Freitag, 9. März 2012

Verhinderungsmaßnahmen

Zur Trotzki-Debatte


Die Kritik am Aufruf von 14 Autoren an den Suhrkamp Verlag, die Trotzki-Biografie von Robert Service nicht zu publizieren, hängt nicht von der zustimmenden oder ablehnenden Lektüre seines und seiner Kritiker Werke ab, sondern ist eine prinzipielle an einer Haltung, die jener, die sonst von solchen Leuten kritisiert wird, gleicht: Gesinnungskultur und entsprechender Druck daraus.

Die Sache ist auch mit dem Verweis auf die faktischen Mängel oder die „Unwissenschaftlichkeit“ nicht bündig erklärt. Denn sachliche Mängel lassen sich anführen und kritisieren – und beheben. Zudem bedarf es für eine Biographie keines wissenschaftlichen Ausweises. Würde das gelten, müssten die Bibliotheken um Tausende von biografischen Arbeiten gereinigt werden.

Es bleibt allein das Argument, dass der Suhrkamp Verlag dieses Buch nicht in sein Programm nehmen soll oder muss. Stimmt. Aber das öffentliche Auftreten hat Signalwirkung, bsonders in einer Zeit der Hatzen und Kampagnen. Eine bestimmte Kampagne gutzuheißen, weil sie von „Progressiven“ stammt, wäre kurzsichtig, weil eben gesinnungsmäßig. Wer aber prinzipiell gegen Jagden und Verbote ist, kann solch eine öffentliche Aufforderung nicht einfach als „sachlich“ abtun. Wäre das intern im Verkehr mit Suhrkamp geschehen, würde es keine solche Debatte geben.

Aber den Kritikern geht es nicht nur um Fakten. Es geht um Deutungen, die sie ablehnen. Der Hinweis auf „schlechte Gesellschaft“, Beifall von der „falschen Seite“ und dergleichen belegt, dass es um rechtes Gedankengut geht, das verhindert oder zumindest behindert werden soll.

Wiederum: wenn man für die Freiheit der Meinungsäußerung eintritt, heißt das nicht, dass man die Positionen damit teilt. So, wie Chomsky damals für den faschistischen Historiker Robert Faurisson eintrat hinsichtlich der Freiheit seiner Lehre und Publikationen, so wenig darf und kann man dem Linken Chomsky unterstellen, er teile die fragwürdigen Ansichten Faurissons. Chomsky machte auch den Vergleich zu Voltaire. Den machen die wackeren Historiker in dieser Affäre nicht.

Die Feststellung eines antisemitischen Subtextes ist selbst verfänglich, gefährlich und vage. Solche Konstruktionen dienten einerseits, unter anderen Vorzeichen, früher in Diktaturen wie denen der Nazis und Realkommunisten zur Jagd auf missliebige Autoren, werden andererseits gegenwärtig in diktatorischen Ländern immer noch geübt (nicht nur Iran oder China).

Wir wissen aus den vielen unfruchtbaren Debatten in der Literaturkritik, wie fadenscheinig oft solche Befunde sind; sie ähneln den vulgärpsychologischen Ferndiagnosen. Es wird oft, bedingt durch den eigenen Rezeptionsrahmen und die ideologische Position, mehr hineingelesen oder herausgelesen, als dort steht, eben weil die Konstruktion des Subtextes Freiheiten offeriert, die der eigentliche Text nicht aufweist.

Wenn ein Werk von politischer Seite, die einem unangenehm ist, Beifall erhält, entwertet das nicht das Werk. Würde diese krumme Logik stimmen, müssten Agenten nur Kräfte aus dem jeweiligen konträren Lager animieren oder beauftragen, sich positiv oder negativ zu äußern, damit in der Öffentlichkeit die gewünschte Auf- oder Abwertung erfolgt. Dieses konterdependente Verhalten stellt aber keine Freiheit dar, sondern ein Befolgen vorgegebener Deutungsraster. Diese Praxis verringert den Raum der Kritik, verengt die Blicke, determiniert Urteile.

Auch wenn das Buch von Service ein Machwerk wäre, verdient es nicht so einen Feldzug. Würde die Sache intern geregelt worden sein, bestünden für andere Verlage bei Interesse genügend Gelegenheiten, es doch zu publizieren. Ein ganz normaler Vorgang. Diese Normalität wurde aber durch die öffentliche Kampagne zunichte gemacht. Wenn jetzt ein Verlag, sei es Suhrkamp oder ein anderer, es trotzdem publiziert, wird immer dieser Schatten, in ganz anderer Qualität als ohne diese Kampagne, über der Veröffentlichung liegen. Das heißt, es wird eine unwissenschaftlichen Polarisierung angeheizt, die weit über den Anlass hinausreicht.

Als Peter Huchel in SINN & FORM 1962 den Sartre-Aufsatz über Kafka publizierte, bekam er Probleme und wurde entlassen. Der Text entsprach nicht den gültigen Vorstellungen der Literaturwissenschaftler und Ideologen. Heute sieht man das anders. Werden andere morgen das Verhalten der Historiker auch anders sehen?

Als 1998 bzw. 2004 Emma Gersteins Buch „Moscow Memoirs“ erschien, erklang, neben einigem Lob, sofort ein Aufschrei. Er ähnelte den Verdikten gegen Service. Doch Gerstein hatte mit ihrer Arbeit eine wichtige Korrektur des gezimmerten Bildes von Nadeschda Mandelstam geliefert, das natürlich alle jene störte und vor den Kopf stieß, denen Mandelstam und seine Witwe „heilig“ geworden waren und die meinten, durch die Aussagen von Gerstein werde das Erbe und das Bild der beiden beschmutzt. Wurde es aber nicht, sondern nur zurechtgerückt.

Der Hinweis, man solle „nicht nur rechte Ideologen in der NZZ oder FAZ“ lesen, klingt links und progressiv, ist aber eine nichtssagende Stereotype. Soweit es um Fakten geht, finden sie sich auch in diesen Quellen. Umgekehrt kenne ich viele „linke“ Quellen, deren Faktenlage prekär ist. Dennoch würde ich nie eine solche Verallgemeinerung gebrauchen. – Übrigens ist es die Presse, auch in den USA, UK oder Deutschland und Schweiz, die der Öffentlichkeit Gehalte näherbringt, die sonst, weil nur in Fachjournalen oder –werken publiziert, nicht bekannt würden. Damit wird überhaupt erst eine gesellschaftliche Auseinandersetzung ermöglicht. Immerhin nutzen das auch linke Autoren, oder sind Kluge, Chomsky, Enzensberger oder Habermas Rechte, weil sie in der ZEIT oder FAZ publizieren?

Es wird auch argumentiert, Service erfreue sich deshalb großer Beliebtheit, weil er den Rechten das „historische Unterfutter gegen eine Linksentwicklung in der Gesellschaft“ liefere. Das ist doch an den Haaren herbeigezogen. Erstens erleben wir alles andere als eine Linksentwicklung. Zweitens, wenn es stimmte, könnte dem anders als mit Publikationsverboten entgegnet werden. Aus den Dokumentationen der DDR-Literaturproduktion und –rezeption lässt sich belegen, wie üblich damals diese reinigenden Staatsmaßnahmen waren bzw. wie hurtig man präventiv vorging, um das geistige Klima zu schützen.

Die Historiker, die diese Kampagne unterzeichnet haben, befinden sich also in unguter Gesellschaft, wiewohl sie sich als Vordermänner der Korrektheit sehen. Ihre Haltung entspricht den Experten, die das Publikum für zu dumm halten, sich selbst eine Meinung zu bilden, und es durch „Machwerke“ gefährdet sehen. Sie verhalten sich wie Priester, die die Schafe ihrer Gemeinde beschützen wollen. Das kann aber nur für Schafe und Hirten gelten, nicht aber für andere.

Ich kann sehr gut verstehen, dass jemand die Biografie von Service zerreist und in Grund und Boden kritisiert. Nichts Ungewöhnliches. Wogegen ich mich wende, sind die Haltungen, die einem Gesinnungsterror nahekommen, wenn also Meinungen, Sichten nicht nur kritisiert werden, sondern nach ihrer Verhinderung oder Verfolgung gerufen wird. In einer offenen Gesellschaft müssen ALLE Vertreter, ob links oder rechts oder unpolitisch, religiös, reaktionär oder konservativ oder esoterisch oder sonst was ohne Verbotsandrohung zu Wort kommen dürfen. Sonst haben wir Zustände wie in der damaligen DDR oder anderen Diktaturen. Und das wollen doch unsere tapferen Historiker sicher nicht.

Noch ein Wort zum Antisemitismusvorwurf: Es ist leider modisch geworden, allzurasch mit diesem Urteil etwas so zu kritisieren, dass es aus dem öffentlichen Diskurs (fast) eliminiert wird. Ich sah eine ähnliche Vorgehensweise in den Debatten um die Geldtheorie, wo sogar Kritik am Kapitalismus und Zinssystem als antisemitisch denunziert wurde (z. B. Hermann Lührs vs. Bernd Senf). Ähnliche Vorgangsweisen waren in Debatten um Heinrich Heine oder Paul Celan festzustellen. Immer öfter scheint Antisemitismus alle anderen Argumente zu ersetzen. Nun, dort wo Antisemitismus festzustellen ist, soll er, wie jede Vorurteilshaltung, kritisiert werden. Aber die stereotype, inflationäre Nutzung dieser Kategorie, vor allem in Konstruktionen eines Subtextes, entwertet die Vorurteilskritik und öffnet einer Hexenjagd Tür und Tor. Hier sind, wie in der Tagespolitik, Keulenschwinger am Werk, die keine Debatte wollen, sondern öffentliche Brandmarkung aufgrund von Etiketten, die sie freigiebig verteilen.

Charles Cohen

1 Kommentar:

  1. Die Waffen der Verteidiger von Robert Service: Denunziation statt Argumentation

    Charles Cohen wirft David North und den Autoren des Briefes an Suhrkamp, darunter Prof. Hermann Weber (Mannheim), Prof. Oliver Steinkolb, Leiter des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Wien, Prof. Peter Steinbach, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums Deutscher Widerstand in Berlin, ungerechtfertigten Einsatz des Antisemitismusvorwurfs vor. Ihr Ziel sei, damit einen Gegner einfach zu denunzieren.

    Dieser Vorwurf fällt auf Herrn Cohen selbst zurück. Er weiß viele gelehrte Ausführungen darüber zu machen, dass es in der Geschichte zu solchen Verirrungen und Kampagnen hier und dort gekommen ist, beweist aber mit keinem Wort, dass die Kritik von David North und der Brief an Suhrkamp ein solcher Fall ist. Ich habe das Buch "Verteidigung Leo Trotzkis", den Brief der Wissenschaftler an den Suhrkamp Verlag und die Dokumentation auf www.trotzki.de gelesen. Ich finde, dort ist detailliert belegt und begründet, wo, an welchen Stellen und wie Robert Service über 600 Seiten hinweg gezielt und raffiniert antisemitische Vorurteile bedient. Herr Cohen entfaltet einen poststrukturalistischen "Meta-Diskurs über einen Diskurs" fernab von objektiven Inhalten und Fakten. Er widerlegt kein einziges der vorgebrachten konkreten Argumente - wie dies im Übrigen auch die NZZ- und FAZ-Autoren Ulrich Schmid und Lorenz Jäger nicht tun.

    Seine wind- und wortreich vorgetragene Beschuldigung, den Antisemitismusvorwurf in verleumderischer Absicht erhoben zu haben, es schrumpft zusammen auf -- eine erbärmliche Denunziation!

    Inessa

    AntwortenLöschen