Samstag, 25. Februar 2012

Die Trotzki-Affäre der Historiker


Streit um Trotzki
Suhrkamp hält an der Publikation der Übersetzung von Robert Service' Biografie des Revolutionärs fest
Ulrich M. Schmid, Neue Zürcher Zeitung, 21. Februar 2012

Vor zwei Jahren ist eine Trotzki-Biografie des Oxforder Historikers Robert Service erschienen, die nicht nur Zustimmung erntet. Gegen eine bei Suhrkamp angekündigte deutsche Übersetzung hat sich Protest formiert. Der Verlag hält an der Veröffentlichung fest – zu Recht.

Ein hochinteressanter Beitrag, sogar mit Hinweis und Link auf die World Socialist Web Site, wo die Kontroverse nachgelesen werden kann.

Während die WSWS Pro- und Contra-Stimmen veröffentlicht, haben sich schon 2011 in Deutschland 14 bekannte Historiker und Soziologen gegen die geplante Publikation im Suhrkamp Verlag gewandt (darunter Helmut Dahmer, Hermann Weber, Bernhard Bayerlein, Heiko Haumann, Mario Kessler, Oskar Negt, Oliver Rathkolb und Peter Steinbach); sie plädieren für die Verhinderung der Veröffentlichung, also für eine Vorauszensur der detuschen Übersetzung. DAS ist ihr Beitrag für eine offene Gesellschaft nach nebulosen Kriterien politischer Korrektheit.

Als Argumente dienen ihnen fachliche Mängel (in der Tat einige kleine Fehler, die bei einer Übersetzung leicht zu beheben sind, die jedoch dem Buch und seiner Aussage keinen Abbruch tun) sowie, wieder einmal, das Keulenargument des "unterschwelligen Antisemitismus".

Ein Skandal, dass und wie Wissenschaftler, die sonst nicht müde werden für offene Auseinandersetzung zu plädieren, hier für Zensur und Publikationsverbot eintreten!
Wenn diese Form politischer Korrektheit mit dem fragnotwendigen Bemühen pädagogischer Führungsarbeit für bzw. über die "dummen Leser" sich weiter so entwickelt, müssen neue Zensurinstanzen, wie sie früher die Kirche bildeten oder, im Osten, die Zensurstellen der Diktaturen, errichtet werden – alles im Namen von Recht und Freiheit und Würde – und politischer Korrektheit.

Weshalb herrscht so eine Angst vor kontroversiellen Argumenten oder Formulierungen, die vielleicht nicht ganz dem eigenen Stil und Wortschatz entsprechen. Weshalb die Angst vor "abweichenden" Ansichten?

Die präventive Reinigung der politisch Korrekten verhindert Auseinandersetzung. Zugunsten eines kontrollierten "guten Friedens" nach politisch korrekter Facon?

Diesen Aposten gehört aufs Brett vor dem Kopf geklopft, damit sie sich besinnen und sie ihre hochpriesterliche Stellvertreterposition überdenken, und vor allem ihren Ruf nach Zensur!


 






















Nachträge & weitere Hinweise:




Verhinderungsmaßnahmen
Zur Trotzki-Debatte,
Charles Cohen, 9.3.2012

Boycott-Tradition - Weitere Anmerkung zur Trotzki-Affäre
Schwedinger, 10.3.2012

Nochmals zur Trotzki-Affäre & Robert Service
Schwedinger, 19.7.2012


Leo Trotzkis 72. Todestag
Leopold, 21.8.2012


„No more heroes“
Über Robert Service’ Trotzki-Biografie
Jürgen Weber,  literaturkritik.de » Nr. 1, Januar 2013

5 Kommentare:

  1. Ja, auch und besonder die "Linken" haben ihre heiligen Kühe und jagen Herätiker, Zweifler oder Nestbeschmutzer. Eine Glaubensgemeinschaft.
    Reinhold Schicker

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  2. Der Verfassser dieses Blogs sollte sich erst einmal mit den Dokumenten vertraut machen, bevor er von "Vorzensur" oder "Zensur" schreibt. Die 14 Wissenschaftler haben Suhrkamp, einen renommierten Wissenschaftsverlag, nahegelegt, auf die Veröffentlichung zu verzichten. An einen Wissenschaftsverlag werden gewisse Anforderungen gestellt, z.B. dass sich Leser, Lehrer an Schulen und Hochschulen und auch deren Schüler auf die Zuverlässigkeit von Quellenangaben, auf faktische Korrektheit und verlegerische Integrität verlassen können. Dies ist bei Robert Service laut Urteil von Bertrand Patenaude, Professor am Hoover Institute der Stanford University (USA), also gewiss linker Dogmatik unverdächtig, explizit nicht der Fall. Dutzende von Quellenangaben führen ins Leere, Quellen, die nur auf Russisch vorliegen und in schwer zugänglichen Archiven liegen, belegen nicht das, was Service behauptet, manchmal sogar das Gegenteil. Wenn der Blog-Autor von "einigen kleinen Fehlern" spricht, dann legt das nur seine eigene Geringschätzung von elementaren wissenschaftlichen Standards an den Tag, die Patenaude von Service nicht erfüllt sieht. Patenaude hat sein ausführliches Gutachten im Auftrag des angesehenen Historiker-Journals American Historical Review geschrieben, weil sich Autoren von Harvard University Press Sorgen um den Ruf des Verlages und damit auch um ihren Ruf gemacht hatten. Patenaude ist zu einem für Service und Harvard University Press vernichtenden Urteil gekommen. Alles nachzulesen in der Dokumentation dazu unter www.trotzki.de . Dass es sich nicht um "kleine, leicht zu behebende Fehler handelt, beweist schon die Tatsache, dass Suhrkamp seit Monaten eine special task force von Lektoren an dem Problem arbeiten läßt, das Buch irgendwie veröffentlichungsfähig zu machen. Auch bei Suhrkamp machen sich Autoren Sorgen, wenn dort plötzlich Bücher veröffentlicht werden, die man sonst beim Verlag der Jungen Freiheit oder anderen einschlägigen Verlagen einordnet. Die Junge Freiheit begrüßt das Buch von Service wie zu erwarten, niemand, auch die 14 Unterzeichner des Briefes an Suhrkamp, würden sich dagegen wenden, wenn das "zusammengeschusterte Machwerk", wie Bertrand Patenaude und Hermann Weber die Trotzki-Biographie von Service bezeichnen, in einem solchen Verlag erscheinen würde.
    Meine Empfehlung: die Fakten und Dokumente studieren, und nicht nur rechte Ideologen in der NZZ oder FAZ, dann erst urteilen!
    Wolfgang Weber

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  3. Prinzipiell ist es begrüßenswert, dass auch in Österreich Verlage an der Diskussion über die geplante Veröffentlichung der Trotzki-Biographie von Robert Service im bisher renommierten Suhrkamp-Verlag teilnehmen.
    Einige Fragen aber vorab: Hat der Verfasser des obigen Blog-Eintrages das Buch von Robert Service gelesen oder nicht? Wenn nein, stehe ich nicht an, ihm das englische Original zur Lektüre zur Verfügung zu stellen.
    Hat er das oben abgebildete Buch von Bertrand M. Patenaude über Trotzki gelesen? Es liegt mittlerweile auch auf Deutsch vor.
    Beide Fragen sind nicht rhetorisch, sondern hängen inhaltlich miteinander zusammen. Robert Service erfreut sich in englischen und amerikanischen journalistischen Kreisen großer Beliebtheit, weil er in einer Zeit massiver gesellschaftlicher Umbrüche das "historische Unterfutter" gegen eine Linksentwicklung in der Gesellschaft legen will. Allerdings - und das ist der Punkt - verlässt er dabei den Boden der Wissenschaftlichkeit, sondern macht gravierende Fehler (die ihn, en passant, vermutlich aus jedem Fernsehquiz katapultieren würden. Oder glaubt wirklich jemand, der sich ein bisschen mit Kunst und/oder Politik des 20. Jahrhunderts beschäftigt hat, dass André Breton ein surrealistischer MALER war?). Flagranter Blödsinn fällt auf, wird aber oft als "lässliche Schlamperei" abgetan ("Lektor hat geschlafen"). Viel schwieriger wird's dort, wo ein Autor durch Verfälschungen, irreführende Belege und "Hörensagen"-Geschichten ein Porträt zeichnet.
    Services Anspruch ist kein kleiner - er will die "Finale" Trotzki-Biographie vorlegen (Isaak Deutscher hat für seine dreibändige Biographie mehr als 2000 Seiten gebraucht und konnte noch nicht auf die damals noch geschlossenen Archive in Harvard zugreifen); Pierre Broué, der mit einem Übersetzerteam 1980/81 in Harvard zu arbeiten begann, verfasste eine Biographie mit gut 1.200 Seiten. Robert Service schaffe schlanke 800 Seiten, im Gegensatz zu seinen Vorgängern aber, ohne Trotzki nach dessen Schriften zu zitieren...
    Und, jawohl, im englischen Original gibt es einen deutlichen antisemitischen Subtext.
    Natürlich kann man sagen: Jeder Verlag hat das Recht, sich lächerlich zu machen und schlechte Bücher herauszubringen. Die Kritik wird post festum ihr Machtwort sprechen.
    Dass die Veröffentlichung gerade bei Suhrkamp auf besondere Ablehnung stößt, erklärt sich daraus, dass der Suhrkamp-Verlag ein Traditionsverlag - ja! -der deutschen intellektuellen Linken war. Und dass es durchaus Zorn auslöst, wenn ein historischer Ruf durch die Veröffentlichung eines derartigen wissenschaftlich fahrlässigen Pamphlets ruiniert wird.
    Zurück zu meinen obigen Fragen: Bertrand M. Patenaude, dessen Buch über Trotzki unter dem Blog-Beitrag abgebildet ist, hat in einem allgemein zugänglichen Beitrag in der "American Historical Review" Services Buch vernichtend kritisiert und seine wissenschaftlichen Schwächen penibel offengelegt. Patenaude mag alles sein, aber sicher kein Linker, kein Trotzkist, was auch immer.
    Zensur,Vorzensur schauen anders aus. Nebenbei: Herr Service hat es bisher immer vermieden, auf akademischen Boden oder auf öffentlichen Veramstaltungen mit seinen Kritikern zu diskutieren.
    Der Suhrkamp-Verlag steckt viel Geld in ein Buch, von dessen Qulaität er also offenbar überzeugt ist. Jene, welche die Kritik an Services Buch (das es ja schon gibt!) als "Zensur" zurückweisen, möchte ich herzlich auffordern: Wenn ihr dieses Buch wirklich wollt, appelliert doch an den Suhrkamp-Verlag, dass es auf der Frankfurter Buchmesse eine öffentliche Konfrontation zwischen Robert Service und zumindest einem seiner Kritiker organisiert.

    Kurt Lhotzky, Buchhändler

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  4. Anstatt eines langen Kommentars hier, siehe meinen Beitrag im Blog:
    "Verhinderungsmaßnahmen".

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  5. Ebenfalls Beitrag als weitere Anmerkung unter dem Titel: Boycott-Tradition - Weitere Anmerkung zur Trotzki-Affäre
    Gustav Schwedinger

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