Kann ein Maler von Gefühlsakkorden und von einer Charakterskala sprechen? Doch, wenn er einem Musiker in die Hände gefallen ist, der von einem Schmock überwältigt wurde. Das alles scheint Herrn Egger-Lienz passiert zu sein. Er macht jetzt großes Aufsehen durch Schlachtenbilder, die er gegen andere Maler und zwar in der Sonn- und Montagszeitung – ausgerechnet – liefert. Der Charakter, sagt er, verschwinde im Quantitätenbrei der Nulliform monotoner Objektivität, sagt er. Er anerkennt, sagt er, die Daseinsberechtigung des Gegners auf Grund der Naturpolarität der Charaktere, sagt er. Wogegen die Wertung stets bipolar ist und antithetisch, weshalb sie auch die Verhältnismäßigkeit (Proportionalität) ausdrücken kann, den Wert, den Quotienten der Gegensätze: das Subjekt. Sehr richtig. Und die polare Kompletät der Charaktere zu erleben, darauf kommt es an. Shakespeare, sagt er, weise seinen Gestalten jenen Platz auf der Skala seines Gefühlklaviers zu, der ihrer bestimmten Subjektivität entspricht, während die qualitativen Charakterisierungselemente dem objektiven Nullifikator und Definator fehlen. Und der differenzierte Kitzler, sagt er, bringt mit einem Nervenzucker eine hypnotisierende Medusenfratze zuwege. Juhu! Herr Egger- Lienz – Segantini starb auf einem Bergesgipfel, ohne einen Finger für die Sonn- und Montagszeitung gerührt zu haben – ist gereizt, weil er irgendwo von Hodler abgeleitet wurde. Er erinnert tatsächlich mehr an Jodler. Er dürfte den Schweizer Maler so sehr an verständlicher Wirkung überragen, wie etwa Herr Schönherr den Gerhart Hauptmann. Mit Recht behauptet er deshalb, daß er »monumentaler« sei. Er verwechselt sehr viel, alle möglichen Fremdwörter und vor allem die Künste, nennt Stefan George einen »Nervengeschmäckler« und freut sich seiner Gesundheit. Gewiß, nichts wäre gegen den Maler Egger-Lienz einzuwenden. Wenn die malerische Existenz nicht von einer geistigen enthüllt würde. Die geistige besteht aber darin, daß sie sich leicht von der eines Journalisten substituieren läßt. Für wen Herr Egger-Lienz die Verantwortung übernommen hat, wird nicht sobald an den Tag kommen. Aber es ist gleichgiltig; denn solche Enttäuschungen an einem Maler gehören zu den unentbehrlichsten Bestätigungen. Masken, die enthüllen, sind keine. Wenn Herr Egger-Lienz »Proportionalität« schriebe und Verhältnismäßigkeit« einklammerte, so könnte man noch glauben, er schäme sich des Souffleurs. Leider aber schreibt er Verhältnismäßigkeit und übersetzt es mit Proportionalität. Und das ist das Arge. Er spricht nicht sein Wälsch und er spricht nicht sein Deutsch. Um die Ateliers schleichen jetzt Leute herum, die die suggestive Kraft haben, die Maler nicht nur zum Sprechen, sondern auch zum Mauscheln zu bringen, die aber nicht davor zurückschrecken, ihnen im Notfall ihre natürliche Sprache anzuhängen. Die entsetzliche Pointe so entstehender Feuilletons ist, daß der Schreiber, der den Maler einen fremden Dialekt sprechen läßt, ihn auch die eigene Sprache kopieren läßt, um den Eindruck der Echtheit zu erzeugen. Herr Egger-Lienz, damit man nicht glaube, er sei schon ganz intellektuell, verstellt sich und redet wie Egger-Lienz. »Der beschränkte grobe Bauer, seht's, wie er verzweifelt tobt«, darf er schließlich ausrufen, nachdem er mehr Fremdworte geschluckt hat, als ein internationaler Sommer Leute nach Tirol bringt. O über die harte Zeit, wenn die Älpler auf den Rat der Kurgäste sich als Buama und Dirndln verkleiden! Sie sind's imstande: und das demaskiert sie wieder. Sie gehen aber auch als Städter: es mißlingt vorzüglich. So glaubt man, ein Ding sei verdorben. Aber es ist nur der richtige Mißbrauch davon gemacht worden.
Aus: Die Fackel, Nr. 357-358-359, 14. Jg., 5.10.1912
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