Sonntag, 2. Dezember 2018

Besinnlichung


Haimo L. Handl

Besinnlichung

Bei uns ist alles gut organisiert. Genau nach Kalender sprechen fast alle davon, dass die besinnliche Zeit angebrochen sei, dass man jetzt mehr Zeit habe, weil die Tage kürzer sind und die Nächte länger, dass wir uns freuen und noch mehr freuen, dass wir feiern und feiern und tanzen und lachen, fröhlich froh sind und fromm, lauter und eingekehrt, aufgefrischt und selbstoptimiert. Viele glauben, sie lebten im Einklang mit der Natur, obwohl sie weder Einklang noch Natur kennen. Sie können nichts dafür. Sie folgen den Programmen. Man orientiert sich am Leitbild, am Symbol, an der paradiesischen Chimäre, am trauten Alten, an den Kindheitserinnerungen, an dem versprochenen Himmel. Aber die Pendlerin sitzt um sechs Uhr fünf im Zug, die Geschäfte öffnen wie immer, ob es draußen dunkel wäre oder nicht, denn es ist nie dunkel, weil alles arbeitsam erleuchtet ist für die gewohnte Geschäftigkeit. Dafür ist alles bestens organisiert. Die Trachtenkapellen, die Volksliedmusikerinnern und Musiker, die Laienprediger und Profischwätzer, die Glühweinverkäufer und die Punschsäufer, die Maroniesser und die plärrenden Kinder, die sich aus unerfindlichen Gründen nicht einmal mehr mittels der smart phones stillehalten lassen, während aus den Geschäften die vertraute Weihnachtsmusik tönt und alles schwingt und swingt im Takt der Besinnung, der verordneten Besinnlichkeit, wo man zeigt, dass man Zeit hat Geld zu spenden, unnötige Kleinode zu erwerben, hergestellt von bedrückten Künstlerinnen, die sonst darbten, weil arbeitslos oder sonstwie verblödet dahinvegetierend in der Leistungsgesellschaft, die solche Besinnungsleistungen eigentlich nicht verlöhnt, außer mit Almosen oder Verlustmarken. Heuer ist es ganz wild und einmalig und bedeutsam, weil das beste, weltbekannteste und berühmteste Weihnachtslied, Stille Nacht, 200 Jahre Geburtsherkunft feiert, was die Herzen erhebt, die Mundwinkel hochzerrt und die Fernsehkanäle verstopft, die Stille dröhnt, ganz still und leise, aber in penetrierenden Frequenzen, weil es gefeiert, gesungen, aufgeführt, eingeführt und abgeführt werden muss, zum Gaudi der Besinnlichen, die es gar nicht mehr erwarten können, die elektronischen Adventkalender zu starten und sich zu begeilen an der neuesten Neuheit alter Sitte. Christkind versus Weihnachtsmann, nicht nur in der Werbung, nein, im Alltag, im Festtag, während den stillen Nächten, wenn die Rentierschlitten mit den heiligen Kläusen, den wüsten Polterern, die himmlischen Kinder überfahren, da Hetzjagden stattfinden für den gesteigerten Konsum, da Erwachsene vollends verblöden und infantil dumm blöken oder kreischen, kurz die Alltagsgewalt unterbrechen und dem üblichen Kitzel der Aufstachelungen durch die social media wenigstens für Minuten widerstehen, um dann, geläutert und besonnen, dem Drecksgeschäft und dem Hass weiter zu frönen, zu lallen und zu schmatzen oder auf die Schenkel zu klopfen und sich zum Erfolg der Kickl und Gackl zu gratulieren, der rechten Rechten und ihrer Stacheldrahtpolitik und Vorbereitung der Hatz, mit oder ohne Rentieren, Elchen oder Rossen, aber immer voraus und weiter ins Unheil der besinnlichen Dunkelheit, wo die Farben ihre Leuchtkraft verlieren und nur der künstliche Glanz das Braune und Schwarze überstrahlt, wenigstens für Momente, damit alles azurblau oder türkis leuchtet, ganz besinnlich, ohne Novembernebelerinnerung, ohne Klimaängste oder andere, überflüssige Traumata, außer dem einen, dem zentralen, dem unbesinnlichen, dem wirklichen Trauma: wir sind umlagert und umzingelt, wir müssen uns wehren, wir gedenken des Josefs mit seiner Maria und dem Balg, wie sie Herberg suchten, wie sie, wie es die Mär will, ohne künstliche Beleuchtung, auf Sterne und Staub angewiesen und der Duldsamkeit jener, die sie endlich doch nicht wegwiesen, sondern, neben dem Kleinvieh, im Stall aufnahmen, was unseren Geschäftemachern gesetzlich verboten ist, weil Ställe nur für Tiere dienen dürfen, Menschen aber, auch Gesindel, nicht in Ställen hausen dürfen, dafür aber in Dreckslöchern, teuer und kaputt, aber, immerhin, in Häusern, die den Eignern Gewinne erwirtschaften durch das Elend der Bagage, die kommt und kommt und uns bestürmt, sogar jetzt, in der besinnlichen Besinnungszeit, wo bald Stacheldrähte nichts mehr nützen, wenn wir nicht Bollwerke errichten, wie es der Führer früh schon geplant hatte, und wie er und die Seinen doch verloren hatten, kurze Zeit nach 18, zum zweiten Mal war wieder Gott dem geführten Volk abhold, wieder war der Teufelsfeind stärker, aber, unsere Mannen und rechten Weiber, erinnern sich, besonders die Staatsanwältinnen besinnen sich, rufen auf zur Besinnung, frei und braun und schwarz und bunt im Blau der Türkisen, vereint im Kampf für die alte Ordnung, für den ewigen Frieden, für die Weihe der Nacht, mit dem Segen der Missbrauchstäter und ihrer Betschwestern, im Einklang mit der Besinnlichkeit „Still, still, still, weils Kindlein schlafen will…“

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