Haimo L. Handl
Besinnlichung
Bei uns ist alles gut organisiert. Genau nach Kalender
sprechen fast alle davon, dass die besinnliche Zeit angebrochen sei, dass man
jetzt mehr Zeit habe, weil die Tage kürzer sind und die Nächte länger, dass wir
uns freuen und noch mehr freuen, dass wir feiern und feiern und tanzen und
lachen, fröhlich froh sind und fromm, lauter und eingekehrt, aufgefrischt und
selbstoptimiert. Viele glauben, sie lebten im Einklang mit der Natur, obwohl
sie weder Einklang noch Natur kennen. Sie können nichts dafür. Sie folgen den
Programmen. Man orientiert sich am Leitbild, am Symbol, an der paradiesischen
Chimäre, am trauten Alten, an den Kindheitserinnerungen, an dem versprochenen
Himmel. Aber die Pendlerin sitzt um sechs Uhr fünf im Zug, die Geschäfte öffnen
wie immer, ob es draußen dunkel wäre oder nicht, denn es ist nie dunkel, weil
alles arbeitsam erleuchtet ist für die gewohnte Geschäftigkeit. Dafür ist alles
bestens organisiert. Die Trachtenkapellen, die Volksliedmusikerinnern und Musiker,
die Laienprediger und Profischwätzer, die Glühweinverkäufer und die Punschsäufer,
die Maroniesser und die plärrenden Kinder, die sich aus unerfindlichen Gründen
nicht einmal mehr mittels der smart phones stillehalten lassen, während aus den
Geschäften die vertraute Weihnachtsmusik tönt und alles schwingt und swingt im
Takt der Besinnung, der verordneten Besinnlichkeit, wo man zeigt, dass man Zeit
hat Geld zu spenden, unnötige Kleinode zu erwerben, hergestellt von bedrückten
Künstlerinnen, die sonst darbten, weil arbeitslos oder sonstwie verblödet
dahinvegetierend in der Leistungsgesellschaft, die solche Besinnungsleistungen
eigentlich nicht verlöhnt, außer mit Almosen oder Verlustmarken. Heuer ist es
ganz wild und einmalig und bedeutsam, weil das beste, weltbekannteste und
berühmteste Weihnachtslied, Stille Nacht, 200 Jahre Geburtsherkunft feiert, was
die Herzen erhebt, die Mundwinkel hochzerrt und die Fernsehkanäle verstopft,
die Stille dröhnt, ganz still und leise, aber in penetrierenden Frequenzen, weil
es gefeiert, gesungen, aufgeführt, eingeführt und abgeführt werden muss, zum
Gaudi der Besinnlichen, die es gar nicht mehr erwarten können, die
elektronischen Adventkalender zu starten und sich zu begeilen an der neuesten
Neuheit alter Sitte. Christkind versus Weihnachtsmann, nicht nur in der
Werbung, nein, im Alltag, im Festtag, während den stillen Nächten, wenn die
Rentierschlitten mit den heiligen Kläusen, den wüsten Polterern, die himmlischen
Kinder überfahren, da Hetzjagden stattfinden für den gesteigerten Konsum, da
Erwachsene vollends verblöden und infantil dumm blöken oder kreischen, kurz die
Alltagsgewalt unterbrechen und dem üblichen Kitzel der Aufstachelungen durch
die social media wenigstens für Minuten widerstehen, um dann, geläutert und besonnen,
dem Drecksgeschäft und dem Hass weiter zu frönen, zu lallen und zu schmatzen
oder auf die Schenkel zu klopfen und sich zum Erfolg der Kickl und Gackl zu
gratulieren, der rechten Rechten und ihrer Stacheldrahtpolitik und Vorbereitung
der Hatz, mit oder ohne Rentieren, Elchen oder Rossen, aber immer voraus und
weiter ins Unheil der besinnlichen Dunkelheit, wo die Farben ihre Leuchtkraft
verlieren und nur der künstliche Glanz das Braune und Schwarze überstrahlt,
wenigstens für Momente, damit alles azurblau oder türkis leuchtet, ganz
besinnlich, ohne Novembernebelerinnerung, ohne Klimaängste oder andere,
überflüssige Traumata, außer dem einen, dem zentralen, dem unbesinnlichen, dem
wirklichen Trauma: wir sind umlagert und umzingelt, wir müssen uns wehren, wir
gedenken des Josefs mit seiner Maria und dem Balg, wie sie Herberg suchten, wie
sie, wie es die Mär will, ohne künstliche Beleuchtung, auf Sterne und Staub
angewiesen und der Duldsamkeit jener, die sie endlich doch nicht wegwiesen,
sondern, neben dem Kleinvieh, im Stall aufnahmen, was unseren Geschäftemachern
gesetzlich verboten ist, weil Ställe nur für Tiere dienen dürfen, Menschen
aber, auch Gesindel, nicht in Ställen hausen dürfen, dafür aber in
Dreckslöchern, teuer und kaputt, aber, immerhin, in Häusern, die den Eignern
Gewinne erwirtschaften durch das Elend der Bagage, die kommt und kommt und uns
bestürmt, sogar jetzt, in der besinnlichen Besinnungszeit, wo bald
Stacheldrähte nichts mehr nützen, wenn wir nicht Bollwerke errichten, wie es
der Führer früh schon geplant hatte, und wie er und die Seinen doch verloren
hatten, kurze Zeit nach 18, zum zweiten Mal war wieder Gott dem geführten Volk
abhold, wieder war der Teufelsfeind stärker, aber, unsere Mannen und rechten
Weiber, erinnern sich, besonders die Staatsanwältinnen besinnen sich, rufen auf
zur Besinnung, frei und braun und schwarz und bunt im Blau der Türkisen,
vereint im Kampf für die alte Ordnung, für den ewigen Frieden, für die Weihe
der Nacht, mit dem Segen der Missbrauchstäter und ihrer Betschwestern, im
Einklang mit der Besinnlichkeit „Still, still, still, weils Kindlein schlafen
will…“
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