Samstag, 30. April 2011

Distanz


Die Entfremdung erweist sich an den Menschen gerade daran, daß die Distanzen fortfallen.
Das direkte Wort, das ohne Weiterungen, ohne Zögern, ohne Reflexion dem andern die Sache ins Gesicht sagt, hat bereits Form und Klang des Kommandos ...
Adorno (Minima Moralia)

Intimität vollzieht sich in allernächsten Nahbereich. Man kommt sich nahe, sehr nahe, so nahe wie möglich. Distanzlosigkeit. Wohlig, erfüllend, wenn gewünscht, gewollt. Das schlimme Gegenteil, wenn unerwünscht, ungewollt.

Die Umarmung wird zum Würgen, die Nähe zur Pein, wenn jemand es sich herausnimmt, gegen jemandes Willen die Distanz zu verletzen, zu nahe zu kommen. Bedrängnis, Verletzung, Folter.

Die Vergewaltigung und Folter stellen den negativen Extremfall der Distanzaufhebung, des Unwürdigen dar. Die oder der andere werden „objektiviert“, verdinglicht, über die oder den der andere verfügt. Der andere wird der Macht des anderen direkt und konkret ausgesetzt. Er muss leiden, vielleicht sogar sterben. Es steht nicht mehr in seiner Macht. Das drückt auch die Würdelosigkeit aus, die Verletzung des Humanen: Der andere ist so unfrei, dass ihn kein Freiraum mehr schützt, keine Schutzdistanz ihn vor dem direkten Zugriff bewahrt. Er ist nicht nur der Kommandosprache oder den unflätigen Flüchen ausgesetzt, sondern der brachialen Gewalt, der verletzenden, tötenden Zugriffe (Abgriffe, Eingriffe). Man vergreift sich an ihm, man „behandelt“ ihn, das Ding.

Würde bedingt Distanz. Diese Distanz darf nur im freien Einvernehmen aufgehoben werden. Sonst ist sie Gewalt und Terror.

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