Freitag, 31. August 2012

Wie "tickt" China?



Mit Wang Hui (Intellektueller, Vordenker der Neuen Linken in China), Tienchi Martin-Liao (Autorin und Übersetzerin) und Prof. Dr. Heiner Roetz (Spezialist für Konfuzius, Sinologe)

Erstausstrahlung,30.8.2012, 3SAT

China hat sich in einer rasanten Entwicklung innerhalb von nur 30 Jahren von einer Agrargesellschaft zu einer modernen Industrienation entwickelt. An Chinas politischer und wirtschaftlicher Macht kommt im Westen niemand mehr vorbei. Mit einer Bevölkerung von rund 1,4 Milliarden Chinesen - ein Fünftel der Weltbevölkerung - erobert das Riesenland die Märkte und bestimmt deren Regeln entscheidend mit. Der Hunger der Volkswirtschaft nach Ressourcen scheint grenzenlos. Ebenso der Wille, die neu gewonnene Vormachtstellung zu sichern: So hat China zum Beispiel den weltweit drittgrößten Verteidigungsetat. Die bisherige, an den westlichen Ländern orientierte Weltordnung hat sich bereits verschoben. Vielen flößt das Angst ein. Scheinen doch die Chinesen in für Europäer fundamentalen Fragen wie der der Menschenrechte, grundsätzlich anders zu denken und zu entscheiden. Ist das tatsächlich so? Was verändert sich, wenn die chinesische Mentalität größeren globalen Einfluss gewinnt? Wie wird es die bisher noch stark westlich geprägten Wertvorstellungen von Recht, Vernunft, Individualität beeinflussen?
Gert Scobel diskutiert in "scobel - wie tickt' China?" mit Experten über die grundlegenden Wertvorstellungen der neuen Supermacht und darüber, wie sich eine Brücke zwischen "Kant und Konfuzius" schlagen ließe. Es kommen unter anderen Wang Hui, einer der bedeutendsten Intellektuellen und Vordenker der neuen Linken in China, die chinesische Autorin und Übersetzerin Tienchi Martin-Liao und Prof. Dr. Heiner Roetz, Spezialist fürKonfuzianismus.


Wie "tickt" China?
Erkenntnisse über eine neue Supermacht
Gert Scobel diskutiert mit Fachleuten über die grundlegenden Wertvorstellungen der neuen Supermacht China und darüber, wie sich eine Brücke zwischen Kant und Konfuzius schlagen lässt. Wie denkt, fühlt und "tickt" China? Zur dieser Frage wird sich unter anderen Wang Hui, einer der bedeutendsten Intellektuellen und Vordenker der Neuen Linken in China äußern.

5.000 Jahre Geschichte und Kultur: China ist wieder aufgestanden, sagen die Chinesen. Das Land ist heute wieder eine Weltmacht. Jeden Morgen, wenn die Nationalfahne zum Sonnenaufgang gehisst wird, strömen Tausende auf den Tian’anmen Platz. Der Tian’anmen Platz ist das politische Zentrum Pekings, das Zentrum der Macht des neuen Supergewichts auf der politischen Weltbühne.
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Konfuzius lebte um 500 vor Christus in einer Zeit, in der auch in Indien und im antiken Europa Denktraditionen entstanden, die ganz Asien und Europa bis heute prägen. Der Philosoph Karl Jaspers hat für diese Ära deshalb den Begriff "Achsenzeit" geprägt. Der Konfuzianismus war 2000 Jahre Staatslehre in China.
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Alle fünf Jahre trifft sich Chinas kommunistische Elite zum Konklave vor pompöser Kulisse in Peking. Alle zehn Jahre wird eine neue Führungsgeneration präsentiert. Während man in der großen Halle des Volkes den Eindruck bekommt, dass viele Delegierte das Gesagte nicht zum ersten Mal hören, sichert ein riesiges Aufgebot von Sicherheitskräften und Freiwilligen die kommunistische Elite vor dem Volk.
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Mit Empörung hat Peking auf den jährlichen Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums reagiert, demzufolge sich die Lage in China verschlechtert hat. Der Bericht sei voller Vorurteile und entspreche nicht den Tatsachen, sagte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums dazu.



Unsere Gäste am 30. August 2012
Heiner Roetz, Sinologe und Konfuzius-Spezialist
Professor Heiner Roetz ist Spezialist für Konfuzius und zudem einer der Sinologen, die für eine kritische, von China unabhängig betriebene wissenschaftliche Arbeit stehen. Seine Forschungsschwerpunkte sind chinesische Ethik, klassischer Konfuzianismus, Tradition und Moderne in China und chinesische Religionsgeschichte. Er ist Leiter der Sektion Geschichte und Philosophie Chinas am Fachbereich Ostasienwissenschaften der Ruhr-Universität in Bochum.

Tienchi Martin-Liao, Autorin und Übersetzerin
Tienchi Martin-Liao ist chinesische Autorin und Übersetzerin. Von 1991 bis 2001 leitete sie das Richard-Wilhelm-Übersetzungszentrum an der Bochumer Ruhr-Uni, danach ging sie nach Washington DC, um für die Laogai Research Foundation tätig zu werden, eine Organisation, die zu Menschenrechtsfragen in China informiert. Seit 2009 leitet sie als Vorsitzende das unabhängige chinesische PEN-Zentrum in Taipeh. Tienchi Martin-Liao lebt in Köln.

Eine Erfolgsgeschichte
Chinesen blicken stolz und kritisch in die Zukunft
5.000 Jahre Geschichte und Kultur: China ist wieder aufgestanden, sagen die Chinesen. Das Land ist heute wieder eine Weltmacht. Jeden Morgen, wenn die Nationalfahne zum Sonnenaufgang gehisst wird, strömen Tausende auf den Tian’anmen Platz. Der Tian’anmen Platz ist das politische Zentrum Pekings, das Zentrum der Macht des neuen Supergewichts auf der politischen Weltbühne.
Die Chinesen sind stolz auf ihre Heimat, aber sie sehen auch Probleme und Defizite wie die zunehmende Überalterung, die Zerstörung und Verschmutzung der Umwelt oder auch die schlechten Lebensbedingungen auf dem Land. Für den Westen ist das moderne China häufig ein Rätsel. Für Professor Wang Hui ist es Gegenstand seiner Forschung. Ausgehend von der Geschichte des Landes und im internationalen Vergleich mit anderen gesellschaftlichen Systemen sagt er: "China ist das Land, das die Armut in kürzester Zeit auf der größten Fläche am stärksten reduziert hat. Das ist ein großer Erfolg."

Wang Hui analysiert aber auch die Schattenseiten der einmaligen Erfolgsgeschichte. 30 Jahre wirtschaftsliberale Reformpolitik haben China auch große Probleme beschert. "Das größte Defizit ist die Diskrepanz zwischen Armen und Reichen, die Ungleichheit in der Gesellschaft, die zunehmende Trennung von Stadt und Land und der Rückbau der Infrastruktur in den ländlichen Gebieten", so Wang Hui.

Immer die Geschichte im Blick
Bei seinen Doktoranden schärft er den Blick für die historischen Dimensionen. Die Opiumkriege, die bürgerliche Revolution, die Gründung der Volksrepublik – ohne die Analyse der Geschichte lasse sich das moderne China nicht begreifen. Tsinghua ist die Eliteuniversität Chinas. Wer hier studiert, analysiert die Gegenwart kritisch und wird die Zukunft des Landes mitgestalten.

Die Elite von morgen führt wissenschaftliche Debatten und kontroverse Diskussionen um die Zukunft des Landes. Wang Hui sieht China am Scheideweg: "Wenn die gesellschaftlichen Widersprüche nicht zu lösen sind, wenn das Volk oder große Teile der Gesellschaft denken, dass die Reformpolitik nicht für das ganze Volk gemacht wird, sondern nur für eine Minderheit, dann führt das zu einer gesellschaftlichen Krise, zu einem Legitimationsproblem der Regierenden."

Reformen sollen kommen
Herrschaft muss sich legitimieren, auch in China. Die herrschende Partei hat über 80 Millionen Mitglieder. Im Herbst 2012 wird auf dem Parteitag eine neue Führung gewählt. Wang Hui sagt: "Es herrscht Einigkeit über die Notwendigkeit von Reformen. Als Hauptpunkte sollen bei den kommenden Reformen das Wohl und die Rechte jedes einzelnen Bürgers garantiert und gestärkt werden. Und das Recht des Bürgers bedeutet nicht nur das wirtschaftsliberale Recht auf Reichtum, sondern es geht um die Möglichkeiten des politischen Engagements, um Mitsprache und Mitgestaltung."

Außerdem stehen soziale Gerechtigkeit, die Förderung der ländlichen Gebiete, Umweltschutz und die Bekämpfung der Korruption auf der Agenda. Noch traut die übergroße Mehrheit der Chinesen der Regierung die Lösung der Probleme zu.

Praxisnahe Lebensethik
Konfuzianismus als gesellschaftliche Gebrauchsanweisung
Konfuzius lebte um 500 vor Christus in einer Zeit, in der auch in Indien und im antiken Europa Denktraditionen entstanden, die ganz Asien und Europa bis heute prägen. Der Philosoph Karl Jaspers hat für diese Ära deshalb den Begriff "Achsenzeit" geprägt. Der Konfuzianismus war 2000 Jahre Staatslehre in China.
Konfuzius kam 551 vor Christus in Qufu zur Welt. Der Philosoph Laotse war vermutlich sein Zeitgenosse. Konfuzius lebte in einer Zeit gewaltsamer Umbrüche. Das Reich der Mitte war noch nicht vereinigt. Der Philosoph und seine Schüler zogen lange Jahre als Wanderlehrer umher. Sie waren durch Hunger und Krieg bedroht. Konfuzius beriet Fürsten, veröffentlichte aber seine Lehren nicht. Seine Schüler fassten die Weisheiten nach seinem Tod im sogenannten "Lun Yu" zusammen. Sie schätzten ihren Meister als einzigartigen Pädagogen und Vordenker der Bildungstheorie und folgten ihm wie Jünger.

Menschenliebe als höchste Tugend
Doch beim Konfuzianismus handelt es sich nicht um eine Religion, sondern vielmehr eine praxisnahe Lebensethik. Deshalb wird er auch "Gebrauchsanweisung für die Gesellschaft" genannt. Die Herkunft seiner Schüler zählte für Konfuzius nicht. Den Wert eines Menschen machten für ihn nur Bildung und deren Umsetzung aus. Reflektiertes Lernen dient der Selbstvervollkommnung, die einen "Edlen" auszeichnet. Er übt sich in den fünf Tugenden Rechtschaffenheit, Gewissenhaftigkeit, Gegenseitigkeit, Aufrichtigkeit und der höchsten Tugend, der Menschenliebe.

Gesellschaftliche Ordnung und Harmonie können, so Konfuzius, nur auf der Basis der sogenannten "kindlichen Pietät" entstehen. Das Kind ist gehorsam gegenüber Eltern und Großeltern, die Frau gehorcht dem Mann - und das Volk dem Herrscher. Verhält sich jeder gemäß seiner Rolle, herrscht in der Familie Ordnung. Diese Harmonie geht dann auf das Dorf, die Provinzen, das Reich und schließlich auf den gesamten Kosmos über.

Traditionelle Werte voll im Trend
In der Schule lernen die Kinder die traditionellen Werte und Tugenden des Konfuzius, ihre Eltern zu ehren und dankbar zu sein. Auch im rasant wachsenden China ist dieses Bildungsangebot sehr gefragt. Nur mit den Tugenden lässt sich das Ideal der Harmonie erreichen. Die Renaissance des Konfuzianismus begann bereits vor über 30 Jahren. Das Ziel der Kommunisten ist die harmonische Gesellschaft, die seit fünf Jahren im Parteistatut festgeschrieben ist.

Durch die Tradition des Konfuzianismus ist das Ideal der gesellschaftlichen Harmonie viel stärker verankert als individuelle Rechte. Harmonie meint allerdings kein religiöses Heilsversprechen, sondern ein weltliches Ideal. Auch wenn die Harmonie im Zentrum seiner Lehre stand, Konfuzius’ wohl wichtigste Botschaft an die heutige Welt würde wohl lauten: Harmonie ist nicht alles und Kritik ist erwünscht - selbst gegenüber Herrschenden.

Politik von der Stange
Für Chinas Einheitspartei bleibt alles beim Alten
Alle fünf Jahre trifft sich Chinas kommunistische Elite zum Konklave vor pompöser Kulisse in Peking. Alle zehn Jahre wird eine neue Führungsgeneration präsentiert. Während man in der großen Halle des Volkes den Eindruck bekommt, dass viele Delegierte das Gesagte nicht zum ersten Mal hören, sichert ein riesiges Aufgebot von Sicherheitskräften und Freiwilligen die kommunistische Elite vor dem Volk.
Auf dem kommenden Parteitag in diesem Herbst, soll nun eine neue Führungsspitze vorgestellt und abgenickt werden. Dabei läuft alles auf die Kandidaten Xi Xingping und Li Keijiang hinaus. Der erste soll Partei- und Staatschef werden, der zweite sein Regierungschef. Doch wofür sie eigentlich stehen, weiß auch in China niemand so recht. Yang Jisheng ist stellvertretender Chefredakteur der kleinen kritischen Zeitschrift "Yanhuang Chunqiu", die nicht öffentlich verkauft, sondern nur direkt an Abonnenten verschickt wird. Er sagt: "Die chinesische Politik funktioniert anders, als die im Westen. Wenn man im Westen wählt, müssen zuerst die politischen Meinungen und alle programmatischen Informationen veröffentlicht werden".

Auch neue Kandidaten ändern nichts
"In China wird das alles hinter der Roten Maurer von einigen Wenigen ausgekungelt. Die Bürger erfahren nichts. Deswegen kann niemand wirklich sagen, um was für Menschen es sich bei den beiden Kandidaten handelt, was sie denken und wollen“, so Yang weiter. Immerhin hat sein Blatt eine Auflage von 160.000 Stück. Zuvor, bis zu seiner Pensionierung, arbeitete er bei der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua, die direkt dem Propagandaministerium unterstellt ist. Auch wenn man nicht viel über die nächste Führungsgeneration wüsste, dass sie viel ändern könnte, sei praktisch ausgeschlossen, meint Yang.

"Hu Jintao, der noch Parteivorsitzende und Präsident, hat in einer Rede schon den Ton bestimmt. Er hat gesagt, bei den politischen Reformen hätten wir keinen Nachholbedarf. Wir hätten gute politische Erfahrungen gemacht, die unser politisches System bestätigen würden. Es sei nicht nötig, die politischen Reformen zu beschleunigen und wenn man etwas Gutes geschaffen habe, bräuchte man es auch nicht zu reformieren", so Yang Jisheng. Dabei steht Chinas nächste Führungsgeneration vor gewaltigen Herausforderungen. Zwischen 100.000 und 200.000 Zwischenfälle mit Massenhintergrund gibt es mittlerweile. Das ist die euphemistische Umschreibung von teils gewaltsamen Protesten gegen Korruption und illegale Landnahmen.

Kein Vertrauen in die Politik
China ist ein Rechtsstaat, der nicht durch das Recht, sondern durch die Partei bestimmt wird. Dort können Kritiker - selbst mächtige lokale Parteichefs wie jüngst Bo Xilai aus Chongqing - plötzlich und ohne Anklage verschwinden. In China wird die Schere zwischen arm und reich immer größer, der Immobilienmarkt hat sich zu einer riesigen Blase entwickelt und die Wirtschaft wächst langsamer als die Nachfrage nach Arbeitsplätzen. Dem Schulterklopfen der Partei glaube hier kaum noch jemand, meint Herr Yang: "China ist in einer Vertrauens-, Glaubens- und Zuversichtskrise. Das Vertrauen in die Regierung ist schon lange in der Krise. Was die Regierung sagt, glauben viele Bürger nicht mehr. Wenn die Politik nicht transparenter wird, wird die Politik das Vertrauen nicht zurückgewinnen können."

Dass die zukünftigen mächtigen Männer Chinas aber die Transparenz der politischen Prozesse erhöhen werden, ist eher unwahrscheinlich. Ihre Aufgabe in der Einparteien-Diktatur sei eine andere, meint Herr Yang: "Die Aufgabe der neuen Generation ist es, dafür zu sorgen, dass die Partei ihre Macht nicht verliert. Das ist ihre heilige Pflicht". Und so wird der 18. Parteitag im Herbst wohl so spannend werden wie die vergangenen.

China und die Menschenrechte
Ärger in Peking über jährlichen US-Bericht
Mit Empörung hat Peking auf den jährlichen Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums reagiert, demzufolge sich die Lage in China verschlechtert hat. Der Bericht sei voller Vorurteile und entspreche nicht den Tatsachen, sagte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums dazu.
China habe in den vergangenen 30 Jahren "bedeutende Fortschritte" bei den Menschenrechten erzielt. Der Sprecher warf den Vereinigten Staaten vor, mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen: "So ein Thema sollte nie dazu benutzt werden, andere anzugreifen oder sich in interne Angelegenheiten anderer Länder einzumischen."

In dem im Mai 2012 veröffentlichten Bericht hatten die USA eine Verschlechterung der Menschenrechtslage in China angeprangert. Peking habe seine Bemühungen verstärkt, politische Aktivisten zum Schweigen zu bringen, hieß es unter anderem darin. Der Bericht erschien wenige Tage nach der Ausreise des blinden chinesischen Bürgerrechtlers Chen Guangcheng in die USA, dem Ende April eine dramatische Flucht aus seinem mehrjährigen Hausarrest gelungen war.

Man verbittet sich Druck und Belehrungen
Außerdem will China mit der Europäischen Union weniger intensiv über Menschenrechte sprechen als bisher. Die asiatische Großmacht plädiert dafür, statt zwei Dialogtreffen jährlich nur noch eines abzuhalten, wie der unabhängige Brüsseler Informationsdienst "EUObserver" im Juni diesen Jahres berichtete. "China ist entschlossen, die Menschenrechte zu verbessern. Aber wir denken nicht, dass jemand als Lehrer auftreten sollte. Wir geben keinem Druck nach", sagte Wang Xining, der Presseattaché der chinesischen EU-Botschaft. Das bisher letzte Treffen fand Ende Mai diesen Jahres statt. Eine Gesprächsrunde im Jahr reiche aus, wird Wang zitiert. Schon 2010 und 2011 hatte China jeweils ein zweites Treffen abgesagt.

Eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton unterstrich dagegen, die EU wolle an den halbjährlichen Treffen festhalten. Auch werde sie weiter Einzelfälle thematisieren: "Wir behalten uns dieses Recht vor. Wir haben dies immer getan, und daran wird sich nichts ändern."

Konfuzianismus verstehen
Buchempfehlungen von Gert Scobel
Auf dem Feld der Diskussion, das sich zwischen den großen Themen der Religion und ihrer Jahrtausende alten Geschichte, den neuen religiösen Bewegungen, aber auch den Fragen und Antworten der Philosophie und Ethik aufspannt, gibt es seit einigen Jahren eine Reihe, die nicht nur Pionierarbeit leistet, sondern zum besten gehört, was je auf diesem Gebiet zumindest in Deutschland publiziert wurde. Ich meine den Verlag der Weltreligionen , eine Zusammenarbeit des Suhrkamp Verlages, der Udo Keller Stiftung Forum Humanum und einer Reihe internationaler Spitzenwissenschaftler.

Das ehrgeizige Ziel des Verlages der Weltreligionen ist es, "die Tradition der religionsgeschichtlichen Publikationen in den Verlagen Suhrkamp und Insel, im Jüdischen Verlag und im Deutschen Klassiker Verlag fortzusetzen", um der Öffentlichkeit die großen religiösen Texte und Schriften des "Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus und Daoismus, des Judentums, Christentums und des Islam" zugänglich zu machen.

Tatsächlich macht der Verlag der Weltreligionen ernst mit der Absicht, viele religionsgeschichtliche Quellenwerke und Darstellungen der Religionen in hervorragender deutscher Übersetzung (oftmals zum ersten mal) zugänglich zu machen. In der Tat sind viele selbst er wichtigen Texte nur schwer oder gar nicht auf Deutsch erhältlich. Und wenn, so fehlen oft die solide philologische, wirkungsgeschichtliche und inhaltliche Einordnung - gerade bei Texten, die Nicht-Fachleuten nicht geläufig sind. Insofern kann man das Projekt und die bislang publizierte, erstaunlich vielseitige Produktion des Verlags der Weltreligionen nicht oft und lautstark genug loben.

Auch in Bezug auf China gibt es einige Perlen, auf die ich in kurzen Besprechungen aufmerksam machen will, wobei ich mich aus verschiedenen Gründen nicht mit den (Chan- oder Zen-) buddhistischen Texten des alten China befasse - etwa mit dem von Christian Wittern herausgegeben Band "Mazu Daoyi und Dazhu Huihai - Grundlegende Reden und Aufzeichnungen der Hongzhou-Schule des Chan-Buddhismus". Da es in meiner Sendung um China geht, will ich Ihnen kurz vier Bände vorstellen, die sich mit dem Konfuzianismus befassen:

Scobels Kolumne:
Die Widersprüchlichkeiten Chinas
Vom Streben nach Harmonie und der Akzeptanz von Folter und Gewalt

Harmonie bedeutet, dass jede Gesellschaft ihren eigenen Werten folgt und man sich - wie der Sinologe Heiner Roetz zugespitzt schrieb - "nicht wechselseitig in normativen Fragen belästigt, sondern in einem friedlichen Nebeneinander um Kooperation bemüht". Nach dieser Definition ist auch die Diskussion mit China über Fragen der Menschenrechte eine Einmischung.
Leider wird in dieser Harmonie-Debatte, die seit vielen Jahren die innere und äußere Politik Chinas bestimmt, der Gelehrte Konfuzius zitiert, der in seinen Gesprächen (Lunyu) in Kapitel XIII, Vers. 23 bemerkte, dass der (konfuzianische) Edle und Weise den Einklang, aber nicht den Gleichklang suche. Der Edle ist friedfertig, macht sich aber nicht gemein, während der Unedle sich gemein macht und dabei nicht einmal friedfertig ist.

Das chinesische Einparteiensystem, der Staat, nimmt allerdings für sich immer wieder eine andere Haltung in Anspruch. Denn der Staat setzt keineswegs auf Pluralität und Relativismus in Sachen Normen, sondern darauf, sich in alle Einzelheiten einmischen und auf Abweichungen notfalls mit Gewalt, Folter und Hinrichtung zu reagieren. Aber nicht nur notfalls. Hat das Einparteiensystem, das im Oktober einen erneuten Machtwechsel erleben wird, angesichts des 18. Parteikongresses, tatsächlich "Not"? Manches deutet darauf hin, dass es innerhalb der (nach außen gut geschützten) Partei heftige Machtkämpfe, Verwerfungen und Risse gibt.

Jedes Jahrhundert hat seinen eigenen Konfuzius
Doch wo auch immer man Fragen wie diese diskutiert, taucht wie aus dem Nichts ein Name auf: Konfuzius. Der Konfuzianismus, der sich seit fast 2500 Jahren hält (obwohl, wie manche Kenner bemerken, jedes Jahrhundert seinen eigenen Konfuzius hat), scheint eine gute Folie zu sein, um die Veränderungen Chinas über die Jahrhunderte hinweg besser zu verstehen. Gerade auch das moderne China beruft sich immer wieder auf den ersten Bildungstheoretiker und frei tätigen Lehrer Chinas. Zu seiner Zeit war Konfuzius weitaus weniger anerkannt als der steigende Ruhm nach seinem Tod ahnen lässt.

Die Frage ist also, was der historische Meister Kong lehrte und dachte. Bilden diese Gedanken, die vor allem in den sogenannten Gesprächen (Lunyu) festgehalten sind, Anhaltspunkte, um die Widersprüche auch des modernen China zu verstehen? Und wie verhalten sich Konfuzius’ Ansichten - etwa seine goldene Regel - zu den westlichen Versuchen der Begründung von Ethik und Moral? Diese und ähnliche damit verbundene Fragen stehen im Zentrum der Sendung, die das Ziel hat, über China zu informieren und die Widersprüchlichkeit dieses großen, mächtigen Landes besser zu verstehen.


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