Man möchte annehmen, ein wertvolles Buch sei zuerst eines,
das wegen seines Inhalts wertgeschätzt, gepriesen und, vor allem, gelesen
wird. Je geliebter, desto häufiger gelesen. Die andere Seite ist die materielle
Wertschätzung: seltene Ausgabe, besonders aufwändig produziert, mit Widmung des
Autors versehen oder mit sonstigen wertsteigernden Eigenheiten. Es soll in gutem Zustand
sein. Es sollte keine Gebrauchsspuren zeigen. Der materielle Wert steht im
Widerspruch zum immateriellen. Denn ein Buch, das keine Lesespuren zeigt, ist
nicht gelesen worden. Weshalb nicht? Es hat offensichtlich nicht als Lesestoff
gedient, sondern als Wertanlage, Spekulationsstück oder Prestigeobjekt. Es ist
als Schrift entwertet worden zugunsten des materialen Marktwertes, eine zweite Verdinglichung,
nach der Sammler als Besitzer gieren.
Diese Perversion zeigte sich mir überdeutlich in einem Video
eines bekannten englischen Buchhändlers über eine seltene Erstausgabe von James Joyce’s ULYSSES, die nicht gelesen worden war, die man auch nicht lesen darf,
weil das schlecht gebundene Buch dann bräche und den hohen Preis minderte. Was
für eine Wertschätzung! Das Video dokumentiert die ritualisierte Preisung des
Dings.
[Der materielle Aspekt, der so extrem hervorgehoben wird,
ist auch im gemeinen Verhalten von James Joyce gegenüber Sylvia Beach
enthalten. Er, dem geholfen worden war, vergaß alles und ließ seine
Erstverlegerin abstürzen, wandte sich einem anderen Verlag zu. Geschäft ist
Geschäft, Moral gibt es nicht (wie später der Kommunist Brecht so treffend
festhielt: erst kommt das Fressen, dann die Moral…) In Wikipedia kann man
darüber kurz lesen:
“Shakespeare
and Company gained considerable fame after it published James Joyce's Ulysses
in 1922, as a result of Joyce's inability to get an edition out in
English-speaking countries. Beach would later be financially stranded when
Joyce signed on with another publisher, leaving Beach in debt after
bankrolling, and suffering severe losses from, the publication of Ulysses.”
Joyce war ein skrupelloser Egoist, der, wenn es ihm
besser ging, Hilfe und Unterstützung vergaß. Vielleicht ist das der eigentliche
Maßstab für seinen Ruhm?]
Diese Haltungen gemahnen mich an die völlig perverse
Besitzlust gewisser Persönlichkeitsgeschädigter, die millionenteure Kunstwerke
in Depots wegsperren, weil der materielle Besitz so wertvoll, so teuer ist,
dass der Artefakt nicht mehr „geteilt“ (kommuniziert) werden darf, weil die
Risiken zu hoch sind für den Besitz und den Besitzer.
Nachbemerkung:
Soeben lese ich in der PRESSE:
Nachbemerkung:
Soeben lese ich in der PRESSE:
Harry-Potter-Erstausgabe erzielt bei Auktion knapp 68 000 Euro
Bei einer Versteigerung in den USA wurde ein neuer Weltrekord für den Preis eines unsignierten, fiktionalen Werks erzielt.
DIE PRESSE ; 19.9.2017
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