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Hilft der Welttag der Poesie der Poesie? Oder ist er eher ein Zeichen ihrer Musealisierung und künstlichen Lebenserhaltung? Gibt es nicht mehr Lyrikerinnen und Lyriker als Leser? Wer hat heute echtes Interesse an Lyrik oder Poesie? Ist Poesie nicht ein Widerspruch zum modernen Lebenswandel in modernen Gesellschaften? Oder gewinnt Poesie im Zuge einer eigentümlichen Rereligiosisierung?
Fragen über Fragen – und keine Antworten.
In unserer Zeitschrift für Literatur & Kultur, Driesch, publizieren wir laufend viel Lyrik in allen Sprachen. Eine Art Antwort:
Stephan Eibel-Erzberg
Und wieder diese empörungDiese gedankenstörungweil ein kind renntwenn utopie brenntwie lang soll das noch gehendas tägliche verdrehendas aufblähen?HOCH DEM PRODEST
Susanne Scholl
Kaddisch für meine Großeltern
Wie ward ihr?Wer ward ihr?Warum durfte ich euch nicht kennen?Was habt ihr gesehen,als sie euch hinaus stießenaus dem Viehwaggon?Die breite Chaussee?Den Wald?Die Männer mit den Hunden?Die Gewehre?Die hämischen Gesichter?Haben sie euch getrennt?Haben sie euch vorwärts gestoßen?Haben sie euch gezwungen,euch auszuziehen,in aller Öffentlichkeit?Haben sie euch die letzte Würde genommen?Sie haben euch die letzte Würde genommen!Sie haben euch einen unwürdigen Todangetan.An einem unwürdigen Ortin Kälte, Fremde, Einsamkeit.Keiner war dader mitgefühlt hätte!Habt ihr euch noch angesehen?Habt ihr im letzten Momentdoch noch Nähe zueinander empfunden?Habt ihr Angst gefühlt, Entsetzen?Jenes Entsetzen, das mich schüttelt,wenn ich an Euch denke?Nackt in diesem abweisenden Wald,in der Kälte vor dem Graben,in dem vielleicht schon die Leichenjener lagen,die sie vor euch ermordet hatten?Ich stehe vor einem Monumentauf dem ihr nicht erwähnt werdet.Ich stehe vor einem Monument,das euch zu anonymen Zahlenohne Namen und Geschichte macht.Ich gehe durch einen Park,in dem Bierflaschen herumliegen.Auf Wegen, voller Zigarettenstummel.Ich gehe durch diesen Parkder ein Grab ist.Euer Grab,auf das ich doch keinen Stein legen kann.Minsk im März 2006
Manfred Chobot
bürste kratz dich (sanft!)
die sonne auf- und abrasiertist die kratzbürste nimmersattkratzt sich mit worten wie diezukunft ihr vorhergesagt ganzsatt sättigt sich ihr lachenweil die nächste runde imkratzen sich vollbracht hatam schabebaum stehen diekrallen zum streicheln bereitwieder einmal wiederholungfür das nächste mal
Martin Dragosits
Großes Spiel
Dämonen haben bunte Flügel
bei mir zu Hause an der Wand.
Sie tragen ihre Schatten
in den Ärmeln, aufgestrickt.Sie tanzen laut und leise,
unabhängig wie sie sind.
Bleiben wach und übermütig
und zahlen keine Miete.Was soll ich ihnen sagen,
sie hören nicht auf mich.
Ich knacke ihre Regeln,
sie blinzeln hinterrücks.
Joanna Lisiak
Beim Chinesen
Nach der fetten Peking-Ente
ein Rosenlikör und nicht nur
du und die Worte selbst
mein Rülpser so blumig.
Cao Nai Yun
给 我的 文学 老师您关心着文艺的美学,我注视着人类的命运;您留意着先生的前程,我磨练着个人的品行;您是渲染历史的海市蜃楼,我是扎根民间的乡土小草;.您是欧洲,我是亚洲;您是女,我是男;您的宏图大略我难以学就,我的执拗乡韵您何能探究?
An meine LiteraturlehrerinSie kümmern sich um die Ästhetik in der Kunst,Mich bewegt das Schicksal der Menschheit.Sie achten auf den Anstieg Ihrer Karriere,Ich suche nach Charaktertiefe.Sie halten fest an geschichtlicher Fata Morgana,Ich werde Gras in Volkstümlichkeit.Sie sind Europa,Ich bin Asien;Sie sind weiblich,Ich bin ein Mann;Ihr planendes Ordnen kann ich nicht erreichen;Können Sie meine Dörflichkeit erfassen?
Nach der deutschen Interlinearübersetzung des Autors übertragen von Franz Blaha.
Augusto Hoyos
Canción de cuna para dos amantesLa muerte se acercó a mi rostroy me dijocomo quien no quiere la cosa¡me gustas!Tú también, le contestéme guiñó el cuenco de su ojo derechoy se alejóno sin antes decirmeDios te guardepero eres míoAsí sea, le dijemientras se alejaba rumbo al norte
Wiegenlied für zwei Liebende
Der Tod sah mir ins Gesicht
und sagte
als käme es ihm nicht darauf an
du gefällst mir!
Du auch, gab ich zurück
Er zwinkerte mir zu mit seiner rechten Augenhöhle
und machte sich davon
mit den Worten
Gott schütze dich
doch du bist mein
So sei es, sagte ich
während er sich nach Norden entfernte
Übertragung ins Deutsche von Wolfgang Ratz.
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