Die Kritik am Aufruf von 14 Autoren an den
Suhrkamp Verlag, die Trotzki-Biografie von Robert Service nicht zu publizieren,
hängt nicht von der zustimmenden oder ablehnenden Lektüre seines und seiner
Kritiker Werke ab, sondern ist eine prinzipielle an einer Haltung, die jener,
die sonst von solchen Leuten kritisiert wird, gleicht: Gesinnungskultur und
entsprechender Druck daraus.
Die Sache ist auch mit dem Verweis auf die
faktischen Mängel oder die „Unwissenschaftlichkeit“ nicht bündig erklärt. Denn
sachliche Mängel lassen sich anführen und kritisieren – und beheben. Zudem
bedarf es für eine Biographie keines wissenschaftlichen Ausweises. Würde das
gelten, müssten die Bibliotheken um Tausende von biografischen Arbeiten
gereinigt werden.
Es bleibt allein das Argument, dass der
Suhrkamp Verlag dieses Buch nicht in sein Programm nehmen soll oder muss.
Stimmt. Aber das öffentliche Auftreten hat Signalwirkung, bsonders in einer
Zeit der Hatzen und Kampagnen. Eine bestimmte Kampagne gutzuheißen, weil sie
von „Progressiven“ stammt, wäre kurzsichtig, weil eben gesinnungsmäßig. Wer
aber prinzipiell gegen Jagden und Verbote ist, kann solch eine öffentliche
Aufforderung nicht einfach als „sachlich“ abtun. Wäre das intern im Verkehr mit
Suhrkamp geschehen, würde es keine solche Debatte geben.
Aber den Kritikern geht es nicht nur um
Fakten. Es geht um Deutungen, die sie ablehnen. Der Hinweis auf „schlechte
Gesellschaft“, Beifall von der „falschen Seite“ und dergleichen belegt, dass es
um rechtes Gedankengut geht, das verhindert oder zumindest behindert werden
soll.
Wiederum: wenn man für die Freiheit der
Meinungsäußerung eintritt, heißt das nicht, dass man die Positionen damit
teilt. So, wie Chomsky damals für den faschistischen Historiker Robert
Faurisson eintrat hinsichtlich der Freiheit seiner Lehre und Publikationen, so
wenig darf und kann man dem Linken Chomsky unterstellen, er teile die
fragwürdigen Ansichten Faurissons. Chomsky machte auch den Vergleich zu
Voltaire. Den machen die wackeren Historiker in dieser Affäre nicht.
Die Feststellung eines antisemitischen
Subtextes ist selbst verfänglich, gefährlich und vage. Solche Konstruktionen
dienten einerseits, unter anderen Vorzeichen, früher in Diktaturen wie denen
der Nazis und Realkommunisten zur Jagd auf missliebige Autoren, werden
andererseits gegenwärtig in diktatorischen Ländern immer noch geübt (nicht nur
Iran oder China).
Wir wissen aus den vielen unfruchtbaren
Debatten in der Literaturkritik, wie fadenscheinig oft solche Befunde sind; sie
ähneln den vulgärpsychologischen Ferndiagnosen. Es wird oft, bedingt durch den
eigenen Rezeptionsrahmen und die ideologische Position, mehr hineingelesen oder
herausgelesen, als dort steht, eben weil die Konstruktion des Subtextes
Freiheiten offeriert, die der eigentliche Text nicht aufweist.
Wenn ein Werk von politischer Seite, die
einem unangenehm ist, Beifall erhält, entwertet das nicht das Werk. Würde diese
krumme Logik stimmen, müssten Agenten nur Kräfte aus dem jeweiligen konträren
Lager animieren oder beauftragen, sich positiv oder negativ zu äußern, damit in
der Öffentlichkeit die gewünschte Auf- oder Abwertung erfolgt. Dieses
konterdependente Verhalten stellt aber keine Freiheit dar, sondern ein Befolgen
vorgegebener Deutungsraster. Diese Praxis verringert den Raum der Kritik,
verengt die Blicke, determiniert Urteile.
Auch wenn das Buch von Service ein Machwerk
wäre, verdient es nicht so einen Feldzug. Würde die Sache intern geregelt
worden sein, bestünden für andere Verlage bei Interesse genügend Gelegenheiten,
es doch zu publizieren. Ein ganz normaler Vorgang. Diese Normalität wurde aber
durch die öffentliche Kampagne zunichte gemacht. Wenn jetzt ein Verlag, sei es
Suhrkamp oder ein anderer, es trotzdem publiziert, wird immer dieser Schatten,
in ganz anderer Qualität als ohne diese Kampagne, über der Veröffentlichung
liegen. Das heißt, es wird eine unwissenschaftlichen Polarisierung angeheizt,
die weit über den Anlass hinausreicht.
Als Peter Huchel in SINN & FORM 1962
den Sartre-Aufsatz über Kafka publizierte, bekam er Probleme und wurde
entlassen. Der Text entsprach nicht den gültigen Vorstellungen der
Literaturwissenschaftler und Ideologen. Heute sieht man das anders. Werden
andere morgen das Verhalten der Historiker auch anders sehen?
Als 1998 bzw. 2004 Emma Gersteins Buch
„Moscow Memoirs“ erschien, erklang, neben einigem Lob, sofort ein Aufschrei. Er
ähnelte den Verdikten gegen Service. Doch Gerstein hatte mit ihrer Arbeit eine
wichtige Korrektur des gezimmerten Bildes von Nadeschda Mandelstam geliefert,
das natürlich alle jene störte und vor den Kopf stieß, denen Mandelstam und
seine Witwe „heilig“ geworden waren und die meinten, durch die Aussagen von
Gerstein werde das Erbe und das Bild der beiden beschmutzt. Wurde es aber
nicht, sondern nur zurechtgerückt.
Der Hinweis, man solle „nicht nur rechte
Ideologen in der NZZ oder FAZ“ lesen, klingt links und progressiv, ist aber
eine nichtssagende Stereotype. Soweit es um Fakten geht, finden sie sich auch
in diesen Quellen. Umgekehrt kenne ich viele „linke“ Quellen, deren Faktenlage
prekär ist. Dennoch würde ich nie eine solche Verallgemeinerung gebrauchen. –
Übrigens ist es die Presse, auch in den USA, UK oder Deutschland und Schweiz,
die der Öffentlichkeit Gehalte näherbringt, die sonst, weil nur in
Fachjournalen oder –werken publiziert, nicht bekannt würden. Damit wird
überhaupt erst eine gesellschaftliche Auseinandersetzung ermöglicht. Immerhin
nutzen das auch linke Autoren, oder sind Kluge, Chomsky, Enzensberger oder
Habermas Rechte, weil sie in der ZEIT oder FAZ publizieren?
Es wird auch argumentiert, Service erfreue
sich deshalb großer Beliebtheit, weil er den Rechten das „historische
Unterfutter gegen eine Linksentwicklung in der Gesellschaft“ liefere. Das ist
doch an den Haaren herbeigezogen. Erstens erleben wir alles andere als eine
Linksentwicklung. Zweitens, wenn es stimmte, könnte dem anders als mit
Publikationsverboten entgegnet werden. Aus den Dokumentationen der
DDR-Literaturproduktion und –rezeption lässt sich belegen, wie üblich damals
diese reinigenden Staatsmaßnahmen waren bzw. wie hurtig man präventiv vorging,
um das geistige Klima zu schützen.
Die Historiker, die diese Kampagne
unterzeichnet haben, befinden sich also in unguter Gesellschaft, wiewohl sie
sich als Vordermänner der Korrektheit sehen. Ihre Haltung entspricht den
Experten, die das Publikum für zu dumm halten, sich selbst eine Meinung zu
bilden, und es durch „Machwerke“ gefährdet sehen. Sie verhalten sich wie
Priester, die die Schafe ihrer Gemeinde beschützen wollen. Das kann aber nur
für Schafe und Hirten gelten, nicht aber für andere.
Ich kann sehr gut verstehen, dass jemand
die Biografie von Service zerreist und in Grund und Boden kritisiert. Nichts
Ungewöhnliches. Wogegen ich mich wende, sind die Haltungen, die einem
Gesinnungsterror nahekommen, wenn also Meinungen, Sichten nicht nur kritisiert
werden, sondern nach ihrer Verhinderung oder Verfolgung gerufen wird. In einer
offenen Gesellschaft müssen ALLE Vertreter, ob links oder rechts oder
unpolitisch, religiös, reaktionär oder konservativ oder esoterisch oder sonst
was ohne Verbotsandrohung zu Wort kommen dürfen. Sonst haben wir Zustände wie
in der damaligen DDR oder anderen Diktaturen. Und das wollen doch unsere
tapferen Historiker sicher nicht.
Noch ein Wort zum Antisemitismusvorwurf: Es
ist leider modisch geworden, allzurasch mit diesem Urteil etwas so zu
kritisieren, dass es aus dem öffentlichen Diskurs (fast) eliminiert wird. Ich
sah eine ähnliche Vorgehensweise in den Debatten um die Geldtheorie, wo sogar
Kritik am Kapitalismus und Zinssystem als antisemitisch denunziert wurde (z. B.
Hermann Lührs vs. Bernd Senf). Ähnliche Vorgangsweisen waren in Debatten um
Heinrich Heine oder Paul Celan festzustellen. Immer öfter scheint
Antisemitismus alle anderen Argumente zu ersetzen. Nun, dort wo Antisemitismus
festzustellen ist, soll er, wie jede Vorurteilshaltung, kritisiert werden. Aber
die stereotype, inflationäre Nutzung dieser Kategorie, vor allem in
Konstruktionen eines Subtextes, entwertet die Vorurteilskritik und öffnet einer
Hexenjagd Tür und Tor. Hier sind, wie in der Tagespolitik, Keulenschwinger am
Werk, die keine Debatte wollen, sondern öffentliche Brandmarkung aufgrund von
Etiketten, die sie freigiebig verteilen.
Charles Cohen
Die Waffen der Verteidiger von Robert Service: Denunziation statt Argumentation
AntwortenLöschenCharles Cohen wirft David North und den Autoren des Briefes an Suhrkamp, darunter Prof. Hermann Weber (Mannheim), Prof. Oliver Steinkolb, Leiter des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Wien, Prof. Peter Steinbach, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums Deutscher Widerstand in Berlin, ungerechtfertigten Einsatz des Antisemitismusvorwurfs vor. Ihr Ziel sei, damit einen Gegner einfach zu denunzieren.
Dieser Vorwurf fällt auf Herrn Cohen selbst zurück. Er weiß viele gelehrte Ausführungen darüber zu machen, dass es in der Geschichte zu solchen Verirrungen und Kampagnen hier und dort gekommen ist, beweist aber mit keinem Wort, dass die Kritik von David North und der Brief an Suhrkamp ein solcher Fall ist. Ich habe das Buch "Verteidigung Leo Trotzkis", den Brief der Wissenschaftler an den Suhrkamp Verlag und die Dokumentation auf www.trotzki.de gelesen. Ich finde, dort ist detailliert belegt und begründet, wo, an welchen Stellen und wie Robert Service über 600 Seiten hinweg gezielt und raffiniert antisemitische Vorurteile bedient. Herr Cohen entfaltet einen poststrukturalistischen "Meta-Diskurs über einen Diskurs" fernab von objektiven Inhalten und Fakten. Er widerlegt kein einziges der vorgebrachten konkreten Argumente - wie dies im Übrigen auch die NZZ- und FAZ-Autoren Ulrich Schmid und Lorenz Jäger nicht tun.
Seine wind- und wortreich vorgetragene Beschuldigung, den Antisemitismusvorwurf in verleumderischer Absicht erhoben zu haben, es schrumpft zusammen auf -- eine erbärmliche Denunziation!
Inessa