The medium ist he message. Diese zum
geflügelten Wort geronnene Erkenntnis wird leicht zu simpel verstanden. Sie
entspricht einem kruden, grobschlächtigen Denken. Ihre Einfachheit ist für
viele attraktiv. Die Hülle, die Verpackung, das Äußere, die Aufmachung
signalisieren aber auch für „Kenner“ oft das Eigentliche. Einige meinen sogar,
sie sei derart mit dem Gehalt, dem Inhalt verbunden, dass die Qualität des
Inhalts davon abhänge. Auch in der Literatur.
So auch Roland Reuß:
Warum ein Buch selber stehen können sollte
An der Gestaltung der Bücher bemisst sich auch die Wertschätzung der darin vermittelten Inhalte
Nicht erst mit der Digitalisierung hat die Verwahrlosung des Buchdrucks begonnen. In der Krise des Buchdrucks spiegelt sich vielmehr die Krise des autonomen, selbständigen Intellekts.
Reuß, dessen „Im Zeithof –
Celan-Provokationen“ (Frankfurt 2001) von einigen Kritikern als im in der
Celan-Philologie typischen Stil eines „Großmeister des hohen Tons der priesterlichen
Unterweisung“ daherkommend (Ernst Osterkamp) kritisiert, zeigt dort wie hier eine Forderung
des „Schriftgelehrten“, der hohe Literatur sakralisiert als entferntes
Kostbares behandelt und gedeutet sehen will. Der „normale“ Leser ist der
falsche, es bedarf der ausgebildeten Eingeweihten.
Im Einleitungsabsatz seines Beitrags zum
stehenden Buch sagt er:
„Nicht allein Bücher haben ihre Schicksale,
auch das Buch selbst. Seine Geschichte ist eine der Wertschätzung des von ihm
transportierten und präsentierten Gehalts – und man kann an seiner äusseren
Gestalt wie an einem Massstab ablesen, wie sich Gesellschaften zu «Geist»
überhaupt verhalten: ihn ehren, ihn für nebensächlich halten, ihn verachten.
Denn wie der Wind, um sichtbar werden zu können, Widerstand, Materialität,
braucht, so benötigen die Ergebnisse des Nachdenkens, der schöpferischen
Phantasie, einen Körper, um sich anderen dauerhaft mitzuteilen. Um nachhaltig
wirken zu können, reicht die Materialität des Lauts nicht aus. Der Gedanke
drängt zur Schrift, wird zum Text und versammelt sich zuletzt im Buch. Und in
seiner Gestalt, der Qualität der Verarbeitung, der Güte der verwendeten
Materialien, antwortet die Gesellschaft auf das, was sie ihm verdankt.“
Natürlich gibt es Qualitätsunterschiede in
der Buchherstellung, Aufmachung und Gestaltung. Aber der konservative
Schöngeist geht zu weit. Seine These wertet Inhalte ab, tut so, als ob einfache
Buchausgaben das Werk schädigen, nicht „richtig“ oder adäquat rüberbringen. Er
bemüht Roland Barthes und Adorno als Zeugen, weint der hohen Qualität nach und
geißelt das Internet.
Die Problematik des Internet in der
Textvermittlung soll nicht bestritten werden. Das Phänomen E-Book hat gewiss
Auswirkungen auf die Buchgestaltung und Leseverhalten. Aber die Prämissen und
Schlussfolgerungen von Reuß sind zu einseitig. Er koppelt die jetzige
„schlampige“ Buchgestaltung mit „geistiger Zerstörung.
„An der Entwicklung der Buchgestalt, am
schärfsten an der des wissenschaftlichen Buches, kann man ablesen, dass die
meisten Schreibenden von dem, was sie schreiben, nur mehr eine sehr geringe
Meinung haben. Sie haben keinen qualitativen Massstab mehr, auch kein
Selbstbewusstsein, das sie gegenüber Verlagen und Herstellern ins Feld führen
könnten, um ihren Produkten auch ein menschenwürdiges Äusseres zu sichern. Dass
Individuen überhaupt etwas bewirken, gar Wahrheit in den Blick nehmen könnten,
ist als Utopie abgetan und als Abgetanes akzeptiert worden – obschon man gar
nicht weiss, was eine Forschung leisten sollte, die unter solchen Voraussetzungen
antritt.“
Hängt Eigenheit, Individualität und Würde
derart an der Aufmachung, der Gestalt? Immer redet Reuß vom Objekt, nie vom
Inhalt. Als ob dieser der höchsten qualitativen Form bedürfe, um erkannt werden
zu können. Aber Literatur ist nicht Bildnis oder skulpturaler Artefakt, ist
nicht Musik, wo die Form mit dem Inhalt zusammenfällt, außer es geht um Lieder,
die eine Botschaft transportieren.
Weiter Reuß: „Die im Internet zutage
tretende besinnungslose Selbstvermarktung gerade auch der Forschenden ist
polierte Stromlinienförmigkeit, de facto praktizierte Selbstverachtung. Man
achtet sich selbst gerade noch wie ein beliebiges verderbliches Lebensmittel,
preist sich an, bietet sich feil und nennt das mit dem Zauberwort «Profil». Dem
folgen die Mainstream -Bücher. Auch das hat Adorno schon 1963 beschrieben: «Die
Autonomie des Gebildes, an die der Schriftsteller all seine Energie wenden
muss, wird von der physischen Gestalt des Gebildes desavouiert. Hat das Buch
nicht mehr die Courage zu seiner eigenen Form, dann ist auch in ihm selbst die
Kraft angegriffen, die jene Form zu rechtfertigen vermöchte.»“
Was ist die dem Buch „eigene Form“? Die
althergebrachte prachtvolle, teure? Goethes Werke im Taschenbuch ein Verrat,
eine Demontage, eine Abwertung?
„Ohne diese Materialisation keine
selbstbewusste menschliche Individualität, die uns als Vorbild dienen könnte,
ohne diese wiederum keine menschenwürdige Entwicklung. Der Schwarm ist dagegen
ein Schmarrn, die staublose Datei im Netz ein Tiefpunkt gewonnenen Wissens:
Geist, gezeichnet von Anorexie. Die Vorstellung von Erlösung reduziert auf die
eines Laserdruckers.“
Reuß sieht nur in der hohen Qualität die
Möglichkeit für Individualität, die uns menschenwürdig erscheinen kann. Aus ihm
spricht die Verachtung des Gewöhnlichen, der Ware. Aber in der
Tauschgesellschaft gibt es keine Artefakte, die als Nicht-Ware, als Eigenheit,
in Verkehr treten. Seine Abneigung dagegen ist verständlich, aber untauglich,
unrealistisch.
Die handgeschriebenen Bücher und ihre Kopien
bedingten geringe Zugangsmöglichkeit, begrenzten extrem den Leserkreis, schufen
ein Klima des Exklusiven: das Terrain für die Auserwählten. Das Regime der
Esoterik. Ein Fest für Schriftgelehrte. Roland Reuß verkennt die Aufklärung und
kaschiert seine Abneigung dagegen nur vage mit seinen Qualitätsanforderungen.
Er vertraut auch nicht den Inhalten. Er sieht den regulären Leser als unfähig
zur Lektüre. Weshalb es eben der speziellen Aufmachung bedürfe, die Höhe und
Erhaben indiziert, auf dass man dem „Stoff“ ehrfürchtig begegne.
Pralines, Parfums, teure Schmuckstücke
werden für gewöhnlich in teuersten Verpackungen angeboten. Aber auch Kitsch.
Die Industrie hat rasch gelernt, wie leicht Minderes sich in prächtiger Hülle
einschmuggeln lässt. Zu leicht überträgt der Konsument den Ersteindruck auf die
eigentliche Ware, das eigentliche Ding. Reuß fordert das für die hohe
Literatur. Aber mündige Leser lesen, und schließen nicht simpel von der
Gestaltung auf den Inhalt.
Man mache einen Test. Zum Beispiel Goethes
„Faust“. Legen Sie eine billige Reclam-Ausgabe auf den Tisch, daneben eine in
Leinen gebundene, zusätzlich noch eine in Leder mit Goldschnitt und
Goldprägung. Laden Sie Leser ein zu lesen. Wenn verstehend gelesen wurde, wird
jener, der sich nur der einfachsten Heftausgabe bedienen musste, keinen
minderen Eindruck von der Dichtung haben, als jener, der sich die Prachtausgabe
vornehmen durfte. Umgekehrt könnte es sein, dass jene, die teuer aufgemachte
Bücher kaufen, diese nicht verständig lesen. Der Einstieg erfolgt nicht über
die Gestaltung. Die Barriere liegt nicht im minderwertigen Taschenbuch. Es geht
um den Leseakt, um die Beherrschung der Kulturtechnik Lesen. (Dass sich die mit
dem E-Book verändert, ist ein anderes Problem. Aber auch dort ist verständige
Lektüre möglich!)
Würde die Annahme von Reuß gelten, wären
wichtige Texte, die in billigsten Kopien kursierten (Samisdat), unerheblich.
Aber die gewählte, bedingte Form beschädigte nicht ihren Inhalt. Im Gegenteil,
sie hielt ihn am Leben, transportierte ihn. Die Alternative wäre nur Schweigen
gewesen. Ähnlich mit dem Massenprodukt Buch in preisgünstigen Ausgaben. Soll
darauf verzichtet werden, damit der hehre Gehalt nicht abgewertet werde? Reuß
äußert ein Herrendenken, das überholt ist.
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