Samstag, 11. Februar 2012

Karoline von Günderodes 232. Geburtstag

Karoline Friederike Louise Maximiliane von Günderrode (11. Februar 1780 in Karlsruhe - 26. Juli 1806 in Winkel (Rheingau)) war eine deutsche Dichterin der Romantik.

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Des Wanderers Niederfahrt

Wandrer

Dies ist, hat mich der Meister nicht betrogen,
Des Westes Meer, in dem der Nachtwind braust.
Dies ist der Untergang, von Gold umzogen,
Und dies die Grotte, wo mein Führer haust. -

Bist du es nicht, den Tag und Nacht geboren,
Des Scheitel freundlich Abendröte küßt?
In dem sein Leben Helios verloren
Und dessen Gürtel schon die Nacht umfließt.

Herold der Nacht! bist du's, der zu ihr führet,
Der Sohn, den sie dem Sonnengott gebieret?

Führer
Ja, du bist an dessen Grotte,
Der dem starken Sonnengotte
In die Zügel fiel.
Der die Rosse westwärts lenket,
Daß sich hin der Wagen senket,
An des Tages Ziel.

Und es sendet mir noch Blicke,
Liebevoll der Gott zurücke,
Scheidend küßt er mich;
Und ich seh' es, weine Tränen,
Und ein süßes, stilles Sehnen
Färbet bleicher mich;

Bleicher, bis mich hat umschlungen,
Sie, aus der ich halb entsprungen,
Die verhüllte Nacht.
In ihre Tiefen führt mich ein Verlangen,
Mein Auge schauet noch der Sonne Pracht,
Doch tief im Tale hat sie mich umfangen,
Den Dämmerschein verschlingt schon Mitternacht.

Wandrer
O führe mich! du kennest wohl die Pfade
Ins alte Reich der dunklen Mitternacht;
Hinab will ich ans finstere Gestade,
Wo nie der Morgen, nie der Mittag lacht.
Entsagen will ich jenem Tagesschimmer,
Der ungern uns der Erde sich vermählt,
Geblendet hat mich trügrisch nur der Flimmer,
Der Ird'sches nie zur Heimat sich erwählt.
Vergebens wollt' den Flüchtigen ich fassen,
Er kann doch nie vom steten Wandel lassen.
Drum führe mich zum Kreis der stillen Mächte,
In deren tiefem Schoß das Chaos schlief,
Eh, aus dem Dunkel ew'ger Mitternächte,
Der Lichtgeist es herauf zum Leben rief.
Dort, wo der Erde Schoß noch unbezwungen
In dunkle Schleier züchtig sich verhüllt,
Wo er, vom frechen Lichte nicht durchdrungen,
Noch nicht erzeugt dies schwankende Gebild,
Der Dinge Ordnung, dies Geschlecht der Erde!
Dem Schmerz und Irrsal ewig bleibt Gefährte.

Führer
Willst du die Götter befragen,
Die des Erdballs Stützen tragen,
Lieben der Erde Geschlecht.
Die in seliger Eintracht wohnen,
Ungeblendet von irdischen Sonnen,
Ewig streng und gerecht;
So komm, eh ich mein Leben ganz verhauchet,
Eh mich die Nacht in ihre Schatten tauchet.

Wandrer
Horch! es heulen laut die Winde
Und es engt sich das Gewinde
Meines Wegs durch Klüfte hin.
Die verschloßnen Ströme brausen
Und ich seh mit kaltem Grausen,
Daß ich ohne Führer bin.
Ich sah ihn blässer, immer blässer werden,
Und es begrub die Nacht mir den Gefährten.

In Wasserfluten hör ich Feuer zischen,
Seh, wie sich brausend Elemente mischen,
Wie, was die Ordnung trennet, sich vereint.
Ich seh, wie Ost und West sich hier umfangen,
Der laue Süd spielt um Boreas Wangen,
Das Feindliche umarmet seinen Feind
Und reißt ihn fort in seinen starken Armen:
Das Kalte muß in Feuersglut erwarmen.

Tiefer führen noch die Pfade
Mich hinab zu dem Gestade,
Wo die Ruhe wohnt,
Wo des Lebens Farben bleichen,
Wo die Elemente schweigen
Und der Friede thront.

Erdgeister
Wer hieß herab dich in die Tiefe steigen
Und unterbrechen unser ewig Schweigen?

Wandrer
    Der rege Trieb: die Wahrheit zu ergründen!

Erdgeister
    So wolltest in der Nacht das Licht du finden?

Wandrer
Nicht jenes Licht, das auf der Erde gastet
Und trügerisch dem Forscher nur entflieht,
Nein, jenes Ursein, das hier unten rastet
Und rein nur in der Lebensquelle glüht.
Die unvermischten Schätze wollt' ich heben,
Die nicht der Schein der Oberwelt berührt,
Die Urkraft, die, der Perle gleich, vom Leben
Des Daseins Meer in seinen Tiefen führt,
Das Leben in dem Schoß des Lebens schauen,
Wie es sich kindlich an die Mutter schlingt,
In ihrer Werkstatt die Natur erschauen,
Sehn, wie die Schöpfung ihr am Busen liegt.

Erdgeister
So wiß! es ruht die ew'ge Lebensfülle
Gebunden hier noch in des Schlafes Hülle
Und lebt und regt sich kaum;
Sie hat nicht Lippen, um sich auszusprechen,
Noch kann sie nicht des Schweigens Siegel brechen,
Ihr Dasein ist noch Traum;
Und wir, wir sorgen, daß noch Schlaf sie decke,
Daß sie nicht wache, eh die Zeit sie wecke.

Wandrer
O ihr! die in der Erde waltet,
Der Dinge Tiefe habt gestaltet,
Enthüllt, enthüllt euch mir!

Erdgeister
Opfer nicht und Zauberworte
Dringen durch der Erde Pforte,
Erhörung ist nicht hier.
Das Ungeborne ruhet hier verhüllet
Geheimnisvoll, bis seine Zeit erfüllet.

Wandrer
So nehmt mich auf, geheimnisvolle Mächte,
O wieget mich in tiefen Schlummer ein.
Verhüllet mich in eure Mitternächte,
Ich trete freudig aus des Lebens Reihn.
Laßt wieder mich zum Mutterschoße sinken,
Vergessenheit und neues Dasein trinken.

Erdgeister
Umsonst! an dir ist unsre Macht verloren,
Zu spät! du bist dem Tage schon geboren;
Geschieden aus dem Lebenselement.
Dem Werden können wir, und nicht dem Sein gebieten
Und du bist schon vom Mutterschoß geschieden,
Durch dein Bewußtsein schon vom Traum getrennt.
Doch schau hinab, in deiner Seele Gründen,
Was du hier suchest, wirst du dorten finden,
Des Weltalls seh'nder Spiegel bist du nur.
Auch dort sind Mitternächte, die einst tagen,
Auch dort sind Kräfte, die vom Schlaf erwachen,
Auch dort ist eine Werkstatt der Natur.



Die eine Klage

Wer die tiefste aller Wunden
Hat in Geist und Sinn empfunden
Bittrer Trennung Schmerz;
Wer geliebt was er verlohren,
Lassen muß was er erkohren,
Das geliebte Herz,

Der versteht in Lust die Thränen
Und der Liebe ewig Sehnen
Eins in Zwei zu sein,
Eins im Andern sich zu finden,
Daß der Zweiheit Gränzen schwinden
Und des Daseins Pein.

Wer so ganz in Herz und Sinnen
Konnt' ein Wesen liebgewinnen
O! den tröstet's nicht
Daß für Freuden, die verlohren,
Neue werden neu gebohren:
Jene sind's doch nicht.

Das geliebte, süße Leben,
Dieses Nehmen und dies Geben,
Wort und Sinn und Blick,
Dieses Suchen und dies Finden,
Dieses Denken und Empfinden
Giebt kein Gott zurück.







Wolfgang Rihm - Hochroth
Barbara Zintl, Sopran - Peter Martin, Klavier. Dies ist das erste Lied des Zyklus "Das Rot" von Wolfgang Rihm aus dem Jahr 1990 nach Texten von Karoline von Günderrode. Aufgeführt im Rahmen eines Liederabends im Südhessischen Kultursommer 2010




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