Sonntag, 11. November 2018

Die Intelligenzmaschinen


Haimo L. Handl

Die Intelligenzmaschinen

Am Freitag begann die Schachweltmeisterschaft in London. Der norwegische 28jährige „Serienweltmeister“ wird herausgefordert von dem um zwei Jahre jüngeren Amerikaner Fabiano Caruana. Die Weltmeisterschaft verspricht äußerst spannend zu werden.
In der Schachwelt tat sich in den letzten Jahren viel. Auch Seitens Künstlicher Intelligenz. Das von Deep Mind entwickelte Schachprogramm AlphaZero gewann überlegen und in kürzester Zeit gegen das bis anhin beste Schachprogramm Stockfish. Die Berichte dazu sind hoch interessant und gehen weit über die Schachwelt hinaus. Das selbstlernende System von AlphaZero überrascht mit seiner Dynamik und Stärke.

Künstliche Intelligenz wird nicht nur für Roboter verschiedenster Art verwendet, sondern unterstützt auch militärische Strategen bzw. Überwachungseinrichtungen. Facebook hat eine Patentierung für seine emotion recognition technology (ECT) beantragt und verspricht praktisch totale Kontrolle und Deutung.

Dass dies nicht nur eine Angelegenheit für die kapitalistische Wirtschaft ist, beweist der Einsatz ähnlicher Software der Gesichtserkennung und humaner Emotionen durch die chinesische bzw. die israelische Regierung in der Verfolgung von Palästinensern. Zensur gibt es ja nicht nur in China oder in der Türkei, sondern auch in Israel und den USA (die Fälle sind dokumentiert, wo facebook accounts löschte, weil der Inhaber auf einer Sanktions-Liste der Amerikaner stand. Das reichte für die Kooperation.) Wenn Palästinenser sich über solche Maßnahmen der Israelis und Amerikaner beklagen, werden die Argumente nicht ernst genommen bzw. einfach zurückgewiesen. Facebook und Google sind aber nicht apolitisch, sondern eingebettet in die politische Strategie der Amerikaner und ihres Verbündeten Israel. Ähnliches gilt hinsichtlich der „Kooperation“ mit China, das seine Bevölkerung einer strikten Überwachung aussetzt und die Zensurmaßnahmen verschärft.

Durch die massenweise Teilnahme von Milliarden von „Usern“ stehen Facebook und Google enorme Datenmassen zur Verfügung, die, wenn sie durch neue Erkenntnisse der Gesichtserkennung der emotion recognition technology ergänzt werden, schier undurchdringliche, von außerhalb unkontrollierbare Datenfelder generieren, die nicht nur hinsichtlich des Konsums genutzt werden können, sondern auch für soziale, politische Manipulationen. Die bisherigen Berichte bezüglich Datenmissbrauch und Wählermanipulationen in den USA, der enorme Datenklau durch die NSA und in Großbritannien durch den englischen Inlands- und Auslands-Geheimdienst (MI5, Security Service, MI6, Secret Intelligence Service) , die nur durch Zufall und dem couragierten Verhalten des Whistleblowers Edward Snowden bekannt geworden sind, belegen die systematische Aushorchung, Datensammlung und Spionage durch Großbritannien und die USA. Dass deren befreundete Verbündete davon profitieren, ist gesichert.

China entwickelt sich als Diktatur immer extremer zu einem Überwachungs- und Bestrafungsstaat, wie man ihn aus frühen Berichten und deren literarischen Verarbeitung nach dem 2. Weltkrieg kannte. Ein asiatischer Faschismus macht sich breit und tief, technisch hochentwickelt, wie es dem Massenmörder Mao Zedon und seinen Schergen nicht möglich war. Damals standen dem inhumanen, chinesischen Denken nur konventionelle Methoden der Jagd und Verfolgung, Folter und Tötung zur Verfügung. Heute, als starke Wirtschafts- und militärische Macht, gelingt die totale Kontrolle als Vorstufe für den Totalen Krieg (der muss nicht unbedingt nach außen gerichtet sein; zuerst trifft es die Untertanen!).

In einem kürzlichen Artikel im TAGESANZEIGER (Zürich, 2.11.2018) schrieb Martin Ebel über den langjährigen China-Korrespondenten Kai Strittmatter und sein neues Buch „Die Neuerfindung der Diktatur: Wie China den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit herausfordert“.  Zwei Absätze aus diesem Artikel:

Ein anderes Kontrollmittel sind Überwachungskameras. Hikvision, der grösste Hersteller weltweit, gehört mehrheitlich dem Staat. Kombiniert mit der neuen Technik der Gesichtserkennung, erlauben die Kameras die perfekte Kontrolle über die Bevölkerung. Die Polizeicomputer speichern, was das Zeug hält, von Gesichtern über Stimmen bis hin zur DNA, und teilen die Bevölkerung in Gefährdungsklassen ein, von «vorbildlich» über «verdächtig» bis zu «kriminell». Ziel ist ein nationales, ­lückenloses System, das ganz poetisch «Himmelsnetz» heisst.  

«Amt für Ehrlichkeit» 

Die Stadt Rongcheng ist Schauplatz eines Pilotprojekts, das einmal auf ganz China ausgedehnt werden soll: Ein «Amt für Ehrlichkeit» sammelt alle Informationen über die Einwohner und verteilt Punkte an sie. Schon eine rote Ampel zu ignorieren, gibt Abzüge. «Schlechte» Bürger werden mit Schautafeln an den Pranger gestellt. Eltern erkundigen sich über das Konto potenzieller Schwiegersöhne. Flug- und Eisenbahntickets werden danach zugeteilt oder verweigert. 

Was in Österreich in der langen Herrschaft der Habsburger sich zu einem duckmäuserischen Verhalten im vorauseilenden Gehorsam entwickelt hat, ist jetzt in China wieder aktuell – und technisch höherentwickelt und wirksamer, als alle Untaten der Kulturrevolution (die immer noch so hießt, obwohl sie eine Unkulturrevolution war). Die neuen Regeln werden verinnerlicht: „Am Ende übernehmen die Kontrollierten selbst ihre Kontrolle.“ Das klingt doch bekannt: im Westen, ohne jeden staatlichen Druck, ohne Sanktionsandrohung, geben Millionen und Abermillionen von sklavenhaften Menschen FREIWILLIG ihre Daten her, erlauben jeden Missbrauch und brüsten sich dumm damit, dass sie ja nichts zu verbergen hätten. Sie sind willige, dumme und höchst gefährliche Wegbereiter einer neuen Barbarei, die in China schon erfolgreich praktiziert wird.

Zur Erinnerung und für den Vergleich: Im Wohlfahrtsstaat Schweden gilt weitestgehende Transparenz. Es gibt kein Steuergeheimnis, keinen Schutz für Privatdaten. Steuerakte samt Adresse und persönlichen Daten sind jedem Interessierten online zugänglich. Fehlverhalten der Eltern in der Erziehung wird über ein besonderes Denunziationsnetz erfasst, ebenso soziale Abweichungen. Der Staat übt eine intensive Kontrolle aus – und die braven Schweden machen mit.

Im Wettlauf der Knechtung und totalen Überwachung arbeiten westliche Länder und östliche wie Hand in Hand. Es gibt nur graduelle Unterschiede. Die Observationswerkzeuge werden laufend verfeinert, der Datendiebstahl staatlich organisiert. Wer kritisiert, wird zum devianten Fall. Bald werden solche Fälle wie in Israel oder China oder islamistischen Mörderstaaten  „bereinigt“ werden mit Hilfe der Kollaboration der Schwachen und Dummen, der Mitläufer.


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