Mittwoch, 4. Mai 2011

Nichts mehr sagen müssen

"Welche Schande, zu schreiben, wenn man nicht weiß, was Sprache, Wort, Metapher sind, Gedankenübergänge und Wechsel im Ton; wenn man die Struktur der zeitlichen Folge eines Werks und die Voraussetzungen für seinen Schluß nicht begreift, kaum das Warum kennt und schon gar nicht das Wie! Die Scham darüber, eine Pythia zu sein..."
Paul Valéry
Adorno bemerkt dazu: "Die Sehnsucht, daß der Sinn im Vers verschwinde, ist beheimatet in der Musik, die Intentionen kennt nur als untergehende." (Valérys Abweichungen)

Valéry stemmt sich nicht gegen das Aussagen, den Sinn, die Botschaft, die Geschichte. Er erweitert nur die Ebenen, Schichten, die Komplexität. Er sieht mehr als eine Bedeutungsebene. Adorno fokussiert auf das schier Intentionslose, das Unbedeutsame, das Nichtssagende als Nichtmehrsagende, das sich selbst Genügsame, das Sichsein, wie es im Zusammenfall von Inhalt und Form, scheinbar nur noch Form, existent wird: dasjenige, was geteilt, mitgeteilt (transportiert), ausgedrückt, wahrgenommen (an- und aufgenommen) werden kann, ohne nach einem Sinn zu fragen. Dieses Gebilde, ähnlich dem absoluten Musikstück oder, korrekter gesagt, dem Klangebilde, das wir als absolute Musik hören, dem wir keinerlei Botschaft zuschreiben, keinen Sinn, keine intendierte Bedeutung zuordnen, das sich selbst ist und genügt, das uns deshalb gerade anspricht und gefangen nimmt, wirkt sozusagen als Gipfel, als Spitze des Erreichbaren in der Kunst und Kommunikation: das Reine, das Pure, das Purifizierte. Als ob Bedeutung und Sinn Ballast wären. Die höchste Freiheit in der Reinheit, der Sinnlosigkeit, dem Un- und Nichtsagbaren.

Dahinter verbirgt sich die alte Aversion gegen das Selbständige, die Freiheit, das Sinnvolle, das Vernünftige. Das, was nur Form ist, wird als Maximum gesehen, weil es eben keinen "Inhalt" verstehbaren Sinns aufweist. Und Dichter, die nicht mehr dichten wollen, aber keine Komponisten sind, wünschen sich Wortgebilde, die keine mehr sind, weil sie nichts mehr sagen, sondern nur noch klingen. Das Verschwinden einerseits, die Abwesenheit, die Andersheit andererseits, als Höchstes. Ein Missverständnis.

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