336.
Geiz der Natur. — Warum ist die Natur so kärglich gegen den Menschen gewesen, dass sie ihn nicht leuchten liess, Diesen mehr, Jenen weniger, je nach seiner innern Lichtfülle? Warum haben grosse Menschen nicht eine so schöne Sichtbarkeit in ihrem Aufgange und Niedergange, wie die Sonne? Wie viel unzweideutiger wäre alles Leben unter Menschen!
Montag, 31. Juli 2017
Sonntag, 30. Juli 2017
10. Todestag von Ingmar Bergman
Ingmar Bergman (Wikipedia) (* 14. Juli 1918 in Uppsala, Schweden; † 30. Juli 2007 auf Fårö, Schweden)
Såsom i en spegel, 1961 (Wie in einem Spiegel)
Persona, 1966
Vargtimmen, 1958 (Stunde des Wolfs)
Såsom i en spegel, 1961 (Wie in einem Spiegel)
Persona, 1966
Vargtimmen, 1958 (Stunde des Wolfs)
Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, 4. Buch 335
335.
Hoch die Physik! — Wie viel Menschen verstehen denn zu beobachten! Und unter den wenigen, die es verstehen, — wie viele beobachten sich selber! „Jeder ist sich selber der Fernste“ — das wissen alle Nierenprüfer, zu ihrem Unbehagen; und der Spruch „erkenne dich selbst!“ ist, im Munde eines Gottes und zu Menschen geredet, beinahe eine Bosheit. Dass es aber so verzweifelt mit der Selbstbeobachtung steht, dafür zeugt Nichts mehr, als die Art, wie über das Wesen einer moralischen Handlung fast von Jedermann gesprochen wird, diese schnelle, bereitwillige, überzeugte, redselige Art, mit ihrem Blick, ihrem Lächeln, ihrem gefälligen Eifer! Man scheint dir sagen zu wollen: „Aber, mein Lieber, das gerade ist meine Sache! Du wendest dich mit deiner Frage an Den, der antworten darf: ich bin zufällig in Nichts so weise, wie hierin. Also: wenn der Mensch urtheilt „so ist es recht“, wenn er darauf schliesst „darum muss es geschehen!“ und nun thut, was er dergestalt als recht erkannt und als nothwendig bezeichnet hat, — so ist das Wesen seiner Handlung moralisch!“ Aber, mein Freund, du sprichst mir da von drei Handlungen statt von einer: auch dein Urtheilen zum Beispiel „so ist es recht“ ist eine Handlung, — könnte nicht schon auf eine moralische und auf eine unmoralische Weise geurtheilt werden? Warum hältst du diess und gerade diess für recht? — „Weil mein Gewissen es mir sagt; das Gewissen redet nie unmoralisch, es bestimmt ja erst, was moralisch sein soll!“ — Aber warum hörst du auf die Sprache deines Gewissens? Und inwiefern hast du ein Recht, ein solches Urtheil als wahr und untrüglich anzusehen? Für diesen Glauben — giebt es da kein Gewissen mehr? Weisst du Nichts von einem intellectuellen Gewissen? Einem Gewissen hinter deinem „Gewissen“? Dein Urtheil „so ist es recht“ hat eine Vorgeschichte in deinen Trieben, Neigungen, Abneigungen, Erfahrungen und Nicht-Erfahrungen; „wie ist es da entstanden?“ musst du fragen, und hinterher noch: „was treibt mich eigentlich, ihm Gehör zu schenken?“ Du kannst seinem Befehle Gehör schenken, wie ein braver Soldat, der den Befehl seines Offiziers vernimmt. Oder wie ein Weib, das Den liebt, der befiehlt. Oder wie ein Schmeichler und Feigling, der sich vor dem Befehlenden fürchtet. Oder wie ein Dummkopf, welcher folgt, weil er Nichts dagegen zu sagen hat. Kurz, auf hundert Arten kannst du deinem Gewissen Gehör geben. Dass du aber diess und jenes Urtheil als Sprache des Gewissens hörst, also, dass du Etwas als recht empfindest, kann seine Ursache darin haben, dass du nie über dich nachgedacht hast und blindlings annahmst, was dir als recht von Kindheit an bezeichnet worden ist: oder darin, dass dir Brod und Ehren bisher mit dem zu Theil wurde, was du deine Pflicht nennst, — es gilt dir als „recht“, weil es dir deine „Existenz-Bedingung“ scheint (dass du aber ein Recht auf Existenz habest, dünkt dich unwiderleglich!). Die Festigkeit deines moralischen Urtheils könnte immer noch ein Beweis gerade von persönlicher Erbärmlichkeit, von Unpersönlichkeit sein, deine „moralische Kraft“ könnte ihre Quelle in deinem Eigensinn haben — oder in deiner Unfähigkeit, neue Ideale zu schauen! Und, kurz gesagt: wenn du feiner gedacht, besser beobachtet und mehr gelernt hättest, würdest du diese deine „Pflicht“ und diess dein „Gewissen“ unter allen Umständen nicht mehr Pflicht und Gewissen benennen: die Einsicht darüber, wie überhaupt jemals moralische Urtheile entstanden sind, würde dir diese pathetischen Worte verleiden, — so wie dir schon andere pathetische Worte, zum Beispiel „Sünde“, „Seelenheil“, „Erlösung“ verleidet sind. — Und nun rede mir nicht vom kategorischen Imperativ, mein Freund! — diess Wort kitzelt mein Ohr, und ich muss lachen, trotz deiner so ernsthaften Gegenwart: ich gedenke dabei des alten Kant, der, zur Strafe dafür, dass er „das Ding an sich“ — auch eine sehr lächerliche Sache! — sich erschlichen hatte, vom „kategorischen Imperativ“ beschlichen wurde und mit ihm im Herzen sich wieder zu „Gott“, „Seele“, „Freiheit“ und „Unsterblichkeit“ zurückverirrte, einem Fuchse gleich, der sich in seinen Käfig zurückverirrt: — und seine Kraft und Klugheit war es gewesen, welche diesen Käfig erbrochen hatte! — Wie? Du bewunderst den kategorischen Imperativ in dir? Diese „Festigkeit“ deines sogenannten moralischen Urtheils? Diese „Unbedingtheit“ des Gefühls „so wie ich, müssen hierin Alle urtheilen“? Bewundere vielmehr deine Selbstsucht darin! Und die Blindheit, Kleinlichkeit und Anspruchslosigkeit deiner Selbstsucht! Selbstsucht nämlich ist es, sein Urtheil als Allgemeingesetz zu empfinden; und eine blinde, kleinliche und anspruchslose Selbstsucht hinwiederum, weil sie verräth, dass du dich selber noch nicht entdeckt, dir selber noch kein eigenes, eigenstes Ideal geschaffen hast: — diess nämlich könnte niemals das eines Anderen sein, geschweige denn Aller, Aller! — — Wer noch urtheilt „so müsste in diesem Falle Jeder handeln“, ist noch nicht fünf Schritt weit in der Selbsterkenntniss gegangen: sonst würde er wissen, dass es weder gleiche Handlungen giebt, noch geben kann, — dass jede Handlung, die gethan worden ist, auf eine ganz einzige und unwiederbringliche Art gethan wurde, und dass es ebenso mit jeder zukünftigen Handlung stehen wird, — dass alle Vorschriften des Handelns sich nur auf die gröbliche Aussenseite beziehen (und selbst die innerlichsten und feinsten Vorschriften aller bisherigen Moralen), — dass mit ihnen wohl ein Schein der Gleichheit, aber eben nur ein Schein erreicht werden kann, — dass jede Handlung, beim Hinblick oder Rückblick auf sie, eine undurchdringliche Sache ist und bleibt, — dass unsere Meinungen von „gut“, „edel“, „gross“ durch unsere Handlungen nie bewiesen werden können, weil jede Handlung unerkennbar ist, — dass sicherlich unsere Meinungen, Werthschätzungen und Gütertafeln zu den mächtigsten Hebeln im Räderwerk unserer Handlungen gehören, dass aber für jeden einzelnen Fall das Gesetz ihrer Mechanik unnachweisbar ist. Beschränken wir uns also auf die Reinigung unserer Meinungen und Werthschätzungen und auf die Schöpfung neuer eigener Gütertafeln: — über den „moralischen Werth unserer Handlungen“ aber wollen wir nicht mehr grübeln! Ja, meine Freunde! In Hinsicht auf das ganze moralische Geschwätz der Einen über die Andern ist der Ekel an der Zeit! Moralisch zu Gericht sitzen soll uns wider den Geschmack gehen! Ueberlassen wir diess Geschwätz und diesen üblen Geschmack Denen, welche nicht mehr zu thun haben, als die Vergangenheit um ein kleines Stück weiter durch die Zeit zu schleppen und welche selber niemals Gegenwart sind, — den Vielen also, den Allermeisten! Wir aber wollen Die werden, die wir sind, — die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selber-Schaffenden! Und dazu müssen wir die besten Lerner und Entdecker alles Gesetzlichen und Nothwendigen in der Welt werden: wir müssen Physiker sein, um, in jenem Sinne, Schöpfer sein zu können, — während bisher alle Werthschätzungen und Ideale auf Unkenntniss der Physik oder im Widerspruch mit ihr aufgebaut waren. Und darum: Hoch die Physik! Und höher noch das, was uns zu ihr zwingt, — unsre Redlichkeit!
Hoch die Physik! — Wie viel Menschen verstehen denn zu beobachten! Und unter den wenigen, die es verstehen, — wie viele beobachten sich selber! „Jeder ist sich selber der Fernste“ — das wissen alle Nierenprüfer, zu ihrem Unbehagen; und der Spruch „erkenne dich selbst!“ ist, im Munde eines Gottes und zu Menschen geredet, beinahe eine Bosheit. Dass es aber so verzweifelt mit der Selbstbeobachtung steht, dafür zeugt Nichts mehr, als die Art, wie über das Wesen einer moralischen Handlung fast von Jedermann gesprochen wird, diese schnelle, bereitwillige, überzeugte, redselige Art, mit ihrem Blick, ihrem Lächeln, ihrem gefälligen Eifer! Man scheint dir sagen zu wollen: „Aber, mein Lieber, das gerade ist meine Sache! Du wendest dich mit deiner Frage an Den, der antworten darf: ich bin zufällig in Nichts so weise, wie hierin. Also: wenn der Mensch urtheilt „so ist es recht“, wenn er darauf schliesst „darum muss es geschehen!“ und nun thut, was er dergestalt als recht erkannt und als nothwendig bezeichnet hat, — so ist das Wesen seiner Handlung moralisch!“ Aber, mein Freund, du sprichst mir da von drei Handlungen statt von einer: auch dein Urtheilen zum Beispiel „so ist es recht“ ist eine Handlung, — könnte nicht schon auf eine moralische und auf eine unmoralische Weise geurtheilt werden? Warum hältst du diess und gerade diess für recht? — „Weil mein Gewissen es mir sagt; das Gewissen redet nie unmoralisch, es bestimmt ja erst, was moralisch sein soll!“ — Aber warum hörst du auf die Sprache deines Gewissens? Und inwiefern hast du ein Recht, ein solches Urtheil als wahr und untrüglich anzusehen? Für diesen Glauben — giebt es da kein Gewissen mehr? Weisst du Nichts von einem intellectuellen Gewissen? Einem Gewissen hinter deinem „Gewissen“? Dein Urtheil „so ist es recht“ hat eine Vorgeschichte in deinen Trieben, Neigungen, Abneigungen, Erfahrungen und Nicht-Erfahrungen; „wie ist es da entstanden?“ musst du fragen, und hinterher noch: „was treibt mich eigentlich, ihm Gehör zu schenken?“ Du kannst seinem Befehle Gehör schenken, wie ein braver Soldat, der den Befehl seines Offiziers vernimmt. Oder wie ein Weib, das Den liebt, der befiehlt. Oder wie ein Schmeichler und Feigling, der sich vor dem Befehlenden fürchtet. Oder wie ein Dummkopf, welcher folgt, weil er Nichts dagegen zu sagen hat. Kurz, auf hundert Arten kannst du deinem Gewissen Gehör geben. Dass du aber diess und jenes Urtheil als Sprache des Gewissens hörst, also, dass du Etwas als recht empfindest, kann seine Ursache darin haben, dass du nie über dich nachgedacht hast und blindlings annahmst, was dir als recht von Kindheit an bezeichnet worden ist: oder darin, dass dir Brod und Ehren bisher mit dem zu Theil wurde, was du deine Pflicht nennst, — es gilt dir als „recht“, weil es dir deine „Existenz-Bedingung“ scheint (dass du aber ein Recht auf Existenz habest, dünkt dich unwiderleglich!). Die Festigkeit deines moralischen Urtheils könnte immer noch ein Beweis gerade von persönlicher Erbärmlichkeit, von Unpersönlichkeit sein, deine „moralische Kraft“ könnte ihre Quelle in deinem Eigensinn haben — oder in deiner Unfähigkeit, neue Ideale zu schauen! Und, kurz gesagt: wenn du feiner gedacht, besser beobachtet und mehr gelernt hättest, würdest du diese deine „Pflicht“ und diess dein „Gewissen“ unter allen Umständen nicht mehr Pflicht und Gewissen benennen: die Einsicht darüber, wie überhaupt jemals moralische Urtheile entstanden sind, würde dir diese pathetischen Worte verleiden, — so wie dir schon andere pathetische Worte, zum Beispiel „Sünde“, „Seelenheil“, „Erlösung“ verleidet sind. — Und nun rede mir nicht vom kategorischen Imperativ, mein Freund! — diess Wort kitzelt mein Ohr, und ich muss lachen, trotz deiner so ernsthaften Gegenwart: ich gedenke dabei des alten Kant, der, zur Strafe dafür, dass er „das Ding an sich“ — auch eine sehr lächerliche Sache! — sich erschlichen hatte, vom „kategorischen Imperativ“ beschlichen wurde und mit ihm im Herzen sich wieder zu „Gott“, „Seele“, „Freiheit“ und „Unsterblichkeit“ zurückverirrte, einem Fuchse gleich, der sich in seinen Käfig zurückverirrt: — und seine Kraft und Klugheit war es gewesen, welche diesen Käfig erbrochen hatte! — Wie? Du bewunderst den kategorischen Imperativ in dir? Diese „Festigkeit“ deines sogenannten moralischen Urtheils? Diese „Unbedingtheit“ des Gefühls „so wie ich, müssen hierin Alle urtheilen“? Bewundere vielmehr deine Selbstsucht darin! Und die Blindheit, Kleinlichkeit und Anspruchslosigkeit deiner Selbstsucht! Selbstsucht nämlich ist es, sein Urtheil als Allgemeingesetz zu empfinden; und eine blinde, kleinliche und anspruchslose Selbstsucht hinwiederum, weil sie verräth, dass du dich selber noch nicht entdeckt, dir selber noch kein eigenes, eigenstes Ideal geschaffen hast: — diess nämlich könnte niemals das eines Anderen sein, geschweige denn Aller, Aller! — — Wer noch urtheilt „so müsste in diesem Falle Jeder handeln“, ist noch nicht fünf Schritt weit in der Selbsterkenntniss gegangen: sonst würde er wissen, dass es weder gleiche Handlungen giebt, noch geben kann, — dass jede Handlung, die gethan worden ist, auf eine ganz einzige und unwiederbringliche Art gethan wurde, und dass es ebenso mit jeder zukünftigen Handlung stehen wird, — dass alle Vorschriften des Handelns sich nur auf die gröbliche Aussenseite beziehen (und selbst die innerlichsten und feinsten Vorschriften aller bisherigen Moralen), — dass mit ihnen wohl ein Schein der Gleichheit, aber eben nur ein Schein erreicht werden kann, — dass jede Handlung, beim Hinblick oder Rückblick auf sie, eine undurchdringliche Sache ist und bleibt, — dass unsere Meinungen von „gut“, „edel“, „gross“ durch unsere Handlungen nie bewiesen werden können, weil jede Handlung unerkennbar ist, — dass sicherlich unsere Meinungen, Werthschätzungen und Gütertafeln zu den mächtigsten Hebeln im Räderwerk unserer Handlungen gehören, dass aber für jeden einzelnen Fall das Gesetz ihrer Mechanik unnachweisbar ist. Beschränken wir uns also auf die Reinigung unserer Meinungen und Werthschätzungen und auf die Schöpfung neuer eigener Gütertafeln: — über den „moralischen Werth unserer Handlungen“ aber wollen wir nicht mehr grübeln! Ja, meine Freunde! In Hinsicht auf das ganze moralische Geschwätz der Einen über die Andern ist der Ekel an der Zeit! Moralisch zu Gericht sitzen soll uns wider den Geschmack gehen! Ueberlassen wir diess Geschwätz und diesen üblen Geschmack Denen, welche nicht mehr zu thun haben, als die Vergangenheit um ein kleines Stück weiter durch die Zeit zu schleppen und welche selber niemals Gegenwart sind, — den Vielen also, den Allermeisten! Wir aber wollen Die werden, die wir sind, — die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selber-Schaffenden! Und dazu müssen wir die besten Lerner und Entdecker alles Gesetzlichen und Nothwendigen in der Welt werden: wir müssen Physiker sein, um, in jenem Sinne, Schöpfer sein zu können, — während bisher alle Werthschätzungen und Ideale auf Unkenntniss der Physik oder im Widerspruch mit ihr aufgebaut waren. Und darum: Hoch die Physik! Und höher noch das, was uns zu ihr zwingt, — unsre Redlichkeit!
Samstag, 29. Juli 2017
Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, 4. Buch 334
334.
Man muss lieben lernen. — So geht es uns in der Musik: erst muss man eine Figur und Weise überhaupt hören lernen, heraushören, unterscheiden, als ein Leben für sich isoliren und abgrenzen; dann braucht es Mühe und guten Willen, sie zu ertragen, trotz ihrer Fremdheit, Geduld gegen ihren Blick und Ausdruck, Mildherzigkeit gegen das Wunderliche an ihr zu üben: — endlich kommt ein Augenblick, wo wir ihrer gewohnt sind, wo wir sie erwarten, wo wir ahnen, dass sie uns fehlen würde, wenn sie fehlte; und nun wirkt sie ihren Zwang und Zauber fort und fort und endet nicht eher, als bis wir ihre demüthigen und entzückten Liebhaber geworden sind, die nichts Besseres von der Welt mehr wollen, als sie und wieder sie. — So geht es uns aber nicht nur mit der Musik: gerade so haben wir alle Dinge, die wir jetzt lieben, lieben gelernt. Wir werden schließlich immer für unseren guten Willen, unsere Geduld, Billigkeit, Sanftmüthigkeit gegen das Fremde belohnt, indem das Fremde langsam seinen Schleier abwirft und sich als neue unsägliche Schönheit darstellt: — es ist sein Dank für unsere Gastfreundschaft. Auch wer sich selber liebt, wird es auf diesem Wege gelernt haben: es giebt keinen anderen Weg. Auch die Liebe muss man lernen.
Man muss lieben lernen. — So geht es uns in der Musik: erst muss man eine Figur und Weise überhaupt hören lernen, heraushören, unterscheiden, als ein Leben für sich isoliren und abgrenzen; dann braucht es Mühe und guten Willen, sie zu ertragen, trotz ihrer Fremdheit, Geduld gegen ihren Blick und Ausdruck, Mildherzigkeit gegen das Wunderliche an ihr zu üben: — endlich kommt ein Augenblick, wo wir ihrer gewohnt sind, wo wir sie erwarten, wo wir ahnen, dass sie uns fehlen würde, wenn sie fehlte; und nun wirkt sie ihren Zwang und Zauber fort und fort und endet nicht eher, als bis wir ihre demüthigen und entzückten Liebhaber geworden sind, die nichts Besseres von der Welt mehr wollen, als sie und wieder sie. — So geht es uns aber nicht nur mit der Musik: gerade so haben wir alle Dinge, die wir jetzt lieben, lieben gelernt. Wir werden schließlich immer für unseren guten Willen, unsere Geduld, Billigkeit, Sanftmüthigkeit gegen das Fremde belohnt, indem das Fremde langsam seinen Schleier abwirft und sich als neue unsägliche Schönheit darstellt: — es ist sein Dank für unsere Gastfreundschaft. Auch wer sich selber liebt, wird es auf diesem Wege gelernt haben: es giebt keinen anderen Weg. Auch die Liebe muss man lernen.
Freitag, 28. Juli 2017
Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, 4. Buch 333
333.
Was heisst erkennen. — Non ridere, non lugere, neque detestari, sed intelligere! sagt Spinoza, so schlicht und erhaben, wie es seine Art ist. Indessen: was ist diess intelligere im letzten Grunde Anderes, als die Form, in der uns eben jene Drei auf Einmal fühlbar werden? Ein Resultat aus den verschiedenen und sich widerstrebenden Trieben des Verlachen-, Beklagen-, Verwünschen-wollens? Bevor ein Erkennen möglich ist, muss jeder dieser Triebe erst seine einseitige Ansicht über das Ding oder Vorkommniss vorgebracht haben; hinterher entstand der Kampf dieser Einseitigkeiten und aus ihm bisweilen eine Mitte, eine Beruhigung, ein Rechtgeben nach allen drei Seiten, eine Art Gerechtigkeit und Vertrag: denn, vermöge der Gerechtigkeit und des Vertrags können alle diese Triebe sich im Dasein behaupten und mit einander Recht behalten. Wir, denen nur die letzten Versöhnungsscenen und Schluss-Abrechnungen dieses langen Processes zum Bewusstsein kommen, meinen demnach, intelligere sei etwas Versöhnliches, Gerechtes, Gutes, etwas wesentlich den Trieben Entgegengesetztes; während es nur ein gewisses Verhalten der Triebe zu einander ist. Die längsten Zeiten hindurch hat man bewusstes Denken als das Denken überhaupt betrachtet: jetzt erst dämmert uns die Wahrheit auf, dass der allergrösste Theil unseres geistigen Wirkens uns unbewusst, ungefühlt verläuft; ich meine aber, diese Triebe, die hier mit einander kämpfen, werden recht wohl verstehen, sich einander dabei fühlbar zu machen und wehe zu thun —: jene gewaltige plötzliche Erschöpfung, von der alle Denker heimgesucht werden, mag da ihren Ursprung haben (es ist die Erschöpfung auf dem Schlachtfelde). Ja, vielleicht giebt es in unserm kämpfenden Innern manches verborgene Heroenthum, aber gewiss nichts Göttliches, Ewig-in-sich-Ruhendes, wie Spinoza meinte. Das bewusste Denken, und namentlich das des Philosophen, ist die unkräftigste und desshalb auch die verhältnissmässig mildeste und ruhigste Art des Denkens: und so kann gerade der Philosoph am leichtesten über die Natur des Erkennens irre geführt werden.
Was heisst erkennen. — Non ridere, non lugere, neque detestari, sed intelligere! sagt Spinoza, so schlicht und erhaben, wie es seine Art ist. Indessen: was ist diess intelligere im letzten Grunde Anderes, als die Form, in der uns eben jene Drei auf Einmal fühlbar werden? Ein Resultat aus den verschiedenen und sich widerstrebenden Trieben des Verlachen-, Beklagen-, Verwünschen-wollens? Bevor ein Erkennen möglich ist, muss jeder dieser Triebe erst seine einseitige Ansicht über das Ding oder Vorkommniss vorgebracht haben; hinterher entstand der Kampf dieser Einseitigkeiten und aus ihm bisweilen eine Mitte, eine Beruhigung, ein Rechtgeben nach allen drei Seiten, eine Art Gerechtigkeit und Vertrag: denn, vermöge der Gerechtigkeit und des Vertrags können alle diese Triebe sich im Dasein behaupten und mit einander Recht behalten. Wir, denen nur die letzten Versöhnungsscenen und Schluss-Abrechnungen dieses langen Processes zum Bewusstsein kommen, meinen demnach, intelligere sei etwas Versöhnliches, Gerechtes, Gutes, etwas wesentlich den Trieben Entgegengesetztes; während es nur ein gewisses Verhalten der Triebe zu einander ist. Die längsten Zeiten hindurch hat man bewusstes Denken als das Denken überhaupt betrachtet: jetzt erst dämmert uns die Wahrheit auf, dass der allergrösste Theil unseres geistigen Wirkens uns unbewusst, ungefühlt verläuft; ich meine aber, diese Triebe, die hier mit einander kämpfen, werden recht wohl verstehen, sich einander dabei fühlbar zu machen und wehe zu thun —: jene gewaltige plötzliche Erschöpfung, von der alle Denker heimgesucht werden, mag da ihren Ursprung haben (es ist die Erschöpfung auf dem Schlachtfelde). Ja, vielleicht giebt es in unserm kämpfenden Innern manches verborgene Heroenthum, aber gewiss nichts Göttliches, Ewig-in-sich-Ruhendes, wie Spinoza meinte. Das bewusste Denken, und namentlich das des Philosophen, ist die unkräftigste und desshalb auch die verhältnissmässig mildeste und ruhigste Art des Denkens: und so kann gerade der Philosoph am leichtesten über die Natur des Erkennens irre geführt werden.
Donnerstag, 27. Juli 2017
Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, 4. Buch 332
332.
Die böse Stunde. — Es hat wohl für jeden Philosophen eine böse Stunde gegeben, wo er dachte: was liegt an mir, wenn man mir nicht auch meine schlechten Argumente glaubt! — Und dann flog irgend ein schadenfrohes Vögelchen an ihm vorüber und zwitscherte: „Was liegt an dir? Was liegt an dir?“
Die böse Stunde. — Es hat wohl für jeden Philosophen eine böse Stunde gegeben, wo er dachte: was liegt an mir, wenn man mir nicht auch meine schlechten Argumente glaubt! — Und dann flog irgend ein schadenfrohes Vögelchen an ihm vorüber und zwitscherte: „Was liegt an dir? Was liegt an dir?“
Mittwoch, 26. Juli 2017
Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, 4. Buch 331
331.
Lieber taub, als betäubt. — Ehemals wollte man sich einen Ruf machen: das genügt jetzt nicht mehr, da der Markt zu gross geworden ist, — es muss ein Geschrei sein. Die Folge ist, dass auch gute Kehlen sich überschreien, und die besten Waaren von heiseren Stimmen ausgeboten werden; ohne Marktschreierei und Heiserkeit giebt es jetzt kein Genie mehr. — Das ist nun freilich ein böses Zeitalter für den Denker: er muss lernen, zwischen zwei Lärmen noch seine Stille zu finden, und sich so lange taub stellen, bis er es ist. So lange er diess noch nicht gelernt hat, ist er freilich in Gefahr, vor Ungeduld und Kopfschmerzen zu Grunde zu gehen.
Lieber taub, als betäubt. — Ehemals wollte man sich einen Ruf machen: das genügt jetzt nicht mehr, da der Markt zu gross geworden ist, — es muss ein Geschrei sein. Die Folge ist, dass auch gute Kehlen sich überschreien, und die besten Waaren von heiseren Stimmen ausgeboten werden; ohne Marktschreierei und Heiserkeit giebt es jetzt kein Genie mehr. — Das ist nun freilich ein böses Zeitalter für den Denker: er muss lernen, zwischen zwei Lärmen noch seine Stille zu finden, und sich so lange taub stellen, bis er es ist. So lange er diess noch nicht gelernt hat, ist er freilich in Gefahr, vor Ungeduld und Kopfschmerzen zu Grunde zu gehen.
Dienstag, 25. Juli 2017
Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, 4. Buch 330
330.
Beifall. — Der Denker bedarf des Beifalls und des Händeklatschens nicht, vorausgesetzt, dass er seines eigenen Händeklatschens sicher ist: diess aber kann er nicht entbehren. Giebt es Menschen, welche auch dessen und überhaupt jeder Gattung von Beifall entrathen könnten? Ich zweifle: und selbst in Betreff der Weisesten sagt Tacitus, der kein Verleumder der Weisen ist, quando etiam sapientibus gloriae cupido novissima exuitur — das heisst bei ihm: niemals.
Beifall. — Der Denker bedarf des Beifalls und des Händeklatschens nicht, vorausgesetzt, dass er seines eigenen Händeklatschens sicher ist: diess aber kann er nicht entbehren. Giebt es Menschen, welche auch dessen und überhaupt jeder Gattung von Beifall entrathen könnten? Ich zweifle: und selbst in Betreff der Weisesten sagt Tacitus, der kein Verleumder der Weisen ist, quando etiam sapientibus gloriae cupido novissima exuitur — das heisst bei ihm: niemals.
Montag, 24. Juli 2017
Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, 4. Buch 329
329.
Musse und Müssiggang. — Es ist eine indianerhafte, dem Indianer-Bluthe eigenthümliche Wildheit in der Art, wie die Amerikaner nach Gold trachten: und ihre athemlose Hast der Arbeit — das eigentliche Laster der neuen Welt — beginnt bereits durch Ansteckung das alte Europa wild zu machen und eine ganz wunderliche Geistlosigkeit darüber zu breiten. Man schämt sich jetzt schon der Ruhe; das lange Nachsinnen macht beinahe Gewissensbisse. Man denkt mit der Uhr in der Hand, wie man zu Mittag isst, das Auge auf das Börsenblatt gerichtet, — man lebt, wie Einer, der fortwährend Etwas „versäumen könnte“. „Lieber irgend Etwas thun, als Nichts“ — auch dieser Grundsatz ist eine Schnur, um aller Bildung und allem höheren Geschmack den Garaus zu machen. Und so wie sichtlich alle Formen an dieser Hast der Arbeitenden zu Grunde gehen: so geht auch das Gefühl für die Form selber, das Ohr und Auge für die Melodie der Bewegungen zu Grunde. Der Beweis dafür liegt in der jetzt überall geforderten plumpen Deutlichkeit, in allen den Lagen, wo der Mensch einmal redlich mit Menschen sein will, im Verkehre mit Freunden, Frauen, Verwandten, Kindern, Lehrern, Schülern, Führern und Fürsten, — man hat keine Zeit und keine Kraft mehr für die Ceremonien, für die Verbindlichkeit mit Umwegen, für allen Esprit der Unterhaltung und überhaupt für alles Otium. Denn das Leben auf der Jagd nach Gewinn zwingt fortwährend dazu, seinen Geist bis zur Erschöpfung auszugeben, im beständigen Sich-Verstellen oder Ueberlisten oder Zuvorkommen: die eigentliche Tugend ist jetzt, Etwas in weniger Zeit zu thun, als ein Anderer. Und so giebt es nur selten Stunden der erlaubten Redlichkeit: in diesen aber ist man müde und möchte sich nicht nur „gehen lassen“, sondern lang und breit und plump sich hinstrecken. Gemäss diesem Hange schreibt man jetzt seine Briefe; deren Stil und Geist immer das eigentliche „Zeichen der Zeit“ sein werden. Giebt es noch ein Vergnügen an Gesellschaft und an Künsten, so ist es ein Vergnügen, wie es müde-gearbeitete Sclaven sich zurecht machen. Oh über diese Genügsamkeit der „Freude“ bei unsern Gebildeten und Ungebildeten! Oh über diese zunehmende Verdächtigung aller Freude! Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: der Hang zur Freude nennt sich bereits „Bedürfniss der Erholung“ und fängt an, sich vor sich selber zu schämen. „Man ist es seiner Gesundheit schuldig“ — so redet man, wenn man auf einer Landpartie ertappt wird. Ja, es könnte bald so weit kommen, dass man einem Hange zur vita contemplativa (das heisst zum Spazierengehen mit Gedanken und Freunden) nicht ohne Selbstverachtung und schlechtes Gewissen nachgäbe. — Nun! Ehedem war es umgekehrt: die Arbeit hatte das schlechte Gewissen auf sich. Ein Mensch von guter Abkunft verbarg seine Arbeit, wenn die Noth ihn zum Arbeiten zwang. Der Sclave arbeitete unter dem Druck des Gefühls, dass er etwas Verächtliches thue: — das „Thun“ selber war etwas Verächtliches. „Die Vornehmheit und die Ehre sind allein bei otium und bellum“: so klang die Stimme des antiken Vorurtheils!
Musse und Müssiggang. — Es ist eine indianerhafte, dem Indianer-Bluthe eigenthümliche Wildheit in der Art, wie die Amerikaner nach Gold trachten: und ihre athemlose Hast der Arbeit — das eigentliche Laster der neuen Welt — beginnt bereits durch Ansteckung das alte Europa wild zu machen und eine ganz wunderliche Geistlosigkeit darüber zu breiten. Man schämt sich jetzt schon der Ruhe; das lange Nachsinnen macht beinahe Gewissensbisse. Man denkt mit der Uhr in der Hand, wie man zu Mittag isst, das Auge auf das Börsenblatt gerichtet, — man lebt, wie Einer, der fortwährend Etwas „versäumen könnte“. „Lieber irgend Etwas thun, als Nichts“ — auch dieser Grundsatz ist eine Schnur, um aller Bildung und allem höheren Geschmack den Garaus zu machen. Und so wie sichtlich alle Formen an dieser Hast der Arbeitenden zu Grunde gehen: so geht auch das Gefühl für die Form selber, das Ohr und Auge für die Melodie der Bewegungen zu Grunde. Der Beweis dafür liegt in der jetzt überall geforderten plumpen Deutlichkeit, in allen den Lagen, wo der Mensch einmal redlich mit Menschen sein will, im Verkehre mit Freunden, Frauen, Verwandten, Kindern, Lehrern, Schülern, Führern und Fürsten, — man hat keine Zeit und keine Kraft mehr für die Ceremonien, für die Verbindlichkeit mit Umwegen, für allen Esprit der Unterhaltung und überhaupt für alles Otium. Denn das Leben auf der Jagd nach Gewinn zwingt fortwährend dazu, seinen Geist bis zur Erschöpfung auszugeben, im beständigen Sich-Verstellen oder Ueberlisten oder Zuvorkommen: die eigentliche Tugend ist jetzt, Etwas in weniger Zeit zu thun, als ein Anderer. Und so giebt es nur selten Stunden der erlaubten Redlichkeit: in diesen aber ist man müde und möchte sich nicht nur „gehen lassen“, sondern lang und breit und plump sich hinstrecken. Gemäss diesem Hange schreibt man jetzt seine Briefe; deren Stil und Geist immer das eigentliche „Zeichen der Zeit“ sein werden. Giebt es noch ein Vergnügen an Gesellschaft und an Künsten, so ist es ein Vergnügen, wie es müde-gearbeitete Sclaven sich zurecht machen. Oh über diese Genügsamkeit der „Freude“ bei unsern Gebildeten und Ungebildeten! Oh über diese zunehmende Verdächtigung aller Freude! Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: der Hang zur Freude nennt sich bereits „Bedürfniss der Erholung“ und fängt an, sich vor sich selber zu schämen. „Man ist es seiner Gesundheit schuldig“ — so redet man, wenn man auf einer Landpartie ertappt wird. Ja, es könnte bald so weit kommen, dass man einem Hange zur vita contemplativa (das heisst zum Spazierengehen mit Gedanken und Freunden) nicht ohne Selbstverachtung und schlechtes Gewissen nachgäbe. — Nun! Ehedem war es umgekehrt: die Arbeit hatte das schlechte Gewissen auf sich. Ein Mensch von guter Abkunft verbarg seine Arbeit, wenn die Noth ihn zum Arbeiten zwang. Der Sclave arbeitete unter dem Druck des Gefühls, dass er etwas Verächtliches thue: — das „Thun“ selber war etwas Verächtliches. „Die Vornehmheit und die Ehre sind allein bei otium und bellum“: so klang die Stimme des antiken Vorurtheils!
Sonntag, 23. Juli 2017
Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, 4. Buch 328
328.
Der Dummheit Schaden thun. — Gewiss hat der so hartnäckig und überzeugt gepredigte Glaube von der Verwerflichkeit des Egoismus im Ganzen dem Egoismus Schaden gethan (zu Gunsten, wie ich hundertmal wiederholen werde, der Heerden-Instincte!), namentlich dadurch, dass er ihm das gute Gewissen nahm und in ihm die eigentliche Quelle alles Unglücks suchen hiess. „Deine Selbstsucht ist das Unheil deines Lebens“ — so klang die Predigt Jahrtausende lang: es that, wie gesagt, der Selbstsucht Schaden und nahm ihr viel Geist, viel Heiterkeit, viel Erfindsamkeit, viel Schönheit, es verdummte und verhässlichte und vergiftete die Selbstsucht! — Das philosophische Alterthum lehrte dagegen eine andere Hauptquelle des Unheils: von Sokrates an wurden die Denker nicht müde, zu predigen: „eure Gedankenlosigkeit und Dummheit, euer Dahinleben nach der Regel, eure Unterordnung unter die Meinung des Nachbars ist der Grund, wesshalb ihr es so selten zum Glück bringt, — wir Denker sind als Denker die Glücklichsten.“ Entscheiden wir hier nicht, ob diese Predigt gegen die Dummheit bessere Gründe für sich hatte, als jene Predigt gegen die Selbstsucht; gewiss aber ist das, dass sie der Dummheit das gute Gewissen nahm: — diese Philosophen haben der Dummheit Schaden gethan.
Der Dummheit Schaden thun. — Gewiss hat der so hartnäckig und überzeugt gepredigte Glaube von der Verwerflichkeit des Egoismus im Ganzen dem Egoismus Schaden gethan (zu Gunsten, wie ich hundertmal wiederholen werde, der Heerden-Instincte!), namentlich dadurch, dass er ihm das gute Gewissen nahm und in ihm die eigentliche Quelle alles Unglücks suchen hiess. „Deine Selbstsucht ist das Unheil deines Lebens“ — so klang die Predigt Jahrtausende lang: es that, wie gesagt, der Selbstsucht Schaden und nahm ihr viel Geist, viel Heiterkeit, viel Erfindsamkeit, viel Schönheit, es verdummte und verhässlichte und vergiftete die Selbstsucht! — Das philosophische Alterthum lehrte dagegen eine andere Hauptquelle des Unheils: von Sokrates an wurden die Denker nicht müde, zu predigen: „eure Gedankenlosigkeit und Dummheit, euer Dahinleben nach der Regel, eure Unterordnung unter die Meinung des Nachbars ist der Grund, wesshalb ihr es so selten zum Glück bringt, — wir Denker sind als Denker die Glücklichsten.“ Entscheiden wir hier nicht, ob diese Predigt gegen die Dummheit bessere Gründe für sich hatte, als jene Predigt gegen die Selbstsucht; gewiss aber ist das, dass sie der Dummheit das gute Gewissen nahm: — diese Philosophen haben der Dummheit Schaden gethan.
Samstag, 22. Juli 2017
Freud, Adorno & Trump
Haimo L. Handl
Freud, Adorno & Trump
Viele führen die Ausfälle Donald Trumps auf seine Person
zurück und sind versucht, das Phänomen weniger politisch, gesellschaftlich zu
deuten, sondern eher personenbezogen, psychologisch. Eine völlig falsche
Einschätzung. In Trump zeigt sich das System ohne Maske, entblößt sich der
faschistische Kern des Ausbeutesystems, das Zusammenwirken der Institutionen in
diesem Prozess, gestützt von einer Mehrheit, die weder demokratisch noch
gebildet ist. All dies psychologisch abtun zu wollen, kommt einer fatalen
Verniedlichung gleich, die eigentlich eine Kollaboration mit den primitiven
faschistischen Kräften und Strömungen darstellt.
Interessant scheint mir in diesem Zusammenhang eine Arbeit
von Theodor W. Adorno (1903-1969), der als Emigrant von 1938 bis 1953 in den
USA weilte, dort eine seiner intensivsten Arbeitsphasen erlebte, und als
sensibler Beobachter und Kritiker sich nicht blenden ließ, nämlich sein Aufsatz
„Freudian Theory and the Pattern of Fascist Propaganda“, der 1951 in den USA
publiziert wurde, in den Gesammelten Schriften von Adorno im Band 8 zu finden
ist; eine deutsche Übersetzung liegt in der Publikation „Kritik. Kleine
Schriften zur Gesellschaft“ vor, die 1971 bei Suhrkamp erschien (es 469).
Adorno, der Freud (1856-1939) und der Psychoanalyse sehr
kritisch gegenüberstand, lobte dennoch den Weitblick des Psychologen, den er
vor allem in seiner „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ (1921) und „Das
Unbehagen in der Kultur“ (1930) ausmachte. (Beide Schriften als
Einzelpublikationen erhältlich bzw. im Band 9 der Studienausgabe der Werke
Freuds im Fischer Verlag bzw. online im Projekt Gutenberg.)
Adorno war nicht borniert, wie viele seiner Zeitgenossen,
die das Übel besonders oder nur im Faschismus des Nationalsozialismus
erkannten. Er nahm auch sein Gastland, die USA, von der Kritik nicht aus, ein
Umstand, den später die meisten unter dem Diktat der von der westlichen
Leitmacht vorgegebenen Politik folgsamen oder kuschenden Intellektuellen nicht
(mehr) wagten. Auch seine prononcierte Kritik am realen Sozialismus bzw.
Kommunismus gehört in diesen Zusammenhang. Weiters wären jene Stimmen zu
beachten, die wohl die USA kritisierten, aber dem Mythos Mao, des damals für
Linke vielversprechenden Vorsitzenden und Führers , kritiklos sich unterwarfen,
so dass die Millionen von Opfern, die aus seinen menschenverachtenden Maßnahmen
resultierten, einfach weggezählt oder übersehen wurden in einer selbst
verächtlichen Pseudorationalisierung.
Es mag viele, die Freud lesen oder wieder lesen, also einer
Relektüre unterziehen, überraschen, wie plausibel er die Entindividualisierung jener
erfasste und beschrieb, die sich einem Führer unterwerfen, sich ihm anvertrauen
und ihm willig folgen. Was nicht nur für die totalitären Gesellschaften von
damals galt, sondern sich eben auch in so hochentwickelten Gesellschaften wie
den USA zeigte und zeigt, was wir im sogenannten Mutterland der Demokratie,
Großbritannien mit Schrecken feststellen müssen, was die meisten moslemischen
Gesellschaften traurig unter Beweis stellen: ohne den Futterstoff der
Depravierten oder Degenerierten (bzw., um korrekt zu sein, jenen, die sich nie
zu Persönlichkeiten zu generieren vermochten, denn De-Generation setzt ja
Generation voraus!), der willigen Mitläufer, der fanatischen Aktionisten,
könnte kein Regime sich durchsetzen, wie es tatsächlich erfolgt. Freuds
Schlüsse und Erklärungen können auch gegenwärtig viel aufhellen und klären.
Einen solchen Aufhellungsversuch unternahm eben Adorno.
Even if one were to assume that archaic,
pre-individual instincts survive, one could not simply point to this
inheritance but would have to explain why modern men revert to patterns of
behavior which flagrantly contradict their own rational level and the present
stage of enlightened technological civilization. This is precisely what Freud
wants to do. He tries to find out which psychological forces result in the
transformation of individuals into a mass. »If the individuals in the group are
combined into a unity, there must surely be something to unite them, and this
bond might be precisely the thing that is characteristic of a group.« This
quest, however, is tantamount to an exposition of the fundamental issue of
fascist manipulation. For the fascist demagogue, who has to win the support of
millions of people for aims largely incompatible with their own rational
self-interest, can do so only by artificially creating the bond Freud is
looking for. If the demagogues' approach is at all realistic – and their popular
success leaves no doubt that it is – it might be hypothesized that the bond in
question is the very same the demagogue tries to produce synthetically; in
fact, that it is the unifying principle behind his various devices.
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S.
412
Was hier massenpsychologisch und
soziologisch dargelegt wird, spricht ein zentrales Problem an: wie kommen Leute
dazu Ziele zu verfolgen, die ihren eigenen Interessen zuwider handeln, die sich
schlussendlich schädigen und schwächen? Die kapitalistische Produktionsweise,
das instrumentalisierte Konsumverhalten, die perpetuierte Unmündigkeit sind
nicht nur Begleiterscheinungen, sondern Bedingungen für den Vollzug solch
paradoxen, unvernünftigen Verhaltens. Eine Art von Egoismus, eine falsch
verstandene Freiheit aus dem Erlebnis der Pseudofreiheit des schier
unumschränkten Konsums unterstützt diese Haltung der willigen Ausrichtung und
gesellschaftlichen Affirmation.
Es gab Revolutionen und Revolten.
Es gab und gibt Aufstände. Der Faschismus war in einigen Aspekten
antikapitalistisch. Aber er war nie revolutionär. (Wobei man mit dem Begriff
der Revolution oder revolutionär vorsichtig sein sollte, da der größte Verrat
an der Emanzipation gerade durch jene erfolgte, die dieses Programm auf ihre
Fahnen hefteten, die Bolschewiki und später die Gefolgsleute von Mao Tse Dung.)
As a rebellion against civilization fascism is
not simply the reoccurrence of the archaic but its reproduction in and by
civilization itself. It is hardly adequate to define the forces of fascist
rebellion simply as powerful id energies which throw off the pressure of the
existing social order. Rather, this rebellion borrows its energies partly from
other psychological agencies which are pressed into the service of the
unconscious.
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S.
414
Adorno schält langsam, aber
konsequent, die Linie heraus, wie er Freuds Theorie versteht und sie gegenüber
Vulgärformen und psychologistische Erklärung abgrenzt. Das politische Phänomen
ist keine Sache des ES und seiner Energien, keine bloß psychologisch zu
erklärende Verhaltensweise Einzelner, die massiert, in großer Menge, auftreten.
Adorno will, mit Hilfe Freuds, die gesellschaftlichen Bedingungen erkunden, die
eben zu diesen Phänomenen führen.
Freud dwells on the fact that in organized
groups such as the Army or the Church there is either no mention of love
whatsoever between the members, or it is expressed only in a sublimated and
indirect way, through the mediation of some religious image in the love of whom
the members unite and whose all-embracing love they are supposed to imitate in
their attitude towards each other. It seems significant that in today's society
with its artificially integrated fascist masses reference to love is almost
completely excluded.(10) Hitler shunned the traditional role of the loving
father and replaced it entirely by the negative one of threatening authority.
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S.
414-415
Fußnote 10)
Perhaps one of the reasons for this striking
phenomenon is the fact that the masses whom the fascist agitator – prior to
seizing power – has to face, are primarily not organized ones but the
accidental crowds of the big city. The loosely knit character of such motley
crowds makes it imperative that discipline and coherence be stressed at the
expense of the centrifugal uncanalized urge to love. Part of the agitator's
task consists in making the crowd believe that it is organized like the Army or
the Church. Hence the tendency towards over-organization. A fetish is made of
organization as such; it becomes an end instead of a means and this tendency
prevails throughout the agitator's speeches.
Väterchen Stalin, der unberechenbare
Tyrann und Massenmörder, war da facettenreicher in seiner Erscheinung. Er wurde
nicht nur gefürchtet und verehrt, sondern auch geliebt. Interessant auch die
Rolle vom Führer und Vorsitzenden Mao Tse Dung, der noch mehr Tote auf dem
Gewissen hat (was völlig irrelevant ist, weil er, wie die anderen Diktatoren,
kein Gewissen hatte, das ihn gemildert hätte, sondern eines, das ihn im Bösen
bestärkte, wie auch Trump in den USA von seiner Korrektheit und seinem
"Auftrag" unkritisch überzeugt ist – wie das wohlwollende Mitwirkern
eines Teils der Massenmedien und die Mehrheit in Repräsentantenhaus bzw. Senat
(mit ganz wenigen Ausnahmen und Abweichungen) unter Beweis stellt.
It is one of the basic tenets of fascist
leadership to keep primary libidinal energy on an unconscious level so as to
divert its manifestations in a way suitable to political ends. The less an
objective idea such as religious salvation plays a role in mass formation, and
the more mass manipulation becomes the sole aim, the more thoroughly
uninhibited love has to be repressed and moulded into obedience. There is too
little in the content of fascist ideology that could be loved.
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S.
415
Die Verwandlung der Liebe, die
Kanalisierung und Instrumentalisierung libidinöser Objektbesetzung in Gehorsam
als Form von unterwerfender Folgschaft, Gefolgschaft, zeigt schon die
Problematik des Begriffs Verantwortung und Pflicht, des Wechselbezugs von Pflichterfüllung
einerseits (man denke an Hannah Arendts Deutung von Eichmanns Verhalten als
typisch Banalem (Bösen), und dem Umerziehen des Subjekts, die re-education, wie
sie George Orwell (1903-1950) ein seiner Dystopie „1984“ schildert, wo Winston
lernt, den Großen Bruder, den Führer, bedingungslos zu lieben.
By the measures that he takes, the hypnotist
awakens in the subject a portion of his archaic inheritance which had also made
him compliant towards his parents and which had experienced an individual
re-animation in his relation to his father: what is thus awakened is the idea
of a paramount and dangerous personality, towards whom only a
passive-masochistic attitude is possible, to whom one's will has to be
surrendered, – while to be alone with him, ›to look him in the face‹, appears a
hazardous enterprise. It is only in some such way as this that we can picture
the relation of the individual member of the primal horde to the primal father
... (…)
The primal father is the group ideal, which
governs the ego in the place of the ego ideal. Hypnosis has a good claim to
being described as a group of two; there remains as a definition for suggestion
– a conviction which is not based upon perception and reasoning but upon an
erotic tie. This actually defines the nature and content of fascist propaganda.
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S.
415
Jeder große Führer erscheint als
omnipotenter Übervater. Er kann sich auf die lange Gewöhnung an dieses
Hoffnungsbild halten, welches die Religionen seit je installiert und gepflegt
haben und weiter aufrecht halten.
Fascist agitation is centered in the idea of
the leader, no matter whether he actually leads or is only the mandatary of
group interests, because only the psychological image of the leader is apt to
reanimate the idea of the all-powerful and threatening primal father. This is
the ultimate root of the otherwise enigmatic personalization of fascist
propaganda, its incessant plugging of names and supposedly great men, instead
of discussing objective causes.
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S.
417
Das Moment der Personalisierung, penetrant
von Hitler und Stalin, bald darauf von Mao gepflegt, wird heute in
modernisierter Form generell angewandt: es gelten immer weniger Sachverhalte,
sondern Personen, Persönlichkeiten und Kontakte (Beziehungen, Bezüge). In dem
Maße, wie diese Personalisierung voranschreitet, fortschreitet, schwächt sie
das kritische Denkvermögen, verblendet in einem Falschverständnis von
Beziehungen („likes“, Liebe, Anerkenntnis, Bedeutung) Qualität und Quantität
von Sozialem, Gesellschaftlichem und Individuellem.
Es werden ja nicht nur Namen
genannt, es wird nicht nur auf anerkannte Persönlichkeiten fokussiert, sondern
auf nationale Leistungen, auf hohe Standards und die Gefahr wegen ausländischer
Einmischung, wegen Feinden im Äußeren und Inneren, das nationale Wohl zu
gefährden, zu schmälern oder gar zu verlieren ("America first!").
Jeder Erfolg, Industrialisierung, Produktivität, Profite, dient als Ausweis und
Legitimation für den eingeschlagenen Weg, das galt für Hitler und Stalin und Mao,
der aber nicht nur wie Stalin oder Hitler jede Kritik verhinderte, sein eigenes
Land nachhaltig schwächte. Das Resultat war zwar nicht die völlige Zerstörung, wie
das Hitler für Deutschland schaffte, von dessen Regime nur die bedingungslose Kapitulation übrig blieb, der aber unfreiwillig
die Grundlagen für den ungezügelten, ausbeuterischen Kapitalismus schuf, der
die Eliten enorm reich machte und jede Kritik von außen, z. B. an den
notorischen Menschenrechtsverletzungen, effektiv eliminierte bzw. zu leeren
Worten gerinnen ließ.). Ähnliches gilt auch für eine kleine Figur wie den
Pascha vom Bosporus, Erdogan, es gilt vollinhaltlich für den Rülpel, Rassisten
und Frauenfeind Trump.
Moreover, the primitively narcissistic aspect
of identification as an act of devouring, of making the beloved object part of
oneself, may provide us with a clue to the fact that the modern leader image
sometimes seems to be the enlargement of the subject's own personality, a
collective projection of himself, rather than the image of the father whose
role during the later phases of the subject's infancy may well have decreased
in present- day society. All these facets call for further clarification. The
essential role of narcissism in regard to the identifications which are at play
in the formation of fascist groups, is recognized in Freud's theory of
idealization.
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S.
418
Dass die Einverleibung, das Auffressen,
nicht nur für Märchengestalten gilt, sondern konkreter Teil gewisser religiöser
Ansichten und Übungen ist, beweist der heilige Akt der Kommunikation, in
welchem Gläubige, ähnlich wie Kannibalen, den Leib ihres Gottes essen, also
sich einverleiben.
This, again, falls in line with the semblance
of the leader image to an enlargement of the subject: by making the leader his
ideal he loves himself, as it were, but gets rid of the stains of frustration and
discontent which mar his picture of his own empirical self. This pattern of
identification through idealization, the caricature of true, conscious
solidarity, is, however, a collective one. It is effective in vast numbers of
people with similar characterological dispositions and libidinal leanings. The
fascist community of the people corresponds exactly to Freud's definition of a
group as being »a number of individuals who have substituted one and the same
object for their ego ideal and have consequently identified themselves with one
another in their ego.« The leader image, in turn, borrows as it were its primal
father-like omnipotence from collective strength.
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S. 419
Die Massenmenschen lieben weniger
den Führter, den Übervater, als sich selbst über die Projektionsfigur, die der
Führer vermittelt. Das könnte erklären, weshalb so viele Frauen den Frauenfeind
Trump "lieben" und verehren, ähnlich jenen Frauen, die einem inneren
Strafbedürfnis folgend die Nähe oder Gemeinschaft mit Männern suchen, die sie
erniedrigen, schlagen oder missbrauchen.
Adorno spricht die Nähe der
amerikanischen Faschisten zu den Nationalsozialisten, vor denen er nach Amerika
geflohen war, unverhüllt aus. Sie gilt heute unter Trump, nach dem Niedergang
des letzten Restes von demokratischer Rechtsstaatlichkeit, mehr als je zuvor.
Freud's psychological construction of the
leader imagery is corroborated by its striking coincidence with the Fascist
leader type, at least as far as its public build-up is concerned. His
descriptions fit the picture of Hitler no less than idealizations into which
the American demagogues try to style themselves.
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S. 419
Der Führer erscheint “menschlich”,
als jemand, der einerseits (schier) allmächtig ist, andererseits menschliche
Züge aufweist, gewisse Schwächen hat, also den Folgsamen, den Mitläufern, den
Unteren gar nicht so unähnlich. Trump erscheint, obwohl obszön reich, den
Bergarbeitern als einer der ihren…
One of the most conspicuous features of the
agitators' speeches, namely the absence of a positive program and of anything
they might »give,« as well as the paradoxical prevalence of threat and denial,
is thus being accounted for: the leader can be loved only if he himself does
not love. Yet, Freud is aware of another aspect of the leader image which
apparently contradicts the first one. While appearing as a superman, the leader
must at the same time work the miracle of appearing as an average person, just
as Hitler posed as a composite of King-Kong and the suburban barber. This, too,
Freud explains through his theory of narcissism.
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S.
420
In den christlichen Religionen
stellt Jesus als Mensch gewordener Gottessohn diese normale Menschennatur dar,
die menschlich leiden und lieben kann, die als Mittler zwischen dem Vater, dem
Herrn, dem Urvater, dient und trotzdem
göttlich ist. Er ist übermenschlich und gleichzeitig menschlich. Freuds
Erklärung dieses Phänomens mit seinem Narzismusbegriff stieß von Beginn an auf
heftige Kritik der Religiösen.
Even the fascist leader's startling symptoms of
inferiority, his resemblance to ham actors and asocial psychopaths, is thus
anticipated in Freud's theory.
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S. 421
Trump tritt auf als ungebildeter
Macho, ein wüster Rülpel, erscheint in seiner Körpersprache wie ein
fletschender Pavian, während ein Berufsschauspieler wie Reagan freundlich erschien
und die Strohmannfunktion des Staatsführers effektiv erfüllte. Reagan trug zur
Maskierung des Ausbeutesystems bei, während Trump die Masken fallen ließ bzw.
nie auf- und annahm. Wie man Hitlers "Mein Kampf" damals keine
entsprechende Beachtung schenkte, wird den Äußerungen Trumps und seinen Verhaltensweisen
unkritisch begegnet. Die Kollaboration von damals ähnelt jener von heute. Wer
sich wundert, dass oder wie z.B. Bergarbeiter im reichen Trump ein Vorbild, ein
positives Versprechen sehen können, sollte folgende Sätze bedenken:
Accordingly, one of the basic devices of
personalized fascist propaganda is the concept of the »great little man,« a
person who suggests both omnipotence and the idea that he is just one of the
folks, a plain, red-blooded American, untainted by material or spiritual
wealth. Psychological ambivalence helps to work a social miracle. The leader
image gratifies the follower's twofold wish to submit to authority and to be
the authority himself. This fits into a world in which irrational control is
exercised though it has lost its inner conviction through universal
enlightenment.
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S. 421
Man kann im Internet die vielen
Auftritte und Beschwörungen der kleinen Leute, the great little men, der
Unterschichtler, an die Trump sich wie ein Schmierenkomödiant wendet,
nachverfolgen. Wenn man sich klar macht, dass diese dummen, verblendeten,
ungebildeten Horden einem ebenso ungebildeten, aber smarten Führer zujohlen, ihm
bedingungslos folgen, kann einem angst werden vor der Gewalt, die sich da
aufbaut. Da ist nichts zufällig oder partikular, da ist System dahinter und
darin, da zeigt sich der faschistische Kern Amerikas.
All the agitators' standard devices are
designed along the line of Freud's exposé of what became later the basic
structure of fascist demagoguery, the technique of personalization.
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S.
421
Die Standardwerkzeuge sind alt
und erprobt. Die Wirtschaftswerbung gab die Vorlagen, die politische hat sie in
ihrer Propaganda ausgefeilt. Dass in den USA, die für viele immer noch als
demokratischer Rechtsstaat gelten, die faschistische Ausrichtung tief verankert
ist und heute gestärkt wird, zeigt sich nicht zuletzt im notorischen Rassismus
gegen Schwarze und Latinos, sondern auch im inhumanen Umgang mit Minderheiten,
im schnöden Verhalten nicht nur depravierter Unterschichtler, sondern typischer
Mittelklassevertreter, die ihr früher als paradiesisch gedeutetes Leben
gefährdet sehen und ihre Angst typischerweise nicht gegen die Hochfinanz,
Großunternehmen, Banken und Versicherer richten, die sie zugrunderichten,
sondern an Minderheiten, an Sündenböcken auslassen und dabei das Regime der
Kriegstreiber und Ausbeuter absichern und stärken.
The tendency to tread on those below, which
manifests itself so disastrously in the persecution of weak and helpless
minorities, is as outspoken as the hatred against those outside. In practice,
both tendencies quite frequently fall together. Freud's theory sheds light on
the all-pervasive, rigid distinction between the beloved in-group and the
rejected out-group.
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S.
422
Adorno liefert noch eine
Beobachtung, die bemerkenswert ist:
Already in 1921 he [Freud] was therefore able
to dispense with the liberalistic illusion that the progress of civilization
would automatically bring about an increase of tolerance and a lessening of
violence against out-groups.
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S.
422-423
Das erschüttert die vulgäre
Theorie, dass Wohlstand Faschismus verhindere. Wohlstand hat in den USA weder
den Ku Klux Klan verhindert, noch die faschistoide Kirche der Scientologen. Und
das Phänomen Trump wird ja nicht nur von den Unterschichtlern getragen, sondern
zuerst vom Apparat, der weite Teile der Bevölkerung über Jahrzehnte in eine
Lage brachte, die die Herausbildung des primitiven Faschisten begünstigt.
Wohlstand mindert zwar die akute Gefahr, bedarf aber zusätzlicher
Bildungsanstrengungen und einer anderen, menschenwürdigen Politik, um tiefgreifende, nachhaltige Änderungen zu
erreichen. Da dies nicht und nirgends geschieht, ist nicht zu erwarten, dass
wir bald eine menschenwürdige Gesellschaft haben werden.
»The leader or the leading idea might also, so
to speak, be negative; hatred against a particular person or institution might
operate in just the same unifying way, and might call up the same kind of emotional
ties as positive attachment.« It goes without saying that this negative
integration feeds on the instinct of destructiveness to which Freud does not
explicitly refer in his Group Psychology, the decisive role of which he has,
however, recognized in his Civilization and Its Discontent. In the present
context, Freud explains the hostility against the out-group with narcissism:
In the undisguised antipathies and aversions
which people feel towards strangers with whom they have to do we may recognize
the expression of self-love – of narcissism. This self-love works for the
self-assertion of the individual, and behaves as though the occurrence of any
divergence from his own particular lines of development involved a criticism of
them and a demand for their alteration.
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S.
424
Dem vernünftig Denkenden bzw. dem
aufmerksamen Beobachter haben organisierte Religionen immer schon ein
Paradebeispiel solchen Verhaltens geliefert. Allein schon die Existenz eines
Andersgläubigen oder gar Ungläubigen erzürnt den Gläubigen, rechtfertig sein
Mordprogramm, seine Maßnahmen zur Purifikation im Namen Gottes (seines Gottes).
Das beschränkt sich nicht nur auf barbarische Islamisten oder fanatische
Moslems.
The narcissistic gain provided by fascist
propaganda is obvious. It suggests continuously and sometimes in rather devious
ways, that the follower, simply through belonging to the in-group, is better,
higher and purer than those who are excluded. At the same time, any kind of
critique or self-awareness is resented as a narcissistic loss, and elicits
rage. It accounts for the violent reaction of all fascists against what they
deem zersetzend, ...
Adorno: Freudian Theory and the Pattern of
Fascist Propaganda. In: GS 8, S.
424
Die Art, wie große Teile der
Bevölkerung in Russland unter Putin Homosexuelle jagen und verurteilen, wie in
Amerika die Religiösen es vermögen, gegen Künstler und Wissenschaftler
vorzugehen, die sich kritisch äußern, wie Bibliotheken "gereinigt"
werden, neue Bücherverbrennungen stattfinden, all dies zeigt die nervöse
Abwehr, ja den tiefen Hass auf das Andere, das Fremde, das Feindliche. Das funktioniert
nicht nur in der Türkei, im Iran oder in China bzw. Russland, sondern auch in
den USA, Großbritannien und vielen Mitgliedsstaaten der EU.
Im Beitrag Adornos zu Freuds
Theorie und faschistischer Propaganda finden sich noch viele Stellen, die als
Belege anzuführen wären. Es empfiehlt sich die eigene Lektüre.
Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, 4. Buch 327
327.
Ernst nehmen. — Der Intellect ist bei den Allermeisten eine schwerfällige, finstere und knarrende Maschine, welche übel in Gang zu bringen ist: sie nennen es „die Sache ernst nehmen“, wenn sie mit dieser Maschine arbeiten und gut denken wollen — oh wie lästig muss ihnen das Gut-Denken sein! Die liebliche Bestie Mensch verliert jedesmal, wie es scheint, die gute Laune, wenn sie gut denkt; sie wird „ernst“! Und „wo Lachen und Fröhlichkeit ist, da taugt das Denken Nichts“: — so lautet das Vorurtheil dieser ernsten Bestie gegen alle „fröhliche Wissenschaft“. — Wohlan! Zeigen wir, dass es ein Vorurtheil ist!
Ernst nehmen. — Der Intellect ist bei den Allermeisten eine schwerfällige, finstere und knarrende Maschine, welche übel in Gang zu bringen ist: sie nennen es „die Sache ernst nehmen“, wenn sie mit dieser Maschine arbeiten und gut denken wollen — oh wie lästig muss ihnen das Gut-Denken sein! Die liebliche Bestie Mensch verliert jedesmal, wie es scheint, die gute Laune, wenn sie gut denkt; sie wird „ernst“! Und „wo Lachen und Fröhlichkeit ist, da taugt das Denken Nichts“: — so lautet das Vorurtheil dieser ernsten Bestie gegen alle „fröhliche Wissenschaft“. — Wohlan! Zeigen wir, dass es ein Vorurtheil ist!
Freitag, 21. Juli 2017
Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, 4. Buch 326
326.
Die Seelen-Aerzte und der Schmerz. — Alle Moralprediger, wie auch alle Theologen, haben eine gemeinsame Unart: alle suchen den Menschen aufzureden, sie befänden sich sehr schlecht und es thue eine harte letzte radicale Cur noth. Und weil die Menschen insgesammt jenen Lehren ihr Ohr zu eifrig und ganze Jahrhunderte lang hingehalten haben, ist zuletzt wirklich Etwas von jenem Aberglauben, dass es ihnen sehr schlecht gehe, auf sie übergegangen: sodass sie jetzt gar zu gerne einmal bereit sind, zu seufzen und Nichts mehr am Leben zu finden und miteinander betrübte Mienen zu machen, wie als ob es doch gar schwer auszuhalten sei. In Wahrheit sind sie unbändig ihres Lebens sicher und in dasselbe verliebt und voller unsäglicher Listen und Feinheiten, um das Unangenehme zu brechen und dem Schmerze und Unglücke seinen Dorn auszuziehen. Es will mir scheinen, dass vom Schmerze und Unglücke immer übertrieben geredet werde, wie als ob es eine Sache der guten Lebensart sei, hier zu übertreiben: man schweigt dagegen geflissentlich davon, dass es gegen den Schmerz eine Unzahl Linderungsmittel giebt, wie Betäubungen, oder die fieberhafte Hast der Gedanken, oder eine ruhige Lage, oder gute und schlimme Erinnerungen, Absichten, Hoffnungen, und viele Arten von Stolz und Mitgefühl, die beinahe die Wirkung von Anästheticis haben: während bei den höchsten Graden des Schmerzes schon von selber Ohnmachten eintreten. Wir verstehen uns ganz gut darauf, Süssigkeiten auf unsere Bitternisse zu träufeln, namentlich auf die Bitternisse der Seele; wir haben Hülfsmittel in unserer Tapferkeit und Erhabenheit, sowie in den edleren Delirien der Unterwerfung und der Resignation. Ein Verlust ist kaum eine Stunde ein Verlust: irgendwie ist uns damit auch ein Geschenk vom Himmel gefallen — eine neue Kraft zum Beispiel: und sei es auch nur eine neue Gelegenheit zur Kraft! Was haben die Moralprediger vom inneren „Elend“ der bösen Menschen phantasirt! Was haben sie gar vom Unglücke der leidenschaftlichen Menschen uns vorgelogen! — ja, lügen ist hier das rechte Wort: sie haben um das überreiche Glück dieser Art von Menschen recht wohl gewusst, aber es todtgeschwiegen, weil es eine Widerlegung ihrer Theorie war, nach der alles Glück erst mit der Vernichtung der Leidenschaft und dem Schweigen des Willens entsteht! Und was zuletzt das Recept aller dieser Seelen-Aerzte betrifft und ihre Anpreisung einer harten radicalen Cur: so ist es erlaubt, zu fragen: ist dieses unser Leben wirklich schmerzhaft und lästig genug, um mit Vortheil eine stoische Lebensweise und Versteinerung dagegen einzutauschen? Wir befinden uns nicht schlecht genug, um uns auf stoische Art schlecht befinden zu müssen!
Die Seelen-Aerzte und der Schmerz. — Alle Moralprediger, wie auch alle Theologen, haben eine gemeinsame Unart: alle suchen den Menschen aufzureden, sie befänden sich sehr schlecht und es thue eine harte letzte radicale Cur noth. Und weil die Menschen insgesammt jenen Lehren ihr Ohr zu eifrig und ganze Jahrhunderte lang hingehalten haben, ist zuletzt wirklich Etwas von jenem Aberglauben, dass es ihnen sehr schlecht gehe, auf sie übergegangen: sodass sie jetzt gar zu gerne einmal bereit sind, zu seufzen und Nichts mehr am Leben zu finden und miteinander betrübte Mienen zu machen, wie als ob es doch gar schwer auszuhalten sei. In Wahrheit sind sie unbändig ihres Lebens sicher und in dasselbe verliebt und voller unsäglicher Listen und Feinheiten, um das Unangenehme zu brechen und dem Schmerze und Unglücke seinen Dorn auszuziehen. Es will mir scheinen, dass vom Schmerze und Unglücke immer übertrieben geredet werde, wie als ob es eine Sache der guten Lebensart sei, hier zu übertreiben: man schweigt dagegen geflissentlich davon, dass es gegen den Schmerz eine Unzahl Linderungsmittel giebt, wie Betäubungen, oder die fieberhafte Hast der Gedanken, oder eine ruhige Lage, oder gute und schlimme Erinnerungen, Absichten, Hoffnungen, und viele Arten von Stolz und Mitgefühl, die beinahe die Wirkung von Anästheticis haben: während bei den höchsten Graden des Schmerzes schon von selber Ohnmachten eintreten. Wir verstehen uns ganz gut darauf, Süssigkeiten auf unsere Bitternisse zu träufeln, namentlich auf die Bitternisse der Seele; wir haben Hülfsmittel in unserer Tapferkeit und Erhabenheit, sowie in den edleren Delirien der Unterwerfung und der Resignation. Ein Verlust ist kaum eine Stunde ein Verlust: irgendwie ist uns damit auch ein Geschenk vom Himmel gefallen — eine neue Kraft zum Beispiel: und sei es auch nur eine neue Gelegenheit zur Kraft! Was haben die Moralprediger vom inneren „Elend“ der bösen Menschen phantasirt! Was haben sie gar vom Unglücke der leidenschaftlichen Menschen uns vorgelogen! — ja, lügen ist hier das rechte Wort: sie haben um das überreiche Glück dieser Art von Menschen recht wohl gewusst, aber es todtgeschwiegen, weil es eine Widerlegung ihrer Theorie war, nach der alles Glück erst mit der Vernichtung der Leidenschaft und dem Schweigen des Willens entsteht! Und was zuletzt das Recept aller dieser Seelen-Aerzte betrifft und ihre Anpreisung einer harten radicalen Cur: so ist es erlaubt, zu fragen: ist dieses unser Leben wirklich schmerzhaft und lästig genug, um mit Vortheil eine stoische Lebensweise und Versteinerung dagegen einzutauschen? Wir befinden uns nicht schlecht genug, um uns auf stoische Art schlecht befinden zu müssen!
Donnerstag, 20. Juli 2017
Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, 4. Buch 325
325.
Was zur Grösse gehört. — Wer wird etwas Grosses erreichen, wenn er nicht die Kraft und den Willen in sich fühlt, grosse Schmerzen zuzufügen? Das Leidenkönnen ist das Wenigste: darin bringen es schwache Frauen und selbst Sclaven oft zur Meisterschaft. Aber nicht an innerer Noth und Unsicherheit zu Grunde gehn, wenn man grosses Leid zufügt und den Schrei dieses Leides hört — das ist gross, das gehört zur Grösse.
Was zur Grösse gehört. — Wer wird etwas Grosses erreichen, wenn er nicht die Kraft und den Willen in sich fühlt, grosse Schmerzen zuzufügen? Das Leidenkönnen ist das Wenigste: darin bringen es schwache Frauen und selbst Sclaven oft zur Meisterschaft. Aber nicht an innerer Noth und Unsicherheit zu Grunde gehn, wenn man grosses Leid zufügt und den Schrei dieses Leides hört — das ist gross, das gehört zur Grösse.
Mittwoch, 19. Juli 2017
Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, 4. Buch 324
324.
In media vita. — Nein! Das Leben hat mich nicht enttäuscht! Von Jahr zu Jahr finde ich es vielmehr wahrer, begehrenswerther und geheimnissvoller, — von jenem Tage an, wo der grosse Befreier über mich kam, jener Gedanke, dass das Leben ein Experiment des Erkennenden sein dürfe — und nicht eine Pflicht, nicht ein Verhängniss, nicht eine Betrügerei! — Und die Erkenntniss selber: mag sie für Andere etwas Anderes sein, zum Beispiel ein Ruhebett oder der Weg zu einem Ruhebett, oder eine Unterhaltung, oder ein Müssiggang, — für mich ist sie eine Welt der Gefahren und Siege, in der auch die heroischen Gefühle ihre Tanz- und Tummelplätze haben. „Das Leben ein Mittel der Erkenntniss“ — mit diesem Grundsatze im Herzen kann man nicht nur tapfer, sondern sogar fröhlich leben und fröhlich lachen! Und wer verstünde überhaupt gut zu lachen und zu leben, der sich nicht vorerst auf Krieg und Sieg gut verstünde?
In media vita. — Nein! Das Leben hat mich nicht enttäuscht! Von Jahr zu Jahr finde ich es vielmehr wahrer, begehrenswerther und geheimnissvoller, — von jenem Tage an, wo der grosse Befreier über mich kam, jener Gedanke, dass das Leben ein Experiment des Erkennenden sein dürfe — und nicht eine Pflicht, nicht ein Verhängniss, nicht eine Betrügerei! — Und die Erkenntniss selber: mag sie für Andere etwas Anderes sein, zum Beispiel ein Ruhebett oder der Weg zu einem Ruhebett, oder eine Unterhaltung, oder ein Müssiggang, — für mich ist sie eine Welt der Gefahren und Siege, in der auch die heroischen Gefühle ihre Tanz- und Tummelplätze haben. „Das Leben ein Mittel der Erkenntniss“ — mit diesem Grundsatze im Herzen kann man nicht nur tapfer, sondern sogar fröhlich leben und fröhlich lachen! Und wer verstünde überhaupt gut zu lachen und zu leben, der sich nicht vorerst auf Krieg und Sieg gut verstünde?
Dienstag, 18. Juli 2017
Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, 4. Buch 323
323.
Glück im Schicksal. — Die grösste Auszeichnung erweist uns das Schicksal, wenn es uns eine Zeit lang auf der Seite unserer Gegner hat kämpfen lassen. Damit sind wir vorherbestimmt zu einem grossen Siege.
Glück im Schicksal. — Die grösste Auszeichnung erweist uns das Schicksal, wenn es uns eine Zeit lang auf der Seite unserer Gegner hat kämpfen lassen. Damit sind wir vorherbestimmt zu einem grossen Siege.
Montag, 17. Juli 2017
Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, 4. Buch 322
322.
Gleichniss. — Jene Denker, in denen alle Sterne sich in kyklischen Bahnen bewegen, sind nicht die tiefsten; wer in sich wie in einen ungeheuren Weltraum hineinsieht und Milchstrassen in sich trägt, der weiss auch, wie unregelmässig alle Milchstrassen sind; sie führen bis in’s Chaos und Labyrinth des Daseins hinein.
Gleichniss. — Jene Denker, in denen alle Sterne sich in kyklischen Bahnen bewegen, sind nicht die tiefsten; wer in sich wie in einen ungeheuren Weltraum hineinsieht und Milchstrassen in sich trägt, der weiss auch, wie unregelmässig alle Milchstrassen sind; sie führen bis in’s Chaos und Labyrinth des Daseins hinein.
Sonntag, 16. Juli 2017
In memoriam of Liu Xiaobo
We recommend to read these articles to remember Liu Xiaobo and to deepen the understanding of China, the mighty country, which is so afraid of free spirits.
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