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Die Waffen von morgen
Schlachten mit Chlorazetophenol, Diphenylaminchlorasin und Dichloräthylsulfid
Die obigen Bezeichnungen werden im kommenden Kriege ebenso populär sein wie »Schützengraben«, »U-Boot«, »Dicke Berta« und »Tank« im vergangenen. Für die zungenbrecherischen chemischen Vokabeln werden gefällige Abkürzungen in wenigen Tagen aufgekommen sein. Und diese, im Laufe einiger Stunden zu nie geahnter Aktualität beförderten Ausdrücke werden an Popularität den Wortschatz aller Frontberichte von 1914 bis 1918 überbieten.
Unmittelbar betreffen sie einen jeden. Der kommende Krieg wird eine geisterhafte Front haben. Eine Front, die gespenstisch bald über diese, bald über jene Metropole, in ihre Straßen und vor jede ihrer Haustüren vorgerückt wird. Dazu wird dieser Krieg, der Gaskrieg aus den Lüften, in nie gekanntem Sinne dieses Wortes, ein wahrhaft »atemraubender« Hasard sein. Denn seine schärfste strategische Eigenart liegt darin: bloßer und radikalster Angriffskrieg zu sein. Gegen die Gasangriffe aus der Luft gibt es keine zulängliche Gegenwehr. Selbst die privaten Schutzmaßregeln, die Gasmasken, versagen in den meisten Fällen. Das Tempo der kommenden kriegerischen Auseinandersetzung wird demnach durch das Bestreben diktiert werden, nicht sowohl sich zu verteidigen, als die vom Gegner verursachten Schrecken durch ein Zehnfaches von Schrecken zu überbieten. Daher ist es belanglos, wenn wohlmeinendere unter den Theoretikern uns das »humane« Tränengas in Aussicht stellen, ja, womöglich für den Gaskrieg Stimmung zu machen suchen, indem sie ihn dem Luftkrieg mit Explosivstoffen gegenüberstellen. Schärfer sehen andere, indem sie für den Gasangriff von vornherein dasjenige Motiv in den Vordergrund stellen, dessen wachsende Bedeutung bereits der vorige Krieg gelehrt hat: letzter Zweck der Aktionen des Flugzeuggeschwaders soll die Vernichtung des feindlichen Willens zum Widerstände sein. Durch einige wenige »raids« soll die Bevölkerung der feindlichen Zentren mit besinnungslosem Entsetzen derart erfüllt werden, daß jeder Appell an die Organisation der Abwehr versagt. Der Schrecken soll sich der Psychose nähern.
Ein Bild, das nichts von Wellsschen und Jules Verneschen Utopien an sich hat: In den Straßen Berlins verbreitet sich bei schönem, strahlendem Frühlingswetter ein Geruch wie von Veilchen. Das dauert einige Minuten lang. Danach wird die Luft erstickend. «Wem es nicht gelingt, aus ihrem Bereich zu entkommen, der wird in wenigen weiteren Minuten nichts mehr erkennen können, sein Gesicht, momentan, verlieren. Und glückt ihm weiterhin keine Flucht oder nimmt ihn kein Abtransport auf, so muß er ersticken. Das alles kann eines Tages eintreten, ohne daß in der Luft irgendein Flugzeug sichtbar, das Surren irgendeines Propellers vernehmbar wäre. Bei unverändert klarem Himmel und blendender Sonne. Aber unsichtbar und unhörbar, 5000 Meter hoch, steht ein Fluggeschwader, das Chlorazetophenol herabtropfen läßt, Tränengas, das »humanste« der neuen Mittel, das, wie bekannt, in den Gasangriffen des letzten Krieges bereits eine Rolle gespielt hat.
Kein zuverlässiges Mittel macht der Geschwader Wahrnehmung möglich, die in einer Höhe von 5 bis 6 Kilometern über der Erdoberfläche sich aufhalten. Zumindest öffentlich ist keins bekannt. Die gedämpfte Ouvertüre, die seit Jahren in den chemischen und technischen Laboratorien sich abspielt, dringt ja nur mit vereinzelten Mißtönen an die Ohren der Öffentlichkeit. Ab und zu erfährt man Dinge, wie die Erfindung eines empfindlichen Fernhörers, der das Surren der Propeller auf große Entfernungen hin registriert. Und einige Monate später dann wieder die Erfindung eines lautlosen Flugzeuges.
Einige Tatsachen, die der amerikanische Kriegskorrespondent William G. Shepherd in der »Liberty« über die »Anwendbarkeit« des französischen Flugparks im Kriege gibt, sind illustrativ.
Frankreich besitzt heute mindestens 2500 Flugzeuge im aktiven Friedensdienst; weitere sind in Reserve. Die Gesamttonnage der französischen Luftkräfte beträgt je nach der Flughöhe 600 bis 3000 Tonnen. Shepherd setzt London. Londons Zentrum mit dem Sitz aller lebenswichtigen Institute des britischen Imperiums bedeckt vier englische Quadratmeilen. Diese erfordern, um auf mehrere Monate hinaus unbewohnbar zu werden, 120 Tonnen Dichloräthylsulfid, Senfgas. Da zu gleicher Zeit über diesem Territorium maximal 250 Flieger – in ein und derselben Luftschicht natürlich – sich aufhalten können, jeder davon mindestens 500 Pfund mit sich führt und dieses Geschwader eine Tonne pro Minute abwirft, so steht – immer nach Shepherds Ansatz – das Herz des britischen Weltreichs nach zwei Stunden still.
An dergleichen Darstellungen ist das Bedenkliche, daß die menschliche Phantasie ihnen nachzukommen sich weigert und gerade das Ungeheure des drohenden Schicksals für die Denkfaulheit ein Vorwand wird. Deren Einrede kommt immer darauf hinaus, daß ein solcher Krieg entweder überhaupt »unmöglich« oder von verschwindend kurzer Dauer sein müßte. In Wahrheit wäre dieser Krieg nur dann im Handumdrehen beendet, wenn die jeweilige Basis der Flugzeuggeschwader den Streitenden bekannt wäre. Das ist nicht der Fall. Diese Basis nämlich braucht keineswegs auf dem Lande zu liegen. Irgendwo im Ozean können die Flugzeuge von den Mutterschiffen, die in den Gewässern des Weltmeeres unausgesetzt ihren Standort wechseln, sich erheben.
Wie sehen jene Giftgase aus, deren Gebrauch die Verabschiedung aller menschlichen Regungen voraussetzt? Bis heute kennen wir siebzehn; unter ihnen sind das Senfgas und das Lewisit die wichtigsten. Gegen beide geben Gasmasken keinen Schutz. Senfgas frißt das Fleisch und führt da, wo es nicht unmittelbar tödlich wirkt, Verbrennungen herbei, deren Heilung drei Monate beansprucht. Monatelang bleibt es an Gegenständen, die einmal mit ihm in Berührung gekommen sind, virulent. In den Regionen, die unter einem Senfgasangriff jemals gelegen haben, kann noch nach Monaten jeder Schritt auf dem Erdboden, jede Türklinke und jedes Brotmesser den Tod bringen. Senfgas macht wie viele andere giftige Gase alle Lebensmittel ungenießbar und vergiftet das Wasser. Die Strategen stellen sich die Verwendung dieses Mittels so vor: Gewisse taktisch wichtige Bezirke sind mit Wällen von Senfgas oder etwa von Diphenylaminchlorasin zu umgeben. Innerhalb dieser Wälle geht alles zugrunde, durch sie kann nichts eindringen. So lassen sich Häuser, Städte, Landschaften derart präparieren, daß monatelang weder animalisches noch pflanzliches Leben in ihnen aufkommen kann. Es erübrigt sich, zu bemerken, daß die Unterscheidung zwischen ziviler und kampftätiger Bevölkerung im Gaskriege fortfällt, damit aber eines der stärksten Fundamente des Völkerrechts. Das »Lewisit« ist ein Arsengift, dringt sofort ins Blut, tötet unwiderruflich, blitzartig alles Getroffene. Monatelang sind alle von schweren Gasangriffen betroffenen Bezirke durch Leichen verpestet. Schutz gibt es in solchen Gebieten natürlich nicht: Keller und Unterstände, die vor Explosivbomben allenfalls schützen, bringen bei Gasangriffen den sicheren Tod, weil das schwere Gas in die Tiefe sinkt.
Nun hat bekanntlich das Zentralkomitee des Völkerbundes eine »Kommission zum Studium des chemischen und bakteriologischen Krieges« eingesetzt. Dieser Kommission gehörten internationale Autoritäten an. Ihr Bericht hat nicht die gebührende Beachtung gefunden. Noch immer behaupten sich in der großen Politik Rüstungs- bzw. Abrüstungsprobleme, deren Belang vor den Tatsachen der chemischen Vorkehrungen in Nichts zerstiebt. Die Beharrlichkeit, mit der bei der Ausführung des Versailler Vertrages durch Deutschland lächerliche Militärrequisiten beanstandet wurden, hat nicht allein ihre unangenehme, sondern vor allem ihre höchst gefährliche Seite. Denn sie lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit vom einzig aktuellen Problem des internationalen Militarismus ab.
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