Montag, 11. April 2011

Else Lasker-Schülers Hölle - Dichtung & Wahrheit

„Im Frühjahr 1939 musste die 70-jährige Else Lasker-Schüler die Schweiz verlassen, bis zu ihrem Tod 1945 war Jerusalem die letzte Exilstation. Das Leben dort, «unter dem auserwählten Volke», erscheint in ihren Briefen als eine einzige «Hölle». Kaltherzig, engstirnig, brutal seien die Menschen um sie herum. (…) Was immer an Lasker-Schülers Anschuldigungen erdichtet sein mag, poetisch sind sie in jedem Fall.“
(Manfred Koch in seiner Rezension in der NZZ vom 6.11.2010 „Jerusalem auf dem Augenlid“)

Der Hinweis auf die poetische Qualität gegenüber der hohen Wahrscheinlichkeit der Erdichtung ihrer Höllenqualen, zeigt den Unterscheid zwischen Poesie und Realität: Der als leicht oder, je nach Standpunkt, als verrückt Erscheinenden wird die Erdichtung als Dichtung im Poetischen nicht nur abgenommen, sondern gepriesen. Die Aussagen über ihre Höllenqualen, über die kaltherzige, böse, engstirnige, brutale Umgebung in Palästina, dem Land, das später zu Israel werden sollte, wird als Erdichtung im negativen Sinne, als Täuschung, als Irrtum, als irrelevant hingestellt. Da hat sich die alte Verwirrte was vorgemacht, hat an Störungen gelitten, vermochte sich nicht anzupassen, erlag einer verzerrten Wahrnehmung. War halt krank. Stimmt doch, nicht?

Das Lob des Poetischen mit der nüchternen Relativierung jener Aussagen in den Briefen, die unpassend scheinen, die unangenehm sind, die das traute Bild stören, desavouiert aber das Ganze. Hier wird jemand und etwas zurechtgebogen. Der gebeugte Blick als Resultat einer beschworenen, eingeforderten Deutungshoheit. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. 

"... poetisch sind sie in jedem Fall"! Kunst ist frei, hat größeren Freiraum. Wenn man schon die Kritik negiert, lobt man wenigstens das Poetische. Echte Kultur. 


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