Montag, 7. September 2015

Übersetzungsfragen

In einem Artikel in der NZZ vom 3.9.2015 von David Eugster über das Übersetzerhaus Looren heißt es unter anderem:

"Übersetzer schätzen das Übersetzerhaus Looren besonders, weil es ihnen Erholung in der Natur erlaubt, aber auch, weil es ein Zeichen der Anerkennung und des Respekts gegenüber ihrer Arbeit ist."
Das klingt so, als ob die armen, geschundenen Übersetzerinnen primär der Erholung bedürften, dann der Anerkennung und des Respekts. Aber vielleicht brauchen Sie nur geeignete Arbeitsmöglichkeiten und etwas Unterstützung. Wer will sich erholen, wenn er arbeitet?

Dann wird die Sinologin Karin Betz zitiert mit einem Satz, der Nichtsinologen vielleicht verwundert oder befremdet:
"Das Chinesische habe «für unsere Begriffe oft zu viele Wörter», sagt Betz. Da müsse man oft kürzen, um einen Text für europäische Leser annehmbar zu machen." [Das erinnert an «Zu schön für unsere Ohren und gewaltig viel Noten, lieber Mozart.» von Kaiser Joseph II.] Sind Kürzungen wegen zu vieler Wörter angesagt? Wie wird das Verhältnis von Aussage und dafür benötigte oder gewünschte Wortanzahl bemessen und beurteilt? Ist das Annehmbarmachen eines Textes für europäische Leser (als ob die unterschiedlichen Lesekulturen in Europa homogen wären! Was den Franzosen zusagt oder den Engländern, den Italienern oder Skandinaviern oder Deutschen ist sicher unterschiedlich. Übersetzt Frau Betz im Hinblick auf europäische Leser? Wie liest der?

Lajos Adamik übersetzt ins Ungarische. Weil in Ungarn die Breite der Dialekte, wie sie in der Schweiz üblich sind, nicht existieren, entschied er sich "für den Slang seiner Jugend, den Fussballjargon, aber auch die Sprache des ungarischen Drogenmilieus, um die «Farbe der Wörter», wie er es nennt, adäquat zu übertragen." Als Leser und Sprachempfindlicher (-empfindsamer) fragt man sich, was geschieht, wenn der einheimische Leser, des Ungarischen kompetent mächtig, nicht aber der Jargons aus dem Sport- und Drogenmilieu, Adamiks Übertragung sich zu Gemüte führt. Eine adäquate Annäherung an die Dialekte in der Schweizer Originalversion?

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Übersetzerhaus Looren
Der Turm zu Babel steht im Zürcher Oberland
Das Übersetzen literarischer Texte braucht Ruhe – und Gespräche mit Kollegen, die mit ähnlichen oder mit ganz anderen Problemen kämpfen. Das Übersetzerhaus Looren bietet beides.
David Eugster, NZZ, 3.9.2015

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