Mittwoch, 8. August 2012

Jacob Burckhardts 115. Todestag

Jacob Christoph Burckhardt , 25. 5.1818 - 8. 8.1897, war ein Schweizer Kulturhistoriker mit Schwerpunkt in Europas Kunstgeschichte.

Wikipedia



Aus seinen Briefen:




An Friedrich Nietzsche


Basel, 13. September 1882

Verehrtester Herr und Freund, vor drei Tagen langte Ihre ›Fröhliche Wissenschaft‹ bei mir an, und Sie können denken, in welches neue Erstaunen das Buch mich versetzt hat. Zunächst der ungewohnte, heitere Goethesche Lautenklang in Reimen, dessengleichen man gar nicht von Ihnen erwartet – und dann das ganze Buch und am Ende der Sanctus Januarius! Täusche ich mich oder ist dieser letzte Abschnitt ein spezielles Denkmal, das Sie einem der letzten Winter im Süden gesetzt haben? er hat eben sehr Einen Zug. Was mir aber immer von neuem zu schaffen gibt, ist die Frage: was es wohl absetzen würde, wenn Sie Geschichte dozierten? Im Grunde wohl lehren Sie immer Geschichte und haben in diesem Buche manche erstaunliche historische Perspektive eröffnet, ich meine aber: wenn Sie ganz ex professo die Weltgeschichte mit Ihrer Art von Lichtern und unter den Ihnen gemäßen Beleuchtungswinkeln erhellen wollten? Wie hübsch vieles käme – im Gegensatz zum jetzigen Consensus populorum – auf den Kopf zu stehen! Wie froh bin ich, daß ich seit längerer Zeit die landesüblichen Wünschbarkeiten mehr und mehr dahinten gelassen und mich damit begnügt habe, das Geschehene ohne gar zu viele Komplimente oder Klagen zu berichten. – Im übrigen geht gar vieles (und ich fürchte, das Vorzüglichste), was Sie schreiben, über meinen alten Kopf weit hinaus; – wo ich aber mitkommen kann, habe ich das erfrischende Gefühl der Bewunderung dieses ungeheuren, gleichsam komprimierten Reichtums und mache mir es klar, wie gut man es in unserer Wissenschaft haben könnte, wenn man vermöchte, mit Ihrem Blicke zu schauen. Leider muß ich in meinen Jahren froh sein, wenn ich neuen Stoff sammle, ohne den alten zu vergessen, und wenn ich als betagter Fuhrmann die gewohnten Straßen ohne Malheur weiter befahre, bis es einmal heißen wird: spann aus.

Es wird nun seine Zeit dauern, bis ich vom eiligen Durchkosten bis zum allmählichen Lesen des Buches vordringe, so wie es von jeher sich mit Ihren Schriften verhalten hat. Eine Anlage eventueller Tyrannei, welche Sie S. 234 § 325 verraten, soll mich nicht irre machen. Mit herzlichem Gruß

Ihr stets ergebener
J. Burckhardt




An Heinrich von Geymüller

Basel, 8. Mai 1891


Lieber Herr und Freund! Besten Dank für Ihren herzlichen Brief vom 1. dieses und für das nachfolgende Billett! Aber von einem Besuch von Paris, wozu Sie mich so freundlich auffordern, kann für mich längst keine Rede mehr sein; ich bin in einem Zustande, da ich mich auf alle Weise schonen und froh sein muß, gegen Ende Juli in Obernbaden unterkriechen zu können. Die Leute nehmen mich hier noch für gesund, weil ich herumgehe und fünfmal die Woche lese, aber die Maschine geht eben gerade noch zur Not und zeigt Defekte der verschiedensten Art. Das Hinscheiden hat für mich zwar nicht die Hoffnungen, womit Sie, lieber Herr und Freund, erfüllt sind, aber ich sehe demselben doch ohne Furcht und Grauen entgegen und hoffe auf das Unverdiente. In den Gebieten, welche uns beide insbesondere angehen, sah es zur Zeit, da Sie jung waren, vollends aber zu der Zeit, da ich jung war, ganz anders aus als jetzt; die ideale Schönheit als Ziel aller Kunst verstand sich noch von selbst, und der Wohllaut war noch eine Bedingung des Schaffens. Seither ist das Leben überhaupt unendlich viel großstädtischer geworden, und den früheren kleineren Wirkungsstätten ist der Geist entzogen. In den großen Städten aber werden Künstler, Musiker und Poeten nervös. Alles wird wilde, eilige Konkurrenz, und das Feuilleton spielt dazu auf. Die wirklich vorhandene Menge und Höhe der Begabungen ist außerordentlich groß, aber es kommt mir vor, mit Ausnahme des jeweiligen oft kleinen fanatischen Geleites freue sich niemand mehr recht an den einzelnen Werken.

Ich sehe dies freilich alles nur von ferne an und habe mich auf mehrfache Erfahrungen hin von der lebenden Kunst so gut wie vollständig zurückgezogen, so daß mich das große Vergangene um so mehr beschäftigen und beglücken kann. Zwar sucht sich auch auf diesem Gebiet die Nervosität einzunisten in Gestalt der heftigen kunsthistorischen Händel, namentlich über Attributionen, aber diesen gehe ich aus dem Wege und sage meistens, ich verstehe nichts davon. Noch heute denke ich wie mein alter längst verstorbener Freund Gioacchino Curti, welcher sagte: »Purchè la roba sia buona, non dimandar il nome dell'autore.«

Das Vordrängen des Naturalismus sieht unserem fin de siècle vollkommen ähnlich. Was aber die Kunst des 20. Jahrhunderts für Patrone und Mäzenaten haben wird? und ob sie nicht in einer großen allgemeinen Flut völlig untertaucht? Mir kommen bisweilen kuriose Gedanken über alles fragliche Wohlergehen in den Zeiten, welche im Anzug sind. – In Italien, wo ich vor vierzig bis fünfzig Jahren noch beinahe die Illusion eines altertümlichen Lebenszustandes genoß, drängt sich das ›Jetzige‹ auf schreckhafte Weise hervor; oben die Streber, unten eine allmählich furchtbar enttäuschte Nation.

Von Frankreich aus gesehen, in einem Hohlspiegel des Hasses reflektiert, mag sich Italien vollends übel ausnehmen, und, abgesehen von Spekulanten in alten Gemälden, studiert kaum mehr ein Franzose das alte Italien ... Und nun leben Sie wohl und bleiben eingedenk Ihres stets getreuen

J. Burckhardt



An Ludwig von Pastor

Basel, 23. Januar 1896


... Nun ist der Name Nietzsche gegenwärtig nicht bloß an sich eine Art von Macht, sondern ein publizistisches Geschäft, welches Besprechung und Erklärung pro und contra wünschen muß. Wer jedoch wie ich seine Studien begonnen hat, als Hegel in vollem Glanze stand, konnte seither den Auf- und Niedergang von Verschiedenen erleben und sich in die Zufälligkeit auch des Glänzenden schicken lernen.

Da ich ferner keine philosophische Ader in mir habe, erkannte ich von Nietzsches hiesiger Berufung an, daß mein Verkehr ihm in seinem Sinne nichts gewähren könne, und so blieb es bei nicht häufigen, aber ernsthaften und friedlichen Diskursen.

Über den Gewaltmenschen habe ich nie mit ihm verkehrt, weiß auch nicht, ob er dieser Idee schon anhing, als ich ihn noch öfter sah; von dem Anfang seiner Krankheiten an jedoch sah ich ihn überhaupt nur noch selten. Ich meinesteils bin niemals ein Verehrer der Gewaltmenschen und Outlaws in der Geschichte gewesen, habe sie auch eher für flagella Dei gehalten und deren genaue psychologische Konstruktion gerne andern überlassen, wobei man sich ja erstaunlich trompieren kann. Ich bin mehr dem Beglückend- Schaffenden, dem Belebenden nachgegangen, und dieses glaubte ich eher an anderer Stelle zu erkennen.

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