Edition von „Mein Kampf“
Was lest ihr eigentlich in der Schule?
„Mein Kampf“ wird am 1. Januar gemeinfrei – und erscheint
sofort in einer Edition mit 3500 Fußnoten. Im Kommentar des Instituts
für
Zeitgeschichte soll die Bildungsnation über ihren Zerstörer siegen.
Patrick Bahners, FAZ 30.12.2015
Ausschnitte aus dem o. a. Artikel:
Das Buch als Teuefelswaffe, der Text als Gift, als Droge, daher: Nur der sorgsame, präzise Kommentar erlaubt dem Unmündigen, also dem allgemeinen Publikum, vor allen den Jungen, die Lektüre.Einem Kollegen sei unbehaglich bei der Vorstellung gewesen, Hitler wie Hölderlin zu edieren. Immerhin treibt man die Auratisierung der Textgestalt nicht so weit wie die Heidelberger Schule um Roland Reuß: Der textkritische Apparat berücksichtigt Änderungen der Zeichensetzung in späteren Auflagen nur dann, wenn sie ersichtlich Bedeutung haben.
Unkommentierte Nachdrucke will der Staat weiterhin verbieten: Die Justizminister haben beschlossen, dass die Staatsanwaltschaften Verfahren wegen Volksverhetzung einleiten sollen.
Im künftigen doppelgleisigen Umgang der deutschen Behörden mit „Mein Kampf“ bricht eine tiefsitzende Überzeugung der deutschen Bildungsreligion durch, der Glaube an die Macht der Philologie. Der Text wird weiter als Gift behandelt. Dem Kommentar traut man die Kraft eines sofort wirksamen Gegenzaubers zu.
"Der Glaube an die Macht der Philologie." ist höchst bedeneknswert. Er zeichnet nicht nur skurille Editionsarbeiten pingeligster Art aus wie im "Fall Hölderlin", sondern bestimmt auch die Aburteilung von Heidegger, falls dafür nicht eh schon seine politischen Äußerungen, sein Antisemitismus, wie man ihn vor allem in den "Schwarzen Heften" liest, ausreicht.
Auch der 1962 geborene Philosophieprofessor Heiner F. Klemme steht unter diesem Bann, wie man dem Abdruck seiner Antrittsvorlesung vom 1.7.2015 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die im jüngsten MERKUR (Heft 800) abgedruckt ist, entnehmen kann. Er wirft Heidegger sein "Programm zur Unmündigkeit" vor, geht aber in seiner Bewertung, den "Geist" widerspiegelnd, wie oben angeführt, selbst überbewertend von Heidegger und der Kraft seines Denkens und seiner Worte aus. Ob Hitler oder Heidegger oder Hölderlin: im deutschen Geist west ein höheres Wesen, vielleicht Gott oder sein Widerpart, weshalb es nicht überraschte, wenn wir in Kürze auch Heidegger nur noch in ausführlichst kommentierten Ausgaben lesen dürfen, bei sonstiger Strafandrohung der Wiederbetätigung oder Volksverhetzung.