Das Totenhemdchen
Ein Märchen der Brüder Grimm
KHM 109
Es
hatte eine Mutter ein Büblein von sieben Jahren, das war so schön und
lieblich, dass es niemand ansehen konnte, ohne mit ihm gut zu sein, und
sie hatte es auch lieber als alles auf der Welt. Nun geschah es, dass es
plötzlich krank ward, und der liebe Gott es zu sich nahm; darüber
konnte sich die Mutter nicht trösten und weinte Tag und Nacht. Bald
darauf aber, nachdem es begraben war, zeigte sich das Kind nachts an den
Plätzen, wo es sonst im Leben gesessen und gespielt hatte; weinte die
Mutter, so weinte es auch, und wenn der Morgen kam, war es verschwunden.
Als aber die Mutter gar nicht aufhören wollte zu weinen, kam es in
einer Nacht mit seinem weissen Totenhemdchen, in welchem es in den Sarg
gelegt war, und mit dem Kränzchen auf dem Kopf, setzte sich zu ihren
Füssen auf das Bett und sprach 'ach Mutter, höre doch auf zu weinen,
sonst kann ich in meinem Sarge nicht einschlafen, denn mein
Totenhemdchen wird nicht trocken von deinen Tränen, die alle darauf
fallen.' Da erschrak die Mutter, als sie das hörte, und weinte nicht mehr.
Und in der andern Nacht kam das Kindchen wieder, hielt in der Hand ein
Lichtchen und sagte 'siehst du, nun ist mein Hemdchen bald trocken, und
ich habe Ruhe in meinem Grab.' Da befahl die Mutter dem lieben Gott ihr
Leid und ertrug es still und geduldig, und das Kind kam nicht wieder,
sondern schlief in seinem unterirdischen Bettchen.
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