Märchen von einem, der
auszog, das Fürchten zu lernen
En Märchen der Brüder Grimm - KHM 004
Ein Vater
hatte zwei Söhne, davon war der älteste klug und gescheit, und wusste sich in
alles wohl zu schicken. Der jüngste aber war dumm, konnte nichts begreifen und
lernen, und wenn ihn die Leute sahen, sprachen sie: "Mit dem wird der
Vater noch seine Last haben!" Wenn nun etwas zu tun war, so musste es der
älteste allzeit ausrichten; hiess ihn aber der Vater noch spät oder gar in der
Nacht etwas holen, und der Weg ging dabei über den Kirchhof oder sonst einen
schaurigen Ort, so antwortete er wohl: "Ach nein, Vater, ich gehe nicht
dahin, es gruselt mir!" Denn er fürchtete sich. Oder wenn abends beim
Feuer Geschichten erzählt wurden, wobei einem die Haut schaudert, so sprachen
die Zuhörer manchmal: "Ach, es gruselt mir!" Der jüngste sass in
einer Ecke und hörte das mit an und konnte nicht begreifen, was es heissen
sollte. "Immer sagen sie, es gruselt mir, es gruselt mir! Mir gruselt's
nicht. Das wird wohl eine Kunst sein, von der ich auch nichts verstehe."
Nun geschah
es, dass der Vater einmal zu ihm sprach: "Hör, du in der Ecke dort, du
wirst gross und stark, du musst auch etwas lernen, womit du dein Brot
verdienst. Siehst du, wie dein Bruder sich Mühe gibt, aber an dir ist Hopfen
und Malz verloren." - "Ei, Vater," antwortete er, "ich will
gerne was lernen; ja, wenn's anginge, so möchte ich lernen, dass mir's
gruselte; davon verstehe ich noch gar nichts." Der älteste lachte, als er
das hörte und dachte bei sich: Du lieber Gott, was ist mein Bruder für ein
Dummbart, aus dem wird sein Lebtag nichts. Was ein Häkchen werden will, muss
sich beizeiten krümmen. Der Vater seufzte und antwortete ihm: "Das
Gruseln, das sollst du schon lernen, aber dein Brot wirst du damit nicht
verdienen."
Bald danach
kam der Küster zu Besuch ins Haus. Da klagte ihm der Vater seine Not und
erzählte, wie sein jüngster Sohn in allen Dingen so schlecht beschlagen wäre,
er wüsste nichts und lernte nichts. "Denkt Euch, als ich ihn fragte, womit
er sein Brot verdienen wollte, hat er gar verlangt, das Gruseln zu
lernen." - "Wenn's weiter nichts ist," antwortete der Küster,
"das kann er bei mir lernen; tut ihn nur zu mir, ich werde ihn schon
abhobeln." Der Vater war es zufrieden, weil er dachte: Der Junge wird doch
ein wenig zugestutzt. Der Küster nahm ihn also ins Haus, und er musste die
Glocken läuten. Nach ein paar Tagen weckte er ihn um Mitternacht, hiess ihn
aufstehen, In den Kirchturm steigen und läuten. Du sollst schon lernen, was
Gruseln ist, dachte er, ging heimlich voraus, und als der Junge oben war und
sich umdrehte und das Glockenseil fassen wollte, so sah er auf der Treppe, dem
Schalloch gegenüber, eine weisse Gestalt stehen. "Wer da?" rief er,
aber die Gestalt gab keine Antwort, regte und bewegte sich nicht. "Gib
Antwort," rief der Junge, "oder mache, dass du fortkommst, du hast
hier in der Nacht nichts zu schaffen!" Der Küster aber blieb unbeweglich
stehen, damit der Junge glauben sollte, es wäre ein Gespenst. Der Junge rief
zum zweitenmal: "Was willst du hier? Sprich, wenn du ein ehrlicher Kerl
bist, oder ich werfe dich die Treppe hinab." Der Küster dachte: Das wird
so schlimm nicht gemeint sein, gab keinen Laut von sich und stand, als wenn er
von Stein wäre. Da rief ihn der Junge zum drittenmal an, und als das auch
vergeblich war, nahm er einen Anlauf und stiess das Gespenst die Treppe hinab,
dass es zehn Stufen hinabfiel und in einer Ecke liegenblieb. Darauf läutete er
die Glocke, ging heim, legte sich ohne ein Wort zu sagen ins Bett und schlief
fort. Die Küsterfrau wartete lange Zeit auf ihren Mann, aber er wollte nicht
wiederkommen. Da ward ihr endlich angst, sie weckte den Jungen und fragte:
"Weisst du nicht, wo mein Mann geblieben ist? Er ist vor dir auf den Turm
gestiegen." - "Nein," antwortete der Junge, "aber da hat
einer dem Schalloch gegenüber auf der Treppe gestanden, und weil er keine
Antwort geben und auch nicht weggehen wollte, so habe ich ihn für einen
Spitzbuben gehalten und hinuntergestossen. Geht nur hin, so werdet Ihr sehen,
ob er's gewesen ist, es sollte mir leid tun." Die Frau sprang fort und
fand ihren Mann, der in einer Ecke lag und jammerte und ein Bein gebrochen
hatte.
Sie trug ihn
herab und eilte mit lautem Geschrei zu dem Vater des Jungen. "Euer
Junge," rief sie, "hat ein grosses Unglück angerichtet, meinen Mann
hat er die Treppe hinabgeworfen, dass er ein Bein gebrochen hat. Schafft den
Taugenichts aus unserm Hause!" Der Vater erschrak, kam herbeigelaufen und
schalt den Jungen aus. "Was sind das für gottlose Streiche, die muss dir
der Böse eingegeben haben." - "Vater," antwortete er, "hört
nur an, ich bin ganz unschuldig. Er stand da in der Nacht wie einer, der Böses
im Sinne hat. Ich wusste nicht, wer's war, und habe ihn dreimal ermahnt, zu
reden oder wegzugehen." - "Ach," sprach der Vater, "mit dir
erleb ich nur Unglück, geh mir aus den Augen, ich will dich nicht mehr
ansehen." - "Ja, Vater, recht gerne, wartet nur bis Tag ist, da will
ich ausgehen und das Gruseln lernen, so versteh ich doch eine Kunst, die mich
ernähren kann." - "Lerne, was du willst," sprach der Vater,
"mir ist alles einerlei. Da hast du fünfzig Taler, damit geh in die weite
Welt und sage keinem Menschen, wo du her bist und wer dein Vater ist, denn ich
muss mich deiner schämen." - "Ja, Vater, wie Ihr's haben wollt, wenn
Ihr nicht mehr verlangt, das kann ich leicht tun."
Als nun der
Tag anbrach, steckte der Junge seine fünfzig Taler in die Tasche, ging hinaus
auf die grosse Landstrasse und sprach immer vor sich hin: "Wenn mir's nur
gruselte! Wenn mir's nur gruselte!" Da kam ein Mann heran, der hörte das
Gespräch, das der Junge mit sich selber führte, und als sie ein Stück weiter
waren, dass man den Galgen sehen konnte, sagte der Mann zu ihm: "Siehst
du, dort ist der Baum, wo sieben mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten
haben und jetzt das Fliegen lernen: setz dich darunter und warte, bis die Nacht
kommt, so wirst du schon noch das Gruseln lernen." - "Wenn weiter
nichts dazu gehört," antwortete der Junge, "das ist leicht getan; lerne
ich aber so geschwind das Gruseln, so sollst du meine fünfzig Taler haben; komm
nur morgen früh wieder zu mir." Da ging der Junge zu dem Galgen, setzte
sich darunter und wartete, bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich
ein Feuer an. Aber um Mitternacht ging der Wind so kalt, dass er trotz des
Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten
gegeneinanderstiess, dass sie sich hin und her bewegten, so dachte er: Du
frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren und zappeln.
Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen
nach dem andern los und holte sie alle sieben herab. Darauf schürte er das
Feuer, blies es an und setzte sie ringsherum, dass sie sich wärmen sollten.
Aber sie sassen da und regten sich nicht, und das Feuer ergriff ihre Kleider.
Da sprach er: "Nehmt euch in acht, sonst häng ich euch wieder
hinauf." Die Toten aber hörten nicht, schwiegen und liessen ihre Lumpen
fortbrennen. Da ward er bös und sprach: "Wenn ihr nicht achtgeben wollt,
so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen," und
hing sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und
schlief ein, und am andern Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die fünfzig
Taler haben und sprach: " Nun, weisst du, was Gruseln ist?" -
"Nein," antwortete er, "woher sollte ich's wissen? Die da droben
haben das Maul nicht auf getan und waren so dumm, dass sie die paar alten
Lappen, die sie am Leibe haben, brennen liessen." Da sah der Mann, dass er
die fünfzig Taler heute nicht davontragen würde, ging fort und sprach: "So
einer ist mir noch nicht vorgekommen."
Der Junge ging
auch seines Wegs und fing wieder an, vor sich hin zu reden: "Ach, wenn
mir's nur gruselte! Ach, wenn mir's nur gruselte!" Das hörte ein Fuhrmann,
der hinter ihm her schritt, und fragte: "Wer bist du?" - "Ich
weiss nicht," antwortete der Junge. Der Fuhrmann fragte weiter: "Wo
bist du her?" - "Ich weiss nicht." - "Wer ist dein
Vater?" - "Das darf ich nicht sagen." - "Was brummst du
beständig in den Bart hinein?" - "Ei," antwortete der Junge,
"ich wollte, dass mir's gruselte, aber niemand kann mich's lehren." -
"Lass dein dummes Geschwätz," sprach der Fuhrmann. "Komm, geh
mit mir, ich will sehen, dass ich dich unterbringe." Der Junge ging mit dem
Fuhrmann, und abends gelangten sie zu einem Wirtshaus, wo sie übernachten
wollten. Da sprach er beim Eintritt in die Stube wieder ganz laut: "Wenn
mir's nur gruselte! Wenn mir's nur gruselte!" Der Wirt, der das hörte,
lachte und sprach: "Wenn dich danach lüstet, dazu sollte hier wohl
Gelegenheit sein." - "Ach, schweig stille," sprach die
Wirtsfrau, "so mancher Vorwitzige hat schon sein Leben eingebüsst, es wäre
Jammer und Schade um die schönen Augen, wenn die das Tageslicht nicht wieder
sehen sollten." Der Junge aber sagte: "Wenn's noch so schwer wäre,
ich will's einmal lernen, deshalb bin ich ja ausgezogen." Er liess dem
Wirt auch keine Ruhe, bis dieser erzählte, nicht weit davon stände ein
verwünschtes Schloss, wo einer wohl lernen könnte, was Gruseln wäre, wenn er
nur drei Nächte darin wachen wollte. Der König hätte dem, der's wagen wollte,
seine Tochter zur Frau versprochen, und die wäre die schönste Jungfrau, welche
die Sonne beschien; in dem Schlosse steckten auch grosse Schätze, von bösen
Geistern bewacht, die würden dann frei und könnten einen Armen sehr reich
machen. Schon viele wären wohl hinein, aber noch keiner wieder herausgekommen.
Da ging der Junge am andern Morgen vor den König und sprach: "Wenn's
erlaubt wäre, so wollte ich wohl drei Nächte in dem verwünschten Schlosse
wachen." Der König sah ihn an und weil er ihm gefiel, sprach er: "Du
darfst dir noch dreierlei ausbitten, aber es müssen leblose Dinge sein, und das
darfst du mit ins Schloss nehmen." Da antwortete er: "So bitt ich um
ein Feuer, eine Drehbank und eine Schnitzbank mit dem Messer."
Der König
liess ihm das alles bei Tage in das Schloss tragen. Als es Nacht werden wollte,
ging der Junge hinauf, machte sich in einer Kammer ein helles Feuer an, stellte
die Schnitzbank mit dem Messer daneben und setzte sich auf die Drehbank.
"Ach, wenn mir's nur gruselte," sprach er, "aber hier werde
ich's auch nicht lernen." Gegen Mitternacht wollte er sich sein Feuer
einmal aufschüren, wie er so hineinblies, da schrie's plötzlich aus einer Ecke:
"Au, miau! Was uns friert!" - "Ihr Narren," rief er,
"was schreit ihr? Wenn euch friert, kommt, setzt euch ans Feuer und wärmt
euch." Und wie er das gesagt hatte, kamen zwei grosse schwarze Katzen in
einem gewaltigen Sprunge herbei, setzten sich ihm zu beiden Seiten und sahen
ihn mit feurigen Augen ganz wild an. Über ein Weilchen, als sie sich gewärmt
hatten, sprachen sie: "Kamerad, wollen wir eins in der Karte
spielen?" - "Warum nicht?" antwortete er, "aber zeigt
einmal eure Pfoten her." Da streckten sie die Krallen aus. "Ei,"
sagte er, "was habt ihr lange Nägel! Wartet, die muss ich euch erst
abschneiden." Damit packte er sie beim Kragen, hob sie auf die Schnitzbank
und schraubte ihnen die Pfoten fest. "Euch habe ich auf die Finger gesehen,"
sprach er, "da vergeht mir die Lust zum Kartenspiel," schlug sie tot
und warf sie hinaus ins Wasser. Als er aber die zwei zur Ruhe gebracht hatte
und sich wieder zu seinem Feuer setzen wollte, da kamen aus allen Ecken und
Enden schwarze Katzen und schwarze Hunde an glühenden Ketten, immer mehr und
mehr, dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Die schrien greulich, traten ihm
auf sein Feuer, zerrten es auseinander und wollten es ausmachen. Das sah er ein
Weilchen ruhig mit an, als es ihm aber zu arg ward, fasste er sein Schnitzmesser
und rief: "Fort mit dir, du Gesindel," und haute auf sie los. Ein
Teil sprang weg, die andern schlug er tot und warf sie hinaus in den Teich. Als
er wiedergekommen war, blies er aus den Funken sein Feuer frisch an und wärmte
sich. Und als er so sass, wollten ihm die Augen nicht länger offen bleiben und
er bekam Lust zu schlafen. Da blickte er um sich und sah in der Ecke ein
grosses Bett. "Das ist mir eben recht," sprach er, und legte sich
hinein. Als er aber die Augen zutun wollte, so fing das Bett von selbst an zu
fahren und fuhr im ganzen Schloss herum. "Recht so," sprach er,
"nur besser zu." Da rollte das Bett fort, als wären sechs Pferde
vorgespannt, über Schwellen und Treppen auf und ab: auf einmal, hopp hopp! warf
es um, das Unterste zuoberst, dass es wie ein Berg auf ihm lag.
Aber er
schleuderte Decken und Kissen in die Höhe, stieg heraus und sagte: "Nun
mag fahren, wer Lust hat," legte sich an sein Feuer und schlief, bis es
Tag war. Am Morgen kam der König, und als er ihn da auf der Erde liegen sah,
meinte er, die Gespenster hätten ihn umgebracht und er wäre tot. Da sprach er:
"Es ist doch schade um den schönen Menschen." Das hörte der Junge,
richtete sich auf und sprach: "So weit ist's noch nicht!" Da
Verwunderte sich der König, freute sich aber, und fragte, wie es ihm gegangen
wäre. "Recht gut," antwortete er, "eine Nacht wäre herum, die
zwei andern werden auch herumgehen." Als er zum Wirt kam, da machte der
grosse Augen. "Ich dachte nicht," sprach er, "dass ich dich
wieder lebendig sehen würde; hast du nun gelernt, was Gruseln ist?" -
"Nein," sagte er, "es ist alles vergeblich. Wenn mir's nur einer
sagen könnte!"
Die zweite
Nacht ging er abermals hinauf ins alte Schloss, setzte sich zum Feuer und fing
sein altes Lied wieder an: "Wenn mir's nur gruselte!" Wie Mitternacht
herankam, liess sich ein Lärm und Gepolter hören; erst sachte dann immer
stärker, dann war's ein bisschen still, endlich kam mit lautem Geschrei ein
halber Mensch den Schornstein herab und fiel vor ihn hin. "Heda!"
rief er, "noch ein halber gehört dazu, das ist zu wenig." Da ging der
Lärm von frischem an, es tobte und heulte und fiel die andere Hälfte auch
herab. "Wart," sprach er, "ich will dir erst das Feuer ein wenig
anblasen." Wie er das getan hatte und sich wieder umsah, da waren die
beiden Stücke zusammengefahren und sass da ein greulicher Mann auf seinem
Platz. "So haben wir nicht gewettet," sprach der Junge, " die
Bank ist mein." Der Mann wollte ihn wegdrängen, aber der Junge liess
sich's nicht gefallen, schob ihn mit Gewalt weg und setzte sich wieder auf
seinen Platz. Da fielen noch mehr Männer herab, einer nach dem andern, die
holten neun Totenbeine und zwei Totenköpfe, setzten auf und spielten Kegel. Der
Junge bekam auch Lust und fragte: "Hört ihr, kann ich mit sein?" - "Ja,
wenn du Geld hast." - "Geld genug," antwortete er, "aber
eure Kugeln sind nicht recht rund." Da nahm er die Totenköpfe, setzte sie
in die Drehbank und drehte sie rund. "So, jetzt werden sie besser
schüppeln," sprach er, "heida! nun geht's lustig!" Er spielte
mit und verlor etwas von seinem Geld, als es aber zwölf schlug, war alles vor
seinen Augen verschwunden. Er legte sich nieder und schlief ruhig ein. Am
andern Morgen kam der König und wollte sich erkundigen. "Wie ist dir's
diesmal gegangen?" fragte er. "Ich habe gekegelt," antwortete
er, "und ein paar Heller verloren." - "Hat dir denn nicht
gegruselt?" - "Ei was," sprach er, "lustig hab ich mich
gemacht. Wenn ich nur wüsste, was Gruseln wäre!"
In der dritten
Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdriesslich:
"Wenn es mir nur gruselte!" Als es spät ward, kamen sechs grosse
Männer und brachten eine Totenlade hereingetragen. Da sprach er: "Ha, ha,
das ist gewiss mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben
ist," winkte mit dem Finger und rief, "komm, Vetterchen, komm!"
Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber ging hinzu und nahm den Deckel ab:
da lag ein toter Mann darin. Er fühlte ihm ans Gesicht, aber es war kalt wie
Eis. "Wart," sprach er, "ich will dich ein bisschen
wärmen," ging ans Feuer, wärmte seine Hand und legte sie ihm aufs Gesicht,
aber der Tote blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus, setzte sich ans Feuer, legte
ihn auf seinen Schoss und rieb ihm die Arme, damit das Blut wieder in Bewegung
kommen sollte. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm ein, "wenn zwei
zusammen im Bett liegen, so wärmen sie sich," brachte ihn ins Bett, deckte
ihn zu und legte sich neben ihn. Über ein Weilchen ward der Tote warm und fing
an sich zu regen. Da sprach der Junge: "Siehst du, Vetterchen, hätt ich
dich nicht gewärmt!" Der Tote aber hub an und rief: "Jetzt will ich
dich erwürgen." - "Was," sagte er, "ist das mein Dank?
Gleich sollst du wieder in deinen Sarg," hub ihn auf, warf ihn hinein und
machte den Deckel zu; da kamen die sechs Männer und trugen ihn wieder fort.
"Es will mir nicht gruseln," sagte er, "hier lerne ich's mein
Lebtag nicht."
Da trat ein
Mann herein, der war grösser als. alle anderen, und sah fürchterlich aus; er
war aber alt und hatte einen langen weissen Bart. "O du Wicht," rief
er, "nun sollst du bald lernen, was Gruseln ist, denn du sollst
sterben." - "Nicht so schnell," antwortete der Junge, "soll
ich sterben, so muss ich auch dabei sein." - "Dich will ich schon
packen," sprach der Unhold. - "Sachte, sachte, mach dich nicht so
breit; so stark wie du bin ich auch, und wohl noch stärker." - "Das
wollen wir sehn," sprach der Alte, "bist du stärker als ich, so will
ich dich gehn lassen; komm, wir wollen's versuchen." Da führte er ihn durch
dunkle Gänge zu einem Schmiedefeuer, nahm eine Axt und schlug den einen Amboss
mit einem Schlag in die Erde. "Das kann ich noch besser," sprach der
Junge, und ging zu dem andern Amboss. Der Alte stellte sich nebenhin und wollte
zusehen, und sein weisser Bart hing herab. Da fasste der Junge die Axt,
spaltete den Amboss auf einen Hieb und klemmte den Bart des Alten mit hinein.
"Nun hab ich dich," sprach der Junge, "jetzt ist das Sterben an
dir." Dann fasste er eine Eisenstange und schlug auf den Alten los, bis er
wimmerte und bat, er möchte aufhören, er wollte ihm grosse Reichtümer geben.
Der Junge zog die Axt raus und liess ihn los. Der Alte führte ihn wieder ins
Schloss zurück und zeigte ihm in einem Keller drei Kasten voll Gold.
"Davon," sprach er, "ist ein Teil den Armen, der andere dem
König, der dritte dein." Indem schlug es zwölfe, und der Geist verschwand,
also dass der Junge im Finstern stand. "Ich werde mir doch heraushelfen
könner," sprach er, tappte herum, fand den Weg in die Kammer und schlief
dort bei seinem Feuer ein. Am andern Morgen kam der König und sagte: "Nun
wirst du gelernt haben, was Gruseln ist?" - "Nein," antwortete
er, "was ist's nur? Mein toter Vetter war da, und ein bärtiger Mann ist
gekommen, der hat mir da unten viel Geld gezeigt, aber was Gruseln ist, hat mir
keiner gesagt." Da sprach der König: "Du hast das Schloss erlöst und
sollst meine Tochter heiraten." - "Das ist alles recht gut,"
antwortete er, "aber ich weiss noch immer nicht, was Gruseln ist."
Da ward das
Gold heraufgebracht und die Hochzeit gefeiert, aber der junge König, so lieb er
seine Gemahlin hatte und so vergnügt er war, sagte doch immer: "Wenn mir's
nur gruselte! Wenn mir's nur gruselte!" Das verdross sie endlich. Ihr
Kammermädchen sprach: "Ich will Hilfe schaffen, das Gruseln soll er schon
lernen." Sie ging hinaus zum Bach, der durch den Garten floss, und liess
sich einen ganzen Eimer voll Gründlinge holen. Nachts, als der junge König
schlief, musste seine Gemahlin ihm die Decke wegziehen und den Eimer voll kalt
Wasser mit den Gründlingen über ihn herschütten, dass die kleinen Fische um ihn
herum zappelten. Da wachte er auf und rief: "Ach, was gruselt mir, was
gruselt mir, liebe Frau! Ja, nun weiss ich, was Gruseln ist."
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