Mittwoch, 4. März 2015

Tag der Lyrik



Zum Tag der Lyrik am 4. März eine kleine Auswahl von Gedichten aus DRIESCH – Zeitschrift für Literatur & Kultur

Ilse Krüger−Sklenicka,

noch trabt die
hoffnung bloßfüßig
durchs feuchte laub
bald aber wird sie sich
im dachsbau verkriechen

erst wenn die sonne
die winternassen
wege getrocknet
wird sie ihre
höhle verlassen



im freien fall
nach deiner hand gegriffen
trotzdem
nach deiner hand gegriffen
als könnte
durch das ineinanderkrallen
unserer finger
die zeit genötigt werden
anzuhalten




Wolfgang Wurm
Ich und eine Insel


Dass ich Dir
Eine Insel gewesen
Bestritt ich vor der See
Bis zuletzt

Nannte ich doch
Keine Erde mir eigen
Und strandend
Begrubst du mich mit

Der ich selbst
Auf kein Festland baute
Zu Marschland mutiert
Der Tide zuvorkam


Gabriele Frings
wasser und eis
der harsche schritt
fräst sich durch neuschnee
sein stiefel großspurig
garantiert trittsicherheit
nur die wolke verrät
den ort des kauerns
angehalten den atem
im ratternden schweigen
stillgestanden am abzug
die finger           knopfdruck
undblindundtaub
am abend der himmel
krümmt sich ins rot
ergibt er sich
den bildern und lauten
rotieren im dämmer
bis mondlicht zittert
auf seiner wimper grenze
zwischen wasser und eis


Kathrin B. Külow

unwirkliches weiss erstarrte fläche
aus der wie tote gräser ragen
die säulen der alleen als schatten
worte finden für durchsonnte tage
als saft aus ihnen tropfte
traf sie der stahl neugieriger
die süchtig wurden an der süße



zugVögel
 
keil
den sie vorwärts treiben
stummes land
über der grundzahl blau
und weiß die ebene
eingeschnitten die linien
der saaten der abfolgen
verschüttungen
oben ihr schneidender ruf
in die kälte



René Oberholzer

Sommernächte

In der Eiszeit
Werden die Zungen der Frauen
Besonders lang

Die Männer ergeben sich
Und schmelzen
Reihenweise dahin



Wolfgang Straßnig


wie
langsam
der schnee
fällt

ins tiefe
des traums

ins bodenlose
des weißen

zerfallenen
raums

Silvia Waltl

die liebe in zeiten des hochwassers
(berlin kurfürstendamm)
taubentag in graublau dieses gezogen-
& gestoßenwerden durch korridore
arminarm wangeanwange fluten sie
mit dem treibholz in den flüssen
hin zu fernen meeren
im wagengewimmel fremdbestimmte
körper ausgerichtet nach den orten
die sie kennen oder imaginieren
man wird schwer einig mit sich selbst
lallend von liebe oder alkohol
von wiedersehen oder abschied
zwischen zu viel oder zu wenig gepäck
eine fußbreit leben & atemreste

eine straße ist kein platz du nicht
FK ich nicht FB der richtige name
an der falschen adresse mit knirsch-
holz lustern staub & schwerem
samtbehang der ungelegene
gedankensprünge dämpft

die nie geschriebenen briefe knistern
& nadeln in den kopf wie kühle kiefern
im park am übergang zur nacht
mit abendsonne beworfene wolken
durchschwimmen die stelle wo der himmel
am engsten ist & branden an den
verbrauchten sandstein der fassaden
die spielen unbeeindruckt ihr programm
aus sockeln säulen & gesichtern

an meinen masken zerrt der wind &
schiebt mich durch die straßen die
sind unbeholfen breit & leer
in die sonntagsbrache der geschäfte
zu engeln mit verschlossnen flügeln
zu ausgehöhlten kirchen kühlen kacheln
unterm heißgelaufenen asphalt

an jeder ecke lauern zerreißproben fürs herz
irgendwo hinterm buchengrün tönen schwere
glocken & übers viadukt knattert die bahn mit hellen
vierecken die wie ich in dunkle fernen streben.


Michaela Davin

Blätterschatten

Hinter den Sträuchern
erdbeerrot duftend und
nebelschwer
schattige Netze spinnend
fand ich ihn
der mich fragte
nach unseren Gebräuchen und Sitten
Nach den rasenden Zeigern
Nach den traurigen hallen des Ruhmes
Als ich schweig
Und ging,
von grauen Schleiern begleitet,
da holte er mich ein,
mit sanften Schritten,
die trüben Schwaden verjagte er
die Tropfen auf meiner Haut zählte er
und hüllte mich
mit zitternden Fingern
in das schattige Netz
aus rotem Dunst




Leni Nusko

flockig und
im riesellicht
dein abdruck
im schnee.
gehst nicht:
hüpfst mehr.

das kristalline
in dir
wird flüssig –
strömt
Blau und Rot
ins Weiß
der schneefelddecke.


Franz Blaha

Weeche Fiass
 
Fua oosdan
hod en heanoes
da kafarebeag offn.

In da midtn
faun kafarebeag
schdäd a safnblosnmaschiin,
und de mochd en gaundsn dog
safnblosn,
und de safnblosn kossn
iwahaubd niggs.

De baamgragsla,
desd aum kafarebeag kaufn kaunsd,
kossn drei schüüling.
Und a so a baamgragsla
kau ollawäu nua owegräun,
und schäwan duad a dabei.

Mama, biddä drog me!
Meine fiass damma schau wää
und faun gigalfuada und de maraune
is ma gaunds schlächd.

Aum heanoesa friidhof
is a grob,
waunsd do hiwüssd,
muasd genausoweid auffe,
wiaraum kafarebeag.
Do siggsd jedä wochn
an mau,
dea seinä oedn brodsn
en sein oedn kabpe faschdeggd.

Waunarauffe gäd,
griagd a ka lufd mea,
und waunarowä gäd,
schäwan eam de gnia,
und wauna duadtn schdäd,
is a gaunds schdaad,
wäu daun head a
fau weid fuadt
a schdimm:

Maamma,
bidde droog me,
meine fias damma schau wä.
Aum kafarebeag
san schau olle safnblosn dsablodsdt,
es riachd nua mea noch langosch,
und mia is schau gaunds schlächd.



Wolfgang Ratz

Die Rutsche der Zeit

ein Brunnen spielt
sein Metaphernkarusell
der Park ist versperrt
die Stimmen verwachsener Kinder
fallen von Schale zu Schale
zittern von Blatt zu Blatt
von keinem zu schreiben
zu träumen von jedem

das ist die Rutsche der Zeit
die Schaukel der Worte
der Brunnen spielt ohne Publikum
nicht minder virtuos
der Applaus des Vergessens genügt
die Bilderhutsche, das versäumte Gedenken

Hatschi Bratschi Bierbaron
ein Schießbudentrick im Schneckenwald
unmögliche Passanten violett aufgedunsen
von keinem zu schreiben
zu träumen von jedem

dieser Schrei wurde nie geschrien
der Park ist versperrt
das Gebet ist kein gültiger Code



Joanna Lisiak

Heute in der Bäckerei
(die Paillasse-Brötchen)

Als ich sie daliegen sah im Körbchen
ins weisse Gewebe gehüllt an manchen Stellen
lugend durchs zerstreute Mehl hindurch zu mir
war es um mich geschehen ob all der duftenden unschuldig anmutenden Gebäcksbäckchen.

Vor Entzücken machte ich einen linkischen Witz
die Bäckersfrau ging vielleicht aus reiner Routine
nicht darauf ein was den Scherz umso komischer machte weil er zurückprallte unverhofft wie so oft
wenn das eine aufs andere trifft
in der Schräge in der Früh in zwei Rollen.

Nah beieinander noch warm stracks aus dem Ofen ruhten sie da mollig geduckt manche kauernd
hinter den anderen geborgen ich habe mir verständlich so ein knuspriges Teil sogleich gesichert
es wird in mich hinein gehen sämtlich und ich freue mich
als ich es anbeisse mit Gefühl schweife ich in Gedanken
zu den anderen sehe wie sie dort friedlich weilen
im Körbchen mundwarm und denke mir
die haben’s aber gut dort.



Martin Dragaosits

KONSEQUENZ


Ich spüre nur zu gut
dass sie mich gerne denunzierten
und sogar mal brennen ließen
weil mein Wort
in freier Form
den Bogen überspannt

der zwischen Sonntagszeitung
Bier und einem Lied
im Wirtshaus
gemeingewöhnlich
dargeboten werden darf

Ich übertreibe
bin verdächtig
ganz allein
durch Gegenwart

ich lebe liebe schreibe
weil mein Gewissen
es verlangt



Monika Vasik

alltägliche

fingergebiete
und deine hände
linien falten runzeln
lesen dazwischen
vollkommen
aufgeblättert
zeit und erfahrung
wie landschaften
im lebensbuch haut
es knittert



blinde Spiegel

hüllenlos ganz
wunschharmonisch
haut einander wieder
bloß
angeblättert
nicht buchstabiert
nicht liebrasend
nicht sachtgerecht
Teil für Teil
uneins
im Splittern
so fasernackt
aneinander vorbei
atmen



Nahid Bagheri–Goldschmied

Der Papierdrache

Staatsbürger der Verzweiflung bin ich:
ein Papierdrache mit zerrissenem Faden,
der, im Niedersinken
durch zornigen Wind weggedrängt,
von Zeit zu Zeit plötzlich
bis zum Sonnenpalast hochfliegt.

Die Nacht breitet ihre Farben über die Stadt.
In welchen Gassen und Siedlungen spazierst du herum?!
Du! Mutwilliges Kind des Schicksals!

Wann zähmen deine Hände wieder
die Fäden dieses Papierdrachens?!
Über welchem Haus kannst du
die Fahne meiner winzigen Freude hissen?
Kennst du ein Dach?!



Haimo L. Handl

draußen, dort, war niemand
drinnen, hier, war ich
heute bin ich woanders und rede von damals
erinnere mich an das drinnen
das drinnige
den heimeilgen raum
heute bin ich draußen


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen