Aus dem Reich der Vernunft
Unter den Huldigern zu Shaws 70. Geburtstag – so alt und noch so kindisch – gab es allerlei erwachsene Gestalten, die mit dem Geburtstagskind Guckguck machten. Ja wenn man so viel Zeit hätte wie diese glücklichen Leut', könnte man sie gründlicher betrachten. Im ›Prager Tagblatt‹ war zu lesen:
– Dies, Bernard Shaw, sind die Gründe, weshalb ich Sie verehre und liebe und weshalb ich, ein
logokratischer Aktivist, Sie mit Barbusse, Brandes, Coudenhove,
Alfred Kerr, Karl Kraus, Romain Rolland, Bertrand Russell,
Trotzki und Unamuno in das europäische Direktorium der Vernunft wählen
würde, wenn es diese Einrichtung gäbe.
Kurt Hiller
Leider gibt's diese vernünftige Einrichtung noch nicht und in
der vorgeschlagenen Zusammensetzung wäre sie auch unzulänglich. Zwar,
den Kerr als Sitznachbarn ließe ich mir gefallen, weil ich ihn da
leichter in Verlegenheit bringen könnte als ein Zuhörer in der Sorbonne.
Aber wenn nicht der Hermann Bahr hineingewählt wird, trete ich aus!Kurt Hiller
Den Befähigungsnachweis hat er in seinem Glückwunsch an Shaw erbracht, worin er sehr prägnant den Wesensunterschied zwischen dessen Humor und seinem eigenen bezeichnet:
Shaw sucht in Helden, Staatsmännern und Regenten überall den kleinen Menschen, ich suche das große Kind in ihnen; sein Cäsar
menschelt, mein Bonaparte
kindelt.
Wie leicht aber diese Methode der Herabsetzung
heroischer Grade auf den eigenen Bedarf (oder das eigene Bedürfnis) zum
blödeln führt, zeigt wieder der Kerr, der seiner Berufung in das
Direktorium der Vernunft gerade mit seinem Geburtstagsgruß an Shaw wie
folgt opponiert:
X
Manches noch schrieb ich. Aber ich will's jetzo
fast in Kinderworte kleiden:
weil diese Sprache von Rechts wegen zu uns Kleinjährigen paßt. Du Mann mit dem länglichen Körper, mit dem länglich-weißbärtigen Gesicht, rötliche Farben darin und ein wasserblaues Augenpaar!
Wenn Du jetzt, im fast erreichten Viertel des Lebens, nur ein Jüngling bist, bin ich erst ein Knabe.
Du ein Süngling, is ein Tnabe.
Genug! ...
Aber da kann man doch nicht genug kriegen, so herzig ist das!
(Keine sechzig Jahr ist der ganze Fratz.) Und dann kommt noch kleines
Zipferl, das hinten am Ende herausschaut:
XI
Thanks.
Also, wenn wir Buben zwischen fünfzig und siebzig schon unter
uns sind: is (nämlich ich) in diesem Defte tleinen Tnaben Terr 25 Teiten
auf Toserl dedeben. Genug! Thanks sagen, daß es nicht mehr sind!
Während also Kerr es versteht, noch den Verkleinerer zu reduzieren, indem er den Menschler kindeln läßt, wahrt der gereifte Bertolt Brecht, den die Neue Freie Presse als »Wortführer der jungen deutschen Dichtergeneration« vorstellt, eine gewisse Distanz, indem er Shaw um der Erkenntniswillen lobt
daß wirklich wichtigen Erscheinungen gegenüber
nur eine lässige (schnoddrige) Haltung die richtige ist, da sie allein
eine wirkliche Aufmerksamkeit und völlige Konzentration ermöglicht ...
Diese lässige Haltung kommt bei der jungen deutschen
Dichtergeneration auch insoferne grammatikalisch zum Ausdruck, als sie
selbst Shaws Vermenschlichungen dahin ergänzt habe
daß es kein Heldentum und keine Helden
gäbe.
Solche Übertreibung lehnt Brecht ab, der als besonnener
Expressionist zu erkennen scheint, welchen Unfug ein Spitzgreis wie
dieser Shaw in der Literatur gestiftet hat.Es gibt noch Helden. Zum Beispiel gleich Trebitsch, der zu diesem passenden Anlaß im Neuen Wiener Journal als einer jener Großen vorgeführt wird, die der Menschheit ihr Bestes gegeben haben und selbst in den Schatten getreten sind.
Wie ein Symbol, daß das Bild dieses Berühmten seinen Schatten über den Schreibtisch des Dichters Trebitsch wirft
steht die Rodin-Büste Shaws in seinem
Arbeitszimmer. Sein Werk, bekennt er nicht ohne Bitterkeit vor dem
Interviewer, sei nicht für die breite Lesermasse bestimmt. Mehr für die
Wenigen. Er sagt schlicht:
Trotzdem scheint mir, daß ich nachdenklichen Menschen manches zu sagen hätte.
Er klagt, daß man ihm sogar »das Plus der eigenen Lebensarbeit,
die Shaw-Übersetzungen, sozusagen als ein Minus angerechnet hat«, nicht
ohne die mancherlei Fehler zuzugeben, die ihm »hämisch genug und lang
genug vorgeworfen wurden«. Wobei er sogar auf die Unzuständigkeit meines
Urteils von damals sich berufen könnte, da ich, des Englischen
unkundig, doch bloß zu beurteilen vermochte, ob Trebitsch deutsch kann.
Die Fehler seien aber auf die Eile zurückzuführen, da wir »knapp vor dem
Ablaufen der Schutzfristen standen«. Shaw habe ihn menschlich
bereichert, ohne ihn »im mindesten aus der ihm schon in früher Jugend
klar vorgezeichneten Linie seines dichterischen Produzierens zu
drängen«. So stark war Shaw denn doch nicht. Die Beschäftigung mit ihm
war »eher jenes Moment des innerlichen Ausruhens und Flüchtens zum
entgegengesetzten Pol, dessen wahrscheinlich jeder Künstler in gewissen
Augenblicken bedarf.« Überdies standen wir knapp vor dem Ablaufen der
Schutzfristen. Die Shaw-Übersetzungen möchte der Künstler in seinem
Lebenswerk nicht missen, aber sein eigenes Schaffen steht ihm doch
näher. »Schwer und dunkel, ein Schatten, der beschützt und bedroht,
sieht die Büste Shaws auf den Schreibtisch seines Übersetzers herab ...«
schließt der Interviewer (nachdem er auch noch die Bosheit gehabt hat,
an Trebitschs Bauernfeld-Preis zu erinnern). Macht nichts, denkt
Trebitsch, so werden wir im Schatten dichten, und daß er ein Dichter
ist, noch wenn er zum entgegengesetzten Pol flüchtet, hat er wohl mit
einem Schlag durch das Folgende bewiesen:
An Bernard Shaw
Zum siebzigsten Geburtstag
Ein ragenderer Gedankenstrich ist mir in der deutschen
Literatur nicht vorgekommen; er müßte eigentlich vertikal gesetzt sein.
Shaw hat also die Dinge dieser Welt nicht umgestürzt, sondern auf ihren
Platz gestellt, so daß sie wie seine Büste über dem Schreibtisch seines
Übersetzers – ragen.Zum siebzigsten Geburtstag
Du lehrtest mich das Lachen
Als Weinen in mir war.
Wie hell war mein Erwachen
In jenem heil'gen Jahr,
Da ich zuerst vor andern
Den Genius früh erkannt,
Zu dem wir heute wandern
Die Besten, Hand in Hand.
Ich weiß nicht, soll ich danken
Der Stunde, die uns band,
Soll ich nur in Gedanken
Bewahren, was ich fand?
Noch größer als den Dichter,
Hab' ich den Freund geseh'n,
Der selbst sein strengster Richter,
Oft im Vorübergeh'n
Auf ihren Platz gestellt
Die Dinge dieser Welt,
Die auch von ihren Großen
Verkannt und umgestoßen
Im Staub der Wege lagen.
Jetzt zeugen sie – und ragen.
Als Weinen in mir war.
Wie hell war mein Erwachen
In jenem heil'gen Jahr,
Da ich zuerst vor andern
Den Genius früh erkannt,
Zu dem wir heute wandern
Die Besten, Hand in Hand.
Ich weiß nicht, soll ich danken
Der Stunde, die uns band,
Soll ich nur in Gedanken
Bewahren, was ich fand?
Noch größer als den Dichter,
Hab' ich den Freund geseh'n,
Der selbst sein strengster Richter,
Oft im Vorübergeh'n
Auf ihren Platz gestellt
Die Dinge dieser Welt,
Die auch von ihren Großen
Verkannt und umgestoßen
Im Staub der Wege lagen.
Jetzt zeugen sie – und ragen.
Unter den vielen Gratulanten fand sich unberufen auch Herr Stresemann ein und die Arbeiter-Zeitung würdigt diesen Schritt mit den Worten:
... die Vorstellung allerdings, daß etwa auch der Außenminister der österreichischen Republik
der größten geistigen Erscheinung der Gegenwart einen
Tribut der Verehrung zollt, vermag freilich in Ansehung seiner
Persönlichkeit – es ist nämlich der Herr Ramek – nur Heiterkeit zu
erwecken.
Aber wie aus dem gleich folgenden Dankbrief des Jubilars
hervorgeht, war es eine Ehrung, die auch »einem englischen Außenminister
nie einfallen würde«, aus welchem Grunde Herr Shaw der deutschen Kultur
die possierlichste Anerkennung spendet. Man weiß, daß er zu deren
Besitzstand jenen Trebitsch zählt, während ihm die englische, eben weil
sie Shakespeare hervorgebracht hat, so ganz und gar nicht zu imponieren
vermag. Er fühlt sich stolz als Angehörigen »einer überstaatlichen
Republik der Kunst und der Gedanken«, zu der aber noch der letzte
lederne Lord etwas mehr Beziehung haben dürfte als Herr Stresemann, der
ein regierender Student von keiner andern Couleur ist als Herr Ramek und
dessen Glückwunsch nur eine Wichtigtuerei war, die der Unsrige mit
Recht unterlassen hat. Daß nun Herr Shaw die größte geistige Erscheinung
der Gegenwart vorstellt – während Herr Richard Strauß bekanntermaßen
die von Wien ist –, könnte eigentlich nur eine Betrachtung erschließen,
die gleich der meinigen an diese Gegenwart nicht die größten geistigen
Ansprüche stellt. Aber ich halte ihn bloß für eine Station im dichten
Bahnnetz mitteleuropäischer Verirrungen, wenngleich für einen
Hauptknotenpunkt des Verkehrs. Für die hohle Gasse, durch die alles
liberalisierende und journalisierende Gelichter dieser Tage kommen muß.
Für die Einkehr aller Zweifelsucht und für die tiefste Stelle im
Geistesleben, in die sich der Flachsinn versenken kann. Daß die
Substanz, der diese Negierung alles überzeitlichen Wertes entspringt,
Geist sein soll, bejaht den zeitlichen ganz und gar. Aber vielleicht
kommt es nur daher, daß es aus dem Irischen kommt und ins Deutsche geht,
wo die ausgehungerte Phantasie leicht geneigt ist, jeden Bocksfüßer für
den Pan zu halten. Doch im Erfolg dieses Aufrieglers soll das Bedürfnis
der Epoche, von der er gemacht wurde, nicht verkannt werden. Mit seinem
Gemeinverstand dementiert er das Ungemeine und mit seinem weißen Haar
bürgt er für eine Generation, die den Mangel an Persönlichkeit durch den
Mangel an Ehrfurcht wettmacht. Er steht in der Reihe der Antizensoren,
die es, von Zeit zu Zeit, dem Nichts erlauben, sich alles zu erlauben,
und die, der Zeit verfallend, jeweils von einer Freiheit höherer Würde
abgeschafft werden.(Aus: Karl Kraus: Vor der Walpurgisnacht. Aufsätze 1925-1936)
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