Mittwoch, 9. Januar 2013

Der Klachel Kraus



Was ist ein Klachel? Etwas Baumelndes, ein Glockenschwengel, Klöppel einerseits, ein Mehlbeutel oder Rotz (Nasenschleim) andererseits, oder auch ein starker, plumper Kerl. Nach Grimm, wie in deren Deutschen Wörterbuch ausgeführt, ergeben sich zwei Deutungsstränge: „ist, was gut denkbar, alles vom glockenschwengel ausgegangen, so gehört das wort zu dem stamme klack klopfen (s. DWB klacken 3 und klöckel klöppel in der glocke). ist aber das baumeln der grundbegriff, so fände es einen anhalt in dem stamme klank baumeln, schwanken, der auch ohne das n vorkommt, tir. glagglen baumeln.“

Karl Kraus hat sich selbst einmal so bezeichnet: „Ich bin nur ein ordinärer Klachel in der Literatur.“ (Die Fackel, 10.5.1917)

Kraus, der Glockenschwengel, der Klöppel, der nicht nur als Fackel leuchtet und heimleuchtet, sondern Töne anschlägt, an die Glocke rührt, schlägt? Kraus, der läutet, ein Läuter, ein Glöckner – der Glöckner von Wien? Oder Kraus der baumelt? Oder der stämmige Kerl, literarisch zumindest, da physisch das Gegenteil? Oder gar der Rotz, den er den andern hinrotzt?

Wir wissen es nicht. Zu viele Deutungen bieten sich an. Wir dürfen annehmen, dass Kraus das alte Wort nicht unbedacht gebrauchte. Übrigens erfolgte die Aussage im Zusammenhang mit einer Bemerkung zu einer Zeitungsnotiz, die sich dazu versteig, Rainer Maria Rilke und Franz Karl Ginzkey in Zusammenhang zu bringen. Kraus spottete einerseits, gab dem armen Rilke einen guten Rat andererseits, als freundlicher Klachel:

„Ich bin nur ein ordinärer Klachel in der Literatur. Wenn ich ein so feiner Mensch in der Literatur wäre wie Rainer Maria Rilke (den ich wirklich dafür halte und den Feinheit vor schlechter Gesellschaft nicht bewahren konnte, während meine hausknechtmäßigen Umgangsformen mir für alle Lebenszeit und weit über meinen Tod hinaus Ruhe verschafft haben), wenn ich wie er wäre, mich würde diese Anerkennung meiner Lyrik neben dem Hymnus auf den Herrn Ginzkey (der das Gluck-gluck im Sumpf erstickender Russen lyrisch verklärt hat) zu dem Entschluß treiben, aus der Literatur im Allgemeinen und aus dem Donauland im Besondern auszutreten. Oder vielmehr: ich wäre – allen widrigen Umständen zum Trotz – nie eingetreten.“
Die Fackel Nr. 457-461, 10. 5. 1917


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