Dienstag, 16. Oktober 2018

Schulden & Schuld

Beim alten Nietzsche wieder einige sehr gescheite Sätze gefunden, und eine trügerische Hoffnung, die sich bis anhin nicht als berechtigt oder wahr erwiesen hat.


Das Bewusstsein, Schulden gegen die Gottheit zu haben, ist, wie die Geschichte lehrt, auch nach dem Niedergang der blutverwandtschaftlichen Organisationsform der „Gemeinschaft“ keineswegs zum Abschluss gekommen; die Menschheit hat, in gleicher Weise, wie sie die Begriffe „gut und schlecht“ von dem Geschlechts-Adel (sammt dessen psychologischem Grundhange, Rangordnungen anzusetzen) geerbt hat, mit der Erbschaft der Geschlechts- und Stammgottheiten auch die des Drucks von noch unbezahlten Schulden und des Verlangens nach Ablösung derselben hinzubekommen. 

(Den Übergang machen jene breiten Sklaven- und Hörigen-Bevölkerungen, welche sich an den Götter-Cultus ihrer Herren, sei es durch Zwang, sei es durch Unterwürfigkeit und mimicry, angepasst haben: von ihnen aus fliesst dann diese Erbschaft nach allen Seiten über.) Das Schuldgefühl gegen die Gottheit hat mehrere Jahrtausende nicht aufgehört zu wachsen, und zwar immer fort im gleichen Verhältnisse, wie der Gottesbegriff und das Gottesgefühl auf Erden gewachsen und in die Höhe getragen worden ist. (Die ganze Geschichte des ethnischen Kämpfens, Siegens, Sich-versöhnens, Sich-verschmelzens, Alles was der endgültigen Rangordnung aller Volks-Elemente in jeder grossen Rassen-Synthesis vorangeht, spiegelt sich in dem Genealogien-Wirrwarr ihrer Götter, in den Sagen von deren Kämpfen, Siegen und Versöhnungen ab; der Fortgang zu Universal-Reichen ist immer auch der Fortgang zu Universal-Gottheiten, der Despotismus mit seiner Überwältigung des unabhängigen Adels bahnt immer auch irgend welchem Monotheismus den Weg.) 

Die Heraufkunft des christlichen Gottes, als des Maximal-Gottes, der bisher erreicht worden ist, hat deshalb auch das Maximum des Schuldgefühls auf Erden zur Erscheinung gebracht. Angenommen, dass wir nachgerade in die umgekehrte Bewegung eingetreten sind, so dürfte man mit keiner kleinen Wahrscheinlichkeit aus dem unaufhaltsamen Niedergang des Glaubens an den christlichen Gott ableiten, dass es jetzt bereits auch schon einen erheblichen Niedergang des menschlichen Schuldbewusstseins gäbe; ja die Aussicht ist nicht abzuweisen, dass der vollkommne und endgültige Sieg des Atheismus die Menschheit von diesem ganzen Gefühl, Schulden gegen ihren Anfang, ihre causa prima zu haben, lösen dürfte. Atheismus und eine Art zweiter Unschuld gehören zu einander. —
Nietzsche, eKGWB/GM-II-20 — Zur Genealogie der Moral: § II — 20. Erste Veröff. 16/11/1887.

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Leider hat sich mit dem Niedergang des Glaubens nach dem 2. WK weder der Atheismus erstarkt noch haben die Schulden abgenommen bzw. das Schuldgefühl der Schuldner. Heute, mit der fatalen Resakralisierung und erstarkten Religiosisierung wächst auch die Schuld wieder. Zu den realen Schulden rechnen sich die metaphysischen der schwachen Menschen.

Die Wirtschaft als bestimmender Teil des gesellschaftlichen Systems knechtet mit Schulden als Schuld die Schuldner, drückt sie nieder, hält sie unten oder vernichtet sie sogar. Jede neue Krise, die in immer kürzeren Intervallen auftritt, verschlimmert das Los dieser Schuldner, macht eine schuldfreie Existenz praktisch unmöglich. Konnte ein Jesus Kreditwucherer noch zornig aus dem Tempel jagen, herrscht die Wirtschaft heute mit ihrem ausgeklügelten Verschuldungsprogramm schier unumschränkt und allmächtig. Die geistige Vorbedingung zur geduldigen Hinnahme und Akzeptanz der Schuld als Schuldner wurde und wird als Kern der Reliogionen dauernd eingeübt: "Herr, vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern." Nur, der Herr vergibt nicht und die Schuldner haben nichts zu vergeben. Sogar im Leid werden die Sklaven noch gehöhnt von einem System, das Gott anruft, den Glauben hochhält und damit sichert, dass die Herrschaft der Hohenpriester, der Mullahs und wie sie alle heißen im Verein mit den Bankern gnadenlos waltet und die Schuldigen, die Schuldner auf ewig an kurzer Leine hält, grad soviel zum Überleben lässt, dass die Drecksarbeit noch schuldvoll gemacht wird, so dass die Nachfahren ihren Teil der Schuld erben und übernehmen müssen (dürfen), um weiter geknechtet und niedergedrückt werden zu können. 

Die Erbsünde ist wahrlich tief eingraviert ins Gedächtnis der Sklaven, so dass sie als verschuldete Konsumenten, als wahre Schuldige nur jammern und heulen, neue Schulden machen, neue Schuld auf sich laden, und so nie den aufrechten Gang erlernen das Joch von sich schmeißen, wie sie es könnten, wenn sie sich besännen. 




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