Donnerstag, 21. März 2013

Welttag der Poesie

Zum Welttag der Poesie wurde der 21. März von der UNESCO ausgerufen. Dieser Tag wird seit 2000 jedes Jahr gefeiert. 

Wikipedia

Hilft der Welttag der Poesie der Poesie? Oder ist er eher ein Zeichen ihrer Musealisierung und künstlichen Lebenserhaltung? Gibt es nicht mehr Lyrikerinnen und Lyriker als Leser? Wer hat heute echtes Interesse an Lyrik oder Poesie? Ist Poesie nicht ein Widerspruch zum modernen Lebenswandel in modernen Gesellschaften? Oder gewinnt Poesie im Zuge einer eigentümlichen Rereligiosisierung?

Fragen über Fragen – und keine Antworten.

In unserer Zeitschrift für Literatur & Kultur, Driesch, publizieren wir laufend viel Lyrik in allen Sprachen. Eine Art Antwort:


Stephan Eibel-Erzberg


Und wieder diese empörung
Diese gedankenstörung
weil ein kind rennt
wenn utopie brennt

wie lang soll das noch gehen
das tägliche verdrehen
das aufblähen?
HOCH DEM PRODEST

Susanne Scholl

Kaddisch für meine Großeltern


Wie ward ihr?
Wer ward ihr?
Warum durfte ich euch nicht kennen?
Was habt ihr gesehen,
als sie euch hinaus stießen
aus dem Viehwaggon?
Die breite Chaussee?
Den Wald?
Die Männer mit den Hunden?
Die Gewehre?
Die hämischen Gesichter?
Haben sie euch getrennt?
Haben sie euch vorwärts gestoßen?
Haben sie euch gezwungen,
euch auszuziehen,
in aller Öffentlichkeit?
Haben sie euch die letzte Würde genommen?
Sie haben euch die letzte Würde genommen!
Sie haben euch einen unwürdigen Tod
angetan.
An einem unwürdigen Ort
in Kälte, Fremde, Einsamkeit.
Keiner war da
der mitgefühlt hätte!
Habt ihr euch noch angesehen?
Habt ihr im letzten Moment
doch noch Nähe zueinander empfunden?
Habt ihr Angst gefühlt, Entsetzen?
Jenes Entsetzen, das mich schüttelt,
wenn ich an Euch denke?
Nackt in diesem abweisenden Wald,
in der Kälte vor dem Graben,
in dem vielleicht schon die Leichen
jener lagen,
die sie vor euch ermordet hatten?
Ich stehe vor einem Monument
auf dem ihr nicht erwähnt werdet.
Ich stehe vor einem Monument,
das euch zu anonymen Zahlen
ohne Namen und Geschichte macht.
Ich gehe durch einen Park,
in dem Bierflaschen herumliegen.
Auf Wegen, voller Zigarettenstummel.
Ich gehe durch diesen Park
der ein Grab ist.
Euer Grab,
auf das ich doch keinen Stein legen kann.

Minsk im März 2006

Manfred Chobot

bürste kratz dich (sanft!)
die sonne auf- und abrasiert
ist die kratzbürste nimmersatt
kratzt sich mit worten wie die
zukunft ihr vorhergesagt ganz
satt sättigt sich ihr lachen
weil die nächste runde im
kratzen sich vollbracht hat
am schabebaum stehen die
krallen zum streicheln bereit
wieder einmal wiederholung
für das nächste mal


Martin Dragosits
Großes Spiel
Dämonen haben bunte Flügel
bei mir zu Hause an der Wand.
Sie tragen ihre Schatten
in den Ärmeln, aufgestrickt.

Sie tanzen laut und leise,
unabhängig wie sie sind.
Bleiben wach und übermütig
und zahlen keine Miete.

Was soll ich ihnen sagen,
sie hören nicht auf mich.
Ich knacke ihre Regeln,
sie blinzeln hinterrücks.

Joanna Lisiak

Beim Chinesen

Nach der fetten Peking-Ente
ein Rosenlikör und nicht nur
du und die Worte selbst
mein Rülpser so blumig.


Cao Nai Yun



我的 文学 老师   

您关心着文艺的美学 
我注视着人类的命运 
您留意着先生的前程
我磨练着个人的品行 
您是渲染历史的海市蜃楼,
我是扎根民间的乡土小草;.
您是欧洲           
我是亚洲            
您是女              
我是男              
您的宏图大略我难以学就
我的执拗乡韵您何能探究?
An meine Literaturlehrerin

Sie kümmern sich um die Ästhetik in der Kunst,
Mich bewegt das Schicksal der Menschheit.
Sie achten auf den Anstieg Ihrer Karriere,
Ich suche nach Charaktertiefe.
Sie halten fest an geschichtlicher Fata Morgana,
Ich werde Gras in Volkstümlichkeit.
Sie sind Europa,
Ich bin Asien;
Sie sind weiblich,
Ich bin ein Mann;
Ihr planendes Ordnen kann ich nicht erreichen;
Können Sie meine Dörflichkeit erfassen?
 
Nach der deutschen Interlinearübersetzung des Autors übertragen von Franz Blaha.


Augusto Hoyos 

Canción de cuna para dos amantes
La muerte se acercó a mi rostro
y me dijo
como quien no quiere la cosa
¡me gustas!
Tú también, le contesté
me guiñó el cuenco de su ojo derecho
y se alejó
no sin antes decirme
Dios te guarde
pero eres mío
Así sea, le dije
mientras se alejaba rumbo al norte
Wiegenlied für zwei Liebende

Der Tod sah mir ins Gesicht 
und sagte
als käme es ihm nicht darauf an
du gefällst mir!
Du auch, gab ich zurück
Er zwinkerte mir zu mit seiner rechten Augenhöhle
und machte sich davon
mit den Worten
Gott schütze dich
doch du bist mein
So sei es, sagte ich
während er sich nach Norden entfernte

Übertragung ins Deutsche von Wolfgang Ratz.



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