Donnerstag, 19. Mai 2011

Schopenhauer & China

Arthur Schopenhauer and China: A Sino-Platonic Love Affair. By Urs App. Sino-Platonic-Papers, No. 200/April 2010, University of Pennsylvania, Philadelphia

Interessanter Beitrag zu einer spezifischen Rezeption.

Mittwoch, 18. Mai 2011

Hochsprache vs. Populärsprache

Die Nachwelt hat es leichter. Sie muss nicht mehr die göttliche Grobheit des philosophierenden Vetturino über sich ergehen lassen; sie hat es nur noch mit seinen Schriften zu tun. Diese sind so geschrieben, dass ihre Lektüre selbst dann Vergnügen bereitet, wenn der Leser oder gar die Leserin seinen krassen Urteilen nicht zustimmen mögen. Schopenhauer zählt zu den großen Stilisten der deutschen Prosa. Sein Stil ist frei von jeder Manier. Geschmeidig und ohne Hast folgt die umfangreiche, hypotaktisch gegliederte, doch immer übersichtliche Satzperiode dem anspruchsvollen, aber nie dunklen Gedankengang. Doch in der Gegenwart, die sich den kurzen Sätzen verschrieben hat, nützen solche Vorzüge wenig. Vielleicht würden heute Schopenhauers bedenkenswerte, manchmal bedenkliche Gedankengänge häufiger gelesen, wenn er für sie nicht eine so vollkommene Sprache gefunden hätte.
Vom Außenseiter zum Weisheitslehrer
Großer Stilist, Grobian, Querkopf und Vordenker der Moderne: Vor 150 Jahren starb der Philosoph Arthur Schopenhauer. Von Heinz Schlaffer, Welt online 18.09.2010

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Interessante Bemerkung hinsichtlich Bedeutsamkeit und Wahrnehmung: Weil Schopenhauer so gut ist, weil seine Sprache gehoben ist, kann sie heute nicht mehr wirken, da die Gegenwärtigen eine reduzierte, einfachere Sprache, eine Kurzsprech, pflegen.

Hohe Qualität als Hindernis. Für das Volk, die Konsumenten, bedarf es einer leicht konsumierbaren Einfachheit. Keine individuellen Eigenheiten, also auch kein Stil darf das Bild stören. Ein Widerspruch. Muss man Schopenhauer ÜBERSETZEN? Was bleibt dann von ihm? Schopenhauer in light version!

Sonntag, 15. Mai 2011

Sprache spricht, ein Wort gibt das andere

Es gibt eine Auffassung von der Sprache als Wesenheit. Eine sprachmagische Sicht. Als ob die Sprache selber sei. Aber sogar im Volksmund zeigt sich dieses "Wissen" oder Ahnen, z. B. in der Redewendung "ein Wort gibt das andere", als ob Worte nächste reichen, gar erzwingen. Wäre das der Fall, spräche die Sprache und nicht der Sprecher, der Worte spricht, die das andere und nächste sprechen... So einfach ist das – oder auch nicht.

Samstag, 14. Mai 2011

Armenische Erinnerungen

Rumäniens «Buch des Jahres» gibt Einblick in historische Hintergründe
Die Überraschung der letzten Buchsaison war in Rumänien das literarische Prosadebüt eines Ökonomen, Politikers und gelegentlichen Autors von Lyrik. Das «Buch des Geflüsters» erweckt die Welt seiner eigenen Kindheit in der südlichen Moldau zu dichtem Leben.

Markus Bauer, NZZ 10.5.2011

Erst nach einer halben Seite erfährt man zumindest den Familiennamen des Autors, dessen Werk besprochen wird, allerdings ohne bibliografische Information. Es handelt sich um den rumänischen Politiker, Ökonomen und Schriftsteller Varujan Vosganian, 1958 geboren.

Die Zeitangaben sind ungenau: "letzte Buchsaison" ist, der geltenden Logik und dem gültigen Zeitverständnis nach, die Saison 2010. Aber das Buch erschien 2009. War es ein Spätzünder, der erst im Jahr darauf Saison hatte?

Es werden die üblichen Klischees bemüht (metaphernreicher und phatasievoller Stil); der Kritiker Manolescu wird überflüssigerweise als "Krtiikerpapst" genannt. Diese Päpstesicht, in der Schweiz und Deutschland oder Österreich besonders grassiernd, vernebelt.

Es folgt eine Besprechung, die "normal" ist, wie man sie halt erwartet. Aber warum? Keine seiner Publikationen liegt auf deutsch vor. Um auf den Autor aufmerksam zu machen?

In einem Absatz wird vage auf die politische Rolle des rechten Nationalliberalen verwiesen, der als Wirtschafts- und Finanzminister im Kabinett Tariceanu "nicht ganz unumstritten" war. Vosganian bekennt sich als Unionist und tritt für den Anschluss Moldaviens an Rumänien ein. Seine rechtsgerichtete Partei Uniunea Fortelor de Dreapta, der er von 1996-2003 vorstand, ging in der Nationalliberalen Partei auf. Seine Nominierung 2006 als Kommissar in der EU-Kommission zog er nach verschiedenen Vorwürfen und Querelen zurück.

Die literarischen Fragen, warum sein rumänischer Bucherfolg, die Überraschung und Sensation "der letzten Buchsaison" nicht übersetzt wurde, welche Rolle er in der Literaturlandschaft Rumäniens spielt, werden nicht gestellt und bedacht. Bleibt als Aufhänger "Armenische Erinnerungen".


(In Wien wurde ein Ausschnitt des Romans in deutscher Übersetzung anläßlich der Rumänischen Literaturgage 2010 vorgetragen. Die Moderation hatte der Geschäftsführer der Theodor-Kramer-Gesellschaft, Konstantin Kaiser, übernommen. Einen Textauszug auf deutsch von Christa Nitsch findet man in "Armenopolis".)

Montag, 9. Mai 2011

Gegenwartsversessenheit

Versuch über eine folgenreiche Zeitkrankheit

Wer nur im Hier und Jetzt und ausschliesslich für den Selbstgenuss lebt, könnte unter der neuen Zeitkrankheit leiden, ohne es zu merken.
Zu berichten ist von einer weitverbreiteten, aber noch wenig erforschten Zeitkrankheit. Sie heisst: Gegenwartsversessenheit. Symptome dieser Krankheit treten überall dort auf, wo die Zukunft vergessen wird, und Beispiele dafür finden sich in allen Lebensbereichen.

Dieter Thomä, NZZ 9.5.2011

Vergessen kann man nur, was man im Gedächtnis hat. Alles Andere, Potentielle kann höchstens übersehen, missachtet, ignoriert werden.  - Und wie könnte man die Zukunft wissen, um sie dann vielleicht zu vergessen? Sprachungenauigkeit verrät Kurzdenken. Der Autor meint das Fokussieren auf die Gegenwart. Aber das hat nichts mit Vergessen zu tun.

Sonntag, 8. Mai 2011

Broch und Anhänger

Heuer wird des 125. Geburtstages und des 60. Todestages von Hermann Broch gedacht. Eine Theatergruppe organisiert ein Antifestival und sagt: "Anläßlich des 125. Geburtstages (zugleich 60. Todestag) des österreichischen Dichters Hermann Broch veranstaltet bluatschwitzblackbox ein Antifestival zu seinen Ehren: Streit um Broch". Ich wundere mich. Broch wurde am 1. 11. 1886 geboren und verstarb am 30. Mai 1951. Sein Geburtstag ist nicht zugleich sein Todestag. – Wieso auch "Antifestival"? Darum: "'Antifestival' deshalb, weil es in Sachen Broch tatsächlich nichts zu feiern gibt."

Lesen -sie die Kolumne "Wort zum Sonntag" von Haimo L. Handl vom 8. Mai 2011 in kultur-online.net

Hören Sie den Beitrag im Podcast

Samstag, 7. Mai 2011

Rückwärts in die Zukunft

Autoren und Kritiker debattieren in Hamburg über ihr Medium
Nach 2010 hat das Literaturhaus Hamburg zum zweiten Mal rund dreissig Autoren und Kritiker eingeladen, um im freien Austausch über die Ästhetik des modernen Erzählens zu debattieren.

Roman Bucheli, NZZ 7. Mai 2011

Sie debattieren nicht  nur, sondern im freien Austausch. Was ist für gewöhnlich aber eine Debatte? Eine Einwegkommunukation und kein Austausch.

Mittwoch, 4. Mai 2011

Nichts mehr sagen müssen

"Welche Schande, zu schreiben, wenn man nicht weiß, was Sprache, Wort, Metapher sind, Gedankenübergänge und Wechsel im Ton; wenn man die Struktur der zeitlichen Folge eines Werks und die Voraussetzungen für seinen Schluß nicht begreift, kaum das Warum kennt und schon gar nicht das Wie! Die Scham darüber, eine Pythia zu sein..."
Paul Valéry
Adorno bemerkt dazu: "Die Sehnsucht, daß der Sinn im Vers verschwinde, ist beheimatet in der Musik, die Intentionen kennt nur als untergehende." (Valérys Abweichungen)

Valéry stemmt sich nicht gegen das Aussagen, den Sinn, die Botschaft, die Geschichte. Er erweitert nur die Ebenen, Schichten, die Komplexität. Er sieht mehr als eine Bedeutungsebene. Adorno fokussiert auf das schier Intentionslose, das Unbedeutsame, das Nichtssagende als Nichtmehrsagende, das sich selbst Genügsame, das Sichsein, wie es im Zusammenfall von Inhalt und Form, scheinbar nur noch Form, existent wird: dasjenige, was geteilt, mitgeteilt (transportiert), ausgedrückt, wahrgenommen (an- und aufgenommen) werden kann, ohne nach einem Sinn zu fragen. Dieses Gebilde, ähnlich dem absoluten Musikstück oder, korrekter gesagt, dem Klangebilde, das wir als absolute Musik hören, dem wir keinerlei Botschaft zuschreiben, keinen Sinn, keine intendierte Bedeutung zuordnen, das sich selbst ist und genügt, das uns deshalb gerade anspricht und gefangen nimmt, wirkt sozusagen als Gipfel, als Spitze des Erreichbaren in der Kunst und Kommunikation: das Reine, das Pure, das Purifizierte. Als ob Bedeutung und Sinn Ballast wären. Die höchste Freiheit in der Reinheit, der Sinnlosigkeit, dem Un- und Nichtsagbaren.

Dahinter verbirgt sich die alte Aversion gegen das Selbständige, die Freiheit, das Sinnvolle, das Vernünftige. Das, was nur Form ist, wird als Maximum gesehen, weil es eben keinen "Inhalt" verstehbaren Sinns aufweist. Und Dichter, die nicht mehr dichten wollen, aber keine Komponisten sind, wünschen sich Wortgebilde, die keine mehr sind, weil sie nichts mehr sagen, sondern nur noch klingen. Das Verschwinden einerseits, die Abwesenheit, die Andersheit andererseits, als Höchstes. Ein Missverständnis.