Mittwoch, 11. Juli 2012

Diaspora und Nation im Spiegel literarischer Texte

Von Indien über Ostafrika in die westliche Diaspora

Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts stehen Autorinnen und Autoren, die heute vorwiegend in Nordamerika und in Großbritannien leben und einer Gruppierung angehören, die Simatei als "East African Asian Diaspora" bezeichnet. Deren Lebens- und Familiengeschichten sind in zweifacher Hinsicht durch Migrationserfahrungen geprägt. Die Vorfahren stammen aus Südasien, insbesondere aus Indien. Seit Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1920er Jahre hinein wurden indische Arbeitskräfte von der britischen Kolonialverwaltung im Rahmen des sog. „Indenture-Systems“ nach Ostafrika gebracht und vor allem für den Aufbau der Eisenbahnen eingesetzt; später wanderten freie Händler und Geschäftsleute aus Südasien in Ostafrika ein.

Die Nachkommen dieser asiatischen Migranten wuchsen in Ostafrika auf, sahen sich jedoch nach dem Ende des Kolonialismus als Minderheit diskriminiert. Denn die politisch unabhängigen Nationalstaaten definierten sich durch eine indigene afrikanische Identität, und in diesem postkolonialen Selbstverständnis hatten die Einwanderer aus Asien und ihre Nachkommen keinen Platz. In den 1970er Jahren wurden sie sogar systematisch aus Uganda vertrieben. Viele von ihnen – unter ihnen Schriftsteller und Intellektuelle – fanden in den USA, Kanada und Großbritannien eine neue Heimat.

Literarische Texte als Medium einer neuen, postnationalistischen Identität

An diesem Punkt setzt das Forschungsvorhaben von Prof. Dr. Peter T. Simatei an. Er lässt sich dabei von der Beobachtung leiten, dass die Autoren der "East African Asian Diaspora" ein sehr reflektiertes Verhältnis zu ihrer ostafrikanischen Herkunft haben. In ihren Texten – sei es in fiktionaler Literatur, in Autobiographien oder in Reiseberichten – wird das Streben nach einer ostafrikanischen Identität erkennbar, die das Konzept eines auf 'reine' afrikanische Wurzeln gegründeten Nationalstaats überwindet. Das neue Identitätskonzept ist nicht in sich geschlossen, sondern für Impulse von außen offen und auf kreative Veränderungen angelegt. Es versetzt die Autoren in die Lage, ausgehend von ihren Erfahrungen in der westlichen Diaspora unterschiedliche Zugehörigkeiten miteinander zu verknüpfen. So können sie eine vitale Identifikation mit ihrer ostafrikanischen Herkunft entwickeln, ohne an die historisch überlebte Vorstellung eines homogenen Nationalstaats anknüpfen zu müssen.

Simatei ist deshalb überzeugt, dass derartige Entwürfe einer ostafrikanischen Identität eine kulturelle Brücke bilden können, welche die Diaspora im 'Westen' mit den afrikanischen Herkunftsländern verbindet.

Literarischen Texten wächst auf diese Weise das Potenzial zu, für die Länder Ostafrikas ein zukunftsweisendes Verständnis ihrer nationalen Identität zu erschließen. Um diesen Forschungsansatz weiterzuentwickeln, steht Simatei im engen Kontakt mit zwei interdisziplinären Forschungszentren der Universität Bayreuth: dem Institut für Afrikastudien (IAS) und dem Bayreuth Institute for American Studies (BIFAS).

Insbesondere arbeitet er mit Prof. Dr. Susan Arndt zusammen, Professorin für englische Literaturen und anglophone Literaturen an der Universität Bayreuth und Senior Fellow der Bayreuth International Graduate School of African Studies.

Erinnerungen an eine preisgekrönte Bayreuther Dissertation

Mit seinem Forschungsprojekt führt der kenianische Humboldt-Stipendiat Überlegungen weiter, die bereits in seiner Bayreuther Dissertation angelegt waren. Unter dem Titel "The Novel and the Politics of Nation Building in East Africa" ging es darin um das Verhältnis der Literatur zur postkolonialen Nationenbildung in Ostafrika. Die Arbeit wurde von Prof.
Dr. Eckhard Breitinger an der Universität Bayreuth betreut. Für seine herausragende wissenschaftliche Leistung erhielt Simatei im Jahr 2000 den Preis der Stadt Bayreuth, nachdem er ein Jahr zuvor mit dem DAAD-Preis für hervorragende Leistungen ausländischer Studierender ausgezeichnet worden war.

Kontaktadresse für weitere Informationen:

Prof. Dr. Peter Tirop Simatei
c/o Englische Literaturwissenschaft und Anglophone Literaturen
Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät Universität Bayreuth D-95440 Bayreuth
Telefon: +49 (0)921 / 55-3551
E-Mail: tpsimatei@hotmail.com

Pressemitteilung Universität Bayreuth, 11.07.2012

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Literatur als soziales und politisches Hilfsmittel. Was sich literarisch gibt, ist eigentlich politisch korrekte Politik. Literatur wird, wie Kunst generell, einem spezifischen Utilitätsdenken unterworfen und soll ihre Güte darin erweisen, dass sie der erwünschten Identitätsbildung hilft usw.

Was, wenn Schriftsteller sich nicht so einspannen lassen? Werden sie wie Abweichler im Regime der Realkommunisten und Stalinisten oder Nazis abgewertet, wenn nicht gemieden oder verfolgt? Muss sich Literatur auf diese Weise legitimieren? Was, wenn Emigranten wenig lesen oder zu Lektüren finden, die überhaupt nichts beitragen zu "Politics of Nation Building in East Africa"?

Woher stammt eigentlich diese Annahme der Wirksamkeit von Literatur? Stellen die nationalen Historien nicht im Gegenteil eindrück dar, wie wenig Kultur, insbesondere Literatur, vermag? Wie wenig es auf (bloßes) Wissen ankommt, als vielmehr auf verinnerlichte positive Werte und Persönlichkeit, das heißt, Charakter?






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