Montag, 14. Januar 2013

Dummheit - Stupidity



Ein BBC-Documentary (http://www.youtube.com/watch?v=IDsnCrSfzCQ), das ich vor einigen Jahren sah, machte mich nachdenklich, auch wegen der versteckten Misanthropie. Aber im Vergleich mit Überlegungen alter Denker ging der Film nicht in die Tiefe, kratzte nur an der Oberfläche, war „unterhaltend“.





Nur zwei Absätze aus dem umfangreichen Werk Friedrich Nietzsches sollen das verdeutlichen:


Die glücklichste und behaglichste Gestaltung der politisch-socialen Lage ist am wenigsten bei den Griechen zu finden; jenes Ziel schwebt unseren Zukunftsträumern vor. Schrecklich! Denn man muss es nach dem Maassstab beurtheilen: je mehr Geist, desto mehr Leid (wie die Griechen beweisen). Also auch: je mehr Dummheit, desto mehr Behagen. Der Bildungsphilister ist das behaglichste Geschöpf, welches je die Sonne gesehen hat; er wird eine gehörige Dummheit haben.

Nietzsche: Nachlass 1875 3/65.



Gram ist Erkenntniss. — Wie gern möchte man die falschen Behauptungen der Priester, es gebe einen Gott, der das Gute von uns verlangte, Wächter und Zeuge jeder Handlung, jedes Augenblickes, jedes Gedankens sei, der uns liebe, in allem Unglück unser Bestes wolle, — wie gern möchte man diese mit Wahrheiten vertauschen, welche ebenso heilsam, beruhigend und wohlthuend wären, wie jene Irrthümer! Doch solche Wahrheiten giebt es nicht; die Philosophie kann ihnen höchstens wiederum metaphysische Scheinbarkeiten (im Grunde ebenfalls Unwahrheiten) entgegensetzen. Nun ist aber die Tragödie die, dass man jene Dogmen der Religion und Metaphysik nicht glauben kann, wenn man die strenge Methode der Wahrheit im Herzen und Kopfe hat, andererseits durch die Entwickelung der Menschheit so zart, reizbar, leidend geworden ist, um Heil- und Trostmittel der höchsten Art nöthig zu haben; woraus also die Gefahr entsteht, dass der Mensch sich an der erkannten Wahrheit verblute. Diess drückt Byron in unsterblichen Versen aus:

Sorrow is knowledge: they who know the most
must mourn the deepst o’er the fatal truth,
the tree of knowledge is not that of life.
Gegen solche Sorgen hilft kein Mittel besser, als den feierlichen Leichtsinn Horazens, wenigstens für die schlimmsten Stunden und Sonnenfinsternisse der Seele, heraufzubeschwören und mit ihm zu sich selber zu sagen:
quid aeternis minorem
consiliis animum fatigas?
cur non sub alta vel platano vel hac
pinu jacentes —
Sicherlich aber ist Leichtsinn oder Schwermuth jeden Grades besser, als eine romantische Rückkehr und Fahnenflucht, eine Annäherung an das Christenthum in irgend einer Form: denn mit ihm kann man sich, nach dem gegenwärtigen Stande der Erkenntniss, schlechterdings nicht mehr einlassen, ohne sein intellectuales Gewissen heillos zu beschmutzen und vor sich und Anderen preiszugeben. Jene Schmerzen mögen peinlich genug sein: aber man kann ohne Schmerzen nicht zu einem Führer und Erzieher der Menschheit werden; und wehe Dem, welcher diess versuchen möchte und jenes reine Gewissen nicht mehr hätte!

Nietzsche, Menschliches Allzumenschlich 1/109 (KSA 2:108)


Das Glück der Dummen. Das Behagen, die Behaglichkeit, die Bequemlichkeit des Dummen, des “Bildungsphilisters“, des extrem Ein- und Angepassten, verlangt und bestätigt sich vor allem nach und durch Unterhaltung. Es ist das Wesen, das in der Massenkultur voll aufgeht als bedenkenloser Konsument, als Vielfraß, als Schnellfresser, als Oberflächlicher, der deshalb so geschätzt wird, weil er nur für ganz kurze Zeitspannen sich Befriedigung zu verschaffen vermag und daher dauernd in immer kürzeren Intervallen, wie ein Junky, seine Dosis braucht im Konsum der Konsumkultur.

Er schätzt die Zerstreuung, als ob die Sammlung und Konzentration Krankheiten wären. Das hilft ihm, keine eigentliche Position einnehmen zu müssen, wie sie für jedes Denken und Urteilen Voraussetzung ist. So vermag er trotz immensen Medienkonsums unwissend und unkritisch zu verbleiben, sich in seiner dummen Behaglichkeit pseudonaiv zu suhlen.

Der Dumme ist faulendes oder verfaultes Obst, das alles ansteckt, was ihm zu nahe kommt. Ein Gift.

In den Fünfziger- und Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts wurde das noch klarer und engagierter ausgesprochen, man denke z. B. nur an die Frankfurter Schule. Heute scheinen wir eingeholt, „embedded“, „integriert“ in der allgemeinen Versorgung.



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