Ausgrabung aus den Tagebüchern
von Louis Christian Wolff (2004):
Grillparzer
Beim
Durchschauen einiger älterer Zeitschriftenjahrgänge klaube ich eine Ausgabe von
„Literatur und Kritik“ aus dem Jahre 1991 hervor und lese wieder den Beitrag
„Grillparzer und der Krieg“. [1]
Ganz
anders als Hans Weigel, noch viel positiver als Ernst Fischer [2]
wird hier Grillparzers Leistung hervorgehoben:
Die Bedeutung von Grillparzers Werk liegt
in einer bis dahin nicht erreichten ästhetischen Differenzierung der
dramatisch-theatralischen Sprache, in der Schaffung eines vielstimmigen
Mediums, das die vielen widersprüchlichen Aspekte einer verworrenen
Kriegskultur in Szene setzen sollte. Es gibt vor Grillparzer keine
vergleichbare literarische Erkundung des kriegerischen Ausnahmezustandes und
keine vergleichbar illusionslose Sicht des dauernd herrschenden Kriegs. [3]
Starke
Worte. Mir fallen etliche Werke literarischer Erkundung des Krieges ein. Der
Autor rettet seine Behauptung durch seine Wertung „vergleichbar“. Nach seiner
subjektiven Ansicht mag es nichts Vergleichbares gegeben haben. Doch da bin ich
anderer Ansicht. Wie sahen das Fischer und Weigel?
Höller
sieht in der Dichtung Grillparzers nicht nur eine Antwort, sondern eine
Behandlung der brennenden politischen Probleme des „neuen Fortschritts“. Das
dramatische Werk als Austragungsort aufgeklärter Aktivität.
Doch
Grillparzer sah, das hat nicht nur Ernst Fischer gut herausgeschält, ähnlich
wie Kleist, sich einer Dichtung verschrieben, die eben nicht den Alltag
widerspiegelt, die nicht an die „Realität“ gebunden war; Dichtung musste mehr
sein: eine Überhöhung der Realität (fast möchte ich sagen: Surrealität). Darin
blieb er Romantiker, obwohl nicht der romantischen Schule zugehörig. Dazu Ernst
Fischer:
Der romantische Protest gegen die
kapitalistische Entwicklung war für Grillparzer zugleich Abwehr gegen die
Bedrohung des österreichischen Staatsgefüges durch eben diese Entwicklung.
Grillparzer war keineswegs der „Reaktionär“, als den man ihn mitunter angeklagt
hat.
Er sah die Fäulnis des Systems, er machte
sich über Franz I., über Metternich und all ihre Kreaturen nicht die geringsten
Illusionen, aber er suchte vergeblich nach ihren Gegenspielern, die fähig
wären, Österreich zu erneuern“.[4]
Grillparzer
war erschrocken, besorgt, gequält. Aber er schreckte vor aller Tat zurück, er
hatte Angst vor Konsequenzen, fürchtete Veränderung. Das Proletariat war ihm
nicht nur fremd, sondern widerlich. Trotz aller von Höller so hervorgehobener
Kriegskritik fand sich Grillparzer in Wahrheit für den Habsburgerstaat, damit
für dessen Kriege. Sein glühender Patriotismus erleichterte ihm mit seiner
tiefen Angst vor Veränderung oder Revolution die Parteinahme für den Monarchen
und seine Feldherrn. Und das spiegelt sich als unvergleichbare literarische
Erkundung des Kriegs im Werk? Was für eine Lesart hat Höller angewandt, um die
anderen, negativen Aspekte auszublenden?
Grillparzer
klagt an, geißelt, verurteilt, zeichnet eindringlich das grausige, schlimme
Bild des Gewaltmenschen, des Herrschers, Kriegers, Potentaten. Der Held wird
angegriffen von ihm. Das ist neu. Das ist gewagt. Aber was weiter? Wohin führt
ihn sein Schrecken, seine Abneigung, seine Klarsicht? Er hat nicht den Mut und
nicht die Kraft, seine persönlichen Sehnsüchte mit seinen Visionen
zukunftsorientiert zu verbinden. Daran hindert ihn seine Angst. Also schaut er
zurück, pflegt das traute Bild der Vergangenheit, des „Naturmenschen“, den er
dem entfremdeten Produkt des Fortschritts, dem vernünftigen
Zivilisationsmenschen, der zugleich der Gewaltmensch ist, entgegenstellt. Doch
mit der Vergangenheit alleine lässt sich keine Gegenwart und erst recht keine
Zukunft meistern.
Grillparzer
zieht sich in seine Dichtung zurück. Sie wird sein Haus, in welchem er die
Läden schließt, die Tür verriegelt und träumt, soweit er das vermag, und
langsam verstummt („Der Traum, ein Leben“ ist sein Anti-Faust). Bitternis.
Nochmals
Ernst Fischer, der zusammenfasst:
Grillparzer stand im Zwielicht zwischen
Gestern und Morgen. Er träumte zurück, ahnte voraus, empfand die Problematik
der Gegenwart, den inneren Widerspruch des kapitalistischen Zeitalters. In
seinem Fühlen human, in seiner Gesinnung konservativ, war er ein einsamer
Dichter des Übergangs von Klassizismus und Romantik zu neuen Bereichen der
Kunst, zu neuen Methoden dramatischer Gestaltung. Welch ein Zwiespalt! Die
demokratische Revolution des Jahres 1848, die er ablehnte, steigerte seine Kraft
zur Vollendung von Meisterwerken. Als Habsburg siegte, begann der Dichter
Habsburg zu verstummen.[5]
Die
positive Einschätzung von Höller wird in vielem vom Marxisten Fischer geteilt.
Doch Akzente sind verschieden gesetzt bzw. Einschränkungen und Relativierungen
angebracht, die man bei Höller vermisst. Höllers Betonung des positiv
Einmaligen wirkt übertrieben und konstruiert.
Hans
Weigel [6]
bemerkt zur Arbeit Grillparzers:
Aus Grillparzers Dramen spricht nicht
Franz Grillparzer, sondern eine von ihm zwischen sich und den Stoff geschobene
Gestalt, im Drama ist seine natur nicht unmittelbar ausgedrückt, sondern
widerruflich, distanziert, gedämpft, mit allen Vorbehalten; sein Drama, das ihm
notorische Ausdrucksform war, kann keinen derart echten, erlebten Ausdruck
verwirklichen wie das Gedicht des Nichtlyrikers „Incubus“(.)
Weigels
sarkastischer Seitenhieb auf Grillparzer mag die Lobpreisungen von Höller etwas
konterkarieren:
Im Zentrum des Ottokar-Dramas steht das
fatale, arios eingelegte Preislied auf Österreich, bei dem traditionell das
österreichische Publikum sich in eine Schulklasse rückbildet und folgsam
Beifall klatscht. Und der Satz, der den Applaus stets auslöst, ist auch aus der
großen Grillparzerschen Zurücknahme gewachsen und nicht einmal grammatikalisch
zu Ende gedacht:
`s ist möglich, dass in Sachsen und beim Rhein
Es Leute gibt, die mehr in Büchern lesen:
Allein was nottut und was Gott gefallt,
Der klare Blick, der offne, richt’ge Sinn ...
Nun, was ist’s mit dem?
Da tritt der Österreicher hin vor jeden ...
Und handelt? Sagt wenigstens seine
Meinung, zieht aus klarem Blick und offenem richtigem Sinn die Konsequenzen?
Nein, die Aktion besteht nur darin, dass der Österreicher hintritt vor jeden
...
Denkt sich seinen Teil und lässt die andern reden!
Der Österreicher Grillparzer zieht
grammatikalisch, persönlich und künstlerisch nicht die Konsequenz aus der
Prämisse „Allein was nottut und was Gott gefällt, der klare Blick, der offne,
richt’ge Sinn ¾“, er lässt es offen, ob er ihn hat oder
nicht, den Blick, den Sinn, das, was nottut, das, was Gott gefällt, er sagt
auch nicht, was er mit Blick und Sinn anfängt ¾ der große, tiefe, selbstmörderische grillparzersche
Bruch klafft hier, gerade hier, zwischen „Sinn“ und „da!“ ¾ der Österreicher Grillparzer tritt hin vor jeden
Menschen, jeden Stoff, jeden Anspruch, jeden Konflikt, jeden Reiz von außen,
erhandelt nicht, er redet nicht einmal, er lässt die andern reden, er denkt
sich sein Teil. Er resigniert. [7]
Weigel hat
noch viel anzumerken zu Grillparzers Schreibweise, zu seiner Person, seinem
Werk. Doch im vorigen Absatz zeigt sich eine Einschätzung, die der, die sich
aus Höllers Loblied ergibt, widerspricht. Die historische profunde Sicht Ernst
Fischers wird von der zynisch-sarkastischen Weigels eher und plausibler
ergänzt, als durch Höllers modern anmutender Argumentation.
[1] Hans Höller: Grillparzer
und der Krieg. In: Literatur und Kritik 251/252, März 1991:47-53
[2] Siehe Eintrag 11.02.04
[3] Höller, a.a.O., S.49
[4] Ernst Fischer, a.a.O. S.
14 (siehe Fußnote 87)
[5] Ernst Fischer, a.a.O. S.
56
[6] Siehe Eintrag vom 11.03.04
[7] Hans Weigel, a.a.O. S. 112
(siehe Fussnote 86)
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