Donnerstag, 4. Januar 2018

Gewissheit



12.4. [1951]
Die Frage ist doch die: "Wie, wenn du auch in diesen fundamentalsten Dingen deine Meinung ändern müßtest?" Und darauf scheint mir die Antwort zu sein: "Du mußt sie nicht ändern. Gerade darin liegt es, dass sie 'fundamental' sind."

Wie, wenn etwas wirklich Unerhörtes geschähe? wenn ich etwa sähe, wie Häuser sich nach und nach ohne offenbare Ursache in Dampf verwandelten; wenn das Vieh auf der Wiese auf den Köpfen stünde, lachte und verständliche Worte redete; wenn Bäume sich nach und nach in Menschen und Menschen in Bäume verwandelten. Hatte ich nun recht, als ich vor allen diesen Geschehnissen sagte "Ich weiß, dass das ein Haus ist" etc., oder einfach "Das ist ein Haus" etc.?

Diese Aussage erschien mir als fundamental; wenn das falsch ist, was ist noch 'wahr' und 'falsch'?!

Ludwig Wittgenstein: Über Gewissheit
(In: Werkausgabe Band 8:222; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984)

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Heute gemahnt das an die Klimakatastrophe, die für viele als fake news nicht gilt und nicht wahrgenommen wird. Andererseits hatte Wittgenstein den Atombombenabwurf, den Atomkriegsschlag der Amerikaner mitbekommen, über die daraus resultierende Angst sich irgendwie lustig gemacht. War die höchstentwickelte Vernichtungswaffe nicht etwas wirklich Unerhörtes?

Wirklich unerhört scheint für Wittgenstein das völlig Irrationale aber doch sich Ereignende, Seiende, eines, das keiner verstehbaren oder verständlichen Logik folgt. Atomkrieg? Nein, der ist logisch, der ist verstehbar.

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Die hysterische Angst, die die Öffentlichkeit jetzt vor der Atom-Bombe hat, oder doch ausdrückt, ist beinahe ein Zeichen, dass hier einmal wirklich eine heilsame Erfindung gemacht worden ist. Wenigstens macht die Furcht den Eindruck einer wirklich wirksamen bittern Medizin. Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren: wenn hier nicht etwas Gutes vorläge, würden die Philister kein Geschrei anheben. Aber vielleicht ist auch das ein kindischer Gedanke. Denn alles, was ich meinen kann, ist doch nur, dass die Bombe das Ende, die Zerstörung, eines grässlichen Übels, der ekelhaften, seifenwäßrigen Wissenschaft, in Aussicht stellt. Und das ist freilich kein unangenehmer Gedanke; aber wer sagt, was auf eine solche Zerstörung folgen würde? Die Leute, die heute gegen die Erzeugung der Bombe reden, sind freilich der Auswurf der Intelligenz, aber auch das beweist nicht unbedingt, dass es zu preisen ist, was sie verabscheuen.
1946
Ludwig Wittgenstein: Vermischte Bemerkungen
(In: Werkausgabe Band 8:518f)

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Und noch eine kleine Anmerkung mittels eines Zitats von Jean Amery (Unmeisterliche Wanderjahre.  Stuttgart 1985:31):

Er lauschte nach dem Unhörbaren, während das Unerhörte schon im Begriffe war, sich zu ereignen.


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