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Lou Andreas-Salomé - Internetseite
H. Walther: Die Lou-Episode: Friedrich Nietzsche, Paul Rée und Lou Salomé
MedienEdition Welsch zu LAS
Lou Andreas-Salomé:Fenitschka. Eine Ausschweifung (1898)
Hinweise zum Text hier
Auszug des Beginns:
Es war im September, der ſtillſten Zeit des Pariſer Lebens. Die
vornehme Welt ſteckte in den Seebädern, die Fremden wurden ſcharenweiſe von der
drückenden Hitze vertrieben. Trotzdem drängte ſich an den ſchwülen Abenden auf
den Boulevards eine ſo vielköpfige Menge, daß ſie der Hochſaiſon jeder andern
Stadt immer noch genügt hätte.
Max Werner flanierte nach Mitternacht über
den Boulevard St. Michel, als er in eine kleine Geſellſchaft ihm bekannter Familien
hineingeriet. Sie hatten mit durchreiſenden Freunden ein Theater beſucht, und
wollten nun dieſen Herren und Damen ein wenig „Paris bei Nacht“ zeigen, —
nämlich erſt in einem charakteriſtiſchen Nachtcafé des Quartier latin
einkehren, und dann, im Morgengrauen, um die Stunde, wo die Stadt ſchläft, den
intereſſanten Trubel bei den Hallen betrachten, wenn der verödete Platz ſich
mit den Marktleuten belebt, die ihre Waren vom Lande einfahren und ſie
ausbreiten.
Nach einigem Zögern und Schwanken von
ſeiten der Damen entſchied man ſich für das Café Darcourt, das um dieſe Stunde
ſchon überfüllt war mit den Griſetten und Studenten des Quartiers, und beſetzte
ein paar der kleinen Marmortiſche draußen, die auf dem Trottoir, mitten unter
den Paſſanten, an den weitgeöffneten, hellerleuchteten Fenſtern entlang
ſtanden.
Max Werner kam neben eine junge Ruſſin zu
ſitzen, die er zum erſtenmal ſah, — ihren langklingenden Namen überhörte er bei
der Vorſtellung, doch wurde ſie von den anderen einfach als „Fenia“ oder
„Fenitſchka“ angeredet. In ihrem ſchwarzen nonnenhaften Kleidchen, das faſt
drollig unpariſeriſch ihre mittelgroße ganz unauffällige Geſtalt umſchloß, und
eine beliebte Tracht vieler Züricher Studentinnen ſein ſollte, machte ſie
zunächſt auf ihn keinerlei beſonderen Eindruck. Er muſterte ſie nur näher, weil
ihn im Grunde alle Frauen ein wenig intereſſierten, wenn nicht den Mann, dann
mindeſtens den Menſchen in ihm, der ſeit einem Jahre doktoriert hatte, und nun
ein brennendes Verlangen beſaß, in der Welt der Wirklichkeit praktiſch
Pſychologie zu lernen, ehe er von einem Katheder herab welche las: was ihm
einſtweilen noch keine begehrenswerte Zukunft ſchien.
An Fenia fielen ihm nur die intelligenten
braunen Augen auf, die jeden Gegenſtand eigentümlich ſeelen-offen und klar —
und jeden Menſchen wie einen Gegenſtand
— anſchauten, ſowie der ſlaviſche Schnitt des Geſichtes mit der kurzen Naſe: einer von Max Werners Lieblingsnaſen, die da vernünftigen Platz zum Kuſſe laſſen, — was eine Naſe doch gewiß thun ſoll.
— anſchauten, ſowie der ſlaviſche Schnitt des Geſichtes mit der kurzen Naſe: einer von Max Werners Lieblingsnaſen, die da vernünftigen Platz zum Kuſſe laſſen, — was eine Naſe doch gewiß thun ſoll.
Aber dieſes gradezu blaß gearbeitete, von
Geiſtesanſtrengungen zeugende Geſicht forderte ſo gar nicht zum Küſſen auf.
Anfangs ſprachen ſie kaum miteinander, denn
im Innern des Lokals, neben demſelben Fenſter, an deſſen Außenſeite ſie ſaßen,
ſpielte ſich eine erregte Scene ab, die aller Aufmerkſamkeit auf ſich zog. Dort
befanden ſich zwei Pärchen am Tiſch, die ihre Unterhaltung mit Scherzreden und
Neckereien begannen, und damit endeten, ſich fürchterlich zu zanken.
Das eine der beiden Mädchen — wenig ſchön
und am Verblühen, aber trotzdem ein unverwüſtlich graziöſes Pariſer Köpfchen —
wurde ſchließlich vom Gegenpaar mit einer Flut häßlicher Schmähreden
überſchüttet, ohne daß ihr eigner Begleiter ihr auch nur im mindeſten
beigeſtanden hätte. Vielmehr ſtimmte er bei jedem erneuten Angriff johlend in
das brutale Gelächter der beiden andern ein, das ſich bald auch auf die
benachbarten Tiſche fortpflanzte, wo neben den erhitzten halbbezechten Männern
die geputzten Genoſſinnen des mißhandelten Geſchöpfs mit lärmender Schadenfreude
ihre Konkurrentin niederjubelten.
Durch die ſchwere, dumpfe, vom Tabaksrauch
und vom Dunſt der Menſchen, Gasflammen und Getränke erfüllte Luft des Lokals
ſchallten die rohen Stimmen
laut bis zu dem Tiſch draußen hinüber, an dem es ganz ſtill geworden war. Auf den Geſichtern der Damen prägten ſich deutlich Mitleid, Ekel, Entrüſtung und eine gewiſſe Verlegenheit darüber aus, einer ſolchen Situation beizuwohnen; eine von ihnen knüpfte furchtſam ihren Schleier feſter. Niemand aber war ſo benommen von
dem, was er ſah, wie Fenia.
laut bis zu dem Tiſch draußen hinüber, an dem es ganz ſtill geworden war. Auf den Geſichtern der Damen prägten ſich deutlich Mitleid, Ekel, Entrüſtung und eine gewiſſe Verlegenheit darüber aus, einer ſolchen Situation beizuwohnen; eine von ihnen knüpfte furchtſam ihren Schleier feſter. Niemand aber war ſo benommen von
dem, was er ſah, wie Fenia.
Sie hatte von allem Anfang an mit
ſachlichem Intereſſe um ſich geblickt, jede Einzelheit, die ihr auffiel, mit
großer Unbefangenheit beobachtet. Jetzt aber
wurde ſie ganz ſichtlich von einer ſo intenſiven Anteilnahme erfüllt, daß ſie zuletzt, — offenbar ganz unwillkürlich, wie außer ſtande länger paſſiv zu verharren, — ſich langſam erhob und die eine Hand gegen die Lärmenden ausſtreckte, als müſſe ſie eingreifen oder Halt gebieten. Im ſelben Augenblick ward ſie ſich ihrer ſpontanen Bewegung bewußt, hielt ſich zurück, und errötete ſtark, wodurch ſie plötzlich ganz lieb und kindlich, und ein wenig hilflos ausſah.
wurde ſie ganz ſichtlich von einer ſo intenſiven Anteilnahme erfüllt, daß ſie zuletzt, — offenbar ganz unwillkürlich, wie außer ſtande länger paſſiv zu verharren, — ſich langſam erhob und die eine Hand gegen die Lärmenden ausſtreckte, als müſſe ſie eingreifen oder Halt gebieten. Im ſelben Augenblick ward ſie ſich ihrer ſpontanen Bewegung bewußt, hielt ſich zurück, und errötete ſtark, wodurch ſie plötzlich ganz lieb und kindlich, und ein wenig hilflos ausſah.
Während ſie aber ſo daſtand, traf ihr Blick
den der Griſette, die in ihrer Ratloſigkeit und Verlaſſenheit angefangen hatte
zu weinen, ſo daß große Thränen ihr über die heißen geſchminkten Wangen
rollten, und ihre Lippen ſich konvulſiviſch verzogen. Unter dem langen, eigentümlichen
Blick, den ſie mit Fenia austauſchte, ver¬
änderte ſich der Ausdruck des weinenden Geſichts; von Fenias Augen ſchien eine Hilfe, eine Liebkoſung, eine Aufrichtung auszugehn, etwas, was die Einſamkeit dieſes
getretenen Geſchöpfes aufhob. Man konnte vom Tiſch aus deutlich den Stimmungswechſel auf ihren Zügen verfolgen, denn ſie ſaß faſt grade gegenüber am Fenſter. Ein Danken, Staunen, Nachſinnen, — ein momentanes Taubwerden für ihre lärmende Umgebung und deren Schmähreden ließ ihre Thränen verſiegen, und ſie achtete kaum noch darauf, daß das Paar neben ihr ſich erhob, um fortzugehn, und auch ihr Begleiter ſeinen ſchäbigen Cylinder vom Wandhaken abhob.
änderte ſich der Ausdruck des weinenden Geſichts; von Fenias Augen ſchien eine Hilfe, eine Liebkoſung, eine Aufrichtung auszugehn, etwas, was die Einſamkeit dieſes
getretenen Geſchöpfes aufhob. Man konnte vom Tiſch aus deutlich den Stimmungswechſel auf ihren Zügen verfolgen, denn ſie ſaß faſt grade gegenüber am Fenſter. Ein Danken, Staunen, Nachſinnen, — ein momentanes Taubwerden für ihre lärmende Umgebung und deren Schmähreden ließ ihre Thränen verſiegen, und ſie achtete kaum noch darauf, daß das Paar neben ihr ſich erhob, um fortzugehn, und auch ihr Begleiter ſeinen ſchäbigen Cylinder vom Wandhaken abhob.
Da ſtieß er ſie brutal mit dem Ellenbogen
an und forderte ſie auf, ſich zu beeilen. Sie ſchüttelte den Kopf und erwiderte
einige Worte im Pariſer Argot, die man draußen nicht deutlich vernehmen konnte,
die aber eine äußerſt deutliche Gebärde der Geringſchätzung und Ablehnung
begleitete. Er machte eine verdutzte Miene und rief dadurch neues Gelächter
hervor. Diesmal jedoch galt es ihm, dem Geprellten, der mit wütendem Geſicht
das Lokal verließ.
Das Mädchen nahm ihr fadenſcheiniges
Seidenmäntelchen von der Stuhllehne, hing es um, und ſchaute dabei mit einem
ſtolzen und leuchtenden Blick zu Fenia hinüber, die unbeweglich ſtehn geblieben
war, — eine ganz wunderlich ernſte, ergriffene Geſtalt inmitten der verſchleierten
Damen und der buntgekleideten, lachenden Dämchen um uns her.
Gleich darauf ſah man ihren Schützling aus
der Thür treten und am Tiſch vorüberkommen. Aber da geſchah etwas allen ganz
Unerwartetes: denn neben Fenia blieb das Mädel ſtehn, öffnete die Lippen, wie
um ſie anzuſprechen, und plötzlich, mit einer impulſiven Bewegung, deren
Natürlichkeit eine mit ſich fortreißende Anmut beſaß, ſtreckte ſie Fenia beide
Hände entgegen.
Dieſe ergriff die dargebotenen Hände und
ſchüttelte ſie mit herzhaftem Druck. Einige Augenblicke lang ſtanden ſie da und
lächelten einander an wie Schweſtern, während alle verblüfft, intereſſiert,
amüſiert um die beiden herum ſaßen. Dann entfernte ſich das Mädchen mit einer
Kopfneigung gegen die andern und verſchwand im vorüberhaſtenden Menſchenſtrom.
Man lachte über das kleine Drama, man
ſcherzte über Fenias „Erfolg“ und neckte ſie nicht wenig. Sie ſelbſt war ſehr
einſilbig geworden.
Eine der Damen mißverſtand ihren
ernſthaften Geſichtsausdruck und bemerkte: „Ja, chérie,
eine ziemlich unerbetene und unbequeme Freundſchaft! Sie könnte Ihnen eines
ſchönen Tages recht peinlich werden, wenn dies Weſen Sie irgendwo auf der
Straße wiederfindet und Sie auf das intimſte begrüßt, — zur Ueberraſchung
derer, die vielleicht mit Ihnen gehen.“
„Das brauchen Sie nicht zu fürchten,“
widerſprach Max Werner raſch, „ich wette darauf, daß dieſes Mädchen ohne
merkbaren Gruß an Ihnen vorübergehen wird, falls es Ihnen je begegnet. Anderswo
würden Sie vielleicht von ihrer Dankbarkeit verfolgt werden, — die Franzöſin
würde es für eine ſchlechte Dankbarkeit halten, Sie eventuell dadurch zu
kompromittieren. Das iſt der franzöſiſche Takt, — der Takt einer alten Kultur,
die allmählich bis in alle Schichten eines Volkes durchdringt und ihm ſeine
faſt inſtinktive Intelligenz giebt.“ „Ich würde ſie aber gern wiederſehen!“
ſagte Fenia
leiſe.
leiſe.
„Um was zu thun?“
„Ich weiß es nicht. Aber was mich vorhin ſo
entſetzte, das war das Gefühl, als ob dieſe Mädchen gleichmäßig ſowohl von den
Männern wie von den Genoſſinnen preiſgegeben würden, — als ob ſie gradezu wie in
Feindesland lebten. — Ich habe noch nie ſo viel höhniſche Verachtung geſehen,
wie in den Mienen der Männer, — ſo viel höhniſche Schadenfreude wie in den
Blicken der andern Mädchen. — Und das iſt hier im Lokal, wo ſie ſozuſagen bei
ſich iſt, unter den Ihrigen. — Außer¬ halb nun erſt! — O ich denke mir, ein
ſolches armes Ding muß nach einer freundlichen, einfach menſchlichen Berührung
lechzen.“
„Das iſt richtig. Manchmal ſind ſie ſehr
dankbar dafür. Ich hab es mitunter auch ſchon beſtätigt gefunden.“
„Sie?“ Fenia heftete voll Intereſſe ihre
hellbraunen Augen auf ihn. Sie war ganz und gar bei der Sache.
„Warum nicht ich?“
„Weil ich mir vorſtelle, daß ſolche Mädchen
einem jeden Mann mit Mißtrauen begegnen, — müſſen ſie nicht annehmen, er wolle
von ihnen etwas ganz andres als ihr Vertrauen?“
„Donnerwetter!“ dachte er und ſah ſich
Fenia genauer an. Dieſer Grad von Unbefangenheit, womit ſie über ſo heikle
Dinge mit einem ihr ganz fremden Manne ſprach, hier, in Paris, in der Nacht, in
dieſem Café, — und dabei ein Ausdruck in ihren Mienen, als unterhielten ſie
ſich über fremdländiſche Käfer.
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