Freitag, 30. November 2018

Patmos

Friedrich Hölderlin

 

Patmos

 

Dem Landgrafen von Homburg


Nah ist
Und schwer zu fassen der Gott.
Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.
Im Finstern wohnen
Die Adler und furchtlos gehn
Die Söhne der Alpen über den Abgrund weg
Auf leichtgebaueten Brücken.
Drum, da gehäuft sind rings
Die Gipfel der Zeit, und die Liebsten
Nah wohnen, ermattend auf
Getrenntesten Bergen,
So gib unschuldig Wasser,
O Fittiche gib uns, treuesten Sinns
Hinüberzugehn und wiederzukehren.

So sprach ich, da entführte
Mich schneller, denn ich vermutet
Und weit, wohin ich nimmer
Zu kommen gedacht, ein Genius mich
Vom eigenen Haus'. Es dämmerten
Im Zwielicht, da ich ging
Der schattige Wald
Und die sehnsüchtigen Bäche
Der Heimat; nimmer kannt' ich die Länder;
Doch bald, in frischem Glanze,
Geheimnisvoll
Im goldenen Rauche, blühte
Schnellaufgewachsen,
Mit Schritten der Sonne,
Mit tausend Gipfeln duftend,

Mir Asia auf, und geblendet sucht'
Ich eines, das ich kennete, denn ungewohnt
War ich der breiten Gassen, wo herab
Vom Tmolus fährt
Der goldgeschmückte Paktol
Und Taurus stehet und Messogis,
Und voll von Blumen der Garten,
Ein stilles Feuer; aber im Lichte
Blüht hoch der silberne Schnee;
Und Zeug unsterblichen Lebens
An unzugangbaren Wänden
Uralt der Efeu wächst und getragen sind
Von lebenden Säulen, Zedern und Lorbeern
Die feierlichen,
Die göttlichgebauten Paläste.

Es rauschen aber um Asias Tore
Hinziehend da und dort
In ungewisser Meeresebene
Der schattenlosen Straßen genug,
Doch kennt die Inseln der Schiffer.
Und da ich hörte
Der nahegelegenen eine
Sei Patmos,
Verlangte mich sehr,
Dort einzukehren und dort
Der dunkeln Grotte zu nahn.
Denn nicht, wie Cypros,
Die quellenreiche, oder
Der anderen eine
Wohnt herrlich Patmos,

Gastfreundlich aber ist
Im ärmeren Hause
Sie dennoch
Und wenn vom Schiffbruch oder klagend
Um die Heimat oder
Den abgeschiedenen Freund
Ihr nahet einer
Der Fremden, hört sie es gern, und ihre Kinder
Die Stimmen des heißen Hains,
Und wo der Sand fällt, und sich spaltet
Des Feldes Fläche, die Laute
Sie hören ihn und liebend tönt
Es wider von den Klagen des Manns. So pflegte
Sie einst des gottgeliebten,
Des Sehers, der in seliger Jugend war
Gegangen mit
Dem Sohne des Höchsten, unzertrennlich, denn
Es liebte der Gewittertragende die Einfalt
Des Jüngers und es sahe der achtsame Mann
Das Angesicht des Gottes genau,
Da, beim Geheimnisse des Weinstocks, sie
Zusammensaßen, zu der Stunde des Gastmahls,
Und in der großen Seele, ruhigahnend den Tod
Aussprach der Herr und die letzte Liebe, denn nie genug
Hatt' er von Güte zu sagen
Der Worte, damals, und zu erheitern, da
Ers sahe, das Zürnen der Welt.
Denn alles ist gut. Drauf starb er. Vieles wäre
Zu sagen davon. Und es sahn ihn, wie er siegend blickte
Den Freudigsten die Freunde noch zuletzt,

Doch trauerten sie, da nun
Es Abend worden, erstaunt,
Denn Großentschiedenes hatten in der Seele
Die Männer, aber sie liebten unter der Sonne
Das Leben und lassen wollten sie nicht
Vom Angesichte des Herrn
Und der Heimat. Eingetrieben war,
Wie Feuer im Eisen, das, und ihnen ging
Zur Seite der Schatte des Lieben.
Drum sandt' er ihnen
Den Geist, und freilich bebte
Das Haus und die Wetter Gottes rollten
Ferndonnernd über
Die ahnenden Häupter, da, schwersinnend
Versammelt waren die Todeshelden,

Itzt, da er scheidend
Noch einmal ihnen erschien.
Denn itzt erlosch der Sonne Tag
Der Königliche und zerbrach
Den geradestrahlenden,
Den Zepter, göttlichleidend, von selbst,
Denn wiederkommen sollt es
Zu rechter Zeit. Nicht wär es gut
Gewesen, später, und schroffabbrechend, untreu,
Der Menschen Werk, und Freude war es
Von nun an,
Zu wohnen in liebender Nacht, und bewahren
In einfältigen Augen, unverwandt
Abgründe der Weisheit. Und es grünen
Tief an den Bergen auch lebendige Bilder,

Doch furchtbar ist, wie da und dort
Unendlich hin zerstreut das Lebende Gott.
Denn schon das Angesicht
Der teuern Freunde zu lassen
Und fernhin über die Berge zu gehn
Allein, wo zweifach
Erkannt, einstimmig
War himmlischer Geist; und nicht geweissagt war es, sondern
Die Locken ergriff es, gegenwärtig, Wenn ihnen plötzlich
Ferneilend zurück blickte
Der Gott und schwörend,
Damit er halte, wie an Seilen golden
Gebunden hinfort
Das Böse nennend, sie die Hände sich reichten –

Wenn aber stirbt alsdenn
An dem am meisten
Die Schönheit hing, daß an der Gestalt
Ein Wunder war und die Himmlischen gedeutet
Auf ihn, und wenn, ein Rätsel ewig füreinander
Sie sich nicht fassen können
Einander, die zusammenlebten
Im Gedächtnis, und nicht den Sand nur oder
Die Weiden es hinwegnimmt und die Tempel
Ergreift, wenn die Ehre
Des Halbgotts und der Seinen
Verweht und selber sein Angesicht
Der Höchste wendet
Darob, daß nirgend ein
Unsterbliches mehr am Himmel zu sehn ist oder
Auf grüner Erde, was ist dies?

Es ist der Wurf des Säemanns, wenn er faßt
Mit der Schaufel den Weizen,
Und wirft, dem Klaren zu, ihn schwingend über die Tenne.
Ihm fällt die Schale vor den Füßen, aber
Ans Ende kommet das Korn,
Und nicht ein Übel ists, wenn einiges
Verloren gehet und von der Rede
Verhallet der lebendige Laut,
Denn göttliches Werk auch gleichet dem unsern.
Nicht alles will der Höchste zumal.
Zwar Eisen träget der Schacht,
Und glühende Harze der Ätna,
So hätt' ich Reichtum,
Ein Bild zu bilden, und ähnlich
Zu schaun, wie er gewesen, den Christ,

Wenn aber einer spornte sich selbst,
Und traurig redend, unterweges, da ich wehrlos wäre
Mich überfiele, daß ich staunt' und von dem Gotte
Das Bild nachahmen möcht' ein Knecht –
Im Zorne sichtbar sah' ich einmal
Des Himmels Herrn, nicht, daß ich sein sollt etwas, sondern
Zu lernen. Gütig sind sie, ihr Verhaßtestes aber ist,
So lange sie herrschen, das Falsche, und es gilt
Dann Menschliches unter Menschen nicht mehr.
Denn sie nicht walten, es waltet aber
Unsterblicher Schicksal und es wandelt ihr Werk
Von selbst, und eilend geht es zu Ende.
Wenn nämlich höher gehet himmlischer
Triumphgang, wird genennet, der Sonne gleich
Von Starken der frohlockende Sohn des Höchsten,

Ein Losungszeichen, und hier ist der Stab
Des Gesanges, niederwinkend,
Denn nichts ist gemein. Die Toten wecket
Er auf, die noch gefangen nicht
Vom Rohen sind. Es warten aber
Der scheuen Augen viele
Zu schauen das Licht. Nicht wollen
Am scharfen Strahle sie blühn,
Wiewohl den Mut der goldene Zaum hält.
Wenn aber, als
Von schwellenden Augenbraunen
Der Welt vergessen
Stilleuchtende Kraft aus heiliger Schrift fällt, mögen
Der Gnade sich freuend, sie
Am stillen Blicke sich üben.

Und wenn die Himmlischen jetzt
So, wie ich glaube, mich lieben
Wie viel mehr dich,
Denn eines weiß ich,
Daß nämlich der Wille
Des ewigen Vaters viel
Dir gilt. Still ist sein Zeichen
Am donnernden Himmel. Und Einer stehet darunter
Sein Leben lang. Denn noch lebt Christus.
Es sind aber die Helden, seine Söhne
Gekommen all und heilige Schriften
Von ihm und den Blitz erklären
Die Taten der Erde bis itzt,
Ein Wettlauf unaufhaltsam. Er ist aber dabei. Denn seine Werke sind
Ihm alle bewußt von jeher.

Zu lang, zu lang schon ist
Die Ehre der Himmlischen unsichtbar.
Denn fast die Finger müssen sie
Uns führen und schmählich
Entreißt das Herz uns eine Gewalt.
Denn Opfer will der Himmlischen jedes,
Wenn aber eines versäumt ward,
Nie hat es Gutes gebracht.
Wir haben gedienet der Mutter Erd'
Und haben jüngst dem Sonnenlichte gedient,
Unwissend, der Vater aber liebt,
Der über allen waltet,
Am meisten, daß gepfleget werde
Der feste Buchstab, und Bestehendes gut
Gedeutet. Dem folgt deutscher Gesang.

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Patmos ist der Titel einer 1803 vollendeten Hymne von Friedrich Hölderlin. Der Erstdruck erfolgte 1808 im Musenalmanach von Leo von Seckendorff, gewidmet ist die Dichtung dem Landgrafen von Homburg. Das Gedicht ist nach der griechischen Insel Patmos benannt, die als Schöpfungsort der prophetischen Offenbarung des Johannes gilt. Sie ist dem verfolgten Christen ein Zufluchtsort und kennzeichnet zugleich die apokalyptische Krisensituation. Bereits der Titel verweist so auf den esoterisch-eschatologischen Horizont des Textes, der ausgesprochen reich an verschlüsselten Zitaten und Anspielungen auf synthetisch miteinander verwobene biblische, christliche, griechische und lateinische Motive und Mythen ist.

Ähnlich den anderen Versdichtungen aus dem Spätwerk Hölderlins ist auch Patmos ein kühner Versuch der Deutung der Geschichte als fortgesetzter göttlicher Offenbarung. Sie ist Ausdruck des Scheiterns der frühromantischen politischen Träume, die nun in eine religiöse, geistige Sphäre sublimiert werden. Besonders nah steht die Hymne darin der Dichtung Der Einzige, aber auch den Gesängen Friedensfeier und Andenken. 



Die Werke Hölderlins sind in Einzelausgaben als auch in der Großen Stuttgarter Ausgabe in unserer Bibliothek Gleichgewicht aufliegend. Ebenso einiges an Sekundärliteratur als auch Bände des Hölderlin-Jahrbuches.


Dienstag, 27. November 2018

Montag, 26. November 2018

50. Todestag von Arnold Zweig

Arnold Zweig (* 10. November 1887 in Glogau, Provinz Schlesien; † 26. November 1968 in Ost-Berlin) war ein deutscher Schriftsteller.

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In unserer Bibliothek Gleichgewicht haben wir Werke von Arnold Zweig.


Sonntag, 25. November 2018

Moderne Kunst, politisch korrekt


Haimo L. Handl

Moderne Kunst, politisch korrekt

Kürzlich sah ich in ARTE einen Dokumentarfilm von Nicola Graef und Susanne Brand mit dem Titel „Expedition Moderne. Auf den Spuren unentdeckter Kunst“. Es handelt sich um ein eigentümliches Dokument schuldbeladener, westlicher Orientierungslosigkeit mit fadenscheinigen Prämissen und Schlüssen, die eher erstaunen oder verärgern aber nicht Verständnis schaffen, wie es programmatisch den Intentionen der Korrekten entspräche. Im Informationstext heißt es:

Neu auf fremde Kunst blicken – ein Anspruch, der mindestens 100 Jahre zu spät kommt. Denn die Entwicklung der Kunst der Moderne wäre ohne die Beschäftigung mit der Kunst anderer Völker gar nicht möglich gewesen. Jetzt bemühen sich die Museen und Wissenschaftler um eine Kurskorrektur. Was wurde übersehen? Und was ist der richtige Umgang mit der Kunst fremder Völker?

Was macht man, wenn man zu spät ist? Zu spät: aus und vorbei, versäumt. Der erste Satz klingt unerbittlich wie beim Versäumnis des letzten Zuges. Zu spät, abgefahren. Und zwar gleich 100 Jahre zu spät. O je, dann ist es wirklich aus und vorbei.

Schon der Untertitel ist falsch und irreführed. Wer ist auf welchen Spuren unentdeckter Kunst? Ist Kunst abhängig von der Rezeption? Reicht nicht die direkte, braucht es die weltweite, globale Rezeption? Hier trüben unklare Vorstellungen von Öffentlichkeit das Denken, hier vernebeln verschwommene Sichten den Blick auf Eigenständiges bzw. Fremdes oder Neues im Verhältnis zu Eigenem oder Bekanntem. Ist entdeckte Kunst wertvoller? Sicher. Weil unentdeckte keine Ware am Markt ist. Bestimmt also Marktdenken den Kunstwert und leitet unsere guten Menschen und Kunstexperten? Wenn Sie nein sagen, zeigen Sie, wo welche Kunst als Nichtware gesammelt, gehandelt, gezeigt und rezipiert wird.

Zweiter Satz: Die Entwicklung der modernen Kunst wäre ohne die Beschäftigung mit der Kunst anderer Völker gar nicht möglich gewesen. Da sich die moderne Kunst aber, wie man allerorten sehen kann, offensichtlich (offen sichtbar) entwickelt hat, weil wir Veränderungen als Entwicklungen deuten, obwohl kein eigentlicher, linearer Fortschritt messbar ist im Bereich der Kunst, da sie nicht, wie die Naturwissenschaften, Theorien und Fakten schafft, die messbar als neu gegenüber alten, überholten, angesehen werden können oder müssen, spricht man doch von ältester, alter und neuer oder neuester Kunst. Die Attribute sind Hilfskonstruktionen, grob, simpel, aber gerade deswegen im gängigen Gebrauch.

Schlussfolgerung: weil es Entwicklung gab, hatten sich viele also mit der Kunst anderer Völker beschäftigt. Es gibt allerdings keinen Raster, keine Reihung, wie vollständig diese Beschäftigung mit dem Anderen sein kann oder soll, weil nie das GANZE zur Kommunikation steht, weil nie ALLES erfasst werden kann (Das Ganze ist das Unwahre. Adorno). Sogar in der eigenen Kultur gibt es künstlerische Äußerungen und Artefakte, die der Mehrheit entgehen, obwohl sie niemand intendiert versteckt. Könnte es auch eine Entwicklung der modernen Kunst ohne Auseinandersetzung mit der Kunst anderer Völker gegeben haben? Wie haben sich denn die Künste der nicht modernen Völker entwickelt? Auf einem Sonderweg?

Aber stimmt das, kann das stimmen? Das hieße ja, dass jene Gesellschaften, die sich nicht mit der Kunst der Welt, also mit der Allerweltkunst offen dauernd auseinandersetzen, keine Entwicklung ihrer eigenen Kunst hätten erreichen können. Wie sähe jedoch ihre isolierte Kunst aus? Sie wäre idiotisch im Sinne von selbstbezogen und selbstreferentiell, primitiv, wie die Modernen eben das Fremde sahen. Wobei „primitiv“ keine Abwertung war oder ist, sondern eine Unterscheidung. Aber sie wäre immer noch Kunst bzw. sie ist Kunst, auch jenseits der Maßstäbe der Korrekten, die nur die globale gelten lassen wollen und nicht die lokale oder gar persönliche. Stammeskunst, wie man heute nicht mehr sagen darf, war Kunst, auch wenn kein gleichwertiger Austausch mit den anderen Kulturen stattfand, und blieb Kunst, auch als Westler sie sich aneigneten. (Unabhängig der Frage, wann Kulte und Kultobjekte „Kunst“ in unserem Sinne waren oder sind.) Was heißt aber „gleichwertig“ oder „global“? Nach welchen Kriterien? Denen des Zugangs, der Marktposition westlicher Façon? Denen der jeweiligen Staatsmacht? (Hier sind auf benachbartem, engem Raum die „Weltunterschiede“ besonders deutlich in den beiden Koreas!) Und wie fremd oder unverständig darf eine bislang „übersehene“ Kunst sein? Gilt sie erst, wenn sie inkorporiert worden ist, wenn ihr das Eigene genommen wurde, jenes Eigene, das das Fremde war, wenn also in der modernen Welt das Andere handelbare Ware geworden ist, damit vermessen und bewertet? Es scheint, die Filmemacherinnen sind nicht bedächtig und bedenkend genug gewesen, eher politisch korrekt und sich einpassend im Gewand jener, die voranschreiten, Avantgarde bilden. Wofür? Für eine richtige Kurskorrektur.

Dritter Satz: Kurskorrektur. Endlich befleißigen sich die Museen mit Hilfe der Wissenschaftlerinnen um eine Kurskorrektur. Sie stellen fest, was übersehen worden war. Um das feststellen zu können, muss man wissen, was man hätte sehen können. Damals, früher. Ein verwegenes Unterfangen, da doch in der Gegenwart tagtäglich und nachtnächtlich bewiesen wird, dass wir vieles, vieles übersehen, nicht bemerken oder, auch das, was wir sehen, nicht in seiner Tragweite, möglicher Bedeutung erfassen bzw. erahnen. Denn das Sehen und Übersehen hängt weniger mit der Perzeptionsfähigkeit der Sinne zusammen, als mit der Rezeption nach einem kulturellen Training. Wie will man feststellen, was man früher hätte sehen müssen, damals, als andere Sichten galten? Sähe jemand Historisches wie Damalige, also alleine mit damaligen Augen und Verständnis, sie oder er könnte keinen Übertrag ins gegenwärtige Verständnis schaffen. Historiker müssen zumindest doppelbödig und mehrzeitig denken, sich jedoch in der Deutung und Interpretation davor hüten, Vergangenes nach heutigen Werten abzuurteilen. Ohne Kenntnis des Historischen UND des Gegenwärtigen wäre kein Brückenschlag möglich. Der Brückenschlag selbst ist anderer Qualität als die Beschau des Historischen dort oder Gegenwärtigen hier. Es geht um Eigenheiten und Interpretationen mit heutigem Wissen im Blick des Vergangenen UND der historischen Lehre für die Gegenwart, für uns heute, wie wir sie mit unseren heutigen Mitteln gewinnen können. Nie aber geht es um Festlegungen, was hätte sein müssen. Immer nur, was war und, vielleicht, was dazu führte. Alles andere ist Moral, Pädagogik oder Ideologie. Hinsichtlich dieser Komplexität wird es diffizil. Gerade heute, in der globalisierten Welt, verschwinden Eigenheiten, gewinnen globale Aspekte Bedeutung als Ausweis des Gleichen in einer sich extrem angleichenden globalisierten Gesellschaft. Was sagen uns also die Apostellinnen der Korrektheit der Moderne?

Sie sagen den vierten Satz vom richtigen Umgang mit der Kunst fremder Völker. Welche Völker sind wie bekannt bzw. welche sind wirklich fremd? Welches Bild von autochthoner Eigenheit pflegen sie, teilen wir? Wie unterscheidet sich die pluralistische westliche Welt davon? Wie sieht es mit den Völkern in den Koreas oder China aus, also nicht pluralistischen Gesellschaften, oder in Japan? Wie vermessen sie Russland? Was heißt „fremd“ für jene, was für uns? Wie fremd sind sich schon die Europäer der Union, ganz zu schweigen von den anderen? Wie bekannt, anerkannt, heimisch sind die anderen? Welches Verständnis folgt daraus?

Aber das Hauptproblem ist die Frage nach dem richtigen Umgang. Welcher ist der richtige? Einer von UNO-Gremien beschlossener? Einer von Vertretern der nichtwestlichen Welt vorgeschlagener oder praktizierter? Einer von Feministinnen und ihrer gender force formulierter post-kolonialer? Der Forderung nach dem Richtigen, dem Korrekten, sagt auch, dass jeder frühere Umgang unrichtig, inkorrekt war. Überall, global oder nur in der westlichen Welt? Welches Erbe drückt die Frauen, die so kritisch nach Korrektheit rufen, nieder? Wie können sie, so beladen und belastet, überhaupt das Fremde als Fremdes erkennen und seine Bedeutung ermessen? Machen sie es sich nicht zu einfach, weil sie vordergründig Moralen und Politiken folgen, die jetzt en vogue sind?

Es ist ziemlich einfach, historische Ereignisse, Wahrnehmungs- und Deutungsweisen von der heutigen Position aus abzuurteilen. Da wird Goethe niedergemacht, da plustert man über Winckelmann, da sieht man Kolonialismus und falsche Griechenausrichtung, sieht engen Nationalismus in Hölderlin und lächerlichen Idealismus in Schiller: alles war falsch. Wann war welches Denken nach welchen Kriterien „richtig“ und „korrekt“? Wann war eine Gesellschaft gut, annehmbar etc.? Die der Bolschewiki nach der Oktoberrevolution? Die Englands unter Viktoria? Die Amerikas unter den Gründervätern? Man könnte das schier endlos ausweiten. Sind, umgekehrt, die gegenwärtigen Gesellschaften „modern“, „gut“? Bedeutet die Beachtung der Menschenrechte schon eine neokoloniale Bevormundung? Ist nicht schon der westlich bestimmte Kunstmarkt eine reine Ausbeuteeinrichtung? Heißt nicht, seine eigene Kultur hochschätzen, jede andere abwerten? Wann bedeutet unterscheiden NICHT abwerten? Schlussendlich: darf es rechtens überhaupt Eigenes geben? Muss man nicht Viele(s) sein und das Individualdenken aufgeben (kein Ich mehr!)?

Die Korrekturmaßnahmen lesen sich allerdings nicht überzeugend: Leerräumen der Bestände, neue Vermittlung, teure, neue Architektur als angemessene, „wiedergutmachende“ Verpackung für sogenannte „fremde“ Kunst, die kultürlich nicht mehr fremd ist, Änderung der „Erzählweise“ (als ob das neue wäre!). Es geht also um richtige, korrekte Darstellung und die entsprechende Rezeption und Gewissensbereinigung. Es geht um politische Korrektheit durch eine neue Platzzuweisung und als korrekt approbierte Aufmerksamkeit. Nachdem nirgends ein Paradies herrscht, geht es um Schuld. Bei uns im Westen meistens um eine Erbschuld, die Erbsünde. Sind die Verwalter und Verwalterinnen also Anwälte Gottes, der aus dem Paradies vertrieb? Erleben wir auch im Kunstbereich eine fatale Sakralisierung?

Wie werden wir in unserer schnell alternden Zeit in wenigen Jahren mit neuen, heute ungeahnten, unentdeckten, nicht bekannten Erzählweisen umgehen? Werden die die späteren, „wahren“ und „guten“ unsere heutigen korrigierten und „korrekten“ als obsolet und falsch, irrig hinstellen? Was bedeutet das für die (politisch) Korrekten dann? Welche Korrektheit, welche Richtigkeit wird gelten?

Es zeigt sich das Problem der Temporalität, der Unsicherheit. Die Korrekten geben vor, unumstößliche, quasi absolut richtige Ansichten, Sehweisen, Rezeptionen, Kenntnisse zu haben. Aber außenhalb der Ingenieurs- und Naturwissenschaften ist die Unsicherheit noch viel, viel größer, als in diesen. Nirgends, außer in den engstirnigen Religionen, gibt es (ewige) dauernde Wahrheiten. Ist das das verkappte Ziel der sich modern Gebenden?

Gerade in der deutschsprachigen Kultur mit so eminenten modernen Autoren, die sich gehaltvoll und kritisch zur Kunst äußerten, wie Benjamin oder Adorno, Bürger oder Luhmann, Sloterdijk oder Stierle, Szondi oder Gombrich oder Brock und viele andere, wäre man eingeladen tiefer nachzudenken, als vordergründig dem Zeitgeist verpflichtet (filmisch) zu schwadronieren. Ehrbare Intention und guter Wille ersetzen nicht Gültigkeit oder Qualität des Denkens.

5. Todestag von Peter Kurzeck

Peter Kurzeck (* 10. Juni 1943 in Tachau, Westböhmen; † 25. November 2013 in Frankfurt am Main[2]) war ein deutscher Schriftsteller.

Peter Kurzeck war Verfasser stark autobiografisch geprägter Romane und Erzählungen, in denen das Leben in der hessischen Provinz und in Frankfurt am Main sowie die bundesrepublikanische Gesellschaft detailliert geschildert werden, ohne dabei auf eine Handlung im eigentlichen Sinn fixiert zu sein. Die Techniken, die Kurzeck einsetzte, erinnern bisweilen an Autoren wie James Joyce, Arno Schmidt oder Uwe Johnson. Im Zentrum seiner schriftstellerischen Ambition stand die Erinnerungsarbeit bzw. das Konservieren der gelebten Zeit. Kurzeck war Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland.

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Samstag, 24. November 2018

305. Geburtstag von Laurence Sterne

Laurence Sterne (24 November 1713 – 18 March 1768) was an Irish-born English language novelist and an Anglican clergyman. He wrote the novels The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman and A Sentimental Journey Through France and Italy, and also published many sermons, wrote memoirs, and was involved in local politics. Sterne died in London after years of fighting tuberculosis.

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Donnerstag, 22. November 2018

Mittwoch, 21. November 2018

250. Geburtstag von Friedrich Schleiermacher

Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (* 21. November 1768 in Breslau, Schlesien; † 12. Februar 1834 in Berlin) war ein deutscher evangelischer Theologe, Altphilologe, Philosoph, Publizist, Staatstheoretiker, Kirchenpolitiker und Pädagoge. In mehreren dieser Wirkfelder wird er zu den wichtigsten Autoren seiner Zeit, in einigen auch zu den Klassikern der Disziplin überhaupt gerechnet, ähnliches gilt etwa für die Soziologie. Er übersetzte die Werke Platons ins Deutsche und gilt als Begründer der modernen Hermeneutik.

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Dienstag, 20. November 2018

Debussy & Co.




Music Without a Destination

Matthew Aucoin,

Debussy: A Painter in Sound
by Stephen Walsh
Knopf, 323 pp., $28.95

 

A pure pleasure to indulge in this thoughtful review by the musician and composer Matthew Aucoin on a book by Stephen Walsh, who has been acknowledged as best informed and learned author on Igor Stravinsky, and now on the French composter Debussy.

For once not the necessity to focus on the Orang Wotan and his followers, not on war & crime as daily business, but on the somehow remote field of music and composers. A mirror of cultures and societies and, of course, of personalities with all their faults and gifts.

Here some paragraphs from the review:

Walsh also makes the astute decision to focus on Debussy’s music, rather than on his social life, precisely to the degree that Debussy himself neglected personal obligations in favor of the inner world of his work. Walsh announces in his introduction that he has set out “to treat Debussy’s music as the crucial expression of his intellectual life”; he has an understandable horror of his book amounting to “a slightly annoying series of incidents.” In this, he sounds for a moment like his subject: to a near-pathological degree, Debussy regarded most of life’s responsibilities as mere annoyances, which could surely be wriggled out of with the right blend of slyness, reticence, and charm.

These lacunae are not mistakes; rather, they perfectly match Debussy’s own blind spots, his tendency to act as though other people didn’t exist unless he wanted something from them. Walsh notes that Debussy often seemed to act on “the instinctive feeling…that emotional ties are a nuisance unless kept firmly in the drawer marked ‘when I need them.’” Whenever he was caught behaving badly and had to suffer the consequences, he evidently reacted with annoyance at the inconvenience of other people’s emotions. Caught having an affair, Debussy, in a letter to Pierre Louÿs, impatiently referred to his wife’s anguished reaction as “bad literature”: “All this is barbarous, pointless, and changes absolutely nothing.”

It’s curious that Walsh, who is clear-eyed about Debussy’s personal flaws, seems to have a blind spot about his artistic integrity. Walsh, despite citing evidence to the contrary, paints him as an uncompromising perfectionist, a freethinking, anti-institutional rebel: “Everything depended on his own sensibility,” Walsh writes, “and he could not—would not—fall back on traditional best practice to help him over awkward joins or moments of failing inspiration.”

One of this book’s guilty pleasures is the inclusion of Debussy’s unfailingly accurate, often brutal summations of other composers’ music. Schubert’s songs, in his eyes, are “bits of faded ribbon, flowers forever dried, and photographs of the departed”; Richard Strauss has “the frank and decisive appeal of those great explorers who walk among savage tribes with a smile on their lips.” When Debussy noticed real talent, though, he seems to have put aside all feelings of petty competition.
The biographer focuses mainly on the work and less on the biography or aspects of the personality. This is remarkable, especially in our times. On the other hand: one must not overlook the personal limitations, the flaws, the asocial, egotistical aspects of this almost closed, personality who was using (and thereby abusing) his counterparts, the people in his environment in a very mean way. One should keep in mind Debussy's opportunistic compliances and his often narrow-minded, bigoted views on the work of others. All these aspects denounce him as person. And yet, and yet.

Besides the great achievements in music we receive an image of Debussy which corresponds to the modern man of today: nervous, egotistical, abhorring emotional involvement, giving in to drives and deep anchored impulses but not having the energy for ordered, responsibel fulfillment of his choosen tasks. His journay is open, there is no goal, everything is temporary, and the journey is the reward, because there is no destination. Today he probably would be a cyber junkie, cold, nonattached but pouring out his translated emotions in controlled productions...
 

Debussy by Stephen Walsh review – a fine biography of a painter in sound

The French composer was once dismissed as a Romantic or ‘impressionist’ who prioritised mood and feeling. This life digs deep into his innovations 
 
 
See also:



The great, informative book on Debussy by Stephen Walsh is in our library Gleichgewicht as well as the two volumes of Walsh's biography of Igor Stravinsky and his Book "Musorgsky and his Circle".