Freitag, 11. Mai 2018

At The Existentialisit Café und die Verallgemeinerung

2016 erschien von Sarah Bakewell ihr gepriesenes Buch "At the Existentialist Café", das in der amerikanischen und britischen Presse begeistert rezensiert wurde. Diese Besprechungen weckten mein Interesse und ich orderte die Originalausgabe. Meine Erwartungen waren hoch, lobten doch die Autorinnen (z.B. Janet Maslin, NYT) oder Edward Mendelson (NYT) oder in der NZZ Oliver Pfohlmann das Buch über alle Maßen.

Meine Enttäuschung wäre ohne Kenntnis der Rezensionen wahrscheinlich geringer gewesen, meine Nachsicht mit dem Pauschalbild sicher positiver. So aber sprangen mir die bedingten Limitationen einer Teil-Gesamtgeschichte einer Epoche und Bewegung ins Auge und in den Sinn und minderten meine Begeisterung. Ich vermochte auch nichts von dem belobigten philosophischen Verständnis entdecken, jedenfalls nicht in der hohen Qualität, die hervorgehoben worden war.

Eine Textstelle über Heidegger soll mein Unbehagen verdeutlichen:


Auszug S. 176-177 als Hinweis, wie pauschal und nichtssagend Aussagen werden, wenn sie in einem überlangen Werk so viele Aspekte zusammengerafft umfassen und erklären sollen. Aber die Summierung von Trivia, vielen Allgemeinheiten, die ohne Tiefgang aneinandergereiht werden, können doch die Phänomene weder repräsentieren noch erklären. Wozu also? Als allgemeiner Überblick? Was heißt hier „allgemein“? Worin soll der Wert dieses Allgemeinbildes liegen?

„He [Heidegger] kept with him only a few manuscripts, including his recent on Friedrich Hölderlin, whom Heidegger read obsessively. The great local poet of the Danube region, born in 1770 in Lauffen and suffering from bouts of insanity all his life, Hölderlin had set much of his visionary poetry in the local landscape, while also evoking an idealized image of ancient Greece – the very combination that had always fascinated Heidegger. The only other poet who would ever be so important to him was the even more disturbed Georg Trakl, an Austrian schizophrenic and drug addict who died aged twenty-seven in 1914. Trakl’s eerie poems are filled with hunters, young women and strange blue beasts stepping through silent forests by moonlight. Heidegger immersed himself in both poets, and generally explored the question of how poetic language can summon forth Being, and open a space for it in the world.”

Höchst fragwürdig oder falsch:

local poet of the Danube region
Transportiert das Bild des Provinzlers.

suffering from bouts of insanity all his life
Nicht belegt, dass er sein ganzes Leben daran litt. Klischee.

local landscape, while also evoking an idealized image of ancient Greece
Wiederholung des lokalen Images, als ob das sein Hauptaugenmerk neben der Griechen-Orientierung gewesen sei. Diotima und Hyperion als „land scape“? Und die  epochalen Übersetzungen? „land scape“?
Hölderlins Sprachmeisterschaft, die Heidegger faszinierte, und nicht primär die sprachliche Landschaftsmalerei, wird damit übergangen. Der Gehalt und Hintergrund des Fokus auf Griechenland, seine Werte, wird nicht bedacht, sondern in der kurzen Erwähnung gekappt.

the very combination that had always fascinated Heidegger
Nein, Heideggers Faszination war nicht sei je (was soll übrigens so eine dumme Behauptung?) dieselbe wie von Hölderlin, er unterscheidet sich von Hölderlin. Was ihn faszinierte, war das Sein des Seins und die Sprache, die spricht. Hölderlin war ein herausragender Vertreter, ein Hoherpriester davon.

the even more disturbed Georg Trakl
Woran bemisst die Autorin die Grade der Schizophrenie oder Geisteskrankheit? Auf welche Belege stützt sie ihre Behauptung (Hölderlin gestört, Trakl noch mehr oder extrem gestört [krank, wirr, wahnsinnig]?
 
Trakl, an Austrian schizophrenic
So einfach machten es sich nicht einmal Feinde des Poeten!

Trakl’s eerie poems are filled with hunters, young women and srrange blue beasts stepping through silent forests by moonlight.
So beschreibt ein High School kid, ungebildet und beschränkt, etwas durch banale Aufzählung, was verstehend nicht erfasst worden ist. Peinlich. Trakls Gedichte sind vielleicht auch „eerie“, aber es bei dieser Etikettierung zu belassen heißt, falsch attributieren und klischiert kategorisieren. 


Wie soll ich da noch Vertrauen aufbringen und weiterlesen? Liefert Bakewell überall ihre Oberflächenmalerei vom schielenden Sartre, der rührigen Feministin de Beauvoir, des zum Feind gewordenen Camus', des Magiers von Meßkirch, des armen Husserls, des gescheiten Merleau-Ponty oder des religiösen Jaspers? Soll es beim Bild von Cocktails schlürfenden  "Revolutionären" bleiben, die im Café von Freiheit und Sein quatschen, während die Gesellschaft in Brüche geht, zum X. Male?

Nein, kultürlich nicht, denn "Nothingness has a certain something" (Maslin) und die Autorin "asks demanding questions about the ways in which people think about themselves" (Mendelson). Vielleicht ist das Niveau in den USA schon so gesunken, dass die biografischen Narrationen schon genug sind fürs Verständnis?

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