Prof. Herrmann-Pillath erklärt in seinem neuen Buch, wie
China seinen Wirtschaftsstil gefunden hat und wie der Westen damit
zurechtkommen kann
Prof. Dr. Carsten Herrmann-Pillath analysiert in seinem
neuen Buch „Wachstum, Macht und Ordnung“ die Wirtschaftsordnung Chinas und
kommt zu dem Schluss: Der Westen kann sich auf mindestens zwei bis drei
Jahrzehnte einstellen, in denen China keine fundamentalen institutionellen
Verwerfungen mehr erfahren wird und dadurch ein stabiler und verlässlicher
Handelspartner sein wird. Das war nicht immer so: „In der Mao-Zeit hatte China
viele Dinge wie Gerichte und Finanzverwaltung abgeschafft, weil sie angeblich
westlich-bürgerlich waren. Das hat sich in den frühen 90er Jahren gerächt, weil
der Staat keine Steuern mehr einnahm und fast pleite war“, erklärt
Herrmann-Pillath im historischen Rückblick die Voraussetzungen. „Dann gab es
eine Steuerreform, die gut funktionierte.
Die Zentrale in Peking hatte nun wieder Geld, aber die
lokalen Gebietskörperschaften, vergleichbar mit Ländern und Gemeinden in
Deutschland, bekamen von dem warmen Regen nichts ab.“ Das war der gewollte oder
ungewollte Startschuss für die massenhafte Privatisierung der vielen lokalen
Staatsfirmen. „Es wird viel darüber spekuliert, ob das strategisch geplant war.
Aber der Effekt ist eindeutig: Die Städte und Länder, um die deutschen Begriffe
zu wählen, mussten die vorher mit hohen Subventionen am Leben gehaltenen Firmen
verkaufen. Die Not wurde von der Zentrale in die Fläche umverteilt und löste so
das chinesische Wirtschaftswunder aus.“ Daraus entstand das heutige
Nebeneinander von nationaler Staatswirtschaft und regionaler Marktwirtschaft,
die oft als ‚Staatskapitalismus‘ bezeichnet wird.
Eine weitere Besonderheit in China liegt in der schieren
Größe: Dort gibt es viele Bürgermeister, die einen Einzugsbereich mit 20 bis 30
Millionen Menschen regieren. Zur Einordnung: Länder wie Portugal, Griechenland
oder Dänemark haben je rund zehn Millionen Einwohner. „Die Städte in China
wachsen mit einer Geschwindigkeit, die wir uns hier gar nicht vorstellen
können. Und trotzdem ist diese Urbanisierung für die nächsten 20, 30 Jahre eine
feste planbare Größe, die das Wachstum in China treiben wird. Eben weil das
Land so groß ist, so viele Reserven hat“, sagt Herrmann-Pillath voraus. Und
diese Dynamik entspricht so gar nicht dem westlichen Bild von einem
Kommunistischen Staat, der alles plant und ordnet. „Viele Kommunen in China
können ihren Haushalt zurzeit nur dadurch sichern, dass sie immer mehr Ackerfläche
zu Bau- oder Gewerbegebieten umwidmen.
Aufsichtsrechtliche Beschränkungen sind schwach, das ist
alles nicht so geordnet, wie gerade wir Deutschen das angeblich so lieben.“ Und
in diesem Prozess der Urbanisierung entstehen dann auch neue Probleme: Da
werden auch schon mal Bauern übervorteilt, die dann mit Gewalt und Unruhen
dagegen protestieren und es in westliche Medien schaffen. Da gibt es wie
überall, wo große Bausummen bewegt werden, Korruption. Das war in Deutschland
beim Wiederaufbau nicht anders. „Aber unser Bild von einem Kommunistischen
System ist eben nicht eines, das mit solchen Improvisationen in Einklang zu
bringen ist“, beschreibt Herrmann-Pillath in seinem Buch die Irritationen im
Westen. „Vielleicht kann man das mit der Zeit der Industrialisierung vor der
Jahrhundertwende in Deutschland vergleichen: Viele Menschen wandern zu, um Arbeit zu
finden, aber die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer waren völlig
ungeregelt.
Hier haben sie sich in vielen Arbeitskämpfen gebildet. In
China steht dieser Prozess noch aus, wird aber bei dem anhaltend hohen Wachstum
sicher keine Instabilität bringen“, ist sich Herrmann-Pillath sicher.
Prof. Dr. Carsten Herrmann-Pillath steht kurz vor der
Wieder-Berufung zum Professor an der Universität Witten/Herdecke, an der er von
1996 bis 2008 bereits einen Lehrstuhl für Evolutionsökonomik und
Institutionentheorie Inne hatte. Er ist Volkswirt und Sinologe und befasst sich
seit 30 Jahren mit der Erforschung der Wirtschaft Chinas. Er ist Fellow am
Max-Weber- Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der
Universität Erfurt.
Außerdem ist er seit dem 24. Dezember 2014 der erste
europäische ‚Distinguished Visiting Professor‘ am neu gegründeten Schwarzman
College der Tsinghua-Universität in Peking. Der Chef des weltweit größten
Investors Blackstone gründete hier mit einer 300 Mio. Dollar-Spende eine
einzigartige Studienmöglichkeit für 200 Stipendiaten.
Carsten Herrmann-Pillath: Wachstum, Macht und Ordnung
Eine wirtschaftsphilosophische Auseinandersetzung mit China 2015, Metropolis,
586 Seiten, ISBN 978-3-7316-1108-0
Weitere Informationen bei Prof. Dr. Carsten Herrmann-Pillath
cahepil@online.de