Haimo L. Handl
Die Intelligenzmaschinen
Am Freitag begann die Schachweltmeisterschaft in London. Der
norwegische 28jährige „Serienweltmeister“ wird herausgefordert von dem um zwei
Jahre jüngeren Amerikaner Fabiano Caruana. Die Weltmeisterschaft verspricht
äußerst spannend zu werden.
In der Schachwelt tat sich in den letzten Jahren viel. Auch
Seitens Künstlicher Intelligenz. Das von Deep Mind entwickelte Schachprogramm
AlphaZero gewann überlegen und in kürzester Zeit gegen das bis anhin beste Schachprogramm
Stockfish. Die Berichte dazu sind hoch interessant und gehen weit über die
Schachwelt hinaus. Das selbstlernende System von AlphaZero überrascht mit
seiner Dynamik und Stärke.
Künstliche Intelligenz wird nicht nur für Roboter
verschiedenster Art verwendet, sondern unterstützt auch militärische Strategen
bzw. Überwachungseinrichtungen. Facebook hat eine Patentierung für seine
emotion recognition technology (ECT) beantragt und verspricht praktisch totale
Kontrolle und Deutung.
Dass dies nicht nur eine Angelegenheit für die
kapitalistische Wirtschaft ist, beweist der Einsatz ähnlicher Software der
Gesichtserkennung und humaner Emotionen durch die chinesische bzw. die
israelische Regierung in der Verfolgung von Palästinensern. Zensur gibt es ja
nicht nur in China oder in der Türkei, sondern auch in Israel und den USA (die
Fälle sind dokumentiert, wo facebook accounts löschte, weil der Inhaber auf
einer Sanktions-Liste der Amerikaner stand. Das reichte für die Kooperation.) Wenn
Palästinenser sich über solche Maßnahmen der Israelis und Amerikaner beklagen,
werden die Argumente nicht ernst genommen bzw. einfach zurückgewiesen. Facebook
und Google sind aber nicht apolitisch, sondern eingebettet in die politische
Strategie der Amerikaner und ihres Verbündeten Israel. Ähnliches gilt
hinsichtlich der „Kooperation“ mit China, das seine Bevölkerung einer strikten
Überwachung aussetzt und die Zensurmaßnahmen verschärft.
Durch die massenweise Teilnahme von Milliarden von „Usern“
stehen Facebook und Google enorme Datenmassen zur Verfügung, die, wenn sie
durch neue Erkenntnisse der Gesichtserkennung der emotion recognition
technology ergänzt werden, schier undurchdringliche, von außerhalb
unkontrollierbare Datenfelder generieren, die nicht nur hinsichtlich des Konsums
genutzt werden können, sondern auch für soziale, politische Manipulationen. Die
bisherigen Berichte bezüglich Datenmissbrauch und Wählermanipulationen in den
USA, der enorme Datenklau durch die NSA und in Großbritannien durch den
englischen Inlands- und Auslands-Geheimdienst (MI5, Security Service, MI6, Secret
Intelligence Service) , die nur durch Zufall und dem couragierten Verhalten des
Whistleblowers Edward Snowden bekannt geworden sind, belegen die systematische
Aushorchung, Datensammlung und Spionage durch Großbritannien und die USA. Dass
deren befreundete Verbündete davon profitieren, ist gesichert.
China entwickelt sich als Diktatur immer extremer zu einem
Überwachungs- und Bestrafungsstaat, wie man ihn aus frühen Berichten und deren
literarischen Verarbeitung nach dem 2. Weltkrieg kannte. Ein asiatischer
Faschismus macht sich breit und tief, technisch hochentwickelt, wie es dem
Massenmörder Mao Zedon und seinen Schergen nicht möglich war. Damals standen
dem inhumanen, chinesischen Denken nur konventionelle Methoden der Jagd und
Verfolgung, Folter und Tötung zur Verfügung. Heute, als starke Wirtschafts- und
militärische Macht, gelingt die totale Kontrolle als Vorstufe für den Totalen
Krieg (der muss nicht unbedingt nach außen gerichtet sein; zuerst trifft es die
Untertanen!).
In einem kürzlichen Artikel im TAGESANZEIGER (Zürich,
2.11.2018) schrieb Martin Ebel über den langjährigen China-Korrespondenten Kai
Strittmatter und sein neues Buch „Die Neuerfindung der Diktatur: Wie China den
digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit herausfordert“. Zwei Absätze aus diesem Artikel:
Ein anderes Kontrollmittel sind
Überwachungskameras. Hikvision, der grösste Hersteller weltweit, gehört
mehrheitlich dem Staat. Kombiniert mit der neuen Technik der Gesichtserkennung,
erlauben die Kameras die perfekte Kontrolle über die Bevölkerung. Die
Polizeicomputer speichern, was das Zeug hält, von Gesichtern über Stimmen
bis hin zur DNA, und teilen die Bevölkerung in Gefährdungsklassen ein, von
«vorbildlich» über «verdächtig» bis zu «kriminell». Ziel ist ein
nationales, lückenloses System, das ganz poetisch
«Himmelsnetz» heisst.
«Amt für Ehrlichkeit»
Die Stadt Rongcheng ist Schauplatz eines
Pilotprojekts, das einmal auf ganz China ausgedehnt werden soll: Ein «Amt für
Ehrlichkeit» sammelt alle Informationen über die Einwohner und verteilt
Punkte an sie. Schon eine rote Ampel zu ignorieren, gibt Abzüge.
«Schlechte» Bürger werden mit Schautafeln an den Pranger gestellt.
Eltern erkundigen sich über das Konto potenzieller Schwiegersöhne. Flug- und
Eisenbahntickets werden danach zugeteilt oder verweigert.
Was in Österreich in der langen Herrschaft der Habsburger
sich zu einem duckmäuserischen Verhalten im vorauseilenden Gehorsam entwickelt
hat, ist jetzt in China wieder aktuell – und technisch höherentwickelt und
wirksamer, als alle Untaten der Kulturrevolution (die immer noch so hießt,
obwohl sie eine Unkulturrevolution war). Die neuen Regeln werden verinnerlicht:
„Am Ende übernehmen die Kontrollierten selbst ihre Kontrolle.“ Das klingt doch
bekannt: im Westen, ohne jeden staatlichen Druck, ohne Sanktionsandrohung,
geben Millionen und Abermillionen von sklavenhaften Menschen FREIWILLIG ihre
Daten her, erlauben jeden Missbrauch und brüsten sich dumm damit, dass sie ja nichts
zu verbergen hätten. Sie sind willige, dumme und höchst gefährliche Wegbereiter
einer neuen Barbarei, die in China schon erfolgreich praktiziert wird.
Zur Erinnerung und für den Vergleich: Im Wohlfahrtsstaat
Schweden gilt weitestgehende Transparenz. Es gibt kein Steuergeheimnis, keinen
Schutz für Privatdaten. Steuerakte samt Adresse und persönlichen Daten sind
jedem Interessierten online zugänglich. Fehlverhalten der Eltern in der
Erziehung wird über ein besonderes Denunziationsnetz erfasst, ebenso soziale
Abweichungen. Der Staat übt eine intensive Kontrolle aus – und die braven
Schweden machen mit.
Im Wettlauf der Knechtung und totalen Überwachung arbeiten
westliche Länder und östliche wie Hand in Hand. Es gibt nur graduelle
Unterschiede. Die Observationswerkzeuge werden laufend verfeinert, der
Datendiebstahl staatlich organisiert. Wer kritisiert, wird zum devianten Fall.
Bald werden solche Fälle wie in Israel oder China oder islamistischen
Mörderstaaten „bereinigt“ werden mit
Hilfe der Kollaboration der Schwachen und Dummen, der Mitläufer.
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