Susette Gontard (* ca. 9. Februar 1769 in Hamburg, geborene Borkenstein; † 22. Juni 1802 in Frankfurt am Main) entstammte einer Hamburger Kaufmannsfamilie und war die große Liebe des Dichters Friedrich Hölderlin, der sie als „Diotima“ in seinen Gedichten und in seinem Roman Hyperion verewigte.
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Aus den Briefen an Friedrich Hölderlin:
Frankfurt, Ende Februar 1799
Wie gerne, Lieber! möchte ich Dir treu erzählen, wie ich die traurigen Tage unserer Trennung zugebracht, wenn nur nicht die Wiederholung dieser Zeit für mich so peinlich wäre. Seit einigen Tagen bin ich wieder allein, und es ist schon etwas besser, das Schlimmste war, daß ich mir keine einsame Viertelstunde zusichern konnte, und ich auch, selbst wenn ich allein war, meine Gefühle so gewaltsam zusammenpressen mußte, damit meine nassen Augen mich nie verraten und zu lästigen Fragen Anlaß geben möchten. Aber die ersten einsamen Stunden waren für mich schrecklich, nun wollte ich mich meinem Gefühl wieder ganz überlassen, ich durfte auch das nicht, denn die Sehnsucht nach Dir wurde so groß, daß ich mir nicht zu helfen wußte, und ein gewaltiger Kampf in mir entstand. Ich suchte mit allen Kräften Dein verlöschendes in mir gewordenes Traumbild mit lebendigen Farben wieder in meine Einbildung zu rufen, ach! es war mir versagt, ich fühlte den Wunsch und die Ohnmöglichkeit zugleich, ich dachte wohl an Deine Briefe, Deine Bücher, Deine Haare, aber ich wollte keine Hülfe, wollte ganz aus mir selbst Dich in mir erneuen, doch mein töricht Herz mußte bald vor der Vernunft erröten, und Entschuldigung finden; einige Tage nachher kramte ich mir Deine lieben Sachen, und Briefe von altern Zeiten aus, die mir damals als ich Dich noch hatte wenig waren, und wovon nichts mehr in meinem Gedächtnis war; welch ein Schatz von lieben Worten, welch ein Trost, welch ein lieblich Bild von Dir fand ich darin, wie lockten sie liebliche Tränen der Zärtlichkeit mir ins Auge, wie stärkten sie mein Herz, wie halte ich mich jetzt daran in jeder bangen Stunde. Aber ach! das ist Vergangenheit. – Was ist Gegenwart?– Was Zukunft?… Jetzt frage ich mich mit jedem Tage: »Wie muß ein vereinzelt Wesen, in sich, und durch sich selbst bestehen, welches die Liebe zu einem edlen und schönen Wesen erhoben?« – Träumen möchte ich immer, doch träumen ist Selbstvernichtung! Selbstvernichtung Feigheit!… Fühlen! – Mein Herz fühlt noch in dieser armen, alles tötenden Zeit lebendig und warm, sehnt sich nach Würklichkeit, nach dem Widerhall der Liebe, nach Mitteilung, Einklang, Harmonie! Seligkeit! soll ich es tadeln? Doch ruft jedes Gefühl in mir meine ganze Sehnsucht vermischt mit tausend Schmerzen zurück. Selbst durch meine tiefsten Gedanken finde ich nichts Wünschenswertes als die innigste Beziehung der Liebe, denn was kann uns leiten durch dies zweideutige Leben und Sterben, als die Stimme unsers bessern Wesens, welches wir einer gleichen liebenden Seele anvertrauen, diese Stimme die wir aus uns selbst nicht immer hören können. Verbunden sind wir stark, und unwandelbar, im Schönen und im Guten, über alle Gedanken hinaus im Glauben und im Hoffen. Aber diese Beziehung der Liebe bestehet in der würklichen Welt die uns einschließt nicht durch den Geist allein; auch die Sinne (nicht Sinnlichkeit) gehören dazu, eine Liebe, die wir ganz der Würklichkeit entrücken, nur im Geiste noch fühlen, keine Nahrung und Hoffnung mehr geben könnten, würde am Ende zur Träumerei werden oder vor uns verschwinden, sie bliebe, aber wir wüßten es nicht mehr und ihre wohltätige Wirkung auf unser Wesen würde aufhören. Da ich dies alles klar vor Augen habe, und es so schwer ist aus der Dumpfheit herauszufinden, sollte ich mich selbst noch täuschen und im Schlummer wiegen, … sollte ich träumen! Soll ich mein Herz verstocken! soll ich anders denken! … Wozu ich dies alles frage, Lieber! – »Ich habe ja Dich noch.« Ach! Weil seit dem Tage unserer Trennung eine Angst in mir ist, dass einmal alle Beziehungen zwischen uns aufhören möchten, weil ich über die Zukunft keine Gewißheit habe, über Deine künftige Bestimmung; ich zittre für die Zeit der Revolutionen die uns nahe sein kann, weil vielleicht sie uns für immer von einander reißt. Wie oft tadle ich Dich und mich, daß wir so stolz alle Beziehungen uns ohnmöglich gemacht, uns nur auf uns selbst verlassen haben; wir müssen jetzt vom Schicksal betteln, und durch tausend Umwege einen Faden zu leiten suchen, der uns zusammenführt. Was wird aus uns werden, wenn wir für einander verschwinden sollten? …
Noch könnte ich mich nie beruhigen, wenn ich denken müßte daß ich Dich ganz der Würklichkeit entrückt. Du Dich mit meinem Schatten begnügen wolltest, daß Du durch mich vielleicht Deine Bestimmung verfehlt, wenn ich von Dir darüber gar nichts mehr hörte und beruhigt würde. Wann es sein muß daß wir dem Schicksal zum Opfer werden, dann versprich mir Dich frei von mir zu machen und ganz zu leben, wie es Dich noch glücklich macht, Du nach Deiner Erkenntnis Deine Pflichten für diese Welt am besten erfüllen kannst, und laß mein Bild kein Hindernis sein; nur dieses Versprechen kann mir Ruhe, und Zufriedenheit mit mir selbst geben ... So liehen wie ich Dich, wird Dich nichts mehr, so lieben wie Du mich, wirst Du nichts mehr (verzeihe mir diesen eigennützigen Wunsch), aber verstocke Dein Herz nicht, tue ihm keine Gewalt; was ich nicht haben kann, darf ich nicht neidisch vernichten wollen. Denke nur ja nicht Bester, daß ich für mich spreche, mit mir ist das ganz anders, ich habe meine Bestimmung zum Teil erfüllt, habe genug zu tun in der Welt, habe durch Dich mehr bekommen als ich noch erwarten durfte, meine Zeit war schon vorbei, aber Du solltest jetzt erst anfangen zu leben, zu handeln, zu würken, laß mich kein Hindernis sein, und verträume nicht Dein Leben in hoffnungslose Liebe. Die Natur, die Dir alle edeln Kräfte, hohen Geist, und tiefes Gefühl gab, hat Dich bestimmt ein edler vortrefflicher glücklicher Mann zu werden, und es in allen Deinen Handlungen zu beweisen. Doch, noch leuchtet uns die Hoffnung für unsere geliebte Liebe, laß uns sie pflegen und erhalten so lange wir nur können. Eine Stunde, voll Seligkeit des Wiedersehns, und Hoffnung in der Brust sind genug, ihr Leben auf Monate lang zu erhalten. Laß uns die Augen nur nicht zudrücken, und uns überraschen lassen vom Schicksal, damit wir das Nötigste und Beste tun können. Beruhige mich wenn Du kannst über die Zukunft. In der Mitte des Mai kömmt mein Bruder (der wieder völlig hergestellt ist), wenn die Kriegsunruhen es nicht ganz verhindern; während dieser Zeit sehe ich noch nicht ein, wie es möglich ist eine Beziehung zwischen uns zu unterhalten, weil ich nicht wissen kann, wenn ich allein sein werde, und es mich in beständiger Spannung und Sorge erhalten würde; wenn Du einen Weg der schriftlichen Mitteilung zwischen uns ersinnen könntest, der nicht ängstlich und gewagt wäre, Du würdest mir eine Wohltat erzeigen, denn es ist zu meiner Ruhe doch so nötig zu hören wie Du lebst. Wenn ich wieder allein bin (denn ich werde in keinem Fall mich zu einer Reise bewegen lassen, wenn es nicht in einer kurzen Zeit ist, während welcher wir uns doch nicht sehn könnten), machen wir es wieder wie bisher. Du sprachest von anderthalb Jahren, ich zittre, wenn ich denke daß über ein halbes schon vorbei ist, wie wird, wie kann, es kommen? was würde wohl für Dich am besten sein? – Wenn Du mir darüber Deine Ahndungen mitteilen wolltest! Vor meinem Sinne ist alles schwarz, und das Schrecklichste wäre, wenn unter dem harten Schicksal unsere zarte Liebe auch erstickte, wenn es endlich dumpf werden müßte in unserer Brust, unser Leben dahin wäre, und doch trostloses Bewußtsein uns übrig bliebe. Verzeihe! mein Bester! daß ich Dich in diese schwarzen Gedanken mit hineinziehe, für Dich sollte alles nur süß sein, einen Himmel möchte ich Dir geben, alles entfernen was Dich stören könnte; aber ich fühle es, unsere Liebe ist zu heilig, um daß ich Dich täuschen könnte, ich bin Dir Rechenschaft schuldig von jeder Empfindung in mir. Du weißt daß ich leicht trübsinnig bin, vielleicht kommt es noch besser, und wie wollen wir dem Schicksal danken, für jede Blume, die wir mit einander finden. Wenn es mir nur nicht so schwer würde Dir zu schreiben. Nehme ich in dieser Absicht die Feder, öffnet sich mir eine Welt voll Gedanken, und Gefühlen, ich möchte alles auf einmal sagen, und kann keine Ordnung hinein bringen, ich fürchte Unsinn zu schreiben, dann sind mir meine Worte wieder zu prosaisch, und mischt sich meine Phantasie mit ein, denke ich, es wäre nicht so wahr was ich sagte, am Ende möchte ich alles wieder zerreißen. Du verstehest mich wohl besser, wie ich selbst, und fühlest auch noch, was ich nicht sage …
Ich muß Dir doch etwas von den Kindern sagen, Du weißt schon daß sie in meinen Augen sehr verloren haben, seit Du nicht mehr sie bildest und auf sie würkest, daß ich mir nicht mehr so viel von ihnen verspreche. Es ist für mich sehr schwer, allen den schiefen Eindrücken entgegen zu arbeiten welche sie bekommen, und oft muß ich es gehen lassen, ich verlasse mich dann, zum Trost, auf ihre reifende, bis jetzt ungetörte Vernunft, die sie selbst zurückführen wird von allen Irrungen in die sie geraten können; oft denke ich auch, wenn ihre moralische Bildung zu sehr verfeinert würde, sie dann auch in ihrer Welt wohl ihr Element nicht finden möchten, daß die Erziehung unserer Lage ein wenig anpassen muß. An Henry ärgert mich am meisten, daß, weil er so auf einmal sich frei fühlte, er so gerne den Herrn spielt, immer vorlaut ist, mit so großem Eifer an allem Sinnlichen hängt, und übrigens in seiner Arbeit etwas faul und nachlässig ist, man muß ihn beständig treiben, und aller Ehrgeiz scheint ihn verlassen zu haben. Ich wünschte zu seinem besten, daß er von hier fortkäme, der Boden hier taugt für ihn gar nicht, da man ihm zu sehr dient und schmeichelt und er zu wenig die Wahrheit in sanften Ausdrücken hört. Ich wünschte Deine Meinung darüber zu hören! –
Die beiden Mädchen sind auch etwas roher geworden, aber doch noch gute Kinder, ich baue oft meine Hoffnung auf die kleine Male, weil wir bei ihrer späteren Erziehung die Fehler einsehen werden, die wir machten, ich tadle mich aber auch wieder, meiner Parteilichkeit diese Nahrung zu geben, sie ist würklich ein herziges liebenswürdiges Kind, seit 14 Tagen lauft sie wieder und dies freut mich so sehr. Wir haben auch den Herrn Hadermann angenommen, ein sehr langweiliger religiöser Schwätzer, den ich nicht eine Viertelstunde ohne Ungeduld anhören kann. Talente werden sie genug bekommen, aber für ihre Charakter-Bildung, und innern einzigen Wert, ist mir oft sehr bange. Meine Gegenwürkung auf sie wäre doch nicht stark genug, wenn ich auch immer im Stande wäre das Beste für sie zu unterscheiden, und auch selbst dies ist mir fast unmöglich.
Nun noch, wie ich denke, künftig meine Zeit hinzubringen. Diesen Winter war es vielleicht gut, daß ich nicht viel allein war, denn oft habe ich Tage, wo ich ganz aus dem Gleichgewichte bin, nur bei den Gedanken an Dich stürzen Tränen mir aus den Augen, ich muß mich zwingen, und suchte Gesellschaft, um daß ich gehalten werde, ich habe den ganzen Winter mir selbst zur Last herumgeschwärmt, aber das muß jetzt anders werden; selbst kein ernsthaft Buch konnte ich lesen, weil mein Kopf sich fast immer etwas müde fühlte. Ich will versuchen ob ich die Musik mir wieder ans Herz legen kann, der Frühling wird mir liebliche Beschäftigung im Garten geben (an den ich mich freilich erst wieder gewöhnen muß), und Dein lieber Hyperion wird meinen Geist beleben, wie freue ich mich schon darauf! – Du hattest mir auch noch einige Rezepte versprochen! Du wirst doch Wort halten? – Du batest mich auch. Dir einige meiner Gedanken und Ideen zu Worten zu bilden. Lieber! alle meine Äußerungen gehören nur Dir. Mein Geist, meine Seele spiegeln sich in Dir, Du gibst, was sich geben läßt, in so schöner Form, als ich es nie könnte, und der Genuß, daß ich den Beifall fühle den man Dir geben muß, ist mir mehr als die Befriedigung meiner ganzen Eigenliebe.
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