. die Brüder Grimm mit ihren KHM, Kinder- und Hausmärchen (ab 1812
erschienen) leisteten, „Als das Wünschen noch geholfen hat“, staunt man einerseits
über die lapidare Kürze, andererseits den Fantasiereichtum. Einerseits wurde
erfolgreich verdrängt, andererseits wurden Energien in Wunschbilder kanalisiert,
die den realen Vollzug, den Widerstand oder Aufstand, die Revolte zum Beispiel,
verhinderten. Und so ganz nebenbei wurden die Mythen verfestigt und die guten
Sitten und die einfache Sprache.
Wer wollte oder sollte sich mit Goethes „Wilhelm Meister“
herumschlagen oder Kleists „Penthesilea“ oder dem „Anton Reiser“ von Karl Philipp Moritz? Und
all die andern wortmächtigen Seitenfüller? Nix da. Es geht kürzer und
einfacher.
Dieser Hang zum Einfachen und seinen Funktionen scheinen wir
nicht nur trotz, sondern wegen unserer leistungsfähigen Kommunikationsmittel
wiedergefunden zu haben. Massen von Massenmenschen bedienen sich der Kurzformen
für ihre kurzen, stereotypen Gedanken und Nachreden. In Blogs und anderen
Textprodukten regiert die simple, einfache Form. Die meisten fühlen sich wohl
in ihrem Neudeutsch oder Basisdeutsch. „Wer anders fühlt, geht freiwillig ins
Irrenhaus“.
In einem Gespräch mit einem Bibliothekar, das ich letzthin
führte, staunte ich über dessen Ansichten zur Sprache. Er meinte, es bedürfe
keiner gehobenen Form von Sprache, das sei eine künstliche Barriere. Es reiche
ein Umgangs- oder Einfachdeutsch. Solange man den anderen erreiche, sei der
Sinn von Literatur oder Massenkommunikation erfüllt. Weshalb ich den Gebrauch
elaborierter Sprachkodes empfehle? Das sei von gestern. Sprache verändere sich.
Man müsse lernen und wissen, wann der Rekurs auf korrekte Genetivformen obsolet
sei, wann es schnöselig werde Plusquamperfekt einzufordern oder
unterschiedliche Konjunktivformen. Das sei überholtes Bildungsbürgertum. Man
komme ohne diese Differenzierungen aus. Und das „alte Zeug“ lese eh niemand
mehr außer ein paar Experten…
Es ist wie mit dem Essen. Wer will nach einem vollen
Arbeitstag noch Zeit zum Kochen aufbringen? Der Markt liefert alles für die
schnelle Küche und das schnelle Essen. Man wird gekonnt abgespeist. Auch die
Erotik und der Sex haben sich beschleunigt und verkürzt. Anblick, manchmal
Vorberührung, Rein-Raus, Orgasmus, fertig. Weshalb langatmig auskosten wollen?
Weshalb eine Geschichte daraus machen? Die modernen erotischen Romane oder
Geschichten sind kurz und bündig, direkt. Die anderen finden keine Leserinnen
und Leser.
Auch das Meditieren hat sich vereinfacht und verkürzt.
Geschulte Coaches führen eine oder einen meisterlich in Kürzestzeit zum Ziel.
Es ist fast wie beim Sport. Immer vorne dran bleiben!
Eigenartigerweise sind viele Kriegs- und Vernichtungszüge
nicht so kurz, wie die Kriegstreiber und Kriegsherren versprechen. Da scheint
nichts einfach, simpel und kurz zu sein. In der Regel zumindest nicht. Warum
greift das nicht aufs Denken zurück? Weil im simplen, vereinfachten Kurzdenken
dafür kein Platz ist. Alles jenseits des engen Zauns, der sogenannten
Echokammer, wird nicht oder nur verschwommen wahrgenommen und hingenommen. In
aller Kürze und Würze.
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